Studentische Wohnungsnot reloadedTagebuch eines Wohn- und Ahnungslosen
Jährlich grüßt das Murmeltier der studentischen Wohnungsnot. Von der Politik werden Studienanfänger leider wieder im Regen stehen gelassen.
3. August: Ich erinnere mich, mal gelesen zu haben, dass jedes Jahr vor Semesterbeginn die große Wohnungsnot unter Studierenden ausbricht. Hat mich bisher nicht tangiert, jetzt aber schon. Fange im Oktober mein Studium an, sollte mich vielleicht bald um eine Bleibe kümmern. Aber keine Panik, noch bleiben ja mehr als zwei Monate Zeit.
13. August: Bin jetzt glücklicher Besitzer einer Immatrikulationsbescheinigung. Das mit dem Mietvertrag ist noch nicht geglückt. Erste Gehversuche auf dem Frankfurter Wohnungsmarkt waren ernüchternd: Bei drei Besichtigungen standen jeweils über 80 Konkurrenten auf der Matte. Sollte mal an meinem Outfit arbeiten. Gegen die Typen mit Anzug und Krawatte kann ich so nicht anstinken. Beim nächsten Mal wird`s bestimmt besser.
20. August: Zweiter Anlauf, zweite Pleite. Auch im Dreiteiler von Daddy nur Absagen kassiert. Akribische Marktsondierungen unter der Woche haben nicht gefruchtet, bei sieben Besichtigungen war ich wieder bloß einer unter viel zu vielen. Selbst der George-Clooney-Verschnitt hat keine Schnitte gesehen. Sollte meine Ansprüche runterschrauben, vielleicht doch keine Bude für mich allein. Mitgescheiterte haben vorgeschlagen, sich zusammenzutun und eine WG zu gründen. Dann könnte man auch größere Wohnungen mit vier oder fünf Zimmern ins Visier nehmen und für jeden wäre die Sache billiger.
25. August: Bevor ich eine WG gründe, probiere ich erst einmal ein einzelnes Zimmer aufzutun. Meine Zuversicht könnte größer sein. Eine Immobiliengesellschaft aus Berlin hat eine Studie zur Wohnsituation in Unistädten rausgebracht. Danach hat sich die Lage fast flächendeckend verschärft – im fünften Jahr in Folge. Die Macher nennen das „Anspannungsindex“ und meinen damit, dass sich noch einmal mehr Interessenten um den noch einmal knapper gewordenen Wohnraum rangeln. Ein WG-Zimmer kostet im Bundesschnitt schlappe 353 Euro, vier Euro mehr als 2016. Dass die „Spannung“ in Frankfurt ein wenig nachgelassen hat, freut mich nur mit Abstrichen. Für ein WG-Zimmer muss man trotzdem mal eben 450 Euro abdrücken (Moses Mendelssohn Institut). Gut, dass es mich nicht nach München verschlagen hat. Dort muss man im Mittel 570 Euro hinlegen. Bloß ein schwacher Trost.
27. August: Wieder nix. Sitze im Zug von Frankfurt nach Hause und habe üble Laune. Das dritte Wochenende am Main und der dritte Reinfall. Die dauernde Pendelei geht langsam ins Geld. Vielleicht sollte ich die Jugendherberge zum dauerhaften Stützpunkt auf meiner Jagd nach vier Wänden machen, solange, bis es endlich geklappt hat.
29. August: Will mich jetzt nach einem Zimmer in einem staatlichen Wohnheim umschauen. Ist zwar nicht mein Ding, dafür geht es nicht so ins Geld. Im Schnitt werden nur 241 Euro fällig, erfahre ich beim Deutschen Studentenwerk. Wäre ich nur früher auf den Trichter gekommen.
3. September: Nächster Griff ins Klo. Wohnheimplätze sind rar gesät. In der Fläche kommt bestenfalls jeder zehnte Student zum Zug. Viel schlechter sieht es in Frankfurt aus: hier gibt es 3.000 Plätze für über 63.000 Studis. Wäre ich schon vor Monaten angetanzt, hätte man mich vielleicht genommen. Da wusste ich aber noch gar nicht, an welche Uni ich will. Habe mich trotzdem beworben und stehe jetzt auf der Warteliste – mit 2.500 anderen. In frühestens sechs Monaten kann ich mit einem Zimmer rechnen, freilich nur, wenn ich mir mit 15 Leuten Bad und Küche teile. Mehr „Luxus“ will Weile haben – mindestens ein Jahr, wahrscheinlich mehr.
