Alle Jahre wieder …2.867.500 Studierende im Wintersemester 2018/19
Es bleibt voll an den Hochschulen.
Stell Dir vor, es wäre Weihnachten, und die Datensammler aus Wiesbaden bescherten uns keinen neuen Studirekord. Träum weiter, alles bleibt wie gehabt, zum gefühlt hundertsten Mal in Serie. Im laufenden Wintersemester tummeln sich „so viele Studierende wie noch nie an deutschen Hochschulen“. Das verkündete am Dienstag das Statistische Bundesamt, in der mittlerweile elften Auflage am Stück. Rückläufige Zahlen gab es zuletzt 2007/08, damals studierten mit 1,94 Millionen Menschen rund 40.000 weniger als 2006/07. Danach setzte es ein „Allzeithoch“ nach dem nächsten – siehe auch die folgende Grafik. Alle Jahre wieder …
Spannung verspricht eigentlich nur noch die Frage, ob und wann die Drei-Millionen-Marke geknackt wird. Stand jetzt fehlen dafür wenig mehr als 130.000. Nach ersten vorläufigen Ergebnissen aus den Bundesländern sind aktuell 2.867.500 Studentinnen und Studenten an den inländischen Hochschulen immatrikuliert. Im Vergleich zum Wintersemester 2017/18 markiert das einen Zuwachs von 22.660 oder 0,8 Prozent. Die Universitäten einschließlich der Pädagogischen und Theologischen Hochschulen zählten circa 1,778 Millionen (62 Prozent), die Fachhochschulen knapp über eine Million (35 Prozent), die Verwaltungshochschulen 48.600 (1,7 Prozent) und die Kunsthochschulen 36.800 (1,3 Prozent) Einschreibungen.
Weniger Neulinge
Wem das alles zu viel wird, sei damit vertröstet: Der Anteil der Studienanfänger ist leicht zurückgegangen. Mit 508.800 Neueinschreibungen gab es etwa 3.600 oder 0,9 Prozent weniger als 2017/18. An den Universitäten zählte man 1,6 Prozent weniger Neue, an den FHs lediglich 0,2 Prozent. Komplett gegenläufig ist die Entwicklung an den Verwaltungshochschulen: Sie verbuchten ein Plus von 8,3 Prozent. Das „dickste“ Minus mit 2,5 Prozent verzeichneten die Kunsthochschulen. Eine rasche Entspannung in den ohnedies vielfach überfüllten Hörsälen verspricht das nicht. Solange weiterhin weniger Menschen die Hochschulen – mit oder ohne Abschluss – verlassen, als Neueinsteiger nachrücken, wird der Trend zu „noch voller“ anhalten, mit gedrosseltem Tempo vielleicht, aber doch stabiler Tendenz in Richtung dritter Million.
Dazu kommen die Unsicherheiten der „vorläufigen“ Meldung: Vor zwölf Monaten hatten die Statistiker für das Studienjahr 2017/18 schon einmal eine Abnahme bei den Erstsemestern ermittelt, was sich in der späteren Endabrechnung als unzutreffend herausstellte. Stattdessen hatten fast 3.000 mehr Menschen ein Studium aufgenommen als 2016/17. Außerdem bewegen sich die neuesten Zahlen weiterhin „außer Plan“, also über dem, womit die Politik gerechnet hat und was ihr als Messlatte für die finanzielle Ausstattung der Hochschulen dient. Nach der „aktuellen“ Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) für den Zeitraum von 2014 bis 2025 sollte es eigentlich schon in diesem Jahr höchstens eine halbe Million Studienanfänger geben, dasselbe hatte man fürs Vorjahr kalkuliert. Beide Male lag man daneben und vieles spricht dafür, dass die vor über vier Jahren vorgenommene Schätzung auch in Zukunft nicht aufgeht.
Qualitätsoffensive gefordert
Die Unileiter zeigen sich ob der Neuigkeiten alarmiert. „Da die KMK-Werte Grundlage für die laufende Hochschulpaktfinanzierung sind und die Kostenentwicklung ohnehin unberücksichtigt ist, hat sich eine strukturelle und über die Zeit wachsende Unterfinanzierung des Hochschulpakts entwickelt“, monierte der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Peter-André Alt, am Dienstag in einer Stellungnahme. Neben einer „dauerhaften Sicherung der Kapazitäten“ forderte er eine „dynamische Finanzierungskomponente in Verbindung mit einem Kapazitätsrecht“, das Raum für eine Qualitätsentwicklung lässt, etwa mit Blick auf „bessere Betreuungsrelationen“ zischen Lehrenden und Lernenden.
In die gleiche Kerbe schlug der hochschulpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Kai Gehring: „Studierende brauchen nicht nur einen Studienplatz, sondern auch moderne Hörsäle, Bibliotheken und Mensen, gute Studienberatung und mehr Raum für studentisches Wohnen.“ Deshalb müsse das Motto „Klasse für die Masse“ lauten. Nicole Gohlke von der Fraktion Die Linke verwies auf die zu Semesteranfang grassierende Wohnungsnot unter Studierenden. Gegen den Mangel müsse „dringend ein Sofortprogramm im Umfang von 1,5 Milliarden Euro aufgelegt werden, um Studierendenwerke und andere Träger bei Erhalt und Errichtung von 50.000 Wohnheimplätzen zu unterstützen“. Außerdem müsse die Wohnpauschale im BAföG auf 370 Euro erhöht werden. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) liebäugelt lediglich mit einer Zugabe von 75 auf 325 Euro.
