Geld oder LebenGlobal Health Hochschulranking
Wie sehr kümmern sich die medizinischen Fakultäten um globale Gesundheitsziele? Forschen sie in diesem Bereich? Was bietet die Lehre? Antworten will das Global Health Ranking geben.
Studis Online: Kaum zu glauben – Endlich mal ein Hochschulranking, bei dem die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen nicht vorne mit dabei ist. Beim „Global Health Ranking“, an dem Sie maßgeblich mitgearbeitet haben, landet die RWTH abgeschlagen auf Platz 14. Wobei Sie nicht die Gesamtperformance der Uni bewerten, sondern allein die medizinische Fakultät und deren Beitrag zur Umsetzung globaler Gesundheitsziele. Warum ist Deutschlands Vorzeigeuni in dieser Hinsicht nur Mittelmaß?
Nora Lennartz: Unsere Ergebnisse zeigen, dass die RWTH zwar um ein gutes Global-Health-Ausbildungsangebot bemüht ist, leider aber auf diesem Gebiet so gut wie gar nicht forscht. Es gibt keine Arbeitsgruppe, die sich verstärkt mit den globalen Zusammenhängen von Krankheit und Gesundheit beschäftigt. Und auch Krankheiten, die mit Armut assoziiert sind oder wegen fehlenden Profitaussichten vernachlässigt werden, werden von der Uni kaum beforscht. Außerdem gibt es keine Leitlinie, die sicherstellt, dass die Verwertung der universitären Patente nicht nur einzig profitorientiert geschieht. Universitäre Forschungsergebnisse sollten ja allen zu Gute kommen, nicht nur der Industrie.
Eigentlich hat die RWTH fast auf ganzer Linie dürftig abgeschnitten. Bei 14 von 23 Indikatoren setzte es null Punkte. Dafür erscheint Rang 14 schon fast wieder beachtlich …
Global Health Hochschulranking
Uni Heidelberg (Gesamtnote B)*
JMU Würzburg (B-)
Uni Tübingen (B-)
Uni Bonn (B-)
LMU München (C+)
WWU Münster (C+)
Uni Gießen (C+)
Uni Freiburg (C)
Uni Hamburg (C)
Uni Düsseldorf (C)
Alle weiteren Plätze und mehr Details direkt im Global Health Hochschulranking
* ohne Med. Fak. Mannheim, diese wurde extra bewertet.
Notenskala: A+,A,A-,…D,D-,F
Leider sieht es insgesamt auf dem Gebiet Global Health in Deutschland nicht sehr gut aus. Das Thema wird als Randgebiet behandelt, obwohl sich in Krisen wie im Zusammenhang mit dem Ebola- und Zika-Virus, aber auch Antibiotikaresistenzen immer wieder deutlich zeigt, wie wichtig es ist. Die beste Note ist ein „B“, also eine 2 im deutschen Notensystem. Diese hat die Uni Heidelberg bekommen. Aber auch in Heidelberg gibt es keine Leitlinie zum sozial gerechten Umgang mit Forschungsergebnissen. Außerdem wurde im Vergleich zu den vielen sonstigen Forschungsprojekten kein besonders großer Anteil dem Bereich Global Health gewidmet. Man muss allerdings sagen, dass Heidelberg hier gerade aufstockt. Das ist hoffentlich ein Zeichen dafür, dass sich die deutschen Unis endlich ein wenig bewusster über die Bedeutung dieses Themas werden.
Was müssten die deutschen Unis leisten, um Ihren Ansprüchen zu genügen?
Zum einen sollten sie das Forschungsspektrum weiten. Das heißt, sie sollten endlich mehr an Krankheiten forschen, die bis jetzt vernachlässigt wurden. Darunter fallen unter anderem Dengue Fieber, Leishmaniose, Chagas, aber eben auch Antibiotikaresistenzen. Außerdem bräuchte es dringend ein besseres Verständnis für die globalen Zusammenhänge von Krankheiten. Krankheiten kennen keine Ländergrenzen und durch unsere zunehmend vernetzte Welt ist die eigene Gesundheit schon längst nicht mehr nur von uns selbst abhängig. Gutes Beispiel hierfür ist die wachsende Bedrohung durch Epidemien oder auch Pandemien. Aber auch die Tatsache, dass viele Menschen keinen Zugang zu notwendigen Medikamenten haben, weil diese einfach schlichtweg zu teuer sind. Die Kosten des neuen Hepatitis-C-Medikaments werden auch in Deutschland nicht für alle Erkrankten übernommen. Angehende Ärztinnen und Ärzte sollten sich all dessen bewusst sein. Deshalb sollte diese Thematik auch Teil des regulären Lehrplans an den Unis sein.
