Forschung fest in MännerhandFrauen in der Wissenschaft
Studentinnen gibt es viele – doch bei jeder Karrierestufe wird der Frauenanteil geringer.
Ulrike Lucke und Uta Herbst haben es geschafft. Ihnen ist gelungen, wovon viele Frauen im deutschen Wissenschaftsbetrieb nur träumen können: Sie sind Professorinnen. Für Lucke war es 2010 so weit, für Herbst zwei Jahre später. Beide erreichten ihr Ziel an der Universität Potsdam und beide mussten sich in ihre Position hochkämpfen. Seit Aufnahme ihres Studiums haben sie sich ohne Pause für ihre wissenschaftliche Karriere abgerackert, jede als dreifache Mutter Familie und Beruf(ung) irgendwie unter einen Hut gebracht. Dabei sei die Wissenschaft an sich schon ein „besonders hartes Geschäft“, wie Herbst in einem Interview mit der Märkischen Allgemeine erklärte (im Internet nicht frei verfügbar). „Vier, fünf Jahre muss man mit wirklich wenig Gehalt auskommen, extrem fleißig sein und dabei nicht den Glauben verlieren, dass es eines Tages klappt.“
Aber Ehrgeiz und Beharrlichkeit genügten nicht. Laut Lucke habe es überdies „ganz viel Glück“ gebraucht. Zu den üblichen Lasten, die so ein Werdegang mit sich bringt, also „Präsenz zeigen, auf Konferenzen dein Köpfchen hinhalten, als Habilitantin Vorträge halten“, galt es nebenher, Kinder großzuziehen. Sie habe „stillend geschrieben“, bisweilen sogar ihre vier Wochen alten Babys allein lassen, schilderte Herbst. Lucke hat ihren Nachwuchs „oft mitgeschleppt zu Konferenzen“ und vieles mehr auf sich genommen, worum sich die männliche Konkurrenz in aller Regel nicht scheren muss. „Allein schon die Hormone nach der Geburt. Da kann man nicht mehr klar denken. In so einer Situation einen sauberen Text zu verfassen, ist ein Kraftakt.“ Überhaupt machten die Mutterpflichten das ganze Unterfangen „mindestens doppelt so anstrengend“.
Deutschland abgeschlagen
Aber: Die größere Mühsal von Frauen, in der Wissenschaft Fuß zu fassen, macht sich hierzulande vergleichsweise selten bezahlt. Nach einer Statistik der UNESCO – der Organisation der Vereinten Nationen (UN) für Bildung, Wissenschaft und Kultur – belegte Deutschland im Jahr 2019 mit einem Frauenteil unter Wissenschaftlern von 28 Prozent europaweit den 38. Rang. Die führenden zehn Nationen bringen es auf einen Wert von 47 Prozent aufwärts. In Litauen (50,7 Prozent), Nordmazedonien (50,8 Prozent) und Lettland (51 Prozent) stellt das weibliche Geschlecht an Hochschulen und Forschungsinstituten sogar die Mehrheit. Ähnlich sieht es in vielen südamerikanischen Ländern aus.
Dagegen stellt sich die Lage in den ökonomisch führenden Staaten mitunter desaströs dar. Japan etwa „glänzte“ zwischen 2011 und 2015 mit einem Frauenanteil von kümmerlichen 20 Prozent, während es EU-weit 41 Prozent waren. Gerade auch Deutschland mit seiner enormen Wirtschaftskraft und einem eigentlich weitverbreiteten Bekenntnis zu Geschlechtergerechtigkeit gibt im internationalen Vergleich eine extrem schlechte Figur ab. Insbesondere betrifft das die Chancen, als Frau in eine führende Position an den höchsten Lehranstalten sowie staatlichen und privaten Forschungseinrichtungen zu gelangen.
Einsame Rektorinnen
Zahlen dazu liefert das Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS), angesiedelt beim Leibniz Institut für Sozialwissenschaften. Danach betrug der Anteil der Frauen an den höchst dotierten Professuren (Besoldungsgruppen W3/C4) 2016 gerade einmal 19,4 Prozent, deutlich unter dem EU-Mittel (23,6 Prozent) und weit hinter dem Spitzenreiter Litauen mit fast 40 Prozent. Von den „einfachen“ Professuren (W1/W2) war 2018 nur eine von vier von Frauen besetzt. Auch werden Hochschulen nur zu unter 25 Prozent von Rektorinnen und Präsidentinnen angeführt, während der Frauenanteil in den Hochschulleitungen (Prorektoren, Vizepräsidenten, Kanzler) bei knapp 29 Prozent liegt.
