Genug ist genug!Umfrage zum vierten Corona-Semester
Zu Hause braucht es zwar keine Maske, aber das Lernen fällt online vielen schwerer
Wie geht es den Studierenden in Deutschland nach inzwischen fast zwei Jahren Pandemie? Worunter haben sie zu leiden, womit zu kämpfen? Und haben sich in der Krise bestimmte Dinge mitunter zum Positiven verändert? Solchen und ähnlichen Fragen ist der „freie zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs) in einer groß angelegten Erhebung auf den Grund gegangen. Seit Dienstnachmittag liegen die Ergebnisse in aufbereiteter Form vor.
Zwischen dem 20. Dezember und dem 14. Januar wurden dabei 7.622 Hochschülerinnen und Hochschüler an bundesweit 181 Hochschulstandorten zu 50 Einzelaspekten aus fünf Themengebieten befragt, die da wären: „Gesamtsituation. Dein Studium. Feedback zum Studium unter Corona. Deine aktuelle Lage. Ausblick.“ 5.865 Studierende haben den gesamten Katalog abgearbeitet, womit den Ergebnissen eine hohe Aussagekraft zukommt. Im Besonderen gilt dies für Berlin: Rund die Hälfte der Teilnehmer studiert in der Hauptstadt.
Hälfte fühlt sich „schlecht“
So viel steht fest: Studieren unter Corona-Bedingungen hat tiefe Spuren bei den Betroffenen hinterlassen. Fast 50 Prozent der Befragten gaben an, sich „schlecht“ (35 Prozent) oder „sehr schlecht“ (13 Prozent) zu fühlen, wenn sie an ihr Studium denken. Nur knapp jeder Fünfte beschreibt seine Lage als „gut“ (19 Prozent), gerade einmal vier Prozent als „sehr gut“. Dabei machen einer Mehrheit seelische und körperliche Probleme zu schaffen.
Verglichen mit der Vorkrisenzeit erleben 60 Prozent die psychischen Belastungen als „gestiegen“ (39 Prozent) oder „stark gestiegen“ (21 Prozent). Lediglich zwölf Prozent erachten die Beanspruchung als „verringert“, davon mehr als jeder dritte als „stark verringert“. Dennoch konnten 40 Prozent ihr Studium psychisch „gut“ absolvieren, 43 Prozent verneinten dies. Fast jeder zehnte hat ein psychologisches Beratungsangebot genutzt, sechs Prozent stehen aktuell auf einer entsprechenden Warteliste.
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Die am häufigsten genannten psychischen Beeinträchtigungen sind „Konzentrationsprobleme“ (73 Prozent), „Niedergeschlagenheit“ (62 Prozent) sowie „Schlafstörungen“ (41 Prozent). Bei den „körperlichen Mehrbelastungen“ rangieren ganz oben „Rückenschmerzen“ mit über 58 Prozent, gefolgt von „Kopfschmerzen“ (49 Prozent) und „Augenschmerzen“ (36 Prozent). Hier zeigen sich sehr deutlich die Auswirkungen der über weite Strecken im Homeoffice verbrachten Studienzeit (sitzend vorm Computer) sowie auch der Mangel an Bewegung.
Schlechte Noten für Onlinelehre
Um den besonderen körperlichen und psychischen Herausforderungen in der Pandemie zu begegnen, brauch es laut fzs „einen Ausbau der psychischen und sozialen Beratungsangebote, sowie eine Stärkung von Austausch und Gruppenarbeitsräumen, sowohl digital als auch in Präsenz“. Voraussetzung dafür seien allerdings „zusätzliche Mittel“ für die örtlichen Studierendenwerke und „mehr Raum- und Lehrkapazitäten“. Dabei müssten Soforthilfeprogramme aus Landes- und Bundeshaushalten aufgelegt werden.
