Studentische Forschungsarbeit zu Corona„Reaktionen auf die Covid-19-Pandemie“
Was tun, wenn eine Pandemie dir als Student:in in Sachen Auslandssemester einen Strich durch die Rechnung macht? Untersuche den Spielverderber!
Übersicht
Studis Online: Mitte März 2020 wurde der erste Lockdown in Deutschland beschlossen – schon ziemlich lange her! Wie blicken Sie für sich persönlich auf diese Zeit zurück?
Pia Oechsner: Wenn ich mir damals vorgestellt habe, wie ein kleiner unsichtbarer Virus den Menschen so angreifen kann, dass die ganze Welt Kopf steht, dann kam mir die ganze Situation unglaublich surreal vor und ich hätte niemals damit gerechnet, dass uns dieser Virus noch so lange beschäftigen wird.
Wo standen Sie damals Anfang 2020 in Bezug auf Ihr Studium?
Die Interviewpartnerin und Autorin der Forschungsarbeit, Pia Oechsner, hat 2021 ihren Masterabschluss in Angewandte Gesundheitswissenchaften an der Hochschule Ravensburg-Weingarten gemacht. Ihre Abschlussarbeit hat sie im Dezember 2020 abgegeben. Mittlerweile arbeitet sie beim Gesundheitsamt in Ravensburg im Corona-Management.
Nach Regelstudienplan wäre für mich im Sommersemester 2020 die Masterarbeit angestanden. Allerdings wollte ich noch etwas länger die Vorzüge des Studentenlebens nutzen und hatte deshalb andere Pläne: Ich wollte nach Nepal fliegen und dort an einem Forschungsprojekt an der Uni Kathmandu mitarbeiten. Alles war organisiert, die Studenten-WG gekündigt und im April hätte es losgehen sollen. Die Pandemie hat mir da einen ordentlichen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich war bei meinen Eltern gestrandet und als irgendwann die Hoffnung dahin war, dass man dieses Semester noch nach Asien fliegen darf, habe ich mich dann eben doch an die Masterarbeit gesetzt…
Wie sind Sie mit den erschwerten Bedingungen im Studium umgegangen?
So wirklich online studieren musste ich nie, da ich kurz vor Ende des Studiums stand und keine Vorlesungen mehr besuchen musste. Allerdings war es schon schade, dass wir uns als gesamten Kurs nicht nochmal gesehen haben – es fühlt sich nicht an als wäre das Studium jetzt schon vorbei, so ganz ohne Abschluss-Party.
Als Studentin der Gesundheitswissenschaften während einer globalen Pandemie rücken bestimmt viele „spannende“ wissenschaftliche Fragen sehr nah beziehungsweise schon fast zu nah an einen selbst ran. Hatten Sie erst mit Covid-19 überlegt, in diesem Feld Ihre Masterarbeit zu schreiben? Wie kam es dazu?
Tatsächlich war trotz des Studiums im Fach Gesundheitswissenschaft „Pandemie“ nie wirklich ein Thema. Ich hatte das eigentlich auch nie vermisst. Allerdings habe ich mich mit Beginn der Pandemie dann doch gefragt: Wenn nicht wir vorbereitet wurden, wer sonst?
Ich hoffe also sehr, dass das Thema in Zukunft in die Curricula der gesundheitswissenschaftlichen Studienfächer aufgenommen wird.
Für mich hat sich das Thema der Masterarbeit aus dem Forschungsteam ergeben, mit dem ich eigentlich nach Nepal gegangen wäre. Als Alternative sind wir alle zu Hause geblieben und haben eine internationale Vergleichsstudie gestartet, in denen neun Länder der Welt vertreten waren. Ich habe dann die Analyse der europäischen Länder übernommen. Entsprechend haben andere Studierende aus anderen Teilen der Welt ihre Masterarbeiten zu derselben Forschungsfrage geschrieben. Es war sehr spannend in einem solchen internationalen Team zu arbeiten.
Wurden Sie von einem Ergebnis Ihrer Untersuchung überrascht?
Ja, es hat mich doch überrascht, dass die Ergebnisse aus der statistischen Analyse bedeutsame Zusammenhänge zwischen den Corona-Maßnahmen und der Covid-19-Fall- sowie Todesraten zeigten und Deutschland dabei sehr gut abgeschnitten hat. Das beweist, dass die politischen Entscheidungen nicht von irgendwo kamen und begründet sind.
