Vom musikalischen Theologen zum ElektrotechnikerUmstieg mit berufsbegleitendem Studium
Vor ein paar Jahren stand für mich als Religionslehrer zum ersten Mal Kurzarbeit an. Immer mehr Schüler besuchen lieber den Ethik- als den Religionsunterricht; damit gehörte ich einer aussterbenden Gattung an. Da ist es gut, wenn man noch eine zweite Leidenschaft hat; in meinem Fall ist das die Musik. Weniger gut ist es, wenn man einen kaputten Finger hat, der einen davon abhält, ganz oben mitzuspielen.
Irgendwann stand jedenfalls fest, dass ich mich neu orientieren musste. Und wenn schon Neuanfang, dann richtig: Nach einer Umschulung arbeite ich heute in Weilheim als Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik; zusätzlich studiere ich seit September letzten Jahres an der FOM Hochschule in München berufsbegleitend Elektrotechnik.
Auf den ersten Blick ist der Schritt von der Theologie und der Musik zur Technik vielleicht nicht gerade naheliegend. Aber ich habe mich schon immer für das „Warum“ interessiert, egal ob bei Musikstücken oder bei der Überprüfung einer großen Anlage. Und dieses Fragen nach dem „Warum“ ist ja auch das, was das akademische Denken ausmacht. Genau deshalb habe ich auch beschlossen, noch einmal zu studieren – was nur abends und samstags geht, wenn ich in meinem neuen Job als Messtechniker weiter arbeiten möchte.
Wenn Theorie die Praxis untermauert
Seit der Erkenntnis, dass ich mich an den Arbeitsmarkt anpassen muss, sind gut drei Jahre vergangen – gefüllt mit öffentlichen Vorlesungen, vielen Stunden Mathe- und Physik-Nachhilfe, einem Praktikum und schließlich einer kompletten Berufsausbildung. Heute kann ich mit meinen Werkzeugen umgehen, Verteiler bauen und kleinere Defekte an Anlagen gleich selbst reparieren. Und wenn in der Vorlesung zum Beispiel ein elektrotechnisches Problem theoretisch erläutert wird, sehe ich vor meinem geistigen Auge oft schon ein praktisches Beispiel – da kommen einem manchmal erstaunliche Erkenntnisse. Die vergangenen drei Jahre waren also alles andere als verlorene Zeit.
An der Hochschule geht es natürlich darum, neben dem „Was“ auch das „Warum“ zu durchleuchten. Dafür ist nicht nur das Basteln wichtig, sondern auch Mathe und Physik. In diesem Semester stehen Dinge wie reelle und komplexe Zahlen oder auch Differential- und Integralrechnung auf dem Stundenplan. Mir persönlich fällt das nicht unbedingt leicht; trotzdem ist höhere Mathematik in der Praxis wichtig: In der Wechselstromtechnik kann man zum Beispiel mit imaginären Anteilen von komplexen Zahlen und der eulerschen Zahl „e“ tolle Dinge rechnen. Das braucht man, um Ergebnisse, die das Messgerät ausgibt, selbst nachzuvollziehen, wenn die Technik einmal versagt.
Dass das eine Herausforderung wird, hat sich spätestens im Mathe-Vorkurs gezeigt: Schon damals habe ich nicht alles verstanden, was der Professor vorne erzählt hat, und das Tempo ist seitdem eher schneller als langsamer geworden. Glücklicherweise sind meine Professoren selbst Techniker, die aus der Praxis kommen, und sehr hilfsbereit. Sie servieren uns nicht alle Lösungen auf dem Silbertablett, geben aber gerne Tipps und erklären komplizierte Zusammenhänge anhand von praktischen Beispielen, wenn wir wieder einmal nur Bahnhof verstehen. Mehr als mit Mathe und Physik kämpfe ich übrigens mit der Digitalisierung. Für die meisten (jüngeren) Kommilitonen ist es selbstverständlich, dass heute alles online funktioniert; für mich ist das im Moment noch eine echte Herausforderung.
Das Wichtigste ist, sich Zeit zu nehmen
Ansonsten heißt das Zauberwort des berufsbegleitenden Studiums sicherlich „Zeit“. Wer tagsüber arbeitet und abends lernt, hat ja meistens eher zu wenig davon; trotzdem braucht der Mensch nun mal eine gewisse Zeit, um zu üben und in den Stoff hineinzufinden. Dafür muss man sich Freiräume schaffen, notfalls auch einmal die eigenen Erwartungen herunterschrauben – und sich im Zweifelsfall lieber für eine spätere Prüfung anmelden, wenn man bemerkt, dass die Vorbereitungszeit nicht ausreicht.
Das mit dem Zeit-Nehmen ist überhaupt so eine Sache: Der Lernstoff ist anstrengend, ein berufsbegleitendes Studium kostet Energie. Umso wichtiger ist es, zwischendurch die Batterien aufzuladen; deshalb gehört der Sonntag nur mir, meiner Freundin, unseren Pferden und der Musik. Zumindest habe ich mir das vorgenommen. Erst im Verlauf des Studiums wird sich zeigen, ob sich mein Zeitmanagement in der Praxis bewährt.
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