Bewerbungschaos nimmt leicht abEtwas mehr zulassungsfreie Studiengänge
Manchmal muss man auf dem Weg zu einem Studienplatz verschlungenen Pfaden folgen …
Einen Studienplatz zu ergattern, ist und bleibt ein schwieriges Unterfangen. Der Anteil zulassungsfreier Plätze am Gesamtangebot hat in jüngeren Jahren zwar zugelegt, aber eben ziemlich schwach. Im kommenden Wintersemester offerieren die Hochschulen im Bundesmittel knapp 60 Prozent ihrer Kapazitäten ohne Numerus Clausus (NC). 41,5 Prozent der Plätze sind dagegen nur durch Überwinden der NC-Hürde zu haben. Der Trend ist zwar stabil positiv, große Sprünge macht er aber nicht: Verglichen mit dem Vorjahr sank die Quote um 0,5 Prozent, in den zurückliegenden vier Jahren um insgesamt vier Prozent.
Die Zahlen lieferte am Dienstag das von der Bertelsmann-Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gesponserte Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) mit seinem „Numerus Clausus-Check 2016/17“. Die Auswertung zeige, „dass die Hochschulen sich insgesamt auf das Studierendenhoch besser eingestellt haben“, äußerte sich Geschäftsführer Frank Ziegele. Das gilt jedoch längst nicht überall. So zeichneten die zum Teil „sehr deutlichen Unterschiede auf Länder- und Fächerebene“ in Bezug auf Angebot und Nachfrage ein „sehr heterogenes Bild“, so Ziegele.
Hamburg traurige Spitze
Trauriger Spitzenreiter ist demnach Hamburg, das 72,3 Prozent seiner Plätze mit einem lokalen Numerus Clausus bzw. einem bundesweiten NC für Medizin, Tier- und Zahnmedizin und Pharmazie belegt. Danach folgen Bremen (60,8 Prozent), das Saarland (60,2 Prozent), Baden-Württemberg (59,7 Prozent), Niedersachsen (58 Prozent) sowie Berlin mit 55,7 Prozent. Dann klafft eine mächtige Lücke bis Nordrhein-Westfalen mit einer Quote von 37,9 Prozent, gefolgt von Hessen (36,3 Prozent) und Brandenburg (35,9 Prozent).
Anschließend kommen vier Länder mit Werten um den Dreh von 30 Prozent: Das sind Schleswig-Holstein (31,7 Prozent), Sachsen (31 Prozent), Sachsen-Anhalt (30,6 Prozent) und Bayern mit 29,1 Prozent. Anführer in Sachen Zulassungsfreiheit sind Thüringen als Dritter mit einer NC-Quote von 26,4 Prozent, Mecklenburg-Vorpommern (23,6 Prozent) sowie Rheinland-Pfalz mit dem niedrigsten Wert von 23 Prozent.
Würzburg fast zulassungsfrei
Aber auch innerhalb eines Landes gehen die Zahlen mitunter weit auseinander. Das CHE hat erstmals die NC-Quoten für Hochschulstädte mit mehr als 30.000 Studierenden gesondert untersucht. Dabei ergab sich etwa für Hannover eine Quote von über 72 Prozent, während das niedersächsische Landesmittel bei unter 60 Prozent liegt. Hohe Quoten weisen neben den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin auch Köln mit 66,3 Prozent, Bochum (59,5 Prozent) und Karlsruhe (59,7 Prozent) auf. Nahezu NC-frei studiert es sich dagegen in Würzburg mit einem Anteil von 17,4 Prozent bei knapp 30 Prozent in ganz Bayern.
Gewaltige Diskrepanzen ergeben sich ebenso bei der Betrachtung der Fächergruppen: So ist bundesweit in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mehr als jeder zweite Studiengang mit einem NC belegt. In der Fächergruppe der Sprach- und Kulturwissenschaften stehen dagegen knapp 70 Prozent der Studiengänge ohne Beschränkungen offen. Aber auch hier gibt es Ausreißer nach unten und oben: In Mecklenburg-Vorpommern liegt die NC-Quote in den Sprach- und Kulturfächern bei nicht einmal sieben, in Hamburg hingegen bei über 94 Prozent.
