Mangelverwaltung mit HerzVergabeverfahren für Medizinstudienplätze
Die Studienplätze bei Medizin bleiben beschränkt, nur das Vergabeverfahren ändert sich. Einige mögen sich freuen, für andere bedeutet das: Aus der Traum.
Die Kultusminister der Länder haben sich auf eine Neuregelung zur Vergabe zulassungsbeschränkter Studienplätze in den Fächern Human-, Zahn und Tiermedizin sowie Pharmazie geeinigt. Ausgangspunkt für die Änderungen war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2017, nach dem die bisherige Verteilpraxis in Teilen gegen das Grundgesetz verstoße. Der am Donnerstag von der Kultusministerkonferenz (KMK) verabschiedete Entwurf für einen Staatsvertrag bedarf noch der Zustimmung der Länderfinanzminister und der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), um anschließend von den 16 Landesparlamenten ratifiziert zu werden. In Kraft treten soll die Reform zum Sommersemester 2020.
Eine langjährige Praxis hat demnächst wohl komplett ausgedient: Eine Zuteilung der knappen Kapazitäten über Wartelisten soll es in Zukunft gar nicht mehr geben. Damit reichen die Pläne noch über die Vorgaben der Karlsruher Richter hinaus. Die hatten wegen der damit verbundenen Härten verlangt, die Dauer bei höchstens vier Jahren zu deckeln. Heutzutage bleiben Bewerber mit einem durchschnittlichen Abiturschnitt von 2,5 in der Regel 15 oder mehr Semester unberücksichtigt. Hätte die Politik sich die Maßgabe des Gerichts zu Eigen gemacht, müsste man sämtliche Kandidaten ab dem achten Wartesemester in einen Topf werfen und alle hätten die gleiche Chance, (nicht) genommen zu werden.
Keine Wartelisten mehr
Die KMK geht noch einen Schritt weiter. Künftig soll die Wartezeit überhaupt keine Rolle mehr spielen. Das heißt: Ein langer Geduldsfaden ist keine Garantie mehr dafür, wenigstens irgendwann einmal zum Zug zu kommen. Das hat offenbar einen ganz pragmatischen Grund: Wie das höchste deutsche Gericht vor einem Jahr argumentierte, sollen jene Studierenden, die länger als acht Semester vor ihrem Zuschlag haben ausharren müssen, später häufiger durch Prüfungen fallen und ihr Studium mit höherer Wahrscheinlichkeit abbrechen. Derlei Fälle verbuchen die Finanzminister wohl unter „Ressourcenverschwendung“. Jetzt stößt man den fraglichen Anwärtern – also denen ohne Einser-Abi und ohne anderweitige, notenunabhängige Vorzüge (siehe weiter unten) – ziemlich rigoros Bescheid: „Warten lohnt sich nicht, lasst es besser gleich ganz bleiben!“
Immerhin einen schwachen Trost haben die Verantwortlichen auf Lager. Wer bei Inkrafttreten des neuen Modus schon länger mit „Däumchendrehen“ zugebracht hat, dessen Wartesemester werden nicht über Nacht wertlos sein. Vielmehr sollen diese bei der Bewertung und möglichen Auswahl ein Kriterium bleiben, jedoch nur eines neben anderen. Die Vereinbarung im Wortlaut: „Um den besonderen Belangen von Altwartenden Rechnung zu tragen, wird bei Medizin, Zahnmedizin und Tiermedizin in dieser Quote für einen Zeitraum von zwei Jahren und mit abnehmendem Gewicht die Zeit seit Erwerb der für den gewählten Studiengang einschlägigen Hochschulzugangsberechtigung (Wartezeit) ergänzend neben anderen Auswahlkriterien berücksichtigt.“ Das ist jedoch eine ziemlich kurze Galgenfrist. Voraussichtlich schon im Jahr 2022 wäre mit der Übergangsregelung Schluss und das Warten hätte danach wohl nie ein Ende.
Flucht ins Ausland
Aus Sicht von Wilhelm Achelpöhler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Spezialist für Hochschulrecht, hat sich dieses Vorgehen abgezeichnet. „Mit der von Karlsruhe vorgegebenen Begrenzung der Wartezeit auf vier Jahre war klar, dass künftig niemand allein über die Wartezeit einen Studienplatz ‚erwarten‘ kann“, erklärte er am Freitag gegenüber Studis Online. „Praktisch bedeutet das neue Verfahren: Wer kein gutes Abitur hat, muss entweder ein gutes Ergebnis im Eignungstest erzielen, den Studienplatz einklagen oder ins Ausland gehen, was den entsprechenden Geldbeutel voraussetzt.“
Nach der noch geltenden Regelung werden die begrenzten Medizin- und Pharmaziestudienplätze nach dem Schlüssel 20-20-60 an die Frau und den Mann gebracht. 20 Prozent erhalten den Zuschlag allein wegen ihres Abiturs und 20 Prozent über die Warteliste. Die restlichen 60 Prozent der Plätze vergeben die Hochschulen auf eigene Faust, wobei auch hier weitüberwiegend die Abinote ins Gewicht fällt.