Außerdem sollten die Forschungsergebnisse einer Universität allen frei zugänglich sein. Das heißt, alle Publikationen sollten auch als Open Access publiziert werden und die Verwertung der Ergebnisse sollte im Sinne des Gemeinwohles und nicht des Profitstrebens geschehen. Medizin ist ein Bereich, in dem Profit keine Rolle spielen darf.
Sie sagten, dass an Deutschlands Hochschulen bisher allenfalls in Einzelfällen ein Umdenken stattfindet. Für welche Bereiche gilt das und in welchen hapert es besonders stark?
Unsere Interviewpartnerin Nora Lennartz studiert im achten Semester Medizin an der Albrecht-Ludwigs Universität Freiburg und hat einen Bachelor in Politikwissenschaften. Sie engagiert sich bei der Universities Allied for Essential Medicines (UAEM), einer internationalen Studierendenorganisation, die sich für gerechten Zugang zu Medikamenten weltweit und für bedürfnisorientierte Forschung einsetzt. Lennartz war maßgeblich an der Erarbeitung des sogenannten „Global Health Hochschulrankings“ für Deutschland beteiligt, in dessen Rahmen die bundesweit 36 Medizinfakultäten auf Art und Umfang ihres Engagements bei der Umsetzung globaler und sozialer Gesundheitsziele abgeklopft wurden. Die Studie entstand in Kooperation der UAEM und der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd).
Im Ausbildungsbereich gibt es ein paar Vorreiter, wie Würzburg und Heidelberg, die entsprechende Wahlfächer, Vorlesungsreihen und Master-Programme anbieten. Allerdings gibt es nur eine Uni, interessanterweise die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, welche Global Health als Teil des Pflichtcurriculums führt. In der Forschung sieht es ganz schlecht aus. Nur 5 von 36 medizinischen Fakultäten führen wirklich voranbringende Forschung durch und investieren hier angemessen. Tübingen und Bonn schreiten hier mit tollem Beispiel voran. An nur vier Universitäten wird durch Leitlinien darauf Wert gelegt, dass Forschungsergebnisse auch Menschen in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen zugänglich gemacht werden. Wo allerdings großes Potential steckt, ist im Bereich Open Access. Es wird viel dafür gemacht, dass Publikationen von Forschenden für alle einsehbar sind, ohne dafür zahlen zu müssen.
Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da? Gibt es im Ausland Hochschulen, die in punkto Global Health mit gutem Beispiel vorangehen?
Ja, die gibt es. Die John-Hopkins University oder auch Harvard University in den USA. In England die University of Oxford oder auch das Imperial College of London. Wir von UAEM (Universities Allied for Essential Medicines) haben in beiden Ländern ähnliche Rankings erhoben, zwei davon in Nordamerika und eines in Großbritannien. Man kann die Befunde natürlich nicht eins zu eins vergleichen, aber insgesamt schneiden beide Staaten besser ab als Deutschland. Unser Ziel ist es übrigens, genau diese Vergleichbarkeit herzustellen, um auch hier länderübergreifend Verbesserungsvorschläge machen zu können.
Können Sie anhand von Beispielen aufzeigen, wie groß der Vorsprung der angelsächsischen Länder in punkto Global Health ist?
Die John-Hopkins Universität bietet ein breites Spektrum an Global- Health-Kursen an und ermöglicht Studierenden auch mit finanzieller Unterstützung, im Ausland an diesen Themen zu forschen oder Praktika zu machen. An der Oxford University wurden 2013/14 mehr als 70 Prozent der Forschungsergebnisse nicht exklusiv lizenziert. Das heißt, die Uni hat ihre Rechte behalten und sie nicht exklusiv an ein Unternehmen verkauft.
Welche Erklärungen haben Sie dafür, dass die deutschen Unis hier nicht mithalten können?
Das ist nicht leicht zu sagen. Wir haben das Gefühl, dass der Wille fehlt. Unser Eindruck ist, dass leider auch die Universitäten dem Profitzwang unterliegen und die Forschung somit sehr industrieorientiert erfolgt. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel Einfluss die Pharmaindustrie auf den Schwerpunkt der Forschung hat. Mit global verantwortlichem Handeln lässt sich leider halt einfach nichts kaufen. Außerdem wird auch kaum über dieses Thema berichtet. Die meisten Bürger sind sich über die Rolle der Unis in diesem Bereich gar nicht bewusst.
Aber auch die USA und Großbritannien verfügen doch über eine sehr mächtige Pharmaindustrie …
Einige amerikanische Unis sind sehr viel wohlhabender und damit auch sehr viel breiter aufgestellt. Außerdem spielen hier bestimmt auch die Auswirkungen des Kolonialismus mit rein. Damals bestand gerade im angloamerikanischen Raum ein großes Interesse, an Tropenkrankheiten zu forschen. Eigentlich haben deutsche Universitäten aber großes Potential, weil sie zu 40 Prozent öffentlich finanziert werden, also von uns Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern. Genau das gibt ihnen die Unabhängigkeit, Forschung für die Öffentlichkeit, für das Gemeinwohl und nicht die Industrie zu machen.