Zwar haben sich Relationen in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten bei allen Kennziffern zugunsten des weiblichen Geschlechts verschoben. Gleichwohl ist die Vormachtstellung der Männer immer noch gewaltig. Dabei haben Frauen in der Gesamtbevölkerung zahlenmäßig die Überhand. Auch was ihre Präsenz als Studentinnen an den Hochschulen betrifft, liegen sie inzwischen fast gleichauf mit ihren männlichen Kommilitonen. Ebenso verhält es sich bei der Verteilung der Studienanschlüsse. Der große Bruch erfolgt aber danach, beim Übergang zur Promotion und auf den folgenden Stufen der Karriereleiter. So lag nach Daten des CEWS in Baden-Württemberg der Frauenanteil 2018 bei den Promotionen bei 42,5 Prozent, bei den Habilitationen bei 27,3 und bei den Professuren nur mehr bei 22,2 Prozent.
„Undichte Leitung“
Dieses Phänomen, also die „Verluste“ von Frauen auf den verschiedenen Qualifizierungsebenen, wird als „Leaky Pipeline“ bezeichnet, übersetzt etwa „undichte Leitung“. Zu erklären ist dies vornehmlich mit strukturellen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, wobei die trotz aller Gleichstellungsbemühungen immer noch als Frauendomäne praktizierte Kindererziehung nur eine von mehreren Ursachen ist. Schließlich gibt es reichlich Frauen, die keine Familie gründen. Unter anderem dürften die unsicheren Beschäftigungssituationen im sogenannten wissenschaftlichen Mittelbau eine Rolle spielen, wobei das grassierende Befristungsunwesen, also das Hangeln von einem Kurzeitkontrakt zum nächsten die männlichen Jungwissenschaftler nicht minder trifft. Allerdings stehen die Aussichten, sich im männerbeherrschten Wissenschaftsbetrieb mit seinen festgefahrenen Machtstrukturen und Geschlechterstereotypen als Mann zu behaupten und nach oben durchzuboxen, besser als die ihrer weiblichen Gegenspielerinnen.
Dazu kommen im Kinder- und Jugendlichenalter sozialisierte Rollen- und Verhaltensmuster, etwa das vermeintliche „Männerding“ Wissenschaft und Technik. Mädchen wachsen vielfach noch mit der Fehleinschätzung auf, in Fächern wie Mathematik und Naturwissenschaften quasi „naturgegeben“ unterlegen zu sein. Tatsächlich schneiden sie aber leistungsmäßig genauso gut oder schlecht ab, wie ihre männlichen Mitschüler. Trotzdem entscheiden sich später nur sehr wenige Schulabgängerinnen für ein naturwissenschaftliches Studium. Im globalen Maßstab streben lediglich 30 Prozent Frauen in sogenannte MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Dabei lassen sich später genau damit die besten Gehälter verdienen, was die ohnehin schon skandalöse Benachteiligung von Frauen in puncto Berufs- und Aufstiegschancen sowie bei der Bezahlung zusätzlich befördert.
Abhilfe durch Quote?
Um diesen Verwerfungen entgegenzuwirken, richtet die UN seit 2015 am 11. Februar den „internationalen Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft“ aus. Ziel ist es, Frauen und Mädchen einen uneingeschränkten und gleichberechtigten Zugang zur Wissenschaft zu ermöglichen und ihre Beteiligung daran zu fördern. Am heutigen Dienstag sprach sich UN-Generalsekretär António Guterres für weitere Anstrengungen auf dem Weg dorthin aus. Die Wissenschaft sei eine kollaborative Disziplin, dennoch werde sie durch eine „geschlechtsspezifische Kluft gebremst“, mahnte er in einer offiziellen Stellungnahme. Um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen zu sein, müssten der Abbau von Geschlechterklischees vorangetrieben und die Karrieren von Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen unterstützt werden. „Lassen Sie uns (...) versprechen, das Ungleichgewicht der Geschlechter in diesem Bereich zu beenden“, bekräftigte Guterres.
