Wer wirklich schuld istUnbesetzte Studienplätze trotz Studienplatzvergabe
Ein paar freie Plätze bleiben immer übrig – die Frage ist nur wo und in welchen Studiengängen …
Wie sich die Schlagzeilen gleichen: „Studienplatz-Vergabe stürzt ins Chaos“ (Saarbrücker Zeitung), „Studienplatz-Vergabe driftet ins Chaos“ (Hamburger Abendblatt) oder „Vergabe der Studienplätze gerät erneut zum Chaos“ (Berliner Morgenpost). Hat da einer vom anderen abgeschrieben? Nicht ganz, aber „Chaos“ musste halt schon sein. Tatsächlich stammen die zugehörigen Artikel alle aus einer Feder, der eines dpa-Journalisten, dessen Beitrag als Agenturstangenware seit Tagen durch den deutschen Blätterwald fegt.
Zwar ist nicht alles falsch an dem Text, aber zu umfassender Aufklärung trägt er auch nicht bei. Am Ende bleibt der Eindruck haften, der Fehler liegt im System, sprich dem Dialogorientierten Serviceverfahren (DoSV) der Stiftung für Hochschulzulassung (SfH), das einfach nicht in die Gänge kommt. Vor allem legt das dieser Satz gleich zu Anfang nahe: „Doch in Tausenden Fällen knirscht es auch jetzt wieder bei der Vergabe über das Bewerbungsportal hochschulstart.de.“ Dabei wird umgekehrt ein Schuh draus: Es knirscht deshalb, weil die inzwischen (fast) ausgereifte Technik nur unzureichend genutzt wird.
Fast die Hälfte macht mit
Laut SfH-Mitteilung von vor einem Monat hatten im Vorfeld des Wintersemesters 89 Hochschulen Studienangebote in die staatliche Onlinedatenbank eingespeist. Das waren immerhin 36 mehr als vor einem Jahr, aber immer noch weniger als die Hälfte der rund 180 Hochschulen mit örtlich zulassungsbeschränkten grundständigen Studiengängen. Die allerwenigsten sind mit ihrem Gesamtangebot angeschlossen, oft beschränkt sich die Teilnahme auf einige wenige Studiengänge. Insgesamt waren es lediglich 465 der rund 4.500 grundständigen Studienangebote mit lokalem Numerus clausus (NC).
Bei der Stiftung ist man trotzdem guter Dinge. Alles in allem seien 50.000 Studienplätze koordiniert worden, für die 556.000 Bewerbungen von 183.000 Bewerbern eingegangen wären. Angesicht der Zahlen ist von einer „deutlichen“ Steigerung die Rede und „höchst zufrieden“ äußerte Geschäftsführer Ulf Bade: „Das aktuelle Koordinierungsverfahren hat wieder gezeigt, dass mit Hilfe des DoSV Studienplätze schnell und effizient besetzt werden können. Da hierbei von den Hochschulen zahlreiche unterschiedliche technische Lösungen für die Anbindung an das Verfahren genutzt wurden, sehe ich keine Gründe mehr, warum Hochschulen die Vorteile des Verfahrens nicht nutzen sollten.“
Alle müssen ins Boot
Hier liegt der Hase im Pfeffer. Trotz der unbestreitbaren Fortschritte zieren sich immer noch viele Rektoren, auf den Zug aufzuspringen, um so das System zu etablieren. Seit Jahren liegt die Zahl der Studienanfänger bei über einer halben Million. Bei zuletzt 50.000 via DoSV vergebenen Studienplätzen beträgt die Vermittlungsquote damit unter zehn Prozent. Seine Stärken kann das System aber nur dann ausspielen, wenn möglichst alle mit im Boot sitzen. So steht es auch in der Antwort der Bundesregierung auf eine jüngere Anfrage der Bundestagsfraktion der Linkspartei: „Um volle Wirksamkeit entfalten zu können, müssen möglichst alle der rund 180 Hochschulen mit örtlich zulassungsbeschränkten grundständigen Studiengängen an das DoSV angebunden sein.“
Nach den ursprünglichen Plänen hätte das bereits vor Jahren erledigt sein sollen. Die Verzögerungen waren lange Zeit vor allem den technischen Unzulänglichkeiten bei der Anbindung der Zentralsoftware an die vielerorts veraltete Hochschul-EDV geschuldet. Diese Probleme gelten mittlerweile als behoben, zu allen gängigen IT-Systemen soll es funktionstüchtige DoSV-Schnittstellen geben. Viele Hochschulen waren in der Vergangenheit deshalb vor einer Teilnahme zurückgeschreckt, weil sie eine Umstellung auf eine womöglich zum Scheitern verurteilte Technik nicht riskieren wollten. Dieses Argument zieht nach Lage der Dinge nicht mehr.
