Selber schuld, Hochschulen fein raus?Massenphänomen Studienabbruch
Die Ursachen für einen Studienabbruch sind vielfältig – und liegen sicher nicht nur in der Person des Abbrechenden.
Hallo, Du da draußen. Bist Du Studienabbrecher? Dann bist Du nicht allein. Es gibt viele Deiner Sorte, massenhaft sogar. Jährlich sind es Zehntausende, die vorzeitig Reißaus nehmen von der Uni. Und es werden immer mehr. Das wollen die Damen und Herren Politiker zwar nicht wahrhaben, aber immerhin: Sie möchten Dir helfen, damit es Dir gut geht, damit Du einen Ausbildungsplatz findest oder gleich einen festen Job. Und Sie wollen verstehen, warum Du Dein Studium geschmissen hast, um Dich besser kennen zu lernen und Vorsorge zu treffen, dass es Dir nicht mehr so viele nachmachen. Na, was sagst Du, klingt doch alles ziemlich toll?
Wie man`s nimmt. Die Bundesregierung lässt im Zweijahresturnus untersuchen, wie viele junge Menschen die Hochschulen ohne Abschluss verlassen, warum sie das tun und wo sie danach abbleiben. Anfang Juni war es wieder soweit. Da stellte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) die Studie „Zwischen Studienerwartungen und Studienwirklichkeit“ vor Pressevertretern in Berlin vor. In deren Rahmen hatten Forscher des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) die Abbruchquote auf Grundlage des Absolventenjahrgangs 2014 errechnet und zusätzlich 6.000 Exmatrikulierte sowie Fakultätsleitungen und Vertreter von Beratungseinrichtungen zu den Beweggründen der Betroffenen befragt.
Das Wichtigste zum Schluss
Wer sich selbst mit dem Gedanken trägt, das aktuelle Studium abzubrechen, findet in unserer Artikelreihe Studienabbruch viele Tipps.
Oder noch ein Schritt zurück: Lasst Euch erst mal beraten!
Auffällig: Während die Vorläuferuntersuchungen gleich zu Beginn mit dem Stand der Entwicklung herausgerückt waren, muss man diesmal lange danach suchen. Erst unter dem letzten von zehn Punkten, auf Seite 261 von knapp 300, wird man fündig. Das Wichtigste diesmal also ganz zum Schluss: Mit 29 Prozent bei den Bachelor-Studierenden ist die Abbruchquote weiter gestiegen. Von den Studienneulingen 2010/11 ist demnach bis 2014 weit über ein Viertel ohne Abschluss ausgeschieden. Bezogen auf den Absolventenjahrgang 2012 waren es hochschulübergreifend noch 28 Prozent.
Das ist keine gute Nachricht. Und von der Ministerin war sie dann auch nicht zu hören, als sie an der Seite der Autoren über Sinn und Zweck der Erhebung plauderte. Auch in der begleitenden Medienmitteilung erfährt man nichts vom Negativtrend. Eingangs werden lediglich die Werte für die Universitäten (32 Prozent) und die Fachhochschulen (27 Prozent) aufgeführt, jedoch ohne zeitliche Einordnung. Dabei geht auch unter, dass das Problem vor allem an den FHs massiv um sich greift. Während von den Bachelor-Studienanfängern des Studienjahrs 2006/07 bloß 19 Prozent betroffen waren, hat die Quote auf zuletzt 27 Prozent zugelegt.
Absturz der Fachhochschulen
Die Tendenz zeigt sich bei sämtlichen Fächergruppen, am deutlichsten in Mathematik und Naturwissenschaften. Hier verschlechterten sich die Werte binnen vier Jahren von 30 auf 42 Prozent. In den Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften ging es von 18 Prozent bei den Studienneulingen von 2008/09 innerhalb von zwei Jahren hoch auf 31 Prozent. Noch dramatischer ist die Lage bei den Master-Studiengängen. Die 2010er-Studienanfäger an den FHs machten zu 93 Prozent ihren Abschluss, der Jahrgang 2012 nur noch zu 81 Prozent. In den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften schoss die Abbruchquote innerhalb von zwei Jahren von acht auf 24 Prozent in die Höhe, in Mathematik und Naturwissenschaften von drei auf 19 Prozent.
