Bundesländervergleich beim HochschulzugangAbiturnoten machen den Unterschied
Mit ihrer Untersuchung Bundesländerunterschiede bei der Studienaufnahme wollten die Forscher vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) folgendes klären: Sind bei der Entscheidung, ein Studium aufzunehmen, lediglich individuelle Wünsche auschlaggebend, oder spielen dabei auch „institutionelle bzw. strukturelle Hürden“ eine Rolle? In letzterem Fall bekämen die regionalen Ungleichheiten eine „gesellschaftliche Bedeutung“, heißt es in der Einleitung. „Denn dann sind mit dem Wohnort – in diesem Fall dem Bundesland – auch ungleiche Bildungs- und damit Lebenschancen verbunden.“
Studienneigung gestiegen
Zunächst einmal die gute Nachricht: Die Studierneigung ist insgesamt, das heißt in der gesamten Republik, erheblich gestiegen. 1998 erlangten nur knapp 37 Prozent eines Altersjahrgangs eine Hochschulzugangsberechtigung, 2012 waren es laut Statistischem Bundesamt 53,5 Prozent. Im gleichen Zeitraum legte die Studienanfängerquote von 29,2 auf 53 Prozent zu. Im internationalen Vergleich hatte Deutschland auch einiges gutzumachen. Und trotzdem rangiert die BRD unter den in der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zusammengeschlossenen Industriestaaten nach wie vor deutlich unter dem Durchschnitt. In Australien oder Portugal zieht es über 90 Prozent eines Jahrgangs an die Hochschulen.
1, 2 oder 3? Zwischen den Ländern scheinen die individuellen Leistungsstärken mittels Noten unterschiedlich bewertet zu werden. Das wirkt sich auf die bundesweiten Studienchancen für begehrte Studienfächer aus.
Allerdings ist das ein Vergleich von Äpfel mit Birnen. Das hiesige duale Ausbildungssystem mit seiner schulischen und betrieblichen Komponente gilt als weltweit einzigartig und der nicht-tertiäre Sektor der Berufsbildung ist nirgendwo sonst so ausgeprägt wie hierzulande. Vor diesem Hintergrund konstatieren denn auch die Autoren, das Ziel einer Erhöhung der Studierquote könne „als weitgehend erfüllt angesehen werden“. Es sei sogar eine Diskussion darüber entbrannt, „ob es in Deutschland zu viele Studierende gibt und der dualen Ausbildung geeignete BewerberInnen entzogen werden“.
Investieren oder abschotten
Zu fragen ist zudem, wie bei aktuell 2,7 Millionen Studierenden in den reichlich überfüllten und zugleich chronisch unterfinanzierten Hochschulen überhaupt noch zielführend und mit hoher Qualität zu studieren ist. Der Trend geht dahin, dass in nicht allzu ferner Zukunft jeder dritte Bachelor-Studierende sein Studium vorzeitig abbrechen könnte. Dem kann man eigentlich bloß auf zwei Wegen begegnen: Man investiert massiv in die Verbesserung der Studienbedingungen – oder man setzt wieder auf stärkere Begrenzungen beim Hochschulzugang. Leider geht die Debatte auch dahin, sei es durch die wieder lauter werdende Forderung nach Studiengebühren oder die Praxis, nahezu jeden Studiengang mit einer örtlichen Zulassungsbeschränkung zu versehen.
Die Schotten-Dicht-Verfechter würden wohl auch gerne sehen, wie Nordrhein-Westfalen (NRW) dem „Problem“ Herr wird. Dort sagen immerhin knapp 40 Prozent: „Abitur ja, Studium nein danke.“ Im bevölkerungsreichsten Bundesland schlagen damit lediglich etwas mehr als 60 Prozent der Schulabsolventen mit Hochschulzugangszeugnis den Weg an die Hochschulen ein. Eine ähnlich geringe Übergangsquote von 63 Prozent weist nur noch Brandenburg auf, im Bundesmittel sind es 70 Prozent. Acht Bundesländer liegen zwischen 65 und 70 Prozent, darunter Hamburg, Niedersachsen und Thüringen. Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg kratzen an der 75-Prozent-Marke. Hessen, Berlin und Bremen erreichen Werte zwischen 75 und 80 Prozent. Und Bayern führt die Liste mit 81 Prozent an.
Elitäres Bayern
Ist der Gang zur Uni im Freistaat also eine Art Selbstläufer? Das nun auch nicht. Schaut man sich nämlich an, wie viele Schüler eines Jahrgangs die Hochschulreife erlangen, landet Bayern mit kümmerlichen 36 Prozent auf Platz 15 von 16 Bundesländern, unterboten nur von Mecklenburg-Vorpommern. Das heißt: Im bayerischen Schulsystem wird davor schon gewaltig „ausgemistet“. Nur die „Besten“ schaffen das Abitur und dies allerdings mit in der Regel guten Noten.
