Hotspot WolfenbüttelWachsende studentische Wohnungsnot
Traurige Realität: In manchen Städten sind günstige Wohnungen oder Zimmer nur sehr schwer zu finden.
Yippi! Die Mietpreisbremse wird nachjustiert. Soll heißen: Das Instrument soll mehr leisten als bisher. Das ist ein bescheidenes Ziel, denn aus Sicht von Kritikern war die Maßnahme bisher praktisch wirkungslos. Böse Zungen behaupten sogar, damit wäre in über drei Jahren ihres Bestehens nicht ein Hausbesitzer in seiner Preisraserei gebremst worden. Schuld sind etliche Ausnahmeregelungen, mit denen sich die Vorgaben umgehen lassen, sowie das Fehlen von Sanktionen, sobald dagegen verstoßen wird. Und gegen Immobilienhaie mit viel Zaster und vielen Anwälten richtet ein zahnloser Papiertiger nichts aus.
Aber jetzt soll alles anders werden und die Bremse endlich ziehen, also mindestens einen bisschen mehr als gar nicht. So will es die Bundesregierung, vorneweg Justizministerin Katarina Barley (SPD). Ihr in der Vorwoche vom Bundeskabinett beschlossenes Mietrechtsanpassungsgesetz sei „ein wichtiger Beitrag, um Mieter effektiv vor Willkür und Wucher zu schützen“, meint sie und erntet doch wieder nur Undank. Für „unzureichend“ hält das Vorhaben der Deutsche Mieterbund (DMB) und beim Mieterschutzbund fürchtet man, „dass dieser ohnehin schon schwache Entwurf durch Lobbyisten noch weiter zu Lasten der Mieter verändert wird“.
Recht des Stärkeren
Klar ist schon jetzt: Studenten können sich nichts von der Reform kaufen. Vielmehr werden sie sich immer weniger leisten können, weil der Ausgabenposten fürs Wohnen weiter kräftig zulegen wird – trotz oder vielmehr wegen der geplanten Änderungen. Danach dürfen die Kosten bei Neu- und Wiedervermietungen auch weiterhin bis zu zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Und mit jeder Neu- und Weitervermietung erhöhen sich mittelfristig die Durchschnittsmieten. Im besten Fall könnte das Tempo des Preisauftriebs durch Barleys kosmetische Eingriffe zur Stärkung der Mieterrechte gedrosselt werden. Will ein Vermieter über die Zehn-Prozent-Deckelung hinaus kassieren, muss er das begründen, etwa mit einer den Aufschlag rechtfertigenden Modernisierung. Vorgesehen ist außerdem eine Auskunftspflicht über die Höhe der Vormiete, was es leichter machen soll, sich gegen überhöhte Preise zur Wehr zu setzen.
Das alles mag gut gemeint sein, ändert aber nichts am Grundproblem: Dass es einfach viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum in Großstädten und Ballungsgebieten gibt, auch und gerade für Studierende. Die müssen schon froh sein, überhaupt irgendwo eine Bleibe aufzutun, egal wie klein, schäbig oder überteuert sie ist. Wer das nach vielleicht wochen- oder monatelanger Suche endlich geschafft hat, wird den Teufel tun, sich mit seinem Vermieter anzulegen, geschweige denn, ihn juristisch zu belangen. Auf leergefegten Wohnungsmärkten herrscht das Recht des Stärkeren. Aufmucken verträgt sich nicht mit dem Bedürfnis, ein Dach über dem Kopf zu haben. Und wer schon bei der Wohnungsbesichtigung Mietminderung begehrt, geht ganz gewiss leer aus.