Noch einmal: Über diese katastrophale Entwicklung ging die Ministerin einfach hinweg. Es gab schließlich wichtigeres zu erzählen, zum Beispiel das hier: „Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass ein Studienabbruch kein Scheitern der beruflichen Karriere bedeutet. Wichtig ist, dass alle jungen Menschen ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechend einen qualifizierten Berufsabschluss machen – Studium und Berufsausbildung sind dafür gleichwertige Wege.“ Oder dies: „Der frühe Zeitpunkt eines Studienabbruchs und der schnelle Wechsel in eine Ausbildung weisen darauf hin, dass viele junge Menschen noch nicht genau wissen, welchen Berufsweg sie einschlagen möchten.“
Tabelle: Studienabbruchquoten deutscher Studierender
Hochschulart / Fachgruppen | 2006/07 | 2008/09 | 2010/11 |
---|---|---|---|
Bachelor Uni+FH insgesamt | 28 | 28 | 29 |
Bachelor Uni insgesamt | 35 | 33 | 32 |
Sprach-, Kulturwissenschaften, Sport | 32 | 30 | 30 |
Rechts-/ Wirtschafts-/ Sozialwissenschaften | 24 | 27 | 30 |
Mathematik/ Naturwissenschaften | 39 | 39 | 39 |
Ingenieurwissenschaften | 48 | 36 | 32 |
Kunst/Kunstwissenschaften | - | - | 23 |
Bachelor FH insgesamt | 19 | 23 | 27 |
Rechts-/ Wirtschafts-/ Sozialwissenschaften | 6 | 15 | 19 |
Mathematik/ Naturwissenschaften | 30 | 34 | 42 |
Agrar-/ Forst-/ Ernährungswissenschaften | 21 | 18 | 31 |
Gesundheitswissenschaften | 20 | 28 | 31 |
Ingenieurwissenschaften | 30 | 31 | 33 |
Kunst/Kunstwissenschaften | - | - | 22 |
Die Jahreszahlen beziehen sich auf die betrachteten Studienanfänger-Jahrgänge. Definition: „Unter Studienabbrechern sind dabei ehemalige Studierende zu verstehen, die zwar durch Immatrikulation ein Erststudium an einer deutschen Hochschule aufgenommen haben, dann aber das Hochschulsystem ohne (erstes) Abschlussexamen verlassen. Fachwechsler, Hochschulwechsler wie auch erfolglose Studierende in einem Zweitstudium gehen nicht in die Berechnung der Abbruchquote ein.“
Quelle: DZHW-Studienabbruchstudie 2016, Tabelle aus den Abb. 10.3 und Abb. 10.4, Definition S. 261.
Wanka kümmert sich … vermeintlich
Die Intention ist augenfällig. Wanka mimt die sorgsame Mutti, die die Nöte der jungen Leute ernst nimmt und hilft, dass sie auch anders ihr persönliches und berufliches Glück finden. Ihre Mitteilung führt so gleich eine ganze Reihe an Maßnahmen und Programmen auf, „um einerseits das Berufsorientierungsprogramm in der Schule auszubauen und andererseits die Rahmenbedingungen sowohl für ein erfolgreiches Studium als auch für den Übergang in eine duale Berufsausbildung im Falle eines Studienabbruchs zu verbessern“. So würden etwa seit 2016 zehn Prozent der Mittel aus dem Hochschulpakt 2020 an den Hochschulen für Maßnahmen gegen Studienabbruch eingesetzt und das Bund-Länder-Programm „Qualitätspakt Lehre“ verbessere „zudem Studienbedingungen und Qualität der Lehre“.
Dafür, dass das Geld bestens angelegt ist, liefert die Studie dann auch prompt die passenden Daten. Danach haben schon ein halbes Jahr nach Abschied von der Uni 43 Prozent eine schulische oder betriebliche Berufsausbildung aufgenommen (2008: 22 Prozent) und 31 Prozent wären bereits erwerbstätig (2008: 42 Prozent). Es kommt noch besser. Nur elf Prozent sind arbeitslos (2008: 15 Prozent). Also: Keine Angst vorm Studienabbruch, alles ist gut und alles wird gut.