7. September: Stelle jetzt Nachforschungen an, woran es hakt. Zum Beispiel gibt es in Berlin für weniger als fünf Prozent der Studierenden einen öffentlichen Wohnheimplatz. Anderswo, etwa in Münster, sind es 15 Prozent. Das Deutsche Studentenwerk fordert seit Ewigkeiten mehr Geld für den Wohnheimausbau, aber die Politik kommt einfach nicht in die Puschen. Jedes Bundesland macht einfach sein eigenes Ding. Ist keine Kohle da, wird auch nicht gebaut. Es gibt zwar Ausnahmen, Hessen gehört neuerdings sogar zu den Vorreitern. Das reißt es aber nicht raus, wenn die Hochschulen immer voller werden. Vor 20 Jahren gab es noch für 13 Prozent aller Studis einen Wohnheimplatz, heute für unter zehn Prozent, bei 2,8 Millionen Studis. Warum packt eigentlich die Bundesregierung das Thema nicht an?
12. September: War am Wochenende mal nicht auf Wohnungssuche, erspart einem viel Frust. Habe einen Ex-Mitschüler angerufen, der schon seit einem Jahr in Frankfurt studiert. Sein Vermieter hat ihn gerade aus seiner Wohnung herausgekegelt, mit Prozessandrohung und allem Drum und Dran. Der Kerl will das Haus luxussanieren, um dann 30 Prozent Miete draufzuschlagen. Dabei hat er für die 45-Quadratmeter-Bude schon 700 Euro verlangt. Welcher Student soll bei solchen Preisen mithalten? Naja, jedenfalls machen wir den Wohnungsmarkt jetzt als Zweiergespann unsicher. Mal sehen, ob`s was hilft …
15. September: Wieder auf dem Weg in die Mainmetropole. Bin bei meinen Recherchen weitergekommen. Die Bundesregierung kann nichts machen, weil Bildung Ländersache ist. Bund und Länder dürfen einfach nicht kooperieren, dazu steht sogar ein Verbot im Grundgesetz. Das wurde zwar vor knapp zwei Jahren für den Hochschulbereich aufgeweicht, bisher aber ohne praktische Konsequenzen. Bis auf eine Sache: Der Bund will dauerhaft Geld in diese Exzellenzinitiative stecken, um irgendwelche Leuchttürme in der Forschung hochzuziehen. Kritiker meinen, das wäre ein elitäres Projekt, wovon der Normalstudent nichts hat. Einfahrt in den Sackbahnhof – heute mache ich den Sack zu.
17. September: Immer noch keine Bude, aber um eine Erkenntnis reicher. Wer es finanziell dicker hat, hat ruckzuck eine Unterkunft aufgetrieben. In ganz Deutschland schießen solche Luxuswohnheime für Studenten mit allem Pipapo aus dem Boden: mit Designeinrichtung, hauseigenem Pförtner, Washing-Lounge und Fitnessraum. Die Apartments bei The FIZZ in Frankfurt gehen bei 632 Euro los, bei Youniq mit 549 Euro. Will man es abgehobener, kann man auch 900 Euro und mehr hinblättern. Für mich ist das nichts, von meinen Eltern bekomme ich 700 Euro im Monat. Mehr als 300 Euro darf die Wohnung nicht kosten.
24. September: Habe den x-ten Trip in die Banken-Hauptstadt hinter mir – und wieder nichts als Spesen. Der Chronistenpflicht wegen: Hätte eine Besenkammer in Kelsterbach vis-à-vis vom Flughafen kriegen können, für 300 Euro kalt bei hundert Dezibel. Das Stückchen Restwürde bewahre ich mir dann lieber doch.
29. September: Nicht mal mehr drei Wochen bis Semesterbeginn. Langsam wird mir`s mulmig. Spiele verschiede Gedanken durch: Wie wäre es, zu Hause wohnen zu bleiben und die 40 Kilometer nach Frankfurt zu pendeln? Klar sind da die Fahrkosten, dafür spare ich mir die Miete und Mutti kocht für mich. Dann kürzen mir die Ernährer aber bestimmt mein Budget. Außerdem will ich doch auf eigenen Beinen stehen, Studentendasein genießen und die große Stadt erleben.
