Schampus und Cashflow für VermieterWohnungsnot verschärft sich weiter
Die Suche nach Studentenzimmer gestaltet sich schwierig – vor allem, wenn das Budget begrenzt ist
Nur einfach Wohnen ist öde. Heute macht Student auf „Living cum laude“. Das heiße so viel wie „Wohnen und noch viel mehr als das“, erfährt man auf der Webseite von THE FIZZ, einem der aufstrebenden Player auf dem Wachstumsmarkt „Studentisches Wohnen“. Wer bloß in der Bude abhängen und büffeln will, ist hier fehl am Platz. Ihre Wohnheime seien „pulsierende und kreative Begegnungsstätten, die einen einzigartigen Zugang zu einer smarten, internationalen Studentengemeinschaft verschaffen und Raum für neues Denken eröffnen“, werben die Macher und weiter: FIZZ stehe für „Weltoffenheit, Toleranz und Integration“ sowie eine „offene, kosmopolitische und inspirierende Atmosphäre“. FIZZ kann im Englischen auch „Schampus“ bedeuten und der steigt bekanntlich zu Kopf.
Weltoffen und videoüberwacht
Und wenn schon. Umgeben von Luxus lebt es sich halt wie beschwipst. Auf je nach Standort 18 bis 24 Quadratmetern bieten die FIZZ-Apartments so ziemlich alles an Komfort, was geht: Eine „zeitlose state-of-the-art Inneneinrichtung“ mit „hochwertiger Systemmöblierung“, ein „modernes Duschbad mit WC mit gehobenem Designanspruch“, eine „Pantryküche mit zwei Ceran-Kochfeldern, Mikrowelle, Kühlschrank, Spüle, Beleuchtung und Stauflächen“, dazu „High-speed Internet-Zugang und TV-Anschluss“. Außerdem locken eine zentrale Lage in Uninähe, Loungebereiche, Waschräume, Gemeinschaftsküchen, Lern- und Seminarräume – und Videoüberwachung. Zuviel „Weltoffenheit“ geht dann doch nicht.
Karlsruhe vor drei Wochen: Weil zahllose Studienanfänger noch keine bezahlbare Bude gefunden haben, campieren sie aus Protest auf der Wiese vor dem städtischen Schloss. Die Nächte hausen sie in Zelten, tagsüber weisen sie mit Aktionen und Workshops auf ihre missliche Lage hin. Hinter der Kampagne „TALENTE-CAMP“ stehen die Stadtmarketing GmbH und das örtliche Studentenwerk und ihr Ziel ist es, privaten Wohnraum für Studierende und Azubis zu vermitteln. In Karlsruhe stehen für über 40.000 Hochschüler 4.400 Zimmer in 43 staatlichen geförderten Wohnheimen zu Verfügung. Nach einer aktuellen Aufstellung des Deutschen Studentenwerks (DSW) entspricht das einer Versorgungsquote von knapp über zehn Prozent.
Noch mehr „Anspannung“
Was kann tun, wer noch sucht?
Wer selbst noch in einer der besonders begehrten Städte nach einem Zimmer sucht – der oder dem kann man (leider) nur raten, die eigenen Maßstäbe so niedrig wie möglich anzusetzen und auch in Kauf zu nehmen, zunächst etwas weiter außerhalb ein Zimmer anzunehmen. Dabei sollte man sich natürlich dennoch nicht über den Tisch ziehen lassen oder auf langfristige Mietverträge einlassen (vgl. auch unsere 11 Tipps zum Mietrecht!).
Ist man dann vor Ort, findet sich für das nächste Semester in der Regel leichter etwas, auch weil man eher etwas von Mitstudis mitbekommt und regelmäßig an der Hochschule nach Aushängen schauen kann. Wer durchhält, „profitiert“ auch von all denen, die ihr Studium schneller als gedacht aufgeben – und damit in der Regel auch wieder Platz in WGs und Wohnungen freigeben.
Nach einer aktuellen Erhebung des Moses Mendelssohn Instituts (MMI) im Auftrag der Berliner Immobiliengesellschaft GBI hat sich die Situation auf dem studentischen Wohnungsmarkt weiter verschärft. Die Forscher nehmen alljährlich sämtliche Hochschulstädte mit über 5.000 Studierenden unter die Lupe und listen diese in einem „Ranking“ nach dem sogenannten Anspannungsfaktor. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich dieser in 52 von 91 untersuchten Fällen erhöht. Nach Rang 17 im Vorjahr rangiert Karlsruhe jetzt auf dem 16. Platz und legte in punkto „Anspannung“ um satte vier Punkte zu. Soll heißen: Noch einmal mehr Interessenten rangeln sich um reichlich zu wenig vorhandenen Wohnraum.