Ablenkungsmanöver
Mitnichten! Die Art, wie die Regierung mit dem Thema umgeht, zielt darauf ab, das Massenphänomen Studienabbruch zu einem individuellen Manko zu verniedlichen. Die Erzählung geht so: Die Betroffenen sind zwar irgendwie selbst schuld, aber mit ein bisschen Unterstützung kriegen sie die Sache schon gemeistert. Wird dann auch noch die Studien- und Berufsberatung an Schulen und Hochschulen ausgebaut, wofür sich Wanka ja demonstrativ ins Zeug legt, erledigt sich das Ärgernis bald von selbst. Dann kommen nur noch die an die Unis, die wirklich dazu befähigt sind, hochengagiert zu Werke gehen und ganz genau wissen, wohin sie ihr Weg führt.
Natürlich gibt es „vermeidbare“ Gründe für einen Studienabbruch. Vielleicht hat man sich nicht ausreichend kundig gemacht, welche Anforderungen einen erwarten. Oder einer erkennt seine Berufung zum Tierarzt erst Jahre nach Aufnahme des Architekturstudiums. Womöglich ist man dem Druck und Stress nicht gewachsen oder unterschätzt seine finanziellen Möglichkeiten. Die Studienautoren haben insgesamt neun „ausschlaggebende“ Gründe zum Studienabbruch abgefragt, wovon „Leistungsprobleme“ (30 Prozent), „mangelnde Studienmotivation“ (17 Prozent) und „Wunsch nach praktischer Tätigkeit“ (15 Prozent) ganz oben rangieren.
Strukturelle Probleme
Allerdings wird dabei so getan, als ließen sich diese individuellen Problemlagen losgelöst von den insgesamt ungünstigen Bedingungen, unter denen heutzutage studiert wird, betrachten. Andreas Keller, Vizevorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), nennt das dann auch „Augenwischerei“. Zu der Studie merkte er gegenüber Studis Online an: „Ein Drittel der Studierenden bricht das Bachelor-Studium ab. Das ist ein Alarmsignal und ein Beleg für die strukturellen Probleme, die im deutschen Hochschulsystem bestehen.“ Vor allem beklagt er die „miserablen Betreuungsrelationen“. An den Unis kämen auf eine Professorin oder einen Professor 70 Studierende, während der Wissenschaftsrat vor Jahren ein Verhältnis von eins zu 40 empfohlen habe. „Das bedeutet nicht nur überfüllte Hörsäle, sondern auch, dass die individuelle Betreuung der Studierenden zu kurz kommt.“
Es ist nicht so, dass die DZHW-Forscher den Punkt „Studienbedingungen“ nicht abgeklopft hätten. Das taten sie, konkret fragten sie zum Beispiel nach „überfüllten Lehrveranstaltungen“, „mangelhafter Didaktik“, oder „ungenügender Betreuung“. Allerdings landete der Aspekt unter den Motiven zum Studienabbruch mit fünf Prozent nur an siebter Stelle. Wenn man wollte, könnte man daraus schließen, dass sich an den Hochschulen bestens studieren lässt.
Mieser Status quo
Aber: Wäre ein gut betreuter Student nicht gleich viel motivierter bei der Sache, könnte bessere Leistungen abliefern und müsste sich wegen seiner Erfolge keinen Kopf machen, ob er an der Uni fehl am Platz ist. Dazu kommt noch, dass Studienanfänger mit den schlechten Verhältnissen „großwerden“, für sie ist das Normalität, mit der sich vom ersten Tag an arrangieren. Würden sie einmal erleben, wie es ist, zu zehnt vor einem Dozenten zu sitzen, erschiene ihnen der Normalzustand wahrscheinlich deutlich misslicher. Das wirksamste Mittel gegen Studienabbruch wäre somit, die Hochschulen endlich so auszufinanzieren, dass es sich für alle besser und erfolgsversprechend r studieren, forschen und lehren lässt.