München macht arm
Voll auf ihre Kosten kommen dagegen die Vermieter. Denn bis auf weiteres kennen die Preise nur eine Richtung: nach oben. Das Moses Mendelssohn Institut (MMI) nimmt im Auftrag der Berliner Immobiliengesellschaft GBI alljährlich die Wohnungsmärkte in deutschen Städten mit mehr als 5.000 Studierenden unter die Lupe und listet diese in einem Ranking nach dem sogenannten Anspannungsindex. Gemäß den Anfang September präsentierten Befunden hat sich die Situation im sechsten Jahr in Folge verschärft. Im Bundesschnitt der 96 untersuchten Städte hat sich der Index auf einen Höchstwert von 37,9 Punkten erhöht, 2017 lag der Wert noch bei 37,7 Punkten. „Vor allem an Standorten, die ohnehin gefragt sind, spitzt sich die Lage zu“, erklärte MMI-Direktor Stefan Brauckmann. So sei in den bei Studenten gefragtesten zehn Orten der Faktor von 69,1 auf 70,2 Punkte hochgeschnellt.
WG-Zimmer-Kosten
Wir analysieren selbst jährlich die Mietpreise für WG-Zimmer – mit Hilfe der Daten der Wohnungsbörse von studenten-wg.de. Auch dort liegt München weit an der Spitze. Für Details schaut einfach in unseren Artikel Wo kostet ein WG-Zimmer wieviel?
An der Spitze rangiert wie schon seit Jahren München. In Bayerns Landeshauptstadt werden für ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft im Mittel 600 Euro verlangt. Beachtlich ist dabei die Veränderung zum Vorjahr, als die Miete im Schnitt mit 570 Euro zu Buche schlug, im Jahr davor mit 560 Euro. Aufschläge von 30 Euro in einem Jahr wurden auch für Frankfurt am Main (von 450 auf 480) sowie Hamburg und Stuttgart (von jeweils 420 auf 450) ermittelt. In Köln und Berlin stiegen die Preise von 400 Euro auf 420 Euro. Im Bundesmittel zogen die Kosten für ein WG-Zimmer um zehn Euro auf 363 Euro an. Am günstigsten wohnt es sich in Chemnitz mit 230 Euro Monatsmiete. Daneben gibt es nur noch vier weitere Standorte, in denen die Preise 250 Euro nicht übersteigen, allesamt in den neuen Bundesländern.
„Sparpolitik“ wirkt nach
250 Euro entsprechen der Wohnkostenpauschale, die bedürftigen Studierenden nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) zusteht. Im Schnitt nur knapp über 240 Euro muss man aktuell für einen Platz in einem staatlichen Studentenwohnheim bezahlen. Allerdings stünde nicht einmal für jeden zehnten Studierenden (9,6 Prozent) eine subventionierte Unterkunft zur Verfügung, bemängelte MMI-Leiter Brauckmann. Dabei ist gerade in den Metropolen der Mangel am drückendsten. In Berlin mit einer Versorgungsquote von 5,6 Prozent, Frankfurt mit 7,1 Prozent, Hamburg 7,4 Prozent oder Köln mit 7,7 Prozent litten die Studierenden „somit bei der Wohnungssuche doppelt“.
Das Deutsche Studentenwerk (DSW) fordert seit etlichen Jahren gebetsmühlenartig, beim öffentlichen Wohnheimbau endlich kräftig draufzusatteln. Tatsächlich ist auch vielerorts etwas in Bewegung gekommen, fast wöchentlich wird irgendwo in Deutschland ein Wohnheim oder ein Erweiterungsbau eingeweiht oder der Grundstein für ein neues Projekt gelegt. Allerdings genügt das bei weitem nicht, das in Jahrzehnten öffentlicher „Sparpolitik“ Versäumte aufzuholen. Beispiel Köln: Dort sollen gut 1.000 neue Wohnheimplätze in staatlicher Regie entstehen, wobei frühestens 2019 mit der Ausschreibung zu rechnen ist. Bis zur Realisierung dürften dann noch einmal ein bis zwei Jahre ins Land gehen.