Aber auch in der Baden-Metropole gibt es Alternativen – sofern man sich die leisten kann. Unweit der Universität betreibt die Youniq AG eines ihrer bundesweit 13 Wohnheime mit „All-In-Konzeption“. Auch hier lebt Student mit allem Drum und Dran: mit „stylischem“ Bad, „hochwertiger Einbauküche“, „Learning-Lounge“, „Washing Lounge“ und „Fitness-Lounge“. Zu den standardmäßigen Extras in den Youniq-Häusern gehört überdies ein „Scout-Vor-Ort-Service“, so etwas wie „Deine gute Fee“, die „immer ein offenes Ohr bei Fragen und Problemen“ hat. Märchenhaft ist auch der Preis für all das bzw. für den, der daran verdient. Los geht es mit 19 Quadratmetern für 469 Euro und endet bei 739 Euro für 32 Quadratmeter.
DSW schlägt Alarm
Das DSW als Dachverband der 58 Studentenwerke in Deutschland schlägt seit etlichen Jahren und stets in den Wochen vor Semesterauftakt Alarm. So auch vor zehn Tagen: „Die Studierenden brauchen preisgünstigen, bezahlbaren Wohnraum, keine Luxus-Apartments oder Edelresidenzen“, beklagte Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. Die Wohnungsmärkte wären „überhitzt, darauf zu hoffen, dass der Markt es allein wird richten, wird nicht reichen. Die Studentenwerke brauchen staatliche Unterstützung.“
Zwar lobte der Funktionär ausdrücklich die Anstrengungen in manchen Ländern, etwa Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Thüringen oder Nordrhein-Westfalen. Das reißt es aber nicht raus, wenn der Rest nicht mitzieht. Nach DSW-Daten gab es 1995 noch für 13 Prozent aller Hochschüler einen öffentlich geförderten Wohnheimplatz, in diesem Jahr beträgt die Quote 9,69 Prozent – ein historischer Tiefstand. Bei gleichbleibender Baufaulheit der Länder, anhaltend hohen Studierendenzahlen und fortdauerndem Ausverkauf öffentlicher Wohnungsbestände wird die Situation mit jedem Jahr dramatischer.
Notunterkünfte in Münster
Beispiel Münster: Dort existieren mit einer Unterbringungsquote von 15 Prozent vergleichsweise viele Heimplätze in staatlicher Regie. Allerdings haben sich noch einmal 600 mehr Studieneinsteiger an den städtischen Hochschulen eingeschrieben als im Vorjahr. Um den Andrang zu bewältigen, will das lokale Studentenwerk laut Presseberichten bei Bedarf „20 Notunterkünfte“ einrichten. Vielerorts, vor allem in den Groß- und traditionellen Unistädten, sind die Bedingungen noch viel schlechter. Die Wohnheimkapazitäten in Frankfurt (Main) oder Köln erreichen kaum mehr als sieben Prozent der Studierenden, Bremen liegt unter sechs und Berlin sogar nur knapp über fünf Prozent.
In der Hauptstadt sind die Mieten für Studierende in den vergangenen fünf Jahren um 30 Prozent hochgeschnellt. Ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft kostet laut GBI-Erhebung im Schnitt 420 Euro. In den zehn begehrtesten Unistädten liegt das Mittel bei 436 Euro, während es im Bundesdurchschnitt 349 Euro sind. Der Betrag übersteigt die BAföG-Wohnpauschale mal eben um 100 Euro. Der Satz wurde gerade um 26 Euro auf 250 Euro „angepasst“. Wer jedoch in Köln, Stuttgart oder München unterkommen will, für den taugt das Geld bloß zum „Wohnzuschuss“. In der bayerischen Landeshauptstadt werden für ein WG-Zimmer im Schnitt 560 Euro fällig, nach 521 Euro 2015. Wen das nicht überfordert, der kann auch gleich im Münchner Youniq-Heim in der Schleissheimer Straße einchecken. Dort reicht die Preisspanne für ein Apartment von 570 Euro (16 qm) bis 890 Euro (26 qm).