Der Absturz der Fachhochschulen bei der Abbrecherquote ist deshalb auch eine besondere Beachtung wert. Die Studie erklärt dies mit der Erhöhung des Anteils der Studienanfänger in den vergleichsweise „abbruchintensiven“ Ingenieurwissenschaften und einer Verringerung in den relativ „abbrucharmen“ Wirtschaftswissenschaften. Michael Hartmann, bis zu seinem Ruhestand Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Eliteforschung an der TU Darmstadt, vermutet dagegen im Wesentlichen zwei Faktoren hinter der Entwicklung: Die allmähliche Abkehr der FHs von ihrer traditionellen Praxisnähe hin zu einer stärkeren Forschungsorientierung, sowie das politische Bestreben, die Studierendenströme gleichmäßiger auf Unis und FHs zu verteilen.
FHs im Umbruch?
Weil die FHs auf Augenhöhe mit den Unis kommen wollen und dafür mehr Kraft in die Forschung stecken, schmeißen mehr Studierende ihr Studium, da zum Beispiel weniger Geld und Zeit für gute Lehre bleiben? Dazu passt: Auch an den Universitäten ist die gewachsene Drittmittelabhängigkeit mit einer grassiereden Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse im akademischen Mittelbau und einer immer schlechter werdenden Betreuungssituation einhergegangen. Wiederholt sich das jetzt an den FHs? „Es ist denkbar, dass der massive Ausbau auf Kosten der Qualität gegangen ist“, meinte Hartmann im Gespräch mit Studis Online. Zum Beispiel gebe es „seit Jahren erhebliche Schwierigkeiten“, Professuren zu besetzen. „Das führt dann zu irgendwelchen Notlösungen, und die Studierenden haben dann keine festen Ansprechpartner.“
Wie zum Beleg für seine These ist die Abbruchquote an den Unis beim Bachelor sogar leicht zurückgegangen, von 35 Prozent beim Absolventenjahrgang 2010 auf 32 bei dem von 2014. Hat also der verstärkte FH-Zulauf Druck von den Unis genommen? Darüber lässt sich nur spekulieren, zumal die Entwicklung beim Master in die entgegengesetzte Richtung geht. Beim 2012er Jahrgang gab es 15 Prozent Abbrecher an den Unis, nach elf Prozent beim Jahrgang 2010. Hochschulübergreifend schlecht stellt sich die Lage für Studenten mit Migrationshintergrund dar, die in Deutschland zur Schule gegangen sind. Sie brechen ihr Studium mit 43 Prozent überdurchschnittlich häufig ab. Auch hier ist die Tendenz negativ.
Schluss mit Hire and Fire!
Gefragt nach den Gegenmaßnahmen der Regierung äußerte sich Hartmann „ziemlich sicher, dass das überhaupt nichts bringt“. Er erinnerte an das Versprechen, mit der Einführung von Bachelor und Master würden die Abbruchquoten zurückgehen. „Letztlich hat sich die Lage tendenziell sogar verschlechtert.“ Auch GEW-Hochschulexperte Keller sieht die Initiativen skeptisch. „Wir brauchen statt immer neuen Pakten und Förderprogrammen eine Verbesserung der Grundfinanzierung der Hochschulen.“ Zudem müssten die Bachelor-Studiengänge entrümpelt werden, „es wird zu viel Stoff in sechs Semester gepresst, Modulprüfung folgt auf Modulprüfung.“ Der Workload für Studierende und Lehrende gehöre „spürbar reduziert“. Schließlich forderte Keller ein „Recht auf hochschuldidaktische Fort- und Weiterbildung“ und eine Entfristungsoffensive. Besserung gebe es nur, „wenn die Lehrenden nicht nach dem Hire-and-Fire-Prinzip semesterweise ausgewechselt werden“.
Die Mangelfinanzierung der Hochschulen ist auch für Kai Gehring von der Bundestagsfraktion der Grünen Hauptgrund der Misere. Der Hochschulpakt dürfe „nicht länger ein Instrument für Billigstudienplätze sein, sondern muss auf Dauer ausreichend Plätze und gute Studienbedingungen bieten“, verlangte er in der Stellungnahme. „Wenn über ein Viertel das Studium abbricht – das sind mehr als 70.000 Studierende Jahr für Jahr – sind die 2.600 Beratungen, die das Bildungsministerium im Rahmen des Jobstarter-Programms angeboten hat, nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.“ Und wenn schon – zur Ablenkung taugt das allemal. (rw)
Quelle