Alles Super? Nix da!Regierung legt Bologna-Bericht vor
Das Ministerium freut sich – aber viele Studierende sind mit der Realität des Bologna-Prozesses weniger glücklich.
Bedauerlich ist dabei vor allem, dass die meisten Medien beim demonstrativen Abfeiern auch noch mitmachen. Ein paar Schlagzeilen zum Thema: „Studenten in Europa immer mobiler“, „Deutsche Studenten mobil“, „Deutsche Studenten sind mobil, Hochschulen attraktiv“. Mehr Einheitsbrei geht kaum. Immerhin hat keine Redaktion den Wortlaut der vom Bundesbildungsministerium (BMBF) verbreiteten Pressemitteilung übernommen. Die ist mit „Bologna-Prozess bringt Internationalisierung voran“ überschrieben und widmet sich mit großer Ausführlichkeit der Reiselustigkeit hiesiger Studierender und solcher, die es aus dem Ausland nach Deutschland verschlägt.
Mobilitätsweltmeister
Dabei können sich die nackten Zahlen durchaus sehen lassen. Nach dem „Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Bologna-Prozesses“ studieren gegenwärtig knapp 140.000 Inländer an einer Hochschule im Ausland und damit nahezu dreimal mehr als 1999, als die europäische Studienstrukturreform auf den Weg gebracht wurde. Laut Ministerium sind deutsche Studenten damit „im Vergleich zu Ländern mit ähnlichen Studierendenzahlen weltweit am mobilsten“. Fortschritte mache auch die Anerkennung der im Ausland erbrachten Studienleistungen. „Die Rate stieg von 41 Prozent im Jahr 2007 auf 69 Prozent im Jahr 2013.“
Stolz äußerte sich Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) auch angesichts der 300.000 ausländischen Studierenden im Land, 1996 waren es bloß halb so viele. Lediglich die USA und Großbritannien hätten laut Statistik mehr zugereiste Studierende. Die Ministerin bekräftigte zugleich das gemeinsame Ziel von Bund und Ländern, die Zahl bis 2020 auf 350.000 zu steigern. Außerdem kämen derzeit mehr als zehn Prozent der Hochschulmitarbeiter in Deutschland aus der Fremde. „Die Bologna-Reform hat die Mobilität deutscher Studierender ins Ausland und die Anziehungskraft Deutschlands für ausländische Studierende erhöht“, erklärte Wanka und betonte: „Deutschland ist in bestem Sinne weltoffen.“
Zwang zur Lücke
Beim „freien zusammenschluss von studentInnenschaften“ (fzs) tritt man dagegen auf die Euphoriebremse. Wenn ein Drittel der deutschen Studenten bis zum Master-Abschluss einen Auslandsaufenthalt vorweisen würde, dann liege das daran, dass viele „dafür die Zeit zwischen Bachelor- und Masterstudium nutzten“, sagte Vorstandsmitglied Isabella Albert gegenüber Spiegel Online. „Das müsste aber eigentlich während des regulären Studiums möglich sein.“
Der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), Achim Meyer auf der Heyde, gab in diesem Zusammenhang gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zu bedenken: „Wir sind in der Mobilität in Deutschland nicht schlecht, aber sie ist leider stark herkunftsabhängig.“ Daher bedürfe es zusätzlicher Anreize bei Stipendien oder BAföG." Jeder Auslandsaufenthalt führe möglicherweise zu einer Studienzeitverlängerung. Daher sollte „die Regelstudienzeit plus zwei Semester gefördert werden“, empfahl der Verbandsfunktionär.
Platzmangel?
Die Zahl derer, die die zeitliche Lücke zwischen dem Bachelor-Abschluss und der Aufnahme eines Master-Studiums für einen Auslandsaufenthalt nutzen (sog. Brückenmobilität), beziffert der Regierungsbericht mit fünf bis sieben Prozent. Für die Zukunft wird sogar eine Zunahme erwartet, „da beispielsweise das neue Erasmus+-Programm erstmals auch die Auslandsmobilität in dieser Brückenzeit zwischen den Studienphasen Bachelor/Master fördert“. Die vermeintlich frohe Kunde lenkt dabei von einem gewaltigen Missstand ab. Weil viel mehr Studierende einen Master-Abschluss anstreben, als dies ursprünglich von den Hochschulplanern angedacht war, ist das Gedränge um die knappen Plätze groß. Wie Nicole Gohlke von der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke am Mittwoch mitteilte, wären heute mehr als 25 Prozent der Master-Studiengänge zugangsbeschränkt. „Das heißt, der Bachelor reicht bei einem Viertel der Master-Studiengänge nicht als Zugang – das darf nicht sein.“
Umfragen zufolge wollen rund drei Viertel aller Bachelor-Absolventen einen Master draufsatteln. Wegen der Engpässe beim Zugang sind nicht wenige zum Warten und dazu genötigt, die Zeit irgendwie zu überbrücken. Ein Auslandssemester oder -praktikum ist da fraglos eine sinnvolle Lösung, aber eben eine, die mitunter aus der Not geboren ist. Denkbar ist auch, dass junge Leute aufgrund der mit 2,7 Millionen Studierenden ziemlich überlaufenen Hochschulen gleich ihr Glück anderswo versuchen. Vielleicht verdankt sich die „Rekordmobilität“ sogar zu einem stattlichen Teil der Tatsache, dass hierzulande für viele einfach kein Platz mehr ist.