Abinote ist nicht alles
Die neuen Modalitäten werten die Relevanz des Schulabschlusses zugleich auf und ab. Einerseits soll die sogenannte Abiturbestenquote von 20 auf 30 Prozent erhöht werden. Damit genüge man den „vielfachen wissenschaftlichen Erkenntnissen“, die der allgemeinen Abiturnote „eine hohe Prognosekraft für den Studienerfolg“ attestierten, heißt es zur Begründung. Sie gebe zudem Aufschluss „über allgemeine kognitive Fähigkeiten und persönlichkeitsbezogene Kompetenzen, wie Motivation, Fleiß und Arbeitshaltung“. Allerdings ist auch der KMK nicht entgangen, dass ein Einser-Abi nicht überall von derselben Qualität zeugt und mancherorts eine regelrechte Inflation an Bestnoten zu beobachten ist. Diese Verzerrungen will man ins Kalkül ziehen und „länderspezifische Unterschiede (…) quotenübergreifend auf der Basis von Prozentrangverfahren und unter Bildung von Landesquoten“ ausgleichen.
Andererseits will die Politik neben der Abinote demnächst andere, bisher nicht berücksichtigte Kriterien in die Bewertung einfließen lassen. Unter dem Punkt „zusätzliche Eignungsquote“ sollen so von vornherein zehn Prozent aller Plätze „schulnotenunabhängig“ vergeben werden. Maßstab können dabei etwa berufliche Vorerfahrung sein oder besondere persönliche Befähigungen. Ermittelt werden die Kandidaten in sogenannten Eignungsfeststellungsverfahren. Wie die Stuttgarter Zeitung schon am Mittwoch unter Berufung auf Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) berichtete, wurde zwischenzeitlich sogar erwogen, die entsprechende Quote auf 20 Prozent zu setzen.
Spielraum für Landarztquote
Daraus wurde nichts. Dafür taucht die 20-Prozent-Marke an anderer Stelle wieder auf. Demnach wären, wie die KKM schreibt, „bis zu zwei Zehntel der zur Verfügung stehenden Studienplätze für Vorabquoten vorzubehalten“. Innerhalb dieses Rahmens könnten die Länder beispielsweise eine Quote für Landärzte oder „für beruflich Qualifizierte ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung“ vorsehen. In ländlichen Gebieten herrscht mancherorts akuter Ärztemangel, der vor allem mit den schlechteren Verdienstmöglichkeiten zu tun hat. Nordrhein-Westfalens schwarz-gelbe Regierungskoalition hat unlängst eine sogenannte Landarzt-Quote auf den Weg gebracht, mit der „voraussichtlich 7,6 Prozent“ der Medizinstudienplätze an Bewerber gehen sollen, die sich verpflichten, nach ihrer Facharztausbildung für zehn Jahre in einer unterversorgten Region als Hausarzt zu arbeiten. Auch andere Länder wollen dem Beispiel folgen.
Festhalten wollen die Kultusminister dagegen an der 60-Prozent-Quote der dezentral, das heißt in Eigenregie der Hochschulen Auserwählten (Auswahlverfahren der Hochschulen – AdH). Allerdings soll es bei der Auslese „bunter“ zugehen und – auch hier – der Notenschnitt nicht länger der allein entscheidende Maßstab sein. Auch damit versucht man den Einwänden Karlsruhes Rechnung zu tragen. Die Hochschulen müssten laut KMK-Beschlusstext „neben dem Ergebnis der Hochschulzugangsberechtigung mindestens ein schulnotenunabhängiges Auswahlkriterium berücksichtigen, bei Medizin mindestens zwei“. Dabei sei „mindestens ein schulnotenunabhängiges Kriterium (…) erheblich zu gewichten und ein „fachspezifischer Studieneignungstest wird als verbindliches Kriterium für die Auswahlentscheidung vorgegeben“.
Quote | Verfahren |
Vorab (bis 20%) | Verschiedene, bspw. für „Landarztquote“, „beruflich Qualifizierte ohne Abi“ u.a. |
30% | Abiturbestenquote |
10% | Eignungsquote mittels Eignungsfeststellungsverfahren 2020+2021 wird Wartezeit noch etwas berücksichtigt |
60% | Auswahlverfahren der Hochschulen Notenschnitt, mind. zwei schulnotenunabhängige Kriterien |
Mit den neuen Modalitäten mag es künftig ein bisschen gerechter, transparenter und weniger elitär bei der Zuteilung der Medizin- und Pharmaziestudienplätze zugehen. Größere Kapazitäten bedeutet die Reform aber nicht. Alle Jahre wieder rangeln sich bundesweit rund 50.000 Bewerberinnen und Bewerber um gerade einmal 11.000 Plätze. Dem Verwaltungsrechtler Achelpöhler schmeckt die Neuigkeit deshalb nur mit Abstrichen: „Vier von fünf Bewerbern gehen in diesem Verfahren absehbar leer aus“, beklagte er. „Auch mit dem neuen Staatsvertrag geht es bei der Mangelverwaltung weiter – nur nicht mehr ganz so herzlos.“ (rw)
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