Konnten Sie Ihre Erkenntnisse der Arbeit bereits irgendwo veröffentlichen oder in der Praxis umsetzen?
Veröffentlicht habe ich meine Arbeit nicht. Ich arbeite nun aber bei einem Gesundheitsamt im Corona-Management. Für diesen Job hat sich meine Masterarbeit schon sehr gelohnt, weil ich mich über Monate hinweg zum Thema eingelesen hatte und ich damit das grundlegende Vorwissen hatte, um es in der Praxis anwenden zu können.
Sie arbeiten jetzt in einem kommunalen Gesundheitsamt – wie fühlt sich der Wechsel von der Hörbank zum Schreibtischstuhl an?
Es fühlt sich viel normaler an, als dass ich es erwartet hatte. Man gewöhnt sich schnell daran, dass man nun feste Arbeitszeiten hat und auch einen geregelteren Alltag. Um die Prüfungsphase beneide ich meine derzeit noch studierenden Freunde keinesfalls. Da ist schon echt viel mehr Druck raus, wenn man arbeitet und nicht mehr auf Knopfdruck nach Wissen geprüft wird.
Vielleicht noch eine allgemein Frage zum Schluss: In den letzten Jahren nimmt man eine immer deutlicher werdende Kluft zwischen Wissenschaft und der Allgemeinheit wahr. Wie sollte man als Wissenschaftler:in damit umgehen? Und bereiten die Universitäten und Hochschulen die Studierenden genug darauf vor?
Mir ist als Studentin nicht bewusst aufgefallen, dass wir auf diese Kluft vorbereitet wurden. Allerdings sind meine Kommilitonin und ich da irgendwann auch selbst draufgekommen und wir haben uns nach langen Diskussionen und Brainstormings dazu entschieden, dass wir unsere berufliche Zukunft nicht in der klassischen Forschung als Wissenschaftlerinnen sehen. Sondern eher wollen wir in die Schnittstelle gehen, das heißt die Fülle an wissenschaftlichen Erkenntnissen so umzuschreiben, dass sie für die Allgemeinheit zugänglich und verständlich wird. Das nenne ich Empowerment in der Gesundheitsförderung und daran müssen wir arbeiten!
Vielen Dank für das Gespräch!
Reaktionen auf die Covid-19-Pandemie:
Eine Fallstudie über Deutschland, Italien und Schweden
Von Pia Oechsner
(Hochschule Ravensburg-Weingarten: Master Angewandte Gesundheitswissenschaft)
Hintergrund
Als Anfang 2020 das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 entdeckt wurde und Covid-19 sich innerhalb weniger Wochen zu einer Pandemie entwickelte, stand die Welt vor dem Beginn einer globalen Gesundheits- und Menschenkrise (UN, 2020, S. 1). Um die Folgen der Pandemie zu minimieren, waren alle Länder dieser Welt zu schnellem Handeln aufgefordert (WHO, 2020, S. 3). Und so entschieden sich verschiedene Länder für unterschiedliche Reaktionsstrategien. Wichtige Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, wenn spezifische Medikamente oder Impfstoffe gegen das neuartige Virus noch nicht bekannt sind, sind sogenannte Non-Pharmaceutical Interventions (NPIs).
Diese werden angewendet, um die Infektion einzudämmen, die Virusausbreitung zu verzögern und die Auswirkungen einer Pandemie zu reduzieren (Kirch, 2008, S. 105; Matthews Pillemer et al., 2015, S. 134). Wenn im weiteren Verlauf des Artikels von Maßnahmen die Rede ist, werden diese im Sinne von NPIs verstanden.
Ziel und Methodik
Diese Fallstudie hatte zum Ziel, die Corona-Maßnahmen von Deutschland, Italien und Schweden hinsichtlich ihrer Effektivität und Durchführbarkeit zu analysieren und zu vergleichen. Dabei wurde der Zeitraum von Januar bis Juni 2020 eingeschlossen. Um folgende Forschungsfragen zu beantworten, wurde unter anderem das statistische Verfahren einer Zeitreihenanalyse angewandt und ein Rapid Review erarbeitet, das eine „abgekürzte“ Form der systematischen Literaturübersicht darstellt:
Wie haben Deutschland, Italien und Schweden auf die Covid-19-Pandemie reagiert?