In einer begleitenden Pressemitteilung gibt Peter Tinnemann von der Berliner Charité-Klinik zu bedenken, dass auch die Universitäten für die hohen Medikamentenpreise mitverantwortlich seien. Warum ist das so?
Universitäten können mitbestimmen, wie ihre Forschungsergebnisse genutzt werden, wenn sie sich dieses Recht vorbehalten. Indem sie, wie schon erwähnt, ihre Ergebnisse nicht exklusiv an ein Unternehmen verkaufen, sondern mehreren die Möglichkeit geben, damit zu arbeiten, schaffen sie gesunden Wettbewerb. Somit wird eine Monopolstellung vermieden, durch die der Preis eines Medikamentes bestimmt wird.
Ist das, was Sie hier beschreiben, der Normalfall? Oder wie verfahren die Hochschulen noch mit Ihren Forschungsergebnissen?
In den allermeisten Fällen wird das Erforschte entweder direkt verkauft oder es wird ein spin-off Unternehmen gegründet. Das sind kleine eigene Forschungsgruppen, die zumeist aus Forschenden der Universität bestehen, aber privatwirtschaftlich unterstützt werden. Das soll dabei helfen, ein zukunftsversprechendes Forschungsergebnis als Produkt gewinnbringend zu vermarkten. Dieses System ist an sich ein sehr sinnvolles, weil privatwirtschaftlich natürlich mehr Geld zur Verfügung steht. Nicht sinnvoll und legitim ist dagegen, dass die Institution – sprich die Uni – die die ganze Grundlageforschung ermöglicht hat, keinerlei Mitspracherechte mehr an den Endergebnissen hat.
Können Sie konkrete Fälle dafür benennen, in denen man von einer „gekauften Medizinforschung“, ganz im Dienste der Industrie, sprechen kann?
Es gibt ein paar Fälle, in denen Pharmakonzerne große Summen an Geldern an Universitäten gegeben haben, ohne dass der damit verbundene Zweck öffentlich gemacht wurde. Die Uni Köln und ihre Förderung durch Bayer ist ein ganz aktuelles Beispiel. Aber auch die Uni Mainz hat ihre Verträge mit Boehringer Ingelheim geheim gehalten.
Die prominenteste Vorgang der Vergangenheit, war auch der Grund für die Gründung der UAEM: Die Yale University hatte die Grundlagenforschung für eines der ersten Aids-Medikamente geliefert, das dann 20 Jahre lang unter dem Patent des Pharmaunternehmens Bristol-Meyer-Squibbs lief. Das waren genau die 20 Jahre, in denen sich Aids in Afrika wie ein Lauffeuer verbreitet hat. Hätte die Uni von Anfang an darauf bestanden, dass das Medikament bezahlbar ist, wäre es vielleicht erst gar nicht zu einer so verheerenden Epidemie gekommen.
Besteht unter den Lernenden an den Hochschulen ein Bewusstsein für die mit der Studie aufgezeigte Problematik?
Leider nur in ganz geringem Maße. Wegen überladener Lehrpläne, sehr viel Stress und sehr wenig interdisziplinärer Veranstaltungen wird Medizinstudierenden der Blick über den Tellerrand sogar fast ganz verwehrt. Es wird uns nicht nahegebracht, kritisch zu denken. Dafür sind wir Weltmeister im Auswendiglernen, ohne Blick für gesellschaftliche Zusammenhänge.
Wie steht es um die Lehrenden?
Das ist unterschiedlich. Die Lehrenden im Global-Health-Bereich sind sich der Thematik natürlich bewusst. Aber auch hier unterliegen viele den ökonomischen und strukturellen Zwängen. Wenn keine Gelder und keine Unterrichtseinheiten für die Thematisierung der globalen Zusammenhänge von Gesundheit bereitgestellt werden, sind ihnen die Hände gebunden.
Noch einmal zurück zu den Rankings für die USA und das Vereinigte Königreich. Ist mit deren Veröffentlichung etwas in Bewegung geraten, nicht nur im Sinne einer womöglich breiteren Diskussion, sondern ganz konkret?
Ganz konkret haben in Amerika einige Unis ihre Patentverwertungsleitlinien geändert. Es sind aber auch viele Unis auf UAEM zugekommen, um sich zu erkundigen, wie sie sich denn verbessern können. Wir hoffen, dass die Vorschläge in den kommenden Jahren auch Früchte tragen werden.
Was wünschen Sie sich in dieser Hinsicht mit Blick auf Deutschland?
Unser großer Wunsch ist es, dass endlich eine breite Debatte über Global Health angestoßen wird und die Unis erkennen, für wie wichtig auch wir Studierenden dieses Thema erachten. Es wäre toll, wenn das Ranking die Motivation schafft, sich auf dem Gebiet von Global Health zu verbessern.
(rw)