Besser wäre es, sich einen Job zu suchen. Dann kann ich mir eine teurere Bude leisten und vielleicht auch mal auf die Piste gehen. 700 Euro würden eh kaum reichen. Habe gelesen, dass ein Student heute im Durchschnitt 819 Euro Kosten und 900 Euro an Einnahmen hat (Studis Online). Soviel müssen es schon sein, man will ja nicht leben wie Hund. Andererseits: Mit der Jobberei bleibt weniger Freizeit und weniger Muße zum Studieren. Und der Bachelor soll ja eine echte Tretmühle sein.
„Auch im Dreiteiler von Daddy nur Absagen kassiert...“
1. Oktober: Das mit dem Zweiergespann bringt`s auch nicht. Gestern hat uns ein Pärchen, beide mit festem Job, eine astreine Zwei-Zimmer-Bude in Innenstadtnähe vor der Nase weggeschnappt. Hätte ich als Vermieter auch so gemacht, wer holt sich freiwillig zwei Partypeople ins Haus. Hat mir vor Augen geführt, dass wir nicht nur mit Unsereins, sondern mit allerhand mehr Konkurrenz konkurrieren.
Der Druck auf die Wohnungsmärkte wird immer größer, wegen der Mondpreise müssen immer mehr Alteingesessene die Innenstädte räumen und die Besserbetuchten nehmen ihre luxussanierten Wohnungen in Beschlag. Da läuft irgendwas mächtig schief! Warum greift die Politik da nicht ein?
2. Oktober: Habe mich kundig gemacht. Die Politik hat eigentlich schon eingegriffen, mit der Mietpreisbremse. Der Haken daran: Das Ding bremst nicht. Das Gesetz ist ein Papiertiger. Erstens gibt es Tausende Ausnahmen, die es Hauseigentümern am Ende doch erlauben, immer mehr abzusahnen. Und zweitens drohen praktisch keine Strafen, wenn gegen die Vorgaben verstoßen wird. Zuerst muss nämlich der Vermieter von einem Mieter wegen überhöhter Kosten vor den Kadi gezerrt werden und erst Jahre später wird er dann vielleicht verurteilt. Schön blöd, wer da den Hausbesitzer verklagt und dann hochkant auf der Straße landet.
4. Oktober: Das örtliche Studentenwerk richtet Notunterkünfte für Leute wie mich ein – Dankeschön. Wenn ich nicht bald untergekommen bin, kann ich demnächst auf Feldbett oder Isomatte im Studierendenhaus nächtigen, zusammen mit Dutzenden Leidensgenossen. Nennt sich Indoorcamp und riecht nach Abenteuer. Bleiben dürfte ich nicht für immer, aber für ein paar Wochen, bis ich anderswo ein Dach über dem Kopf finde.
Meine Oma wohnt am Stadtrand, auf 25 Quadratmetern, umgeben von Einöde. Ich stöbere durchs Internet. Wohnungsnot herrscht fast überall in Deutschland. NRW schafft Gestrandete sogar außer Landes – in Wohnheime in den Niederlanden. Außerdem lese ich von umgebauten Polizeiwachen, Notquartieren für ein Euro die Nacht und – tatsächlich – Wohngemeinschaften mit Senioren. Für ein warmes Bettchen muss man im Gegenzug nur die Hausarbeit verrichten. Dann doch lieber bei der eigenen Oma.
6. Oktober: War heute auf einer Demo gegen studentische Wohnungsnot. So was gibt es in Frankfurt immer wieder, der AStA ist ziemlich aktiv und ziemlich links. Die Leute gefallen mir irgendwie, sagen nicht zu allem Ja und Amen, sondern wehren sich gegen das „kapitalistische Regime“. Leider machen nicht allzu viele mit. Trotzdem eine nette Erfahrung. Habe noch keine Minute studiert, aber schon gegen das „Schweinesystem“ demonstriert. Das hat doch was …
7. Oktober: Die Bundesregierung macht doch etwas – und zwar Symbolpolitik. Haben mir alles die AStA-Aktivisten erzählt: Als Peter Ramsauer von der CSU noch Bauminister war, hat er zwei „Runde Tische“ zur studentischen Wohnungsnot veranstaltet. Da hat man nett geplaudert und alle Probleme auf die lange Bank geschoben. Da wurden auch lustige Vorschläge gemacht, etwa Hotelschiffe bereitzustellen und Kasernen in Wohnheime umzufunktionieren. Aus all den Ideen ist dann nichts geworden, aber man hat mal darüber geredet – für die Galerie oder für die Katz.