Auch bei zulassungsbeschränkten Studiengängen können alle Bewerber zum Zug kommen!
Eine Tatsache hat das CHE in seinem NC-Check nicht weiter beachtet. Dass ein Studiengang mit einer Zulassungsbeschränkung belegt wurde, bedeutet nicht, dass wirklich Bewerber abgewiesen werden. Gerade bei einigen großen Unis scheint es so zu sein, dass diese „zur Sicherheit“ so gut wie alle Studiengänge mit Zulassungsbeschränkung belegen. So gehen sie sicher, dass auch in der Vergangenheit nie überlaufene Studiengänge nicht plötzlich doch von Bewerbern überrannt werden. Und es gibt auch noch andere Motive, einen Studiengang mit Zulassungsbeschränkung zu belegen, obwohl das nicht wirklich notwendig ist. Insofern sollten sich Studieninteressierte nicht durch hohe Quoten von zulassungsbeschränkten Studiengängen abschrecken lassen, sondern genauer hinschauen.
In unser NC-Datenbank sind Studiengänge, die eine Zulassungsbeschränkung hatten, bei denen dann aber doch alle (sofern sie im Verfahren blieben) zum Zuge kamen, mit „Alle!“ gekennzeichnet. Siehe bspw. die Tabelle mit NC-Werten für Biologie im WiSe 2015/2016, in der über zehnmal „Alle!“ auftaucht. (Die Tabelle an sich führt nur die Hochschulen auf, zu denen uns Grenznoten und/oder Wartesemester bekannt wurden; Zulassungsbeschränkungen an sich gab es noch an mehr Hochschulen.)
Umgekehrt heißt zulassungsfrei auch nicht, dass man garantiert einen Platz bekommt. Bei manchen Studiengängen werden bspw. Eignungstests durchgeführt. So hängt es zwar nicht an der Abinote, aber am Bestehen eines Tests. Unsere Datenbank zulassungsfreier Studiengänge versucht, die verschiedenen Formen genauer aufzudröseln und auch – wo uns bekannt – Fristen, an die man sich halten muss, wenn der Platz sicher sein soll. Was es genau mit Zulassungsbeschränkungen, NC und Wartesemestern auf sich hat, erklärt der Artikel: Wie der NC zustande kommt.
FHs strenger als Unis
Zurück zur CHE-Auswertung: Insgesamt gibt es an Universitäten einen geringeren Anteil an zulassungsbeschränkten Studiengängen (40,1 Prozent) als an Fachhochschulen (45,8 Prozent). Für Bachelor-Studiengänge liegt die Quote im nächsten Wintersemester bundesweit bei 47,6 Prozent, beim Master ist lediglich rund jeder dritte Studiengang (35,5 Prozent) NC-begrenzt.
Um den „großen Unsicherheiten“ zu begegnen, die das Thema Numerus Clausus bei Studieninteressierten erzeuge, sprach sich CHE-Mann Ziegele für „rechtzeitige und umfassende Beratungsangebote an den Schulen“ aus. Das könnte die Situation für viele „entspannen, denn zwischen Abiturausgabe und Einschreibefrist für zulassungsbeschränkte Studienangebote am 15. Juli liegen je nach Bundesland oftmals nur wenige Wochen“.
Vorteile durch Zentralvergabe
Abhilfe bei der Bewerbung auf Studienplätze mit örtlichem NC verspricht auch das sogenannte Dialogorientierte Serviceverfahren (DoSV). Das hatten Bund und Länder schon vor fünf Jahren mit dem Ziel an den Start gebracht, endlich mit dem leidigen Einschreibewirrwarr vor Semesterbeginn Schluss zu machen. Das Hauptproblem: Viele Interessenten fragen gleich mehrere Angebote an verschiedenen Standorten nach. Erhält ein Bewerber einen Zuschlag und meldet sich andernorts nicht ab, bleibt er dort als Karteileiche gelistet. Das führt regelmäßig dazu, dass Studienplätze noch zum Semesterauftakt verwaist sind und erst nach langwierigen und aufwendigen Nachrückverfahren besetzt werden können.
