Ohne Witz und ohne Worte2.897.300 Studierende im Wintersemester 2019/2020
Wie gewohnt: Es bleibt voll an den Hochschulen.
Da fällt einem nichts mehr ein. Seit einer gefühlten Ewigkeit vermeldet das Statistische Bundesamt zum Jahresausklang einen „neuen Höchststand“ bei den Studierendenzahlen. Und alle Jahre wieder berichtet Studis Online in gewissenhafter Erfüllung seiner Chronistenpflicht von der Neuigkeit – die eigentlich gar keine mehr ist. Einen pfiffigen Dreh zum Thema zu finden und also nicht in Routine und Eintönigkeit zu verfallen, kann dabei ganz schön herausfordernd sein. Im letzten Jahr zum Beispiel bemühten wir den Weihnachtsmann, 2017 öde Champagnerpartys und da davor einen Uniportier, dem vor lauter Händeschütteln der Arm schlapp macht.
Aber jetzt reicht`s, Schluss mit lustig, Kreativität macht mal Pause. Und wer weiß? Vielleicht müssen ja nur noch zwölf Monate überbrückt werden, bis die Wiesbadener Datensammler endlich das Ende der Fahnenstange erreicht haben und den „Studischwund“ proklamieren. Dann gibt`s auch wieder fette Schlagzeilen satt und an dieser Stelle ein Feuerwerk aus Esprit und Sprachwitz. Versprochen!
Nix mit Entspannung
Diesmal nicht und deshalb zum Einstieg ganz trocken und in der Diktion der Statistiker: „Der Zulauf an die deutschen Hochschulen setzt sich fort.“ Wie die Behörde am Mittwoch bekanntgab, sind im Wintersemester 2019/2020 nach ersten vorläufigen Ergebnissen 2.897.300 Studentinnen und Studenten an einer Hochschule in Deutschland eingeschrieben. Damit hat sich ihre Zahl im Vergleich zum Vorjahr um 29.100 oder ein Prozent erhöht. 2018 betrug der Zuwachs gegenüber 2017 lediglich 0,8 Prozent. Woraus man schließen kann: Nix mit Entspannung, der Run auf die Unis hält unvermindert an.
Wobei „Run“ womöglich doch zu viel Bewegung suggeriert. Tatsächlich sind es nicht so sehr die Studienneulinge, die für das inzwischen zwölfte Allzeithoch am Stück gesorgt haben. Vielmehr haben sich mit 508.200 Studienanfängern 0,7 Prozent weniger neu eingeschrieben als 2018. Dabei lag der Rückgang an den Universitäten bei 3,1 Prozent und an den Kunsthochschulen bei 0,3 Prozent. Demgegenüber verzeichneten die Fachhochschulen ein Plus von 1,2 Prozent und die Verwaltungsfachhochschulen von sogar 14,3 Prozent. Im Betrachtungszeitraum 2017 und 2018 hatte sich der Rückgang hochschulübergreifend auf 0,2 Prozent belaufen, womit sich zumindest eine Tendenz ablesen lässt, dass mit größeren Ausschlägen nach oben in nächster Zukunft wohl nicht mehr zu rechen ist.
2019: Vorläufige Zahlen, 2018 und davor: endgültige Zahlen (die vorläufigen Zahlen 2018 lagen noch etwas niedriger als die nun bekannten endgültigen).
Kultusminister im Plan
Dazu kommt ein echtes Novum. Erstmals seit über zwei Jahrzehnten liegt der Wert unterhalb der Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK). Nach der aktuellen, vor einem halben Jahr vorgelegten Vorausberechnung für den Zeitraum 2019 bis 2030 wird für das laufende Jahr mit 514.000 Erstimmatrikulationen gerechnet. Damit bleibt die „Wirklichkeit“ nach langer Zeit, in der die Politik die Lage mitunter grob unterschätzt hatte, möglicherweise im oder sogar hinter „Plan“ zurück, also dem, was als Messlatte für die finanzielle Ausstattung der Hochschulen dient. Wobei mit späteren Vorlage der endgültigen Daten in der Regel noch Verschiebungen einhergehen.
So oder so ist auch die finanzielle Ausstattung des sogenannten Hochschulpakts zur Finanzierung zusätzlicher Studienplätze an der Prognose orientiert. Auf dessen Fortsetzung haben sich Bund und Länder Anfang Mai verständigt. Die bisherigen Auflagen des Programms waren bis dato stets „außer Plan“, was bedeutet: Das laut Kritikern ohnehin zu knapp bemessene Geld musste überdies auf mehr Studierende als erwartet verteilt werden. Das immerhin erscheint für die Zeit bis 2030 ausgeschlossen. Während die KMK nach ihrer überholten Prognose von 2014 für die kommenden Jahre noch mit einer deutlich sinkenden Kurve bei den Erstsemestern und 465.000 im Jahr 2025 kalkuliert hatte, bewegen sich die Zahlen in der neuen Version bis 2030 auf nahezu gleichbleibend hohem Niveau von knapp über einer halben Million.