Rendite durch Mangel
Der Markt für „Studentisches Wohnen“ ist hierzulande noch jung und im Wachsen begriffen. Nach DSW-Schätzungen bestehen derzeit 10.000 bis 15.000 dieser Edelunterkünfte. Mit einem Geschäftsvolumen von 520 Millionen Euro im Jahr 2015 liegt Deutschland noch weit hinter den Vorreitern Großbritannien (6,3 Milliarden Euro) und Nordamerika (4,7 Milliarden Euro). Allerdings sehen Analysten für die BRD viel Luft nach oben. Gründe dafür seien der Mangel an geeigneten Unterkünften, deren mittelmäßige Qualität und die steigende Zahl ausländischer Studierender.
Das Beratungsunternehmen bulwiengesa benennt weitere Vorzüge: „Die bestimmenden Faktoren sind die allgemeine Wohnungsknappheit in vielen Hochschulstädten, der Mietanstieg, das historisch niedrige Zinsniveau, das Anlageinteresse von institutionellen und privaten Investoren, aber auch die niedrigen Renditen klassischer Assetklassen (z. B. Lebensversicherungen).“ Insofern etabliere sich das Studentenwohnen „zunehmend als rentables Investmentprodukt mit sicheren Cashflows und einem attraktiven Risiko-Rendite-Verhältnis“. Allein die Youniq-Group, die sich selbst als „deutsche Nummer 1“ und „mit großem Vorsprung“ vor der Konkurrenz sieht, will pro Jahr 1.500 bis 2.500 neue Wohneinheiten entwickeln und vermarkten.
Wat mutt, dat mutt
Bei aktuell knapp 2,8 Millionen Studierenden in Deutschland gibt es gewiss genügende, die mit der nötigen Unterstützung ihrer Eltern eine der Nobelherbergen bezahlen wollen und können. Und die allgemeine „Bereitschaft“ steigt noch in dem Maße, wie es an günstigem Wohnraum fehlt und die Masse der Mitbewerber immer größer wird. In Berlin erhöht sich gemäß einer MMI-Studie die Zahl der Erwachsenen unter 30 Jahren aktuell um mehr als 30.000 jährlich. In München, Hamburg oder Köln liegt der Zuzug dieser Altersgruppe bei mindestens 10.000 pro Jahr. Die bulwiengesa hat ermittelt, dass in Konstanz 87 Prozent der Studierenden es auf sich nehmen, über 300 Euro für die Miete auszugeben. „Wat mutt, dat mutt“, würde der Norddeutsche sagen.
Das schmeckt dem Immobilienhai. Bei so viel Goldgräberstimmung bündelt die Branche ihre Kräfte. Im März haben diverse Marktakteure, „Bauträger, Projektentwickler, Asset- und Property-Manager“, den gemeinsamen Bundesverband für Studentisches Wohnen (BfSW) gegründet. Der Verein will der Politik Beine machen und dahin kommen, dass „Studentisches Wohnen“ als eigenständiges Immobiliensegment anerkannt wird. Derzeit stellten die variierenden Bauordnungen in den 16 Bundesländern die Mitglieder vor bürokratische und baupolitische Hürden und bremsten „dringend benötigte Neubauten mit bezahlbarem studentischen Wohnraum“ aus.
Geld oder Brücke
Von wegen „bezahlbar“. BfSW-Schatzmeister und -Vorstand Lutz Dammaschk, schwärmt in einem Interview auf der Verbandswebseite von „Anfangsrenditen“ von circa fünf Prozent und der Möglichkeit, „unter Ausnutzung der wiederum vergleichsweisen hohen Fluktuation von bis zu 25 Prozent pro Semester weitere Anpassungen der Miethöhen vorzunehmen“. Sein Credo: „Man wächst also quasi in die ansteigende Rendite hinein“ und „Mietausfall findet selten statt, da durch ausreichende Kautionen und Bürgschaften der Eltern eine hohe Absicherung besteht.“
Und dann plaudert Dammaschk, Geschäftsführer von VEGIS-Immobilien, noch ein bisschen aus dem Nähkästchen: So habe er als Student in Frankfurt (Main) ein Apartment mit 13,5 Quadratmetern bewohnt, eine „Wohnküche mit Klo“, wie alle gesagt hätten. Na immerhin. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) schilderte unlängst Eric Erdmann vom Studentenwerk auf dem Riedberg-Campus der Goethe-Uni den Fall eines Studenten aus Indien, der für ein „halbes Zimmer, das nur mit einem Vorhang vom Rest des Raumes abgetrennt war, 700 oder 800 Euro gezahlt“ habe. „Wenn die Alternative ist, unter der Brücke zu schlafen, lassen sich die Leute selbst auf so etwas ein.“
(rw)
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