Das DoSV wurde ersonnen, dieses Chaos aufzulösen, indem es idealerweise bundesweit sämtliche NC-Studiengänge über das Onlineportal Hochschulstart.de zuteilt. Das Ganze soll so laufen: Studienanwärter geben über die Zentralsoftware ihre Vorlieben in Sachen Studienfach- und Studienort ein, laden die erforderlichen Bewerbungsunterlagen hoch und warten ab, bis sie einen Zuschlag erhalten. Sobald es soweit ist, verfallen sämtliche Bewerbungen auf einen alternativen Studienplatz automatisch. Eine Abmeldung bei den unberücksichtigten Hochschulen ist nicht mehr nötig. Planungssicherheit verschafft die Automatisierung auch den Hochschulen. Sie wissen rechtzeitig, wie viele „echte“ Interessenten es gibt und halten keine Studienplätze mehr auf Verdacht blockiert.
Zaudernde Hochschulen
Allerdings bleibt die Wirklichkeit bis dato weit hinter den Ansprüchen zurück. Das System kommt seit Jahren nicht in die Gänge, anfangs wegen technischer Mängel beim Anschluss an die lokalen EDV-Anlagen, die inzwischen behoben sind, vor allem aber deshalb, weil die Hochschulen nicht richtig mitziehen. Am Pilotbetrieb 2012 beteiligten sich kaum mehr als ein Dutzend, aber auch in der Folgezeit ging nur es nur sehr beschwerlich vorwärts – bis zum heutigen Tag. Wie Studis Online bei der zuständigen Stiftung für Hochschulzulassung (SfH) in Erfahrung brachte, gehen zum Wintersemester 2016/16 insgesamt 102 Hochschulen bei Hochschulstart.de auf Sendung. Das sind 13 mehr (15 Prozent) als im Vorjahr, was bei 183 Unis und Fachhochschulen, die Studiengänge mit lokalem NC anbieten, einer Reichweite von knapp 56 Prozent entspricht.
Die Lücke von 81 Unis, die noch offline sind, spiegelt dabei längst nicht das ganze Ausmaß der Unzulänglichkeiten wider. Die meisten Teilnehmer sind bisher nur mit einem Bruchteil ihrer Möglichkeiten vertreten. Laut SfH haben besagte 102 Hochschulen insgesamt 748 Studienangebote in die bundesweite Datenbank eingespeist (plus 60 Prozent). Bei aktuell über 18.000 Studienangeboten und vor dem Hintergrund, dass über 40 Prozent aller Studiengänge mit einem NC belegt sind, erscheint die Bilanz immer noch kümmerlich.
Lage „nicht zufriedenstellend“
Immerhin benennt die Politik endlich die Ursachen der Misere. Die deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtete am Mittwoch über ein Schreiben der Kultusministerkonferenz (KMK) ans Bundesbildungsministerium (BMBF), im dem es heiße, die Lage sei „nicht zufriedenstellend“. Die derzeitigen Möglichkeiten des Zulassungsmanagements seien „ausgereizt“, nötig wäre deshalb eine flächendeckende Einführung des DoSV. Genau hier liegt der Hund begraben: Solange die Hochschulen die große Mehrzahl ihrer Studienplätze weiterhin auf eigene Faust verteilen und das DoSV nur im Schmalspurbetrieb läuft, ist das ganze schöne System nur von sehr begrenztem Nutzen.
Das wissen alle Beteiligten, auch die Bundesregierung. So hatte sie in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Bundestagfraktion Die Linke Ende April konstatiert, dass sich die „volle Wirksamkeit“ nur entfalten könne, sobald „möglichst alle“ mitmachten. Allerdings ließ es die Politik bisher vermissen, die Hochschulen mit dem nötigen Nachdruck zum Mitmachen zu bewegen. Die in der dpa-Meldung zitierte Ansage der KMK lässt indes durchblicken, dass die Länder die Hinhaltetaktik der Hochschulen mittlerweile satt haben.