Der Großteil der Befragten studiert bereits im dritten oder vierten Semester im Corona-Modus. Die meisten befanden sich damit wenigstens phasenweise komplett im Distanzlehrbetrieb. Das Urteil zu Qualität und Ertrag der digitalen Lehr- und Lernangebote fällt dabei ziemlich eindeutig aus. 37 Prozent sehen diese als „schlechter“ und über 16 Prozent als „viel schlechter“ an als klassische analoge Unterrichtsformate. Etwas mehr als 20 Prozent der Befragten halten die Onlinelehre für „eher besser“ (14 Prozent) oder „viel besser“ (6 Prozent).
Gleichwohl kommt eine große Mehrheit von 78 Prozent „sehr gut“, „eher gut“ oder zumindest „mittelmäßig“ mit den Anforderungen digitaler Lehrveranstaltungen zurecht. Einer von fünf Teilnehmern äußerte dagegen, „eher schlecht“ oder „sehr schlecht“ (7 Prozent) damit klarzukommen. Das mag auch daran liegen, dass immerhin 29 Prozent der Befragten über keine stabile Internetverbindung verfügen, in 0,5 Prozent der Fälle besteht gar kein Anschluss ans Netz. Ein Prozent besitzt keinen internetfähigen Rechner (PC, Tablet, Laptop).
Nur eine „Zwischenlösung“
Während der Corona-Semester bevorzugten 46 Prozent der Befragten die Präsenzlehre. 33 Prozent fanden hybride Angebote mit parallelen Präsenz- und Onlineangeboten am geeignetsten und 21 Prozent präferierten eine reine Onlinelehre. Alles in allem fällt die Bilanz in puncto digitaler Lehre aus Sicht der Studierenden eher mäßig aus, zumal über 60 Prozent der Umfrageteilnehmer eine „stark“ beziehungsweise „etwas“ erhöhte Arbeitsbelastung für sich festgestellt haben. Die Praxis wird als bessere Alternative zu einem Unitotalausfall notgedrungen hingenommen, aber mehrheitlich kritisch gesehen. Sobald es die Bedingungen zulassen, will die Mehrheit zurück zur früheren Normalität.
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Beim fzs erkennt man einerseits an, dass sich die Distanzlehre „auch durch die Anstrengung vieler Lehrender verbessert“, andererseits sei diese jedoch „nur als eine Zwischenlösung zu betrachten“. Aktuell wünschten sich Studierende Hybrid- und Onlineformate vornehmlich zum Schutz vor Ansteckungen mit dem Corona-Virus, gerade mit Blick auf die extrem virulente Omikron-Variante. Deshalb sollten möglichst auch alle Präsenzangebote „mit guten Sicherheitsmaßnahmen ermöglicht werden“, konstatiert der studentische Dachverband. Erforderlich wären daher „flexiblere Studienbedingungen“ durch Fristen- und Regelstudienzeitverlängerung“ sowie „Freiversuchsregelungen“.
Die Befragung belegt einmal mehr, dass sich Studierende in der anhaltenden Krise von der Politik im Stich gelassen fühlen. Das betrifft auch und gerade ihre finanzielle Situation. 18 Prozent verfügen über geringere Verdienste als davor, fünf Prozent leiden unter Einkommenseinbußen ihrer Eltern, sieben Prozent haben gar „keine Einkünfte“ mehr seit Beginn der Pandemie. 16 Prozent derer, die sich ihr Studium mit Erwerbsarbeit finanzieren, gaben an, ihren Job krisenbedingt verloren zu haben, 13 Prozent direkt im ersten Lockdown im Frühjahr 2020, drei Prozent im laufenden Wintersemester.
Fast jeder dritte finanziell instabil
Mehr als 30 Prozent der Befragten fühlen sich aktuell finanziell nicht stabil aufgestellt, sei es, weil ihr Job weggebrochen ist, sie keine der von der Bundesregierung zeitweise bewilligten Überbrückungshilfen oder „nie“ Unterstützung erhalten haben. In einer Pressemitteilung vom Mittwoch forderte fzs-Vorstandsmitglied Lone Grotheer deshalb die Neuauflage eines Hilfsprogramms, „mindestens in Höhe des BAföG-Höchstsatzes von 861 Euro“. Dass der Studienkredit der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bis 30. September zinsfrei bleiben solle, „ist dafür kein angemessener Ersatz“.
