Mehr Ärzte für die ProvinzDr. med. Landei
Landärzte werden dringend gesucht …
Sogar aus dem Fernsehen hat „der Landarzt“ Reißaus genommen. 2013, mit 22 Staffeln und knapp 300 Episoden auf dem Buckel, ist der ZDF-Dauerbrenner auf Nimmerwiedersehen von der Bildfläche verschwunden. 27 Jahre nach dem Serienstart war beim Publikum einfach nichts mehr zu holen mit dem Plot um Dr. med. Kümmerer, der zwischen Wald, Wiese und Misthaufen ergraute Gicht- und Arthrosepatienten umsorgt. Ein typischer Fall von „ausgebrannt“ – ohne Quote ist eben tote Hose.
Fast wie im richtigen Leben. Auch da ist der Landarzt eine bedrohte Spezies. Die Jungen und ihr Geld wandern in die Städte ab und lassen die Älteren im Dorf zurück. Und weil der Zahn der Zeit unablässig nagt, leert sich die Provinz zunehmend und nachhaltig. Gerade in Ostdeutschland vollzieht sich in manchen Regionen eine regelrechte Entvölkerung. Mit den Menschen geht freilich auch der gute alte Hausarzt verlustig. Entweder sucht er das Weite, wo es mehr Kunden, vor allem Privatpatienten und damit mehr zu verdienen gibt. Oder er setzt sich selbst auf Altenteil und macht mangels Nachfolger seine Praxis dicht.
Das große Praxis-Sterben
Das Dilemma ist längst virulent. Nach Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) waren Ende 2016 bundesweit fast 2.800 Praxen unbesetzt, vor allem solche in ländlichen Gebieten. Im Jahr davor waren es noch 2.200. Der Verband prognostiziert, dass bis zum Jahr 2021 rund 50.000 niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten in Rente gehen, davon ein guter Teil Allgemeinmediziner. „Einem höheren Bedarf an hausärztlicher Versorgung steht eine anrollende Ruhestandswelle gegenüber“, warnte die Organisation vor einem Jahr. 2030, so die Schätzung, könnte sich der Schwund an Hausärzten auf 10.000 belaufen.
Immerhin hat sich das Problem bis zur Politik herumgesprochen. Aus einer Reihe diverser Rezepte, mit denen man gegensteuern möchte, steht eines besonders hoch im Kurs: die sogenannte Landarztquote. Die Idee ist die, angehende Mediziner frühzeitig, das heißt bereits bei Aufnahme ihres Studiums, zu einem Berufsleben in der Walachei zu bewegen bzw. zu verdonnern – je nach Blickwinkel. Denn mit warmen Worten und gutem Zureden soll es nicht getan sein. Vielmehr lockt man die Kandidaten mit einem Deal, der da im Groben lautet: „Wer später auf Provinzdoktor macht, bekommt einen Studienplatz frei Haus.“ Freilich hat die Sache auch eine Kehrseite. Wer nämlich sein Versprechen nicht einlöst und später doch in einer Stadt aufschlägt, muss dafür teuer bezahlen.
Alles nach „Masterplan“
In Nordrhein-Westfalen (NRW) macht man demnächst Nägel mit Köpfen. In der Vorwoche hat die Regierungskoalition aus CDU und FDP einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der als bundesweit erster seiner Art die Einführung einer Landarztquote vorsieht. Laut Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) werde man „über eine Vorabquote (…) voraussichtlich 7,6 Prozent der Medizinstudienplätze (…) an Bewerber vergeben können, die sich verpflichten, nach ihrer Facharztausbildung für zehn Jahre in einer unterversorgten Region als Hausarzt zu arbeiten“.
Der Vorstoß hatte sich angedeutet: Im Frühjahr 2017 hatten Bund und Länder den sogenannten „Masterplan Medizinstudium 2020“ verabschiedet, mit dem die Ärzteausbildung unter anderem zugunsten von mehr Praxisnähe und einem besseren Umgang mit Patienten reformiert werden soll. Ein Teil der Strategie ist dabei die Etablierung einer „Landarztverpflichtung“, zu der es im Beschlusstext heißt: „In diesem Zusammenhang wird unverzüglich in der Vergabeverordnung der Stiftung für Hochschulzulassung die Möglichkeit eröffnet, bis zu zehn Prozent der Medizinstudienplätze vorab an Bewerberinnen und Bewerber zu vergeben, die sich verpflichten, nach Abschluss des Studiums und der fachärztlichen Weiterbildung in der Allgemeinmedizin für bis zu zehn Jahre in der hausärztlichen Versorgung in den oben genannten Regionen oder Planungsbereichen tätig zu sein.“
Ansage aus Karlsruhe
Den juristischen Boden für das Vorhaben hat allerdings erst das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verteilung von Medizinstudienplätzen geebnet. Karlsruhe hatte die bisherige Vergabepraxis Ende 2017 als teilweise verfassungswidrig eingestuft. Nach den alten Regularien gehen im Fach Humanmedizin 20 Prozent der Studienplätze an die Bewerberinnen und Bewerber mit den besten Abiturnoten, weitere 20 Prozent werden nach Wartezeit vergeben. Die restlichen 60 Prozent bringen die Hochschulen auf eigene Faust an die Frau oder den Mann, wobei auch hier die Abiturnote das größte Gewicht hat. Das will das höchste deutsche Gericht geändert sehen. In Zukunft sollen deshalb andere Attribute – etwa medizinische Vorkenntnisse wie Tätigkeiten in der Rettungsassistenz oder in der Pflege sowie die Leistungen in Eignungstests – eine größere Rolle spielen.