Wie haben die Eindämmungsmaßnahmen die Kurvenverläufe der Covid-19 Fall- und Todeszahlen verändert?
Wie wirkte sich Covid-19 auf vulnerable Gruppen aus und welche Maßnahmen ergriffen die Länder zur Unterstützung vulnerabler Personen?
Ergebnisse
Abbildung 1 fasst die implementierten Maßnahmen von Deutschland, Italien und Schweden im März 2020 zusammen.
Abb. 1: Dates of implemented NPIs in Germany, Italy and Sweden. Based on data from: HDX, 2020
Italien hat die Maßnahmen generell früher implementiert als Deutschland und Schweden und ist dabei schrittweise vorgegangen, angefangen mit regionalen Schulschließungen und Lockdowns in den betroffenen Gebieten.
Im Gegensatz dazu wurden in Deutschland die Maßnahmen innerhalb kurzer Zeit eingeleitet, mit dem 16. März als Stichtag in einem bundesweit einheitlichen Vorgehen zur Pandemiebekämpfung. Schweden setzte nur drei Maßnahmen um (Restriktionen von internationalem Reiseverkehr, öffentlichen Veranstaltungen und großen Menschenansammlungen), und das später als die beiden anderen Länder.
Die verschiedenen Reaktionen der Länder könnten darauf zurückzuführen sein, dass sie dem Virus unterschiedlich stark und zu anderen Zeitpunkten ausgesetzt waren. Deshalb wurden im nächsten Schritt die unterschiedlichen Ausbreitungen von Covid-19 in Deutschland, Italien und Schweden verglichen und diese im Zusammenhang mit den verschiedenen Maßnahmen analysiert.
Wie in Abbildung 2 ersichtlich ist, zeigten die Kurven der Fall- und Todesraten in Italien und Deutschland zwischen Januar und Juni 2020 ähnliche Trends mit einem steilen Anstieg bis zu einem sichtbaren Höhepunkt, gefolgt von einem verlangsamten Rückgang der Zahlen. Italien wies dabei allgemein höhere Fall- und Todesraten auf. Schweden hingegen zeigte eher einen geradlinigen Trend mit steigenden Fall- und Todesraten.
Abb. 2: Daily number of new detected Covid-19 cases and deaths per million inhabitants. Based on data from: HDX, 2020
Die Ergebnisse der Zeitreihenanalyse zeigten für Italien und Deutschland signifikant abnehmende Trends von Covid-19-Fällen und Todesfällen nach der Einführung der Maßnahmen. Schweden wies keinen wesentlich abnehmenden allgemeinen Trend auf (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Results of the Interrupted Time Series Regression Analysis about changes of case and death rates in relation to the Corona-Interventions in Germany, Italy and Sweden.
(*significant change (p<0.05))
Der Rückgang von Fall- und Todesraten steht demnach in einen Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen, für Deutschland und Italien sogar im engen Zusammenhang.
Weil die vorangegangen Ergebnisse eine epidemiologische Perspektive einnehmen und ausschließlich die Gesamtbevölkerung in Betracht ziehen, wurden außerdem die sozialen Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf spezifische vulnerable Gruppen analysiert. Das Rapid Review mit einem Screening von Zeitungsartikeln bezog folgende Gruppen mit ein: ältere Menschen; Menschen mit Behinderung; Obdachlose; Geflüchtete und Gefangene (vgl. UN, 2020, S. 10).
Die Ergebnisse zeigten, dass die Länder teilweise Anstrengungen unternommen haben, um die besonderen Bedürfnisse dieser Gruppen zu berücksichtigen. Zum Beispiel wurden in Italien Häftlinge mit weniger schweren Vergehen aus den überfüllten Gefängnissen in Hausarrest geschickt (Povoledo & Bubola, 2020), und die deutsche Regierung richtete gesonderte Unterkünfte mit Zimmern für infizierte Geflüchtete ein (Bohr, Elger et al., 2020, S. 49).