33 Prozent Abbrecher – Na Und!
In Wankas Report kommen solche Zusammenhänge freilich nicht zur Sprache. Wie vieles andere auch. „Es wird mit keiner Silbe die Verschulung, der Leistungsdruck oder die Unterfinanzierung der Hochschulen erwähnt“, beklagte Gohlke. „Man lobt sich wieder selbst, wie toll die Bologna-Reform mittlerweile funktioniere. Und das, obwohl sich die Abbrecherquote an Universitäten beim Bachelor von 25 auf 33 Prozent erhöht hat.“ Diese Zahl wird in dem 45seitigen Papier zwar genannt, mehr aber auch nicht. Eine Bewertung oder ein Konzept, mit dem die Regierung der Misere beikommen will, sucht man vergebens. Stattdessen liefert sie ein paar unkommentierte Zahlen mehr. Elf Prozent der Studierenden an den Unis scheitern im Master-Studium vorzeitigt, sieben Prozent an den Fachhochschulen – Ende der Durchsage.
Eine weitere Auslassung: Im Vorgängerreport aus dem Jahr 2012 wurde noch auf die Gehaltsunterschiede zwischen Bachelor-Absolventen und den Abgängern der traditionellen Studiengänge eingegangen. Damals brachte es ein Diplom- oder Magister-Absolvent auf im Schnitt 20 Prozent mehr beim Verdienst. Für ihre Kritiker geht es bei der Bologna-Reform vor allem darum, die Wirtschaft mit billigen Akademikern in Gestalt „besserer Facharbeiter“ zu versorgen. Entsprechend spielte bei den Studentenprotesten in den Jahren 2009 und 2010 die Frage der schlechteren Bezahlung eine zentrale Rolle. Der neue Bericht geht mit keinem Wort auf das Problem ein. Gohlke von der Linkspartei hält zwei Erklärungen für denkbar. „Entweder haben sich diese Gehaltsunterschiede noch weiter auseinanderentwickelt und werden deshalb unter den Teppich gekehrt, oder die Bundesregierung scheint sich bei der Beurteilung der Bologna-Reform nicht mehr für das Einkommen der Bachelor-Absolventen zu interessieren.“ Beides sei „nicht hinnehmbar“.
Billiger Bachelor
Wenn die Bologna-Reform tatsächlich als „Sparprogramm“ für die Industrie konzipiert wurde – für den Staat gilt das ohnedies angesichts der verkürzten Studienzeiten –, dann macht sich die Sache immer besser bezahlt. Nach Regierungsangaben sind mittlerweile 87,4 Prozent aller Studiengänge auf Bachelor- und Master-Abschlüsse umgestellt. Geht es in diesem Tempo weiter, könnten in drei Jahren, bei Vorlage des nächsten Bologna-Reports, die „kostspieligen“ Abgänger (bzw. Studenten) von der Bildfläche verschwunden und praktisch nur noch Berufsanwärter mit Bachelor und Master auf dem Arbeitsmarkt zu haben sein. Es soll Unternehmer geben, die das bedauern, vor allem dem Aus für das Diplom sieht mancher einer mit Sorge entgegen. Es gibt sogar eine Reihe an Studien, nach denen es mit der „Arbeitsmarktfähigkeit“ insbesondere des Bachelor nicht sehr weit her ist.
Ob die dazu von der Regierung gelieferten Zahlen zur Entwarnung taugen, sei dahin gestellt. 2014 waren demnach „laut der Unternehmensbefragung des Instituts der deutschen Wirtschaft Bachelor-Absolventen in 23 Prozent und Master-Absolventen in 18 Prozent der befragten Unternehmen beschäftigt“. Dabei hätte der Beschäftigungsstand von Mitarbeitern mit Bachelor- und Master-Abschluss von 2010 bis 2014 insbesondere bei den kleineren und mittleren Unternehmen zugenommen. Ferner sei die Arbeitslosenquote von Bachelor-Absolventen ein Jahr nach Studienabschluss genauso niedrig (zwei Prozent von den Universitäten, drei Prozent von den Fachhochschulen) wie diejenige aller Akademiker im Durchschnitt (2,6 Prozent) gewesen. Gleichwohl bleibt es dabei, dass nur eine Minderheit der Bachelor-Absolventen glaubt, mit dem Abschluss ließe sich eine steile Karriere machen. Nach Regierungsangaben „entscheidet sich rund jeder zweite Bachelor-Absolvent einer FH und jeder Vierte einer Universität für einen direkten Berufseinstieg“.
Beschönigung statt Analyse
Der studentische Dachverband fzs lässt kein gutes Haar an dem Regierungsbericht. Die Intention sei eindeutig, „ein schönes Bild statt einer korrekten Analyse“. Darin würden „Forschungsergebnisse isoliert dargestellt und fragwürdige Zusammenhänge hergestellt“. So werde der Anstieg des Bedarfs an psycho-sozialer Beratung genauso klein gerechnet wie der Mangel an Master-Plätzen. Die Zahlen der BAföG-Empfänger würden zu hoch angegeben, ebenso die zur Entwicklung von Teilzeitstudiengängen.
Vorstandsmitglied Albert: „Der Bologna-Prozess könnte zu einer stärkeren Beteiligung der Studierenden an der Gestaltung ihres Studiums führen.“ Dafür dürften sich die Hochschulen nicht länger nur den repressiven Seiten von Bologna verpflichtet fühlen. Studierendenzentrierung sei eine wesentliche Forderung der europäischen Bologna-Akteure, die in der BRD zu kurz komme. „Das viel beklagte politische Desinteresse der Studierenden ist vom System gewollt und kann nur mit mehr Freiräumen für Studierende durchbrochen werden.“
(rw)