Lehre für lauWie der Staat angehende Professoren ausbeutet
Der Weg zum Job als Professor ist lange … und solange man keine reguläre Stelle hat, schlecht oder gar nicht bezahlt.
Studis Online: Was die wenigsten wissen dürften: Bis man es an einer deutschen Hochschule zum gutbezahlten Professor geschafft hat, muss man sich mitunter jahrelang regelrecht ausbeuten lassen. Von der Habilitation bis zur Professur ist es nämlich ein zumeist langer und steiniger Weg. Wie sieht der übliche Werdegang aus?
Günter Fröhlich: Nach dem einschlägigen Studium des Faches, wodurch man bei entsprechend guter Note in der Regel die Promotionsberechtigung erhält, schreibt man seine Doktorarbeit. Die Dauer bis zur Promotion liegt je nach Fach unterschiedlich zwischen zwei und fünf Jahren. Zur Finanzierung gibt es halbe Stellen oder Stipendien. Danach arbeitet man als Postdoc, wiederum entweder auf einer Stelle oder innerhalb eines Forschungsprojekts, und strebt für die Laufbahn als Professor die Habilitation an, also die Lehrbefähigung, die zumeist die Voraussetzung für eine Berufung darstellt. Das Durchschnittsalter derjenigen, die diese Stufe erreichen, liegt bei etwa 40 Lebensjahren. Danach kann man sich auf ausgeschriebene Professuren an Universitäten bewerben. Allerdings sind das Verfahren, die wenig transparent sind und sich mitunter jahrelang hinziehen.
Sie sind jetzt 48 Jahre alt. Was haben Sie bisher alles hinter sich?
Ich habe die Lehrbefähigung zum Dr. habil. und die Lehrbefugnis zum PD 2005 erreicht. Schon davor bewirbt man sich vielfach und meist erfolglos, hangelt sich von Stelle zu Stipendium oder miserabel bezahltem Lehrauftrag und kann im Grunde den weiteren Berufsweg nicht planen. Das ist, wenn man sich wirklich für Forschung und Studium eines Faches interessiert, zwar lästig. Es ließe sich allerdings auch ein Sinn dahinter entdecken, wenn es genügend Angebote und Möglichkeiten gäbe, für die man auch eine reale Chance der Weiterfinanzierung hätte. Dies ist nicht der Fall! In bestimmten Lebenssituationen, wenn man etwa eine Familie oder eigene Kinder zu versorgen hat, wird das extrem schwierig.
Wie viele Stunden arbeiten Sie an der Uni, nur für die Hoffnung, irgendwann einmal berufen zu werden?
Mit Ausnahme von Baden-Württemberg, wo man vier Semesterwochenstunden abzuleisten hat, sind es in den anderen Bundesländern zwei Semesterwochenstunden. Das sind dann etwa 30 Stunden Unterricht im Jahr. Vor allem in den kulturwissenschaftlichen Fächern schüttelt man das nicht aus dem Ärmel. Für die Vorbereitung und Nachbereitung, das Abnehmen von Prüfungsleistungen und die Betreuung der Studierenden muss man mindestens noch einmal das Doppelte veranschlagen und kommt so, wenn man das ordentlich macht, auf etwa hundert Stunden. Für eine Vorlesung, die man neu schreibt, braucht man freilich viel länger.
Und sie machen das alles praktisch für nichts?
Na ja, es ist doch eine erfüllende Tätigkeit, den eigenen Horizont ständig zu erweitern und anderen in der Lehre davon zu berichten. Wer von der Erkenntnisgewinnung an der Uni überzeugt ist, muss auch zum Verzicht bereit sein, sonst ist er ohnehin auf dem falschen Weg. Ich muss aber zugeben, dass ich kein Verständnis dafür habe, dass Bildung immer nur unter Kapitalgesichtspunkten thematisiert wird. Denn natürlich müssen die Tausenden von Betroffenen von irgendetwas leben.
Trotzdem noch einmal zur Klarstellung, weil es so unglaublich erscheint: Sie erhalten für Ihr Lehrtätigkeit keinerlei Vergütung?