Weniger Absolventen
Dass es im Hörsaal „immer voller“ wird, wie am Mittwoch die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) schrieb, hat aber weniger mit dem Nachwuchs als mit den Alteingesessenen zu tun. Weil die Gruppe der Abgänger, sei es mit oder ohne Abschluss, mit jedem Semester kleiner als die der Neuankömmlinge ist, nimmt die Studentenschaft in der Gesamtheit weiter zu. Verstärkt wird das noch durch eine erstmals seit 2001 rückläufige Absolventenzahl. Wie das Statistische Bundesamt Ende Oktober bekannt gab, erwarben im Prüfungsjahr 2018 (Wintersemester 2017/18, Sommersemester 2018) nur 499.000 Hochschüler einen Abschluss, nachdem es im Prüfungsjahr 2017 noch 502.000 waren. Die Entwicklung könnte man so deuten, dass es wegen der zunehmenden Enge auf dem Campus immer schwerer wird, Studium und Abschluss nach den zeitlichen Vorgaben zu schaffen. Beweisen lässt sich das nicht.
Dafür sprechen allerdings die anhaltend hohen Abbrecherquoten, fast jeder dritte Student schmeißt die Brocken vorzeitig hin. Bei einem Betreuungsverhältnis von 66 Studierenden auf einen Professor muss man sich darüber nicht wundern. Andererseits nehmen die Gescheiterten auch wieder Druck aus dem Kessel. Man stelle sich vor, jeder hielte bis zum Ende durch. Dann wäre die Drei-Millionen-Marke, auf die sich die Studierendenzahlen bisher nur langsam – aber sicher – zubewegen, längst geknackt. Im jetzigen Tempo dürfte es bis dahin noch ein paar Jährchen dauern.
Hochschulpäck(t)chen
Kai Gehring von der Bundestagsfraktion der Grünen sieht die Situation mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Fast 2,9 Millionen Studierend seien „eine positive Entwicklung“, erklärte er per Medienmitteilung. Zu einem echten Erfolg werde dies aber erst, wenn aus Anfängern am Ende auch Absolventen und Fachkräfte würden. „Für eine echte Erfolgsstory braucht es mehr soziale Öffnung, bessere Studienbedingungen und verlässliche Studienfinanzierung.“ Ins gleiche Horn stieß Nicole Gohlke von von der Fraktion Die Linke: „Exzellenz brauchen wir nicht nur in Clustern, sondern für alle“, gab sie zu bedenken. Mit Blick auf die laufenden Verhandlungen zur Umsetzung der jüngsten Hochschulpakt-Beschlüsse mahnte sie unter anderem Verbesserungen für die Beschäftigten im Mittelbau, die in Massen befristet angestellt sind, sowie bei der Versorgung mit Wohnraum an.
Danach sieht es leider nicht aus. Die getroffene Vereinbarung, die neuerdings „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ heißt, verspricht bestenfalls eine Verstetigung des widrigen Status quo. Die bis 2030 vorgesehenen jährlichen Zuwendungen für die Hochschulen mit anfangs knapp unter und später knapp über vier Milliarden Euro bewegen sich nur minimal über dem Niveau des Vorgängerprogramms. Die von Gewerkschaften und Bildungsverbänden geforderte Dynamisierung der Zuschüsse in Höhe von drei Prozent pro Jahr wird es damit genauso wenig geben wie eine Abkehr vom grassierenden Befristungsunwesen (vgl. unseren Artikel zum Thema).
Mahnende Rektoren
Wirklich ausgemacht ist auch nicht, dass die Bundesländer ihren Eigenanteil, also die Hälfte der Paktmittel, tatsächlich einbringen werden. In der Vergangenheit hatte eine Reihe von ihnen die eigentlich zweckgebundenen Gelder für andere Zwecke missbraucht oder sich die „Kosten“ einfach gespart, womit die Lehre weiter an Substanz einbüßte. Ziemlich unsanft legte dann auch der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Peter-André Alt, den Finger in die Wunde. „Die zusätzlichen Mittel des Bundes müssen durchgängig und angemessen von den Ländern gegenfinanziert werden“, mahnte er am Mittwoch. Nur so und mit dem „notwendigen Spielraum“ der Hochschulen, „die Mittel vor Ort bedarfsgerecht einzusetzen“, könne der Zukunftsvertrag zum erhofften Erfolg werden.