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Die Nachfrage nach dem KfW-Darlehen hat sich im Verlauf der Pandemie mehr als verdoppelt. Unter den Teilnehmern der Umfrage finden sich immerhin fünf Prozent, die das Instrument während der zurückliegenden zwei Jahre in Anspruch nehmen mussten. Der fzs nennt das Angebot einen „großen Fehler“ der Regierung, weil die Betroffenen auf lange Sicht in der Verschuldungsfalle landen könnten. Studierende bräuchten statt dessen einen „BAföG-Notfallmechanismus“, zumal auch die maximal 500 Euro Überbrückungshilfen „nie ausreichend“ gewesen seien. Allerdings hat die neue Ampelregierung entsprechende im Koalitionsvertrag formulierte Pläne bisher nicht in Angriff genommen.
Insgesamt sind für zwei Drittel der Studierenden neue Herausforderungen durch die Pandemie entstanden. Die größte besteht darin, „keinen ruhigen Ort zum Arbeiten“ zu haben (42 Prozent). sechs Prozent müssen Pflegearbeit leisten, fünf Prozent Kinder betreuen, was vor allem während zweier Lockdowns mit verbundenen Schulschließungen besondere Kräfte erforderte. Gleichwohl hat sich die weit überwiegende Mehrheit bis heute irgendwie durchschlagen können. Lediglich knapp 1,5 Prozent der Befragten haben ihr Studium krisenverschuldet abgebrochen, noch einmal so viele (wenige) haben ein Urlaubssemester beantragt, was allerdings bloß in knapp der Hälfte der Fälle bewilligt wurde.
94 Prozent geimpft
Wie der Studierendenverband in seiner Auswertung festhält, seien die Studienbedingungen angesichts ständig wechselnder Lehrformate aktuell „noch mehr als zu Beginn der Pandemie“ erschwert. Tatsächlich müssen Studierende heute mithin mehrmals an einem Tag zwischen Distanz- und Präsenzlehre hin und her switchen. Der Zugang zur Uni wird bei 45 Prozent der Befragten über eine 3G-Regelung kontrolliert. Dabei beklagen zwölf Prozent fehlende Kontrollen des Impfstatus, 1,3 Prozent haben sich nach eigenen Angaben im Hochschulkontext mit dem SARS-Cov-2-Virus infiziert.
Zugang nur noch für Geimpfte und Genesene (2G) herrscht an den Hochschulen von 20 Prozent der Teilnehmer, 2G-Plus bei fünf Prozent. 28 Prozent haben gar keine Präsenzveranstaltungen mehr. Lediglich 18 Prozent der Befragten gaben an, ihre Seminare würden reibungslos ablaufen. Als schwerwiegendste Probleme beim analogen Hochschulbetrieb wurden mangelnde Raumkapazitäten genannt (48 Prozent), dass Hygienemaßnahmen nicht kontrolliert werden (32 Prozent) und Seminare aufgrund von Corona-Ausbrüchen ausfallen (30 Prozent).
Knapp 16 Prozent bezeichneten das Teilnahmeverbot für Ungeimpfte als problematisch. Betroffen sind davon gemäß Umfrage etwas weniger als sechs Prozent der Studierenden. 94 Prozent gelten als mindestens zweimal geimpft, 60 Prozent haben bereits eine Boosterimpfung erhalten. Wegen der sich rasch verbreitenden Omikron-Mutante sollten Präsenzveranstaltungen nur noch unter 2G-Plus-Modalitäten stattfinden, empfiehlt der fzs. Zusätzlich müsste es für Ungeimpfte aber weiterhin digitale Alternativangebote geben. (rw)