Unser Interviewpartner Günter Fröhlich ist außerplanmäßiger Professor (Apl-Prof.) für Philosophie an der Universität Regensburg. Er hatte im Dezember 2014 eine Popularklage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof in München gegen die sogenannte Titellehre bzw. Pflichtlehre angestrengt. Seine Klage wurde mit Urteil vom 19. Oktober zurückgewiesen.
Die Titellehre von PDs ist unentgeltlich. Das steht so im Gesetz und heißt wirklich: null Cent. Die Selbstverständlichkeit, mit der die bayerische Landesregierung und die Mehrheit im Landtag das hinnimmt, ist schlichtweg unverständlich. Das Bild, das sich der Gesetzgeber von Leuten wie mir macht, sieht so aus: Für die Lehre setzen wir uns einfach in einen von der Universität finanzierten Raum, nachdem wir vorher die Verwaltung mit unserem Lehrwunsch belastet haben. Wir erzählen dann, was uns gerade so einfällt – schließlich hat man studiert – und in der letzten Stunde verteilen wir ein paar Noten. Und dann erlaubt uns der Staat auch noch, dass wir uns zum Beispiel „Außerplanmäßiger Professor“ nennen. Das soll nicht nur eine persönliche, ungemein große Ehre sein. Diese staatlich verliehene, gesellschaftliche Reputation lässt dazu auch noch alles zu Gold werden, was wir sonst anfassen. Schon der König Midas ist deswegen fast verhungert und am Ende bekam er Eselsohren.
Welchen Hintergrund hat diese Praxis, vielleicht einen historischen? Hat sich der Gesetzgeber dabei irgendetwas gedacht, also mehr als nur: Wie spart man Geld bei der Lehre?
In den 1960er Jahren sind die Hörergelder abgeschafft worden, seitdem besteht die Praxis der Nichtbezahlung von PDs. Jetzt wird argumentiert, die Erlaubnis zum Titel sei eine ausreichende Gegenleistung für eine zeitlich überschaubare „Obliegenheit“ zur Titellehre. Es handele sich schließlich nur um „ein Neuntel der die Universitätsprofessoren betreffenden Lehrverpflichtung“. Das öffentliche Interesse an einer Nichtbezahlung für eine Lehrleistung sei angemessen, zumal es dem durch die Habilitation ausgedrückten Wunsch zu lehren, entgegenkomme, ein Wunsch, den der Gesetzgeber gerne und umfassend unterstütze, nur eben nicht durch ein Entgelt. Dagegen sei das persönliche Interesse der Lehrenden deren Privatangelegenheit.
Damit verschließt man freilich völlig die Augen davor, unter welchen Bedingungen die Betroffenen in der Regel zu leben haben. Bevor man eine Professur oder unbefristete Tätigkeit an der Universität bekommt, gibt es keine berufliche und persönliche Planung, ständige Unsicherheiten und immer wieder längere Durststrecken. Lange Jahre kann man zum Beispiel bei Lehraufträgen oder Stipendien auch nicht in die Rentenversicherung einzahlen und bei den Gehaltsstufen fängt man nach einer Unterbrechung, etwa wegen eines Stipendiums, immer wieder bei Stufe eins an, weil die Berufsvorerfahrung nicht anerkannt wird.
Gibt es Zahlen dazu, wie verbreitet diese Nöte sind?
Die Zahlen sind alle unsicher. Betroffene PDs soll es gut 7.000 in der BRD geben, bei den Lehrbeauftragten geht man von etwa 100.000 aus. Die Stellensituation bei den Professuren ist von Fach zu Fach unterschiedlich. Entscheidender ist in diesem Fall aber, dass die Alternativen fehlen. In meiner fachlichen Ausrichtung der Praktischen Philosophie bewerben sich auf eine freie Stelle etwa 100 bis 130 Personen.
Apropos: Wie viele Absagen haben Sie in all den Jahren erhalten?
Ich zähle da nicht nach. Man gewöhnt sich auch nicht daran. Es dürften so 200 bis 300 sein. Das waren aber nicht alles Bewerbungen auf eine Professur. Man würde es sich allerdings viel zu einfach machen, wenn man sagt, der ist halt nicht gut genug, um eine Stelle zu bekommen. Ich kenne zu viele Kollegen, die ganz herausragend sind und dennoch die gleichen Erfahrungen machen.
Wie haben Sie sich all die Jahre über Wasser gehalten?