Immerhin hat dann die amtierende SPD-Ministerin Barbara Hendricks vor zwei Jahren die Errichtung sogenannter Mikrowohnungen, speziell auch für Studenten und zu erschwinglichen Preisen, angekündigt. Dabei erhalten Investoren Fördergelder, wenn sie die Miete über Jahre konstant halten. Ich frage mich: Warum baut der Staat dann nicht gleich auf eigene Rechnung?
8. Oktober: Heute wieder nur Absagen gekriegt, man gewöhnt sich dran. Bin jetzt wirklich bei Oma gelandet, fürs erste muss es gehen. Apropos „für die Katz“. Meine Mieze lass ich doch daheim, wollte ich eigentlich mitnehmen, als Gesellin im neuen Zuhause. Das gibt’s ja bisher nicht, dafür Großmutters Kartoffelsuppe und Katzenfutter kostet eh nur extra. Ach ja, bei den AStA-Typen lernt man richtig was dazu. In Deutschland wird privatisiert wie der Teufel. Riesige öffentliche Wohnungsbestände sind nach und nach in die Hand der Immobilienwirtschaft übergegangen. Die Masche ist immer die gleiche: Erst wird saniert, dann kräftig abkassiert. Oder man lässt die Wohnungen verrotten, solange es sich irgendwie rechnet.
Der soziale Wohnungsbau ist auch ziemlich tot. Dabei gibt es staatliche Zuschüsse, wenn man sich als Bauherr an 15 Jahre Mietpreisbindung hält. In Leipzig konnte man echte Sozialwohnungen zuletzt an einer Hand abzählen. Bundesweit lag 2014 der Anteil des sozialen am gesamten Wohnungsbau noch bei sechs Prozent, 2009 waren es noch 15 Prozent. 2006 hatte der Bund den Ländern dafür die Alleinzuständigkeit übertragen, danach ging es bergab, weil die Länder sparen müssen, auch wegen dieser Schuldenbremse. Anders als die Mietpreisbremse wirkt die nämlich. Öffentliche Aufgaben können seither nicht mehr erfüllt werden, weil Bund, Länder und Gemeinden einen bestimmten Kreditrahmen nicht überschreiten dürfen. Das steht so in Grundgesetz und Landesverfassungen. Wäre das nicht so, könnten auf einen Schlag dutzende Studentenwohnheime gebaut werden. So muss die Privatwirtschaft ins Boot geholt werden, die dann satt Fördergelder abgreifen kann. Wirkt fast wie ein abgekartetes Spiel. Oder könnte man nicht einfach die Schuldenbremse wieder abschaffen?
9. Oktober: „Kopf braucht Dach“ heißt die neuste Kampagne des Deutschen Studentenwerks. Wurde heute vorgestellt. Schöne Sache, aber irgendwie reichlich spät, eine Woche vor Vorlesungsbeginn. Trotzdem hat Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde natürlich recht, wenn er sagt: „Bezahlbarer Wohnraum, das ist nicht nur Privatsache. Das ist eine Frage der Bildungsgerechtigkeit.“ Die Verhältnisse sehen leider anders aus: „Während die Zahl der staatlich geförderten Studienplätze seit dem Jahr 2008 um 42 Prozent gestiegen ist, wurden bei den Studentenwerken seitdem gerade einmal fünf Prozent mehr Wohnheimplätze mit staatlicher Förderung geschaffen.“ Noch etwas: Auch mein Oberstübchen braucht immer noch Dach.
12. Oktober: Nur noch vier Tage, dann bin ich Student, einer mit Kopf, aber wohl doch ohne eigenem Dach überm selben. Bin auf einen Artikel vom Vorjahr gestoßen, der mich umhaut. Da ist die Rede von einer Sarah, 28 Jahre alt, Kunststudentin, die in Berlin Neukölln in einer Gästetoilette auf 2,8 Quadratmetern haust, in ihrer „Kapsel“, wie sie sagt, eingezwängt zwischen einer Malerleinwand und Büchern. Ich denke mir: Das ist nicht meins. Dann lieber noch drei Jahre bei Oma – oder auf die Barrikaden.
(rw)
Links zum Thema:
Aus unserem Archiv:
- Wohnungsnot verschärft sich weiter (04.10.2016)
- Matratze oder Schlossallee: Wohnungsnot zum Semesterstart (25.09.2015)
- Asyl im Luftschutzbunker: Studentische Wohnungsnot zum Studienstart (07.10.2014)
- Studieren unter der Brücke? Hochschüler in Wohnungsnöten (22.05.2013)
- Auch im WiSe 2012 Notunterkünfte nötig? (24.03.2012)