Vollbetrieb im Jahr 2018?
Die anfangs fast flächendeckende Verweigerung wirkte natürlich wenig vertrauensbildend, was den Prozess nachhaltig in Verruf und ins Stocken gebracht hat. Davon erholt sich die SfH als Durchführungsinstanz nur allmählich. Nachdem man 2012 mit kümmerlichen 19 Studienangeboten gestartet war, soll es mit dem im Vollbetrieb – unter Beteiligung aller relevanten Hochschulen und Studiengänge – nun endlich im Jahr 2018 soweit sein. Mal sehen …
Bis dahin vergehen mindestens noch zwei Jahre, in denen es absehbar nicht rund laufen wird. Die größte Baustelle bleiben dabei die vielen Mehrfachbewerbungen. Solange sich das Gros der Studienanwärter weiterhin direkt bei denjenigen Hochschulen bewerben muss, die nicht oder nur in Teilen ans DoSV angedockt sind, werden fast zwangsläufig Studienplätze gar nicht, nicht pünktlich und erst in langwierigen Nachrückverfahren besetzt werden. Jüngst hat das ZDF-Magazin Frontal 21 von gut 21.000 Bachelor- und Master-Plätzen berichtet, die im Wintersemester 2014/15 nicht an den Mann bzw. die Frau gebracht wurden.
Besserung durch Zentralvergabe
Die Größenordnung mag stimmen, das Problem dahinter ist aber eben nicht – wie auch dieser Beitrag suggeriert – auf den Mist von Hochschulstart.de gewachsen. Die Bundesregierung betätigt das. „Von der Zahl der in den traditionellen Zulassungsverfahren unbesetzt gebliebenen Studienplätzen werden sowohl solche Studienplätze erfasst, die mangels Nachfrage unbesetzt geblieben sind, als auch solche, die vergeben waren, aber wegen Nichtannahme dann doch wieder frei wurden, für die aber wegen des bereits fortgeschrittenen Semesters kein weiteres Nachrückverfahren mehr durchgeführt wurde.“
Der Satz offenbart zweierlei: Unbesetzte Studienplätze produziert nicht das DoSV, sondern sind nach Darstellung des Bildungsministeriums die Folge des Wildwuchses bei den „traditionellen Zulassungsverfahren“. Ursächlich sei, erfährt man dazu, „dass infolge unkoordinierter Mehrfachbewerbungen, die zu Mehrfachzulassungen führen, zu viele Studienplätze erst sehr spät besetzt werden und am Ende auch etliche Studienplätze unbesetzt bleiben.“ Jetzt kommt es: „Um dies abzustellen und die Auslastung der Studiengänge weiter zu verbessern, müssen die Bewerbungen koordiniert und die Zulassungen abgeglichen werden.“ Und weiter: „Dem dient das Dialogorientierte Serviceverfahren (…) .“
Leerstand durch Nachfragemangel
Ergo ist die Misere auf dessen bislang nur begrenzte Reichweite zurückzuführen und nicht etwa auf ein technisches oder administratives Versagen. Die Stiftung rühmt sich deshalb auch mit Recht, durch die Koordinierung „je zugelassenem Bewerber durchschnittlich mehr als drei Mehrfachzulassungen erfolgreich verhindert“ zu haben. Das heißt: Selbst ein DoSV in Schmalspurversion setzt dem Zulassungswirrwarr einiges an „Plan und Ordnung“ entgegen. Ohne das System wäre die Situation angesichts der seit Jahren gestiegenen Bewerberzahlen wohl noch viel stärker aus dem Ruder gelaufen.
