Weniger ist nicht mehrRund 2,87 Millionen Studierende im Wintersemester 2023/24
Hallo Ihr Studierenden! Fällt Euch etwas auf? Es wird luftiger um Euch herum, Ihr habt mehr Platz, mehr Beinfreiheit, im Hörsaal, in der Mensa, beim Unisport. Aber warum? Ihr werdet weniger. Die Erbsenzähler vom Statistischen Bundesamt haben Euch gezählt. Im laufenden Wintersemester seid Ihr zusammen 2.871.481 – nur noch.
Das ist zwar ein vorläufiger Wert, aber groß ändern wird sich daran nichts mehr. Seht den Tatsachen ins Auge: Ihr schwindet, und das zum zweiten Mal in Folge. Vor einem Jahr gab es von Euch noch rund 50.000 oder 1,7 Prozent mehr an Deutschlands Hochschulen, 2021 sogar fast 74.600 oder 2,5 Prozent, wie die Behörde aus Wiesbaden am Dienstag mitteilte.
Dabei sah es lange danach aus, als könnte bald die Drei-Millionen-Marke geknackt sein. 15 Jahre am Stück reihte sich ein Rekord an den nächsten. 2007/08 waren nicht einmal zwei Millionen Menschen eingeschrieben. Danach gab es kein Halten mehr und und böse Worte wie „Akademikerschwemme“ oder „Akademisierungswahn“ machten bereits die Runde. Aber dann kam Corona, danach der Ukraine-Krieg, mit ihm die Energiekrise und die Preisexplosion bei Gas, Strom und Lebensmitteln. Seitdem dreht sich der Trend, Richtung Keller.
Kein Massenexodus – vorerst
Im Ernst: Ob zwischen beiden Phänomenen ein kausaler Zusammenhang besteht, ist nicht bewiesen. Fakt ist, dass mit den Lockdowns viele ausländische Studierende Deutschland den Rücken kehrten, aber längst wieder in alter Stärke zurück sind. Bei den Studienneulingen liegen die Internationalen inzwischen sogar leicht über dem Vor-Pandemie-Niveau.
Was die Inländer betrifft, lässt sich nicht sagen, ob und wie viele von ihnen dem Druck der multiplen Krisen erlegen sind, also zur Aufgabe ihres Studiums genötigt waren oder von der Aufnahme eines Studiums absehen mussten. Dafür fehlt es an entsprechenden Daten, die etwa ersichtlich machten, ob es signifikant mehr Exmatrikulationen gibt als früher.
Aber auch so lässt sich feststellen: Von dem befürchteten Massenexodus durch Corona und die anhaltend hohe Inflation kann zumindest bisher keine Rede sein. Angesichts der Fülle an Herausforderungen – Jobverluste , extrem verteuerte Lebenshaltungskosten, Wohnraummangel – halten sich die Studierendenzahlen sogar auf einem bemerkenswert stabilen Level.
Wieder mehr Studienanfänger
Zumal es auch wieder mehr Nachrücker gibt. Denn anders als in der Gesamtschau hat die Zahl der Ersteinschreibungen im Studienjahr 2023 (Sommersemester 2023 und Wintersemester 2023/24) zugelegt – um 1,2 Prozent auf 479.300. Ein schwaches Plus um 0,4 Prozent hatten die Statistiker auch schon fürs Studienjahr 2022 ermittelt, nachdem die Zahl davor vier Jahre lang rückläufig war. Bis 2017 lag der jährliche Zuwachs stets stabil über einer halbe Million.
Wie der wieder stärkere Zulauf zustande kommt, kann das Bundesamt vorerst jedoch nicht beantworten. Denkbar ist, dass abermals überwiegend Neuankömmlinge aus dem Ausland für das Mehr an Studieneinsteigern sorgen, wie schon im Jahr davor. Aber nichts genaues weiß man. Zum jetzigen Zeitpunkt lägen „weder Angaben zur Staatsangehörigkeit noch zur Art der Hochschulzugangsberechtigung“ der Betroffenen vor, schreibt die Bundesbehörde.
Hinsichtlich der Verteilung auf die Hochschularten bestätigt sich ein schon länger sichtbarer Trend zuungunsten der Universitäten. Der Gesamtrückgang an Studierenden fällt für diese mit 2,4 Prozent auf 1.686.700 deutlich stärker aus als für die Fachhochschulen. Dort sind mit 1.089.500 lediglich 0,5 Prozent weniger Menschen immatrikuliert, als vor einem Jahr.
HRK-Chef zuftrieden
Eine steigende Anziehungskraft der FHs zum Nachteil der Unis ist schon länger nachweisbar. Die meisten Federn lassen mit minus drei Prozent allerdings die Verwaltungsfachhochschulen, an denen aktuell 57.800 Personen studieren. Ganz anders die Kunsthochschulen: Diese verzeichnen ein Plus von 1,9 Prozent auf 37.400.
Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Walter Rosenthal, sieht die Studierendenzahlen „unverändert auf sehr hohem Niveau“. Das zeige „die nach wie vor sehr hohe Attraktivität der deutschen Hochschulen im In- und Ausland“, äußerte er sich in einer Medienmitteilung. Die Einbußen führt er auf die hohen Anfängerzahlen bis 2019 zurück. „Diese damaligen Erstsemester verlassen nunmehr die Hochschulen und verringern die Gesamtzahl der Studierenden.“
Daneben kommt ein Corona-Effekt zum Tragen: Die Studienzeiten waren mit Rücksicht auf die besonderen Erschwernisse während der Hochphase der Pandemie verlängert worden. In der Konsequenz haben zuletzt auf einen Schlag mehr Absolventen als in Normalzeiten die Hochschulen verlassen. Ohne Gesundheitsnotstand hätte der Rückgang bei den Studierendenzahlen deshalb wohl schon früher eingesetzt.
Virtuell in Thüringen
Sechs Bundesländer konnten ihren Bestand an Studierenden entgegen dem Trend ausweiten beziehungsweise behaupten. Das sind das Saarland (gleichbleibend), Baden-Württemberg (plus 0,2 Prozent), Brandenburg (plus 0,3 Prozent), Bayern (plus 0,4 Prozent), Bremen (plus 1,5 Prozent).
Dass Thüringen satte 5,9 Prozent draufsatteln konnte, erklärt sich im Wesentlichen durch die Besonderheit der Internationalen Hochschule (IU) mit Sitz in Erfurt. An der Privathochschule sind allein etwas über 100.000 Personen eingeschrieben, wobei die Lehre zu großen Teilen online stattfindet (Fernstudium) und bei den dualen Studienangeboten in Präsenz auch an vielen Studienorten außerhalb Thüringens. Wirklich wohnhaft in Thüringen sind daher nur ein kleinerer Teil.
Die größten Abstriche bei den Studierendenzahlen beklagen Hessen mit minus 4,4 Prozent, Rheinland-Pfalz (minus 4,2 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (minus 4,1 Prozent). Dahinter folgen Mecklenburg-Vorpommern (minus 3,4 Prozent), Sachsen-Anhalt (minus 3,3 Prozent), Schleswig-Holstein (minus 2,3 Prozent) und Hamburg (minus 2,1 Prozent). In Niedersachsen (minus 1,4 Prozent), Berlin (minus 1,3 Prozent) und Sachsen mit minus 0,2 Prozent sind die Verluste ziemlich moderat.
Ampel in der Bringschuld
Wie sich die Dinge weiterentwickeln, ist schwerlich abzusehen. Möglicherweise stoßen nicht wenige junge Menschen nach vier Jahren Dauerkrise demnächst an die Grenze der Belastbarkeit, insbesondere in finanzieller Hinsicht. Dies könnte durchaus zu größeren Absetzbewegungen führen, zumal dann, wenn die Politik die nötige Unterstützung schuldig bleibt.
Für Nicole Gohlke, bildungs- und wissenschaftspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, ist die Ampelregierung in der Bringschuld. „Viele junge Menschen entscheiden sich gegen ein Studium, weil sie schlichtweg nicht wissen, wie sie es finanzieren sollen“, sagte sie am Donnerstag gegenüber Studis Online. Insbesondere eine Reform der Bundesausbildungsförderung (BAföG) sei „längst überfällig“. Diese müsse „existenzsichernd ausgestaltet und für einen größeren Kreis an der Studierenden geöffnet werden“.
Stand jetzt soll es im kommenden Jahr eine BAföG-Novelle geben. Spielraum dafür sollen 150 Millionen Euro bringen, um die der entsprechende Etatposten weniger gekürzt wird, als ursprünglich geplant war. Angesichts der geplatzten Finanzplanung der Bundesregierung infolge des Karlsruher Haushaltsurteils schwebt über dem Projekt aber noch ein Fragezeichen.
80 Euro Zinsen im Monat
Mit Blick auf den horrend verteuerten Studienkredit (siehe den variablen Zinsverlauf) der staatlichen KfW-Bank ergänzte Gohlke: „Kein Förderinstrument darf zur Schuldenfalle werden.“ Wie die Linksfraktion beim Bundesbildungsministerium in Erfahrung brachte, betrug die durchschnittliche monatliche Zinszahlung 2018 noch etwa 32 Euro, während es heute rund 80 Euro sind.
Ein „Alarmsignal“ nennt auch Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die rückläufigen Studierendenzahlen. „Deutschland braucht in Zukunft nicht weniger, sondern mehr akademisch qualifizierte Fachkräfte. Schon jetzt suchen vielen Unternehmen, aber auch der öffentliche Dienst händeringend Fachkräfte“, bemerkte er im Gespräch mit Studis Online.
Den Fehler sieht Keller im „System Hochschule“. Viele würden ihr Studium abbrechen, „weil die Betreuungsrelationen zu schlecht sind und ein leistungsfähiges BAföG fehlt“. Dieses müsse deutlich erhöht werden, zudem gehöre der Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärker nachgebessert und durch eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes müssten „mehr Dauerstellen und damit mehr Kontinuität und Qualität in der Lehre“ herbeigeführt werden. (rw)