Immer knapper, immer teurer
Zur Einordnung: In der Domstadt studierten im Wintersemester 2017/18 rund 87.000 Menschen, denen nicht einmal 6.000 Wohnheimplätze in öffentlich, kirchlicher oder privater Trägerschaft gegenüberstanden. Die Studierendenzahlen sollen noch über Jahre auf hohem Niveau verharren, während zugleich mit einem wachsenden Zuzug durch solche Gruppen zu rechnen ist, mit denen Studenten finanziell nicht mithalten können. Beim allgemeinen Gerangel um Wohnraum werden sie weiter ins Hintertreffen geraten. „Denn bei der Suche nach 1- oder 2-Zimmer-Wohnungen wird die Konkurrenz für Studierende immer stärker, etwa durch Job-Anfänger, Singles oder Pendler“, konstatierte das MMI. Und je mehr Gutbetuchte in die Stadt strömen, desto teurer wird das Pflaster insgesamt, weil immer mehr der heute noch bezahlbaren Wohnungen durch Modernisierung und „Luxussanierung“ unerschwinglich werden. Die Tendenz zu „immer knapper, immer teurer“ wird auch mit dem Bau 1.000 neuer Wohnheimzimmer nicht aufzuhalten sein.
Wohin die Reise geht, offenbart ein Blick zurück. Das Berliner Maklerunternehmen Homeday hat im Auftrag der WirtschaftsWoche (WiWo) die Entwicklung der WG-Mietpreise in den 75 wichtigsten Hochschulstädten seit dem Jahr 2015 analysiert. Als Vergleichsgröße wurden die Kaltmieten für eine Wohnfläche von 80 Quadratmetern herangezogen. Nach den Ergebnissen sind WGs allein in den zurückliegenden drei Jahren im Mittel um zwölf Prozent teurer geworden. Kostenaufschläge von über 20 Prozent wurden für München, Berlin, Stuttgart und Passau ermittelt, knapp dahinter folgte mit 19,9 Prozent Augsburg.
Teures Pflaster Landau
Selbst so beschauliche Städtchen wie Friedberg, Koblenz (beide plus 16 Prozent), Landau (plus 16,2 Prozent) oder Wolfenbüttel (plus 13,3 Prozent) haben massive Preissprünge hingelegt. Unter der Zehn-Prozent-Marke blieben die allerwenigsten Standorte. Am günstigsten schnitt auch bei dieser Erhebung der Osten Deutschlands ab, angeführt von Jena mit einem Plus von 2,5 Prozent, danach kommen Chemnitz (plus 3,8 Prozent), Greifswald (plus 4,3 Prozent) und Senftenberg (plus 4,7 Prozent). Am moderatesten stiegen unter den westdeutschen Städten die WG-Kaltmieten in Saarbrücken (plus 5,3 Prozent).
Das andere Extrem bildet wie gehabt München. Dort schlug eine 80-Quadratmeter-WG vor drei Jahren noch mit 1.140 Euro Kaltmiete zu Buche, neuerdings mit im Schnitt 1.410 Euro und damit mit 23 Prozent mehr. Das entspricht einem Quadratmeter-Preis von 17,60 Euro. „Bei den aktuellen Preisen fließt demnach mehr als die Hälfte des (durchschnittlichen) Budgets einer Münchner Dreier-WG allein in die Kaltmiete, obwohl sich die Kosten auf mehrere Schultern verteilen“, rechnete Homeday-Gründer Steffen Wicker vor. Insbesondere ostdeutsche Städte sowie zahlreiche Standorte im Ruhrgebiet stellten „eine attraktive Alternative zu den eher teuren Studentenhochburgen“ dar. Auch innerhalb der Städte gebe es „oft erhebliche Preisunterschiede zwischen den einzelnen Vierteln“. Wer etwa „nicht in, sondern neben dem Szenebezirk eine passende Bleibe findet oder etwas mehr Fahrzeit zum Campus in Kauf nimmt, wohnt in vielen Fällen deutlich günstiger“.