Durch das Review wurden aber auch Defizite der Corona-Politik im Hinblick auf die vulnerablen Gruppen aufgezeigt, nach Mesa Vieira et al. (2020) wurden diese Menschen während der Pandemie teilweise vergessen und übersehen. Zum Beispiel sind Maßnahmen wie Abstand und häusliche Quarantäne für Menschen, die in Sammelunterkünften leben oder wohnungslos sind, teilweise nicht durchführbar.
Außerdem hat sich durch das Review gezeigt, dass Bürgerinitiativen während dieser Zeit von enormer Bedeutung waren. DIE ZEIT berichtete zum Beispiel über den Verein „Armut und Gesundheit“, der sich ehrenamtlich um Obdachlose kümmert und medizinische Leistungen anbietet (Lobenstein, 2020, S. 4).
Schlussfolgerungen
Aufgrund kontextueller Ähnlichkeiten der drei Länder, aber sehr unterschiedlicher Szenarien sowohl in Bezug auf das Covid-19-Infektionsgeschehen als auch auf die pandemiebedingten Maßnahmen, bietet diese vergleichende Fallstudie eine gute Möglichkeit für nachvollziehbare Schlussfolgerungen.
Die Studie konnte belegen, dass Non-Pharmaceutical-Interventions die Ausbreitung des Virus unterdrücken können, vor allem wenn mehrere Maßnahmen, idealerweise zu einem frühen Zeitpunkt, implementiert werden. Sie sind demnach eine wichtige Anwendung zur Pandemiekontrolle, solange es keine spezifischen Medikamente oder Impfstoffe gegen das Virus gibt.
Die Studie hat allerdings auch aufgezeigt, dass die pandemiebezogenen Maßnahmen nicht ausreichend mit den Bedürfnissen aller sozialer Gruppen abgestimmt waren.
Es lässt sich schlussfolgern, dass die politischen Entscheidungen zur Pandemiekontrolle aufgrund der akuten Notlage nicht ausreichend in ihren sozialen Auswirkungen und langfristigen Folgen abgewogen wurden. Zum Beispiel wurden mit dem Lockdown viele Beratungs- und Hilfsangebote eingestellt und Einrichtungen wie beispielsweise Tafeln für Bedürftige geschlossen, auf die jedoch viele Menschen angewiesen sind und als wichtige Auffang- sowie Schutzmöglichkeiten dienen.
Für die Zukunft bedarf es an intensiverer Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren aus dem Gesundheits- und Sozialbereich, sowie zwischen Politik und Gesellschaft. Denn es hat sich gezeigt, dass bürgerschaftliches Engagement unterstützend wirken kann, um die schwerwiegenden sozialen Folgen der Pandemie zu mildern.
Zusammenfassend dient diese Studie als Beitrag zur Entwicklung von Pandemieplänen für zukünftige Pandemien bzw. für den weiteren Verlauf der Covid-19 Pandemie. Letztendlich kann die Krise als Chance betrachtet werden, um den öffentlichen Gesundheitsdienst zu stärken und das Gesundheitswesen hinsichtlich Integration und sozialer Gerechtigkeit zu verbessern.
Bohr, F., Elger, K., Lehberg, R., & Winter, S. (2020, June 13). Hinter dem Zaun. Der Spiegel, 25, pp. 48–49.
- HDX. (2020). COVID-19 Pandemic.
- Kirch, W. (2008). Encyclopedia of Public Health. Springer Netherlands.
- Matthews Pillemer, F., Blendon, R., Zaslavsky, A., & Lee, B. (2015). Predicting support for non-pharmaceutical interventions during infectious outbreaks: A four region analysis. Disasters, 39(1), 125–145.
- Mesa Vieira, C., Franco, O. H., Gómez Restrepo, C., & Abel, T. (2020). Covid-19: The forgotten priorities of the pandemic. Maturitas, 136, 38–41.
Lobenstein, C. (2020, May 7). Pandemie, ganz unten. DIE ZEIT, 20, p. 4.
- Povoledo, E., & Bubola, E. (2020, May 13). In Italy, some fear the virus is a get-out-of-jail card for mafiosi. The New York Times.
- UN. (2020c). Shared Responsibility, Global Solidarity: Responding to the socio- economics impacts of COVID-19.
- WHO. (2020a). A coordinated global research roadmap: 2019 Novel Coronavirus.