Und genau darin sehen die WZB-Forscher den entscheidenden Impuls, den Sprung an eine Hochschule zu wagen. „Eine gute Abiturnote erhöht die Wahrscheinlichkeit, ein Studium aufzunehmen“, heißt es einer Pressemitteilung anlässlich der Vorlage der Studie von Mitte Februar. So sei die Studierneigung eines Studienberechtigten mit einem Einserabitur rund 34 Prozent höher als die eines Studienberechtigten mit einer Abiturnote von 3,0. Und da sich die Verteilung der Abiturnoten regional stark unterscheidet, schätzten sich unterschiedlich viele Abiturienten als kompetent für ein Studium ein.
Schlechter Abschnitt in NRW
So erklären sich die Wissenschaftler dann auch die geringe Studierneigung in NRW. Dort hätten 28 Prozent aller Studienberechtigten einen Abischnitt von 3,0 oder schlechter. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg trifft dies auf 16 Prozent zu, in Thüringen sogar nur auf neun Prozent. Aber müssten sich bei insgesamt mäßigen Leistungen nicht die Ansprüche zur Studienaufnahme automatisch mitabsenken? Davon waren auch die WZB-Forscher ausgegangen, mussten sich durch die Ergebnisse einer Schülerbefragung aber eines Besseren belehren lassen. Danach orientieren sich Studienberechtigte bei der Einschätzung der eigenen Kompetenz nicht am Notendurchschnitt ihrer Mitschüler. „Vielmehr scheint es eine über alle Bundesländer hinweg geltende Vorstellung darüber zu geben, mit welcher Abiturnote man ein Studium erfolgreich absolvieren kann“, bemerkt Mitautor Marcel Helbig.
Eine gute Note verschafft also erst das nötige Selbstvertrauen, sich den Anforderungen eines Studiums gewachsen zu sehen. In Bayern liegt der Abischnitt bei 2,43. Aber sind Münchner Schulabgänger deshalb bessere Abiturienten als die von Köln, Bochum oder Münster? Die WZB-Forscher widersprechen dem: „Noten sagen wenig über erworbene Kompetenzen aus, die sich oft nicht mit den erzielten Abiturnoten im Bundesländervergleich decken.“ So hätten Berechnungen ergeben, dass die besten Noten nicht in den Bundesländern erzielt wurden, in denen die Neuntklässler bei den PISA-E-Studien die besten Lesekompetenzen hatten. Im Gegenteil: Laut Studie sind die „besten Abiturnoten tendenziell in den Ländern zu finden (…), in denen die GymnasiastInnen drei Jahre zuvor schlechtere Lesekompetenzen hatten.“
Bewertung nach Gusto
„Die unterschiedlichen Abiturdurchschnitte in den Bundesländern scheinen eher auf Unterschiede in der Benotungspraxis zurückzuführen zu sein“, führen die Forscher aus. Soll heißen: Noten spiegeln nicht unbedingt die individuelle Leistungsstärke wider. Gleichwohl hätten sie „weitereichende Folgen für die Studienfachwahl“. So hätten beispielsweise im Studienjahr 2006/07 von Berliner Bewerbern nur 16 Prozent über hochschulinterne Zulassungsverfahren einen Medizin-Platz erhalten, ihre Thüringer Mitstreiter dagegen rund 55 Prozent. Der Befund: „Die nicht leistungsbasierten Unterschiede der Abiturnoten zwischen den Bundesländern schränken somit die Studienchancen für begehrte Studienplätze ein.“ Die Geltung dieses Mechanismus sei „für alle begehrten Studiengänge an begehrten Hochschulstandorten“ zu erwarten.
Neben den Noten konnten die Wissenschaftler noch einen weiteren Effekt ermitteln, der bei der Entscheidung pro oder contra Studium Einfluss hat: Die Entfernung zur nächsten Hochschule. „Ist die Hochschule weiter vom Wohnort entfernt, lassen sich Studienberechtigte mit einem Abiturschnitt von 2,4 und schlechter eher von einem Studium abhalten.“ Unterschiede gibt es zwischen den neuen und alten Bundesländern: Während in Westdeutschland bereits bei einer Entfernung von zehn Kilometern eine deutlich niedrigere Studierneigung festzustellen sei, sinke sie in den neuen Bundesländern erst ab 40 Kilometern.
Soziale Herkunft mit wenig Einfluss
Weitere Befunde der Studie: Die soziale Herkunft hat auf die Studierneigung deutlich weniger Einfluss als im früheren Bildungsverlauf, wie zum Beispiel beim Übergang in die weiterführenden Schulen. Migranten wollen häufiger studieren als Studienberechtigte ohne Migrationshintergrund. Ihre Studierneigung ist im Bundesmittel neun Prozentpunkte höher. Frauen streben seltener ein Studium an als Männer. Besonders unter ungünstigen Umständen (zum Beispiel niedrige Bildung und berufliche Stellung der Eltern) verzichten sie auf ein Studium. In Stadt- und Landkreisen mit hoher Arbeitslosigkeit ist die Studierneigung besonders niedrig.
(rw)