Kein Wunschkonzert
Gute Ratschläge helfen aber nicht immer weiter, gerade in Zeiten, in denen die Wohnungssuche kein Wunschkonzert ist. Mithin bescheidet man sich mit sehr wenig, nicht weil man es so will, sondern weil man es muss. So ging Ende Mai die Geschichte zweier Berliner Studentinnen durch die Presse, die ihren 2,4-Quadratmeter-Balkon samt einem Zelt für 260 Euro Miete offerieren würden. Unter dem Titel „Rent a tent!“ machten sie auf dem Webportal WG-gesucht.de „finanzielle Probleme“ geltend und führten aus: „Falls es dich nicht stört, wenn wir uns ab und zu auf dem Balkon sonnen oder am Abend einen Drink dort zu uns nehmen, freuen wir uns, von dir zu hören“. Dafür sollte der Günstling sogar Zugang zu Küche und Bad erhalten – wie großzügig.
Ob das ein nur ein böser Scherz war, um die grassierende studentische Wohnungsnot ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, blieb bis heute ungeklärt. Ernst meinte dagegen das Berliner Sozialgericht seine Empfehlung für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling, sein Budget durch Untervermietung aufzubessern. Dessen Wohnung „mag (mit 28 Quadratmeter) nicht besonders groß sein“, befand das Gericht in einem Schreiben, „jedoch ist es bei Studenten oder Auszubildenden in Großstädten keinesfalls unüblich, selbst in engsten Verhältnissen mit mehreren Personen zu wohnen“. Deshalb solle er bitteschön „Schlafplätze in einem Zelt auf dem Küchenbalkon“ oder einen „Schlafplatz auf der Couch“ auf Tages- oder Monatsbasis an den Mann bzw. die Frau bringen.
„Mietenwende jetzt“ …
Die Nonchalance, mit der hier zwei Gruppen Hilfsbedürftiger gegeneinander ausgespielt werden, kann man pragmatisch nennen – oder einfach nur zynisch. In die Rubrik Realsatire gehören dagegen die aktionistischen Verrenkungen von Politikern und Funktionären kurz vor Semesterbeginn. Da wird dann über die Nutzung ausgedienter Kasernen, Erstaufnahmeeinrichtungen oder die Bereitstellung von Wohnschiffen diskutiert. Da verwandeln sich Altenheime, Container, Turnhallen oder Campingplätze über Nacht zu Notquartieren. Oder es werden wohnungspolitische Krisengipfel abgehalten, die schöne Bilder für die Medien produzieren, aber folgenlos verpuffen – wie vor Jahren die beiden „Runden Tische“ gegen studentische Wohnungsnot von Ex-Bauminister Pater Ramsauer (CSU).
Vergebens wartet man dagegen auf eine grundlegende wohnungspolitische Wende, angefangen mit dem Eingeständnis, dass durch die faktische Abwicklung des sozialen Wohnungsbaus und die flächendeckende Privatisierung ehemals öffentlicher Wohnungsbestände der Boden für die heutige Misere erst bereitet wurde. Was es braucht, sind deshalb Milliardeninvestitionen in öffentlichen Wohnraum zu bezahlbaren Preisen und eine stärkere Regulierung der Immobilienwirtschaft bis hin zum Mittel der Enteignung, wenn ganze Gebäudebestände zwecks Spekulation leer stehen. Was es nicht braucht, sind marktradikale Rezepte wie das jüngste des wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums. Dessen Vorschläge lauten so: Noch weniger sozialer Wohnungsbau, noch weniger Regulierung und weg mit Mietpreisbremse.
… aber nicht mit dieser SPD
Apropos: Drei Tage, nachdem die Regierungskoalition ihr Mietrechtsanpassungsgesetz verbschiedet hatte, präsentierte Andrea Nahles am Wochenende den SPD-Aktionsplan „Mietenwende jetzt“. Die Vorschläge der Parteichefin gehen weit über das hinaus, was die Genossen unter der Woche mitbeschlossen hatten und gipfeln in der Forderung nach einem generellen Mietenstopp. „Das bedeutet, dass Bestandsmieten und Mieten bei Neuvermietungen in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten für fünf Jahre nur in Höhe der Inflation steigen dürfen“, heißt es in dem Papier. Das wäre gut und richtig. Man fragt sich nur: Warum mimt eine Regierungspartei nebenher Opposition? (rw)