Erhellend ist noch ein anderer Punkt. Es ist eine geläufige Verkürzung, den Leerstand mit abgewiesenen Bewerbern gleichzusetzen. Dabei schwingt stets mit: Da werden Menschen vom Studium abgehalten, während zugleich Kapazitäten unausgeschöpft bleiben – welch Verschwendung materieller und geistiger Ressourcen. Die Realität ist komplexer. Nach Auffassung der Regierung könne „aus der Zahl der unbesetzt gebliebenen Studienplätze kein Rückschluss auf die Zahl möglicherweise unversorgt gebliebener Bewerber gezogen werden.“ Das wird präzisiert mit dem Hinweis auf solche Plätze, die „mangels Nachfrage“ unbesetzt geblieben sind.
Aufgeblasenes Angebot
„Mangels Nachfrage“? Kurt Bunke hat über Jahre in verschiedenen SfH-Gremien gewirkt und ist ein Kenner der Materie. Er hatte in einem Interview mit Studis Online im Frühjahr als eine Ursache für den Leerstand ein seitens der Hochschulen künstlich aufgeblasenes Angebot benannt. Demnach blieben Plätze deshalb frei, weil zu hohe Zulassungshürden bestünden – etwa in Gestalt zu strenger NCs –, oder weil es einfach nicht genug Interessenten gebe, die zugreifen könnten. Hintergrund ist der, dass die Hochschulen ihre Zulassungszahlen selbst vorschlagen, und die Länder mitunter nicht genau genug kontrollieren, ob das der wahren Ausbildungskapazität entspricht. Mittels Verschleierung ließen sich so die staatlichen Geldzuweisungen nach oben treiben.
Auf Nachfrage bekräftigte Bunke am Donnerstag noch einmal seine Sicht der Dinge. „Die meisten nicht besetzten Studienplätze bleiben mangels Nachfrage leer. Ich bin froh, dass die Bundesregierung diesen Zusammenhang verstanden hat.“ Würde man die Hochschulen weiter öffnen, dann gebe es auch immer weniger „teure heißbegehrte unbesetzte Studienplätze“. Außerdem rät er dazu, zulassungsfreie Studiengänge in das DoSV einzubinden. „Dann sehen angehende Studierende nämlich ohne medialen Bruch, dass sie einen Studienplatz in einem freien Fach fest haben und verabschieden sich aus dem Besetzungsverfahren für zulassungsbeschränkte Studiengänge.“ Letztere könnten dann rechtzeitig mit anderen Bewerbern besetzt werden.
Hochschulen müssen zahlen
Das bleibt bis auf weiteres eine schöne Vision. Dabei stehen hinter dem anhaltenden Zaudern der Hochschulen auch finanzielle Motive. Laut einschlägigem Staatsvertrag müssen sie nämlich die Kosten des Verfahrens seit 2015 mittragen und die Belastungen ab 2018 vollständig alleine stemmen. Die Länder ziehen sich bis dahin schrittweise aus der Finanzierung zurück. Die Partei Die Linke fordert stattdessen eine gebührenfreie Teilnahme der Unis, weil die Zahlungspflicht die Bereitschaft zur Teilnahme bei hochschulstart.de gewiss nicht steigere.
Ferner fordert Die Linkspartei ein Bundeszulassungsgesetz, um die Vergabe der Plätze zu vereinfachen und die flächendeckende Teilnahme verbindlich zu machen. „Seit dem Jahr 2006 hat der Bund ausdrücklich die Kompetenz, die Hochschulzulassung bundeseinheitlich zu regeln“, meint Hochschulexpertin Nicole Gohlke. Dass die große Koalition davon keinen Gebrauch mache, spreche Bände. Die Regierung sieht dagegen „keinen Regulierungsbedarf“. Es gehe „nicht um eine Frage der rechtlichen Regelung von Zulassungsmodalitäten, sondern des praktischen Verfahrens, das allein in der Verantwortung der Länder und ihrer Hochschulen liegt“.
Verfassungsänderung?
Dem pflichtet auch Bunke bei. „Zur Etablierung einer Bundesverantwortung für die faktische Steuerung des Hochschulzugangs bräuchte es nach meinem Verständnis eine Verfassungsänderung. Man müsste Kompetenzen den Ländern entziehen und dem Bund übertragen“, erklärte er, ist aber wenig zuversichtlich. „Eine Verfassungsänderung sehe ich in noch weiterer Ferne als ein Bundeszulassungsgesetz.“ (rw)