Wie ja verschiedentlich in der Presse zu lesen war, arbeite ich in einem Regensburger Café als Barista. Daneben schreibe ich Bücher, halte Vorträge und Lesungen, und zuletzt hatte ich das Glück, einen ganzen Theaterabend gestalten zu dürfen. Das ist aber alles sehr mühsam. Dennoch kann ich bis jetzt gerade so davon leben und bin vergnügt.
Das klingt so, als wären Sie ein echter Über-Lebenskünstler …
Der Ausdruck ist ambivalent, solange wir das im bohemischen Sinne deuten, von mir aus! Wäre es mir jedoch nur um mich persönlich gegangen, hätte ich die Mühen der Klage sicher nicht auf mich genommen. Es gibt aber zu viele Betroffene und die Zustände an den Universitäten sind weitgehend durch Unzumutbarkeiten geprägt. Die Klage hat mir die Gelegenheit gegeben, auf vieles aufmerksam zu machen, wovon die meisten Menschen keine Ahnung hatten. Mein Vorstoß richtete sich freilich nur gegen ein überschaubares Problem. Ich habe die Situation der PDs, der Lehrbeauftragten und des akademischen Mittelbaus in seiner Qualifizierungsphase aber immer im Zusammenhang gesehen. Viele Arbeitsschutzgesetze gelten für die Universität nicht und für Lehrbeauftragte gilt wie für PDs, dass diesen abgesprochen wird, sie seien bei der Lehrausübung beruflich tätig.
Liegt in dieser Argumentation, also dass man als PD nicht berufstätig ist, auch der Schlüssel, mit dem der Gesetzgeber und die Gerichte eine Praxis legitimieren, die man als Außenstehender eher als Ausbeutung bezeichnen würde?
Die Begründung zu meinem Urteil ist juristisch diffizil: Bei der Ausübung der Titellehre handele es sich nicht um eine berufliche Tätigkeit, laut Bayerischem Verfassungsgerichtshof noch nicht einmal um „Arbeit“. Entsprechend benachteilige der Verlust der Lehrberechtigung beruflich nicht, worin die Freiwilligkeit zur Titellehre zum Ausdruck komme. Offenbar war den Verfassungsrichtern dieser Zirkel – es kann keine Bezahlung geben, weil es keine Arbeit ist, es ist offensichtlich keine Arbeit, weil es nicht bezahlt wird – selbst etwas unangenehm. Deshalb hat er darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Regelung trotz expliziter „Unentgeltlichkeit“ eine „Kann-Bestimmung“ enthält, die im Einzelfall dazu führt, das Ermessen zur Anwendung dieser Bestimmung zugunsten des oder der Titellehrenden ausschlagen lassen zu müssen. Um das Urteil zu verstehen, muss man das alles mitbedenken. Ich beschäftige mich viel mit der Begründung des Urteils, habe aber mehrere Wochen gebraucht, um das einzusehen – und ohne Ironie bringt man das sowieso nicht alles zusammen!
Klar ist immerhin, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof Ihre Klage mit Urteil vom 19. Oktober zurückgewiesen hat. Warum können Sie dem Ausgang doch Positives abgewinnen?
Das Gericht hat 30 Seiten gebraucht, um meinen Antrag abzuweisen. Sowohl die Annahme als auch die ausdrücklich festgestellte Zulässigkeit der Klage sind schon ein Erfolg. Und dass das Gericht die gesetzliche Regelung für verfassungskonform hält, heißt nicht, dass ich nicht in vielen Punkten Recht bekommen hätte. Die rigide Praxis des Bayerischen Kultusministeriums, die Titellehre unter allen Bedingungen einzufordern und die Verwaltungen dahingehend anzuweisen, dürfte verfassungswidrig sein. Das muss dann aber ein Verwaltungsgericht überprüfen. Die Urteilsbegründung schränkt den Ermessensspielraum sowohl für den Widerruf als auch für die strikte Verweigerung eines Entgelts im Rahmen eines bezahlten Lehrauftrags aus meiner Sicht erheblich ein. Ob das Ministerium darauf reagieren wird, weiß ich freilich nicht.