Dämpfer für Rektoren
Dafür spricht allein der Vorgang an sich. Wie Studis Online von der KMK erfuhr, wird der fragliche KMK-Bericht in regelmäßigen Abständen erstellt und dem BMBF zugeleitet, ist jedoch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Dass er diesmal bei der Presse landete und Inhalte daraus durch die Medien geistern, dürfte im speziellen der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) missfallen. Die hat das Gelingen des DoSV in der Vergangenheit eher behindert denn mit Feuereifer befördert. Vor allem passt den Hochschulen die per Staatsvertrag fixierte Regelung nicht, dass sie – zunächst schrittweise, ab 2018 vollständig – die Kosten des Verfahrens übernehmen sollen. Auch in besagtem dpa-Bericht heißt es, die HRK warne vor einer finanziellen Überforderung und sehe die Länder in der Verantwortung.
Aber auch auf Seiten der Politik fehlte lange Zeit ein klares Bekenntnis, das System zum Erfolg zu führen. Vielmehr schauten die Verantwortlichen den wiederholten Versuchen interessierter Kreise teilnahmslos zu, das Projekt in Misskredit zu bringen und die SfH zum Sündenbock zu stempeln. In den Medien wurde mehrmals der falsche Eindruck erweckt, die Quelle des Übels läge im System selbst und der mögliche Ausweg in dessen Abwicklung. Verzerrend war und ist insbesondere die Darstellung, das DoSV habe Schuld daran, dass Jahr für Jahr Tausende Bachelor-Studienplätze gar keinen Abnehmer gefunden hätten. Im Wintersemester 2015/16 sollen dies 11.500, im Jahr davor 14.500 gewesen sein.
Kein Systemfehler
Wie die Zahlen zustande kommen, weiß man nicht einmal bei der SfH, obwohl die das Projekt leitet. Stattdessen stellt Pressesprecher Patrick Holtermann Fragen: „Welche der sich in dieser Zahl widerspiegelnden Studiengänge waren etwa Bestandteil des DoSV? War eventuell die tatsächliche Nachfrage für einzelne Studiengänge überraschenderweise doch wesentlich geringer als ursprünglich angenommen?“ Weiter erklärte er gegenüber Studis Online: „Sie merken: Hier kommen schnell einige Faktoren zusammen – und die meisten können allein bei den betroffenen Hochschulen ergründet werden.“
Auch für den Hochschulexperten Kurt Bunke geht der Leerstand zum großen Teil auf das Konto der Hochschulen selbst. „Diese setzten zu scharfe NCs an, um damit ihre vom Land finanzierten Ausbildungskapazitäten künstlich aufzublasen“, monierte er am Freitag im Gespräch mit Studis Online. „Studienplätze bleiben ungenutzt, wenn keiner sie haben will oder der Zugang versperrt wird“, so Bunke, der sich früher in verschiedenen Gremien der Stiftung SfH betätigt hatte. Indirekt bestätigt dies auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage der Linkspartei. Aus der Zahl unbesetzt gebliebener Studienplätze könne „kein Rückschluss auf die Zahl möglicherweise unversorgt gebliebener Bewerber gezogen werden“. (Vgl. auch den Abschnitt Auch bei zulassungsbeschränkten Studiengängen können alle Bewerber zum Zug kommen!)
Hoffen aufs Jahr 2018
SfH-Sprecher Holtermann sieht die neue Entwicklung jedenfalls mit Wohlwollen. Wenn eine Instanz wie die KMK äußere, die Nutzung des Systems gehe nicht schnell genug in die Breite, dann werde so vor allem ein Dialog zwischen der Hochschullandschaft und den entsprechenden Ministerien der Länder forciert. „Und das kann doch nur gut sein – denn nur wenn man miteinander redet, können Dinge konstruktiv voranschreiten und gegebenenfalls auch beschleunigt werden.“ Unabhängig davon gehe die Stiftung aber nach wie vor davon aus, „dass wir zum Wintersemester 2018/19 eine flächendeckende Teilnahme verzeichnen werden“. Zeit wird's.
(rw)