Bundesregierung schweigt
Es ist bezeichnend, dass sich die Bundesregierung nicht in der Sache äußerte. Es gab Zeiten, da sorgte der Hochschulboom in der Politik für ausgelassene Feierlaune. Inzwischen ist Katerstimmung eingekehrt und in der Diskussion verschaffen sich immer mehr solche Stimmen Gehör, die vor „Überforderung“ warnen und Gespenster wie das vom „Akademisierungswahn“ an die Wand malen. Der stärkste Kummerfaktor ist und bleibt aber das liebe Geld. Allein der 2007 aufgelegte sogenannte Hochschulpakt zur Finanzierung zusätzlicher Studienplätze hat bald 40 Milliarden Euro verschlungen, und gäbe es ihn nicht, hätten die Unis längst dicht machen müssen. Allerdings läuft die Bund-Länder-Vereinbarung im Jahr 2020 aus und noch ist nicht geklärt, wie es weitergeht.
Dass es eine Nachfolgeregelung geben muss und wird, steht außer Frage. Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, das Programm auf der Grundlage von Grundgesetzartikel 91b zu „verstetigen“. Der Passus erlaubt ein Zusammenwirken von Bund und Ländern „in Fällen überregionaler Bedeutung bei der Förderung von Wissenschaft“. Die laufenden Verhandlungen drehen sich im Wesentlichen um Fragen nach der Höhe der Zuschüsse sowie der Modalitäten, nach denen diese künftig zu vergeben sind. Bislang richtet sich die Verteilung allein nach der Zahl der Studienneulinge. Die Praxis wird allerdings ziemlich einhellig kritisiert, weil sie Fehlanreize für die Rektoren schafft, nur auf Masse zu setzen, um mehr Geld einzusammeln.
Ein Prof für 90 Studenten
Dass dabei die Qualität – vor allem die der Lehre – auf der Strecke bleibt, beklagt auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Es kann nicht sein, dass an den Universitäten auf eine Professorin oder einen Professor über 60, in manchen Fachrichtungen sogar über 90 Studierende kommen“, erklärte ihr stellvertretender Vorsitzender Andreas Keller in der ersten Novemberwoche. Wie die HRK, die Grünen und die Linkspartei pocht auch die GEW für eine dynamische Aufstockung des Paktes, „die nicht nur die künftige Preis- und Tarifentwicklung absichert, sondern auch die Betreuungsrelationen verbessert“. Den jährlichen Aufwuchs beziffert die Gewerkschaft mit „mindestens drei Prozent“.
Bisher wirkt der Hochschulpakt faktisch wie ein Kürzungspaket. Auf seiner Grundlage studieren zwar erheblich mehr Menschen als früher, aber zu schlechteren Bedingungen. Pro neu geschaffenem Studienplatz werden lediglich 26.000 Euro in vier Jahren veranschlagt. Laut Statistischem Bundesamt belaufen sich die durchschnittlichen Kosten für ein Bachelor-Studium an einer Universität aber auf 30.700 Euro, mit anschließendem Masterstudium auf 51.500 Euro. In einem Positionspapier vom April konstatiert der Wissenschaftsrat, dass die preisbereinigten Pro-Kopf-Ausgaben aus Grund- und Hochschulpaktmitteln von 7.500 Euro im Jahr 2007 auf 6.600 Euro im Jahr 2015 gesunken sind. Der Pakt habe diese „rückläufige Entwicklung“ lediglich gebremst. Deshalb empfiehlt auch das Beratergremium eine „dynamische Finanzierungskomponente“ bei der Neuauflage. „Solche regelmäßigen und verlässlichen Zuwächse ermöglichen Hochschulen, die Qualitätsentwicklung gezielter und weiter voranzutreiben.“
Karliczek stellt sich quer
Allerdings lehnt Ministerin Karliczek das Rezept einer sukzessiven Aufstockung der Mittel hartnäckig ab. Bekräftigt haben diese Position unlängst auch Vertreter von CDU/CSU in einer Sitzung des Bildungssauschusses im Bundestag. Dabei bezifferte der parlamentarische Staatssekretär Michael Meister (CDU) die geplante jährliche Förderung des Bundes auf 1,8 Milliarden Euro, vor allem zur Einrichtung unbefristeter Stellen. Von den Ländern erwarte man eine transparente, paritätische Gegenfinanzierung.
Aber nicht nur um den Modus „dynamisch“ oder „statisch“ wird gerungen. „Heftiges Gezerre“ gibt es nach einem Tagesspiegel-Bericht auch bei der Frage nach dem Wie der Mittelvergabe. So plädierten die Länder in der Mehrheit für ein „Mehrkriterienmodell“, bei dem etwa die Zahl der Absolventen und die „Kohortenstabilität“ berücksichtigt werden. Heute verlassen nahezu 30 Prozent der Studierenden die Hochschulen ohne Abschluss. Auch für die Abbrecher streichen die Hochschulen den vollen Satz aus den Paktmitteln ein. Künftig müssten sich laut HRK die Zuschüsse auch daran bemessen, wie viele Studienanfänger im System verbleiben und erfolgreich durchs Studium gelotst werden.
Beim jüngsten Treffen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern am 16. November wurde in den strittigen Punkten noch kein Durchbruch erzielt. Dabei drängt die Zeit: Die Anschlussfinanzierung wollen die Beteiligten bis Frühjahr 2019 unter Dach und Fach bringen, damit die Hochschulen verlässlich planen können. Eine Unwägbarkeit kommt noch dazu: Bei den ständigen Zankereien innerhalb der großen Koalition kann niemand sicher sagen, dass Schwarz-Rot den Winter übersteht. Wenigstens eine Sache ist sicher, so sicher wie Weihnachten: Der nächste Studirekord kommt bestimmt. (rw)