Im Fall NRW schwebt Minister Laumann vor, neben der Note auch eine abgeschlossene Berufsausbildung und Berufserfahrung als Kriterien in die Auswahl einfließen zu lassen. Auch wären „Patientenorientierung in Verbindung mit Empathie und Sozialkompetenz (…) wichtige Schlüsselfaktoren des ärztlichen Berufs. Daher ist zudem geplant, im Rahmen eines standardisierten Tests die Eignung zur Tätigkeit als Landarzt zu überprüfen“, erklärte der CDU-Politiker. Das Landeszentrum für Gesundheit (LZG) werde das Auswahlverfahren durchführen sowie die Vergabe der Studienplätze evaluieren. Losgehen soll das neue Verfahren im Wintersemester 2019/20.
Teure Abreibung
Allerdings bleiben auch noch manche Fragen offen: Zum Beispiel die, ab welchem Notendurchschnitt eine Bewerbung auf die fraglichen Studienplätze Sinn macht. Wieviel „schlechter“ kann also ein Studienanwärter im Vergleich zu einem Kandidaten sein, der sich auf einen „Normalstudienplatz“ bewirbt. Auch über Art und Umfang der „Bestrafung“, sollte man sich am Ende gar nicht oder nicht die vereinbarten zehn Jahre lang als Landarzt betätigen, kann nur spekuliert werden. Dass es eine Abreibung geben soll, steht für Laumann zwar außer Frage, konkrete Zahlen rückte er aber nicht heraus. Die Kosten sollten aber schon so hoch sein wie die eines Medizinstudiums. Die liegen nach Ministeriumsangaben bei 250.000 Euro.
Das wirft weitere Fragen auf: Könnten die drohenden Sanktionen nicht gerade davon abschrecken, eine Karriere als Landarzt einzuschlagen. Denn wer kann schon im Alter von 20 Jahren mit Gewissheit sagen, was er in den folgenden 15, 20 Jahren machen will. Hier werden junge Menschen zu einer Entscheidung genötigt, deren Konsequenzen sie gar nicht überblicken können. Echte Orientierung dahingehend, wohin der Berufsweg später einmal führen soll und könnte, stellt sich für die allermeisten erst während der Studienzeit ein. Was, wenn einer am Ende nur den Landarzt gibt, um der Schuldenfalle zu entrinnen, bloß seine Zeit „absitzt“ und Dienst nach Vorschrift macht? Wäre das im Sinne einer optimalen Patientenversorgung? Wohl kaum.
Zwei-Klassen-System
„Dann sitzt ein junger Mediziner im Schwarzwald, obwohl er gar nicht hin will, und ist überhaupt nicht motiviert, seine Arbeit gut zu machen.“ Bemerkt hatte dies Mitte März 2017 Nils Nüßle von der Fachschaft Medizin der Uni Tübingen gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Damals befand sich der „Masterplan 2020“ noch in der Abstimmung. In diesem Zusammenhang hat das Bundesgesundheitsministerium ein Rechtsgutachten erstellt, das Strafzahlungen von bis zu 150.000 Euro für Vertragsbrüchige veranschlagt. Nüßle warnte deshalb vor einem „Zwei-Klassen-Bewerber-System“. Kinder aus reichem Elternhaus könnten sich einen Studienplatz kaufen oder sich nachträglich aus der Verpflichtung freikaufen, „die Chancen für Studenten aus ärmeren Familien werden dann noch schlechter“.
Anfang dieses Jahres legte die neue, alte Bundesregierung aus Union und SPD mit ihrem Koalitionsvertrag nach. Darin verspricht die große Koalition, eine Landarztquote „zügig umsetzen“ zu wollen. Das wiederum rief die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) auf den Plan. Das sei „reine Symbolpolitik“, mit der die Versorgungsengpässe keinesfalls behoben würden, monierte der Verband. Gerade auf dem Land benötige man Ärzte, „die sich aufgrund ihres Interesses am Fachgebiet und passenden Arbeitsbedingungen für ihren Beruf entscheiden und nicht, weil sie sonst keinen Medizinstudienplatz erhalten“. Mit einer Vorabquote würden Allgemeinmediziner zu „Ärzten zweiter Klasse“ abgewertet, außerdem ginge eine Maßnahme, „die mehr als 17 Jahre bis zum Wirkeintritt benötigt“ deutlich am Ziel vorbei.
Tropfen auf den heißen Stein
Allerdings spricht vieles dafür, dass das Beispiel NRW Schule machen wird. Auch in Bayern, Niedersachen und Rheinland-Pfalz gibt es ähnliche Bestrebungen. Die CSU-Staatsregierung im Freistaat liebäugelt mit einer Quote von fünf Prozent, die erstmal im Herbst 2019 greifen soll. Allerdings würde die „Landarztverpflichtung“ schon nach acht und nicht zehn Jahren erlöschen. In Hannover will die Regierung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) spätestens in zwei Jahren in der Sache entscheiden. Die Ampelkoalition in Mainz möchte die Angelegenheit prüfen und dann ein Konzept vorlegen.
Zurück nach Düsseldorf: In NRW sollen mit der Reform zunächst 168 Plätze für Dr. med. Landei reserviert werden, künftig will man die Quote auf zehn Prozent erhöhen. Gesundheitsminister Laumann glaubt indes, dass die Reform „frühestens in zehn Jahren neue Landärzte bringen“ werde. Bis dahin dürften noch allerhand mehr Praxen gestorben sein. Laumann ist dann über 70 – und vielleicht ja auch längst abgesetzt. (rw)