Ein mögliches Instrument wären Quotenregelungen, also quantitative Vorgaben, wie viele Frauen im Wissenschaftsbetrieb auf welchen Positionen zum Zug kommen müssen. So fordert etwa die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), mit „einer verbindlichen und mit Sanktionen verknüpften Quotierung ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den Geschlechtern auf allen Karrierestufen einschließlich der Professuren und sonstigen Leitungsfunktionen herzustellen“. Zudem werde der „hinter der bestehenden Personalstruktur stehende, vertikal angelegte Karrierebegriff (...) der gesellschaftlichen Entwicklung der Lebensentwürfe nicht gerecht“. Nötig wären stattdessen „horizontale und intersektorale Mobilität sowie Unterbrechungen der Erwerbsarbeit“.
Uni Potsdam macht`s vor
Mit gutem Beispiel voran geht die Uni Potsdam. Die Verantwortlichen haben sich bis zum Jahr 2025 vorgenommen, 38,6 Prozent der Professuren mit Frauen zu besetzen. Aktuell liegt sie mit knapp über 30 Prozent im bundesweiten Vergleich auf Platz vier, hinter der Freien Universität Berlin sowie den Unis Paderborn und Koblenz-Landau. Als Maßnahmen zur weiteren Steigerung forciert die Potsdamer Uni unter anderem den Ausbau der Qualitätssicherung in Berufungsverfahren mit Gender- und Diversitytrainings, den Ausbau des Berufungsmanagements durch aktive Rekrutierungsverfahren sowie von Vernetzungsstrukturen und familienfreundlichen Arbeitsbedingungen.
Auch sonst zeichnet sich ein Umdenken ab. So wird in den Berufungskommissionen allmählich umgesetzt, was seit langem angekündigt war: Frauen werden bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt. Wenn es also an die Bewerbung auf Professuren geht, sind ihre Chancen auf eine Berufung etwas größer als die ihrer männlichen Mitbewerber. Außerdem sind inzwischen in sämtlichen Landeshochschulgesetzen Gleichstellungsbeauftragte an den Hochschulen vorgeschrieben und zumindest auf dem Papier versprechen die meisten Rektoren, der Benachteiligung von Frauen in Forschung und Lehre Einhalt zu gebieten.
Desgleichen hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Gleichstellungsstandards formuliert und prüft deren Umsetzung und die großen Forschungsorganisationen haben sich immerhin „weiche“ Quotenziele gesetzt. Dazu kommen spezielle Förderprogramme von Bund und Ländern. Bei einem bewerben sich Hochschulen mit ihrem Gleichstellungskonzept. Bei Annahme werden ihnen drei Lehrstühle finanziert, die an Frauen zu vergeben sind.
Fortschritt ist eine Schnecke
Im Großen und Ganzen bewegt sich aber noch zu wenig. „Trotz aller Programme und Best-Practice-Beispiele sind die 0,8 Prozent pro Jahr an Aufwuchs am Gesamtbestand der Professorinnen doch eindeutig zu wenig“, befand am Montag CEWS-Leiterin Jutta Dalhoff in einem Interview auf gender-blog.de. So seien zwar alle maßgeblichen Institutionen „relativ schnell auf den Punkt gekommen: Wir müssen die individuelle Förderung von Frauen mit strukturellen Veränderungen des Wissenschaftsbetriebs flankieren“. Das komme in jeder Empfehlung inzwischen an, viele würden auch das Wort Quote in den Mund nehmen. „Aber es ergibt sich nichts daraus. Es hat einfach keinerlei Konsequenzen für die jeweilige Einrichtung, wenn die selbst gesteckten Ziele nicht eingehalten werden. Deswegen gilt für Dalhoff: „Es geht zu langsam voran.“
Das findet auch Nicole Gohlke von der Bundestagsfraktion Die Linke. „Beim jetzigen Tempo wird es noch mehr als 35 Jahre dauern, bis Professorinnen die Hälfte des Kollegiums stellen. Dieses Schneckentempo ist völlig inakzeptabel und legt einer ganzen Generation existenzielle Steine in den Weg“, erklärte sie am Dienstag in einer Medienmitteilung. Es sei wenig verwunderlich, wenn die Bundesregierung zwar ihre Programme lobe, sich über konkrete Ergebnisse aber ausschweige. „Diese wird es nur geben, wenn Hochschulen und Politik an einer verbindlichen Parität arbeiten.“ (rw)