Frisch gekürter „Hochschullehrer des Jahres“ in der KritikWas macht gute Lehre aus?
Von Ralf Hutter
Ist die Lehre von Rojas (inzwischen) so langweilig wie man das leider von zu vielen Profs kennt und eigentlich keine Ehrung wert?
Es scheint eine gute Wahl zu sein: Vergangene Woche wählte der Vorstand des Deutschen Hochschulverbands (DHV) zum diesjährigen „Hochschullehrer des Jahres“ Raúl Rojas, Informatik-Professor von der Freien Universität Berlin. Bei dieser Ehrung gehe es immer um herausragendes Engagement, sagt ein DHV-Sprecher auf Anfrage, aber in diesem Fall werde „ein Forscher mit besonders starker Lehrorientierung“ wegen seiner „innovativen Form der Lehre“ gewürdigt. Rojas führe seine Studierenden „vom ersten Semester an an die Forschung heran“.
Der Geehrte, Jahrgang 1955, hat seit 1997 eine Professur für Intelligente Systeme und Robotik an der FU inne. Positiv aufgefallen sind seitdem seine Projekte, „bei denen Studierenden die Fachgrundlagen in Vorlesungen und Seminaren vermittelt werden, ehe sie anschließend in Projektarbeit die Hard- und Software der Roboter selbst entwickeln“, wie DHV-Präsident Bernhard Kempen ausführte. Rojas' vielleicht bekanntestes Projekt ist das der Roboter-Fußballteams, die in Turnieren gegen andere Unis immer wieder gut abgeschnitten haben. In Zukunft könnte ein anderes Projekt noch berühmter werden: Gemeinsam mit Studierenden arbeitet Rojas an selbstständig fahrenden Autos, die sie schon auf Berlins Straßen testen.
Rojas ist dabei ein sehr politisch denkender Technikwissenschaftler, der sich auch hochschulpolitisch von der Masse der Profs abhebt (dazu später mehr) – alles in allem also eine interessante Figur. Doch der jährliche und mit 10 000 Euro dotierte Preis des Verbands des wissenschaftlichen Personals in Deutschland, um den es hier geht, wird normalerweise nicht wegen Lehrleistungen vergeben. Wenn dieses Jahr explizit darauf hingewiesen wird, muss es dafür einen ganz besonderen Grund geben. Und genau da erbringen Anfragen bei der Fachschaftsinitiative an Rojas' Institut eher Kritik.
Studentische Erfahrungen mit dem „Hochschullehrer des Jahres“
Ein Student namens Velten, der angibt, im vorletzten Semester zu sein, schreibt: „Rojas ist aus meiner Sicht kein Vorzeigelehrer, denn er kann zwar Leistung fordern, einen pushen noch mehr