Sie haben sich mit Ihrer Klage gegen die Möglichkeit des Widerrufs des PD-Titels, falls man seiner Lehrverpflichtung nicht nachkommt, gewandt, und damit quasi nur über einen Umweg die miesen Zustände der Betroffenen attackiert. Hätte man nicht auch viel direkter eine Vergütungspflicht für die Pflichtlehre einklagen können?
Jedem normal denkenden Menschen erscheint die Sachlage eindeutig. Es geht aber darum, die ganze Sache juristisch aufzubereiten. So wie Sie das formulieren, hätte das Gericht einfach gesagt: Es handelt sich gar nicht um eine „Pflicht“, sondern nur um eine „Obliegenheit“. Ein Widerruf des Titels stelle formal keinen beruflichen Nachteil dar. Umgekehrt gewähre die Staatsregierung dem Lehrwilligen großzügig die Möglichkeit, sich fachlich und didaktisch weiterzubilden. Wenn Sie das wiederum juristisch weiterverfolgen, könnte man argumentieren: PDs erhalten durch die Möglichkeitsgewährung zur Titellehre einen beruflichen Vorteil, der selbst, wenn sie dafür nicht bezahlt werden müssen, steuerlich als geldwerte Leistung zu veranschlagen ist! Nein ehrlich: Mir erscheint der schiere Umfang der Begründung, noch mehr aber ihre Umständlichkeit, zu der sich das Gericht offenbar gezwungen sah, schon als ein großer Erfolg, auf dem sich politisch aufbauen lässt.
Sie geben sich also nicht zufrieden?
Für mich war die ganze Sache von Anfang an eine politische Angelegenheit. Dafür ist es aber mitunter nötig, den juristischen Rahmen abzustecken. In dieser Hinsicht ist die Abweisung der Klage zunächst einmal misslich. Grundsätzlich muss ein Verfassungsgericht den politischen Spielraum des Gesetzgebers beachten und das gelingt dem Verfassungsgerichtshof immer wieder in geradezu bewundernswerter Weise. Damit ist das Problem aber wieder an die Politik zurückverwiesen und die Verantwortung dafür kann ihr niemand abnehmen. Die unbezahlte Titellehre ist schließlich kein staatliches Dogma. Sie lässt sich durch ein neues Gesetz einfach ändern. Die Begründung des Urteils weist aber schon jetzt darauf hin, dass der Ermessensentscheidung für die Unentgeltlichkeit sehr viel engere Grenzen aufweist, als die Verordnungen der Kultusministerien oder der Universitätsrichtlinien erahnen lassen. Betroffene PDs haben also konkret die Möglichkeit, einen Antrag bei der Universität auf Vergütung für die Titellehre zu stellen, und gegen einen ablehnenden Bescheid vor einem Verwaltungsgericht zu klagen, etwa dann, wenn durch die abgeleistete Prüfungstätigkeit oder durch die Verankerung im Curriculum ein öffentliches Interesse an der Lehrveranstaltung besteht.
Und was bedeutet das in Ihrem konkreten Fall?
Da aus meiner Sicht der Verweis auf die „Obliegenheit“ nur die formale Seite beleuchtet, alle PDs aber in ihrer beruflichen Situation im Fall einer Bewerbung auf eine Professur gezwungen sind, zu lehren, ist das Gerede, man lehre freiwillig, eine Verhöhnung. Wirklich frei kann man sich erst entscheiden, wenn man nicht mehr berufbar ist, zum Beispiel weil die Altersgrenze überschritten wurde. Wenn ich dann immer noch lehre, tue ich es tatsächlich freiwillig. Bis dahin ist der Kampf für die Anerkennung der Tätigkeit von PDs als Berufsausübung immer noch eine persönliche Angelegenheit.
Wäre Ihr Fall nicht auch etwas für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte?
Ja, aber zunächst muss der nationale Rechtsweg ausgeschöpft werden. Nachdem das Urteil Möglichkeiten aufzeigt, flexibel mit einer Vergütung umzugehen, und auch ein Widerruf der PD definiert engeren Grenzen unterliegt, besteht in jedem Einzelfall eine Klagemöglichkeit. Wie weit man damit kommt, lässt sich derzeit nicht absehen. Es geht insgesamt darum, sich mit dem Urteil auseinanderzusetzen und die Sache politisch weiterzuverfolgen. (rw)