Erfreulich ist derweil, dass der Frauenanteil in den Hörsälen kontinuierlich steigt. Aktuell liegt er bei 49,3 Prozent, vor einem Jahr waren es noch 48,9 Prozent. 61,4 Prozent aller Hochschüler studieren an einer Universität, einschließlich Pädagogischen und Theologischen Hochschulen. Mehr als jeder dritte Student (35,5 Prozent) ist an einer Fachhochschule eingeschrieben. An Verwaltungsfachhochschulen studieren aktuell 1,8 Prozent, an Kunsthochschulen 1,3 Prozent.
Mehr als jeder vierte Student (26,7 Prozent) ist an einer Hochschule im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) eingeschrieben. Allerdings ging dort die Zahl der Studierenden um 1,1 Prozent zurück. Ähnliche Einbußen weisen Sachsen und Sachen-Anhalt auf (0,8 Prozent). Hamburg legte um zwei Prozent zu, das Saarland um 1,5, Bayern um 1,2, Niedersachsen um ein und Hessen um 0,9 Prozent. Voll aus der Reihe tanzt Thüringen mit einen Zuwachs von 50 Prozent. Hintergrund ist der Umzug der privaten „IUBH Internationale Hochschule“ von Bad Honnef (NRW) nach Erfurt, was dem Land auf einen Schlag rechnerisch 25.000 Studierende bescherte. Wobei nur der formale Sitz der Hochschule umgezogen ist – der Studienbetrieb ist wie bisher an vielen Standorten in Deutschland verteilt, kein IUBH-Student musste seinen Studienort wechseln.
Hochschulsozialpakt gefordert
Auch mit Blick auf die neueste historische Bestmarke hat das Deutsche Studentenwerk (DSW) einen „Hochschulsozialpakt“ angemahnt und verlangt dafür 3,4 Milliarden Euro von Bund und Ländern. Das Geld soll in den Neubau und die Sanierung von Studentenwohnheimen sowie den Ausbau und die Sanierung von Mensen fließen. Ihre Forderung bekräftigte die Dachorganisation der 57 Studentenwerke am Mittwoch im Rahmen ihrer zweitägigen Jahresversammlung in Berlin.
Für den Neubau von mindestens 25.000 Wohnheimplätzen veranschlagt der Verband ein Investitionsvolumen von rund zwei Milliarden Euro. 800 Millionen Euro davon soll die Politik durch staatliche Zuschüsse beisteuern, die restlichen 1,4 Milliarden Euro wolle man mit eigenen Mitteln oder Darlehen finanzieren. Den Sanierungsbedarf für ihre in die Jahre gekommenen Wohnheime bezifferte DSW-Präsident Rolf-Dieter Postlep mit rund zwei Milliarden Euro. Die Hälfte davon müsse als Bund-Länder-Zuschuss bewilligt werden. Für Modernisierung, Sanierung und Ausbau der Mensakapazitäten müsse obendrein ein Bund-Länder-Programm über 1,6 Milliarden aufgelegt werden.
„Grundlegende BAföG-Reform“
Außerdem sprach sich Postlep für eine eine „grundlegende Reform“ der Bundesausbildungsförderung (BAföG) aus, obwohl die jüngste Novelle erst zum laufenden Wintersemester Kraft getreten ist. Als Eckpunkte nannte er einen „BAföG-Bescheid für die ganze Studiendauer“, eine Anpassung der Bedarfssätze und Elternfreibeträge alle zwei Jahre, die Abschaffung der Altersgrenzen sowie eine Förderungshöchstdauer von „Regelstudienzeit plus zwei Semester“. Ziel sei es, dass die Sozialleistung wieder mehr Studierenden zugutekommt – auch aus Mittelschichtsfamilien. „Mit einer Erhöhung einmal pro Legislaturperiode ist es nicht getan. Das BAföG muss zu alter Stärke zurückgeführt werden“, bekräftigte der Funktionär.
Zugleich appellierten die Studentenwerke an die Bundesländer, die Beratungsangebote für Studierende finanziell stärker zu unterstützen. Diese würden „immer wichtiger für den Studienerfolg“, erklärte DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. „Denn Bund und Länder formulieren als hochschulpolitische Ziele, den Zugang zum Studium sozial zu öffnen, die Studiendauer zu verringern, Studienabbruch zu mindern und höhere Studienabschlussquoten zu erreichen.“ Wer sich solche Ziele stecke, „muss auch die Beratung finanzieren“. (rw)