Ministerin hat falsch zitiertUrsula von der Leyen als Guttenberg-Plagiat?
Studis Online: Ursula von der Leyen (CDU) soll bei ihrer Doktorarbeit, mit der sie 1990 an der Medizinischen Hochschule Hannover promoviert hat, geschummelt haben. Vor ihr mussten bereits politische Schwergewichte wie ihr Amtsvorvorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sowie Ex-Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) wegen vergleichbarer Vorwürfe ihren Hut nehmen. Das Plagiatsportal VroniPlag Wiki, bei dem Sie sich engagieren, hat die Dissertation der amtierenden Verteidigungsministerin untersucht. Wie groß sind nach Ihrem Urteil die Verfehlungen?
Gerhard Dannemann: Im VroniPlag Wiki sind 37 Passagen dokumentiert, in denen die Verfasserin klar gegen Zitiergebote verstoßen hat. Bei acht Seiten macht das mindestens die Hälfte der jeweiligen Seite aus, bei fünf Seiten sogar mindestens 75 Prozent. Darüber hinaus gibt es 20 Passagen, die sich im Graubereich befinden. Das Ganze bewegt sich im durchschnittlichen Bereich der im VroniPlag Wiki bisher öffentlich dokumentierten 152 Fälle, wiegt aber bedeutend schwerer als die gut 230 weiteren VroniPlag Wiki-Fälle, die bisher nicht veröffentlicht wurden.
Sie haben seinerzeit mit Studis Online auch über die Causa Schavan gesprochen. Nur zehn Tage später war sie als Bundesbildungsministerin zurückgetreten. Nimmt man ihre Dissertation zum Maßstab, in welcher Liga spielt verglichen damit Frau von der Leyen?
Frau von der Leyens Arbeit ist, wie bei medizinischen Dissertationen üblich, bedeutend kürzer als die von Frau Schavan. Relativ gesehen finden sich bei Frau von der Leyen aber bedeutend mehr problematische Stellen. Besorgniserregend sind dabei die zahlreichen Fehlzitate, also Hinweise auf Quellen, in denen der zitierte Inhalt gar nicht zu finden ist. Auf 62 Seiten konnten allein 23 davon als „Beifang“ beim Auffinden von Plagiaten ausfindig gemacht werden. Das ist bei so einer Fülle gefährlich für die Wissenschaft.
Also kein Kavaliersdelikt?
Nein, aus wissenschaftlicher Sicht liegt dieser Fall deutlich über der Bagatellgrenze.
Und wo steht von der Leyens Arbeit im Vergleich zu der von zu Guttenberg?
Das ist nicht vergleichbar. Herr zu Guttenberg hat in ungleich größerem Umfang und noch viel systematischer plagiiert. An Frau von der Leyens Arbeit ist nicht annähernd so viel zu beanstanden.
Das Urteil von VroniPlag-Mitbegründer Martin Heidingsfelder fällt trotzdem deutlich aus: Die Ministerin wäre „extrem faul“ gewesen und habe „gnadenlos kopiert“. Deshalb müsse ihr der Titel entzogen werden, selbst ein Rücktritt von ihrem Ministeramt wäre angebracht. Von ihnen sind moderatere Töne überliefert. Es handele sich eher um einen „mittelschweren“ Fall, werden Sie zitiert.
Unser Interviewpartner Gerhard Dannemann ist Professor für Recht, Wirtschaft und Politik Großbritanniens am Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität Berlin (HUB) und arbeitet beim Plagiatsportal VroniPlag Wiki mit.
VroniPlag Wiki dokumentiert Plagiate und schickt die Berichte an die jeweils betroffenen Hochschulen. Es liegt also jetzt an der Medizinischen Hochschule Hannover, Frau von der Leyen anzuhören, die weiteren Umstände aufzuklären und eventuelle weitere Untersuchungen zu veranlassen. Ich vertraue darauf, dass die Hochschule dieser Arbeit gewissenhaft nachkommt und möchte ihr dabei nicht hineinreden. Zu einem möglichen Rücktritt möchte ich mich erst recht nicht äußern.
In dieser Frage halten Sie es also nicht mit Herrn Heidingsfelder?
Herr Heidingsfelder ist schon seit langem kein Mitarbeiter des VroniPlag Wiki. Ihm steht seine persönliche Meinung zu. Ich würde mir wünschen, dass er dabei immer klarstellt, dass er nicht für das VroniPlag Wiki spricht.
Die Ministerin verwahrt sich gegen die Vorwürfe und ließ schon im August veranlassen, ihre Arbeit durch ihre frühere Uni prüfen zu lassen. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie?
Das Ergebnis will ich, wie gesagt, nicht vorwegnehmen. Es würde mich allerdings sehr wundern, wenn die Medizinische Hochschule Hannover zu dem Ergebnis kommen sollte, dass Frau von der Leyen alle Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis eingehalten hat.
VroniPlag Wiki gibt es nun schon seit bald fünf Jahren und zu Ihren „Opfern“ gehören politische Größen wie unter anderem Annette Schavan und die FDP-Politikern Silvana Koch-Mehrin. Bei Wikipedia liest man, dass in jüngerer Zeit die Zahl der von Ihnen untersuchten Arbeiten von Politikern geringer geworden sei. Ist dem wirklich so?
Ja, der Eindruck stimmt. Allerdings hat VroniPlag Wiki seine Untersuchung zur Dissertation von Frau Schavan nicht veröffentlicht, weil die damals bekannten problematischen Stellen dies nach mehrheitlicher Ansicht noch nicht rechtfertigten. In der Anfangszeit haben sich die damaligen Mitarbeiter besonders für Politikerinnen und Politiker interessiert. Die meisten davon arbeiten heute nicht mehr im Wiki mit. Inzwischen haben im VroniPlag Wiki die plagiierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die plagiierenden Politikerinnen und Politiker zahlenmäßig weit überholt.
Wie schätzen Sie das ein?
Eher positiv. Plagiierende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können ungemein größeren Schaden anrichten als plagiierende Politikerinnen und Politiker.
Über zu wenig Arbeit können Sie sich dennoch nicht beklagen, oder?
Nein, das wirklich nicht. Gerade über den Abgleich zwischen elektronisch veröffentlichten medizinischen Dissertationen hat die Arbeit sogar dramatisch zugenommen. Leider auch die alarmierenden Ergebnisse: systematisches, großflächiges Abschreiben zwischen Doktoranden desselben Betreuers, Mehrfachpublikationen derselben Arbeit unter unterschiedlichem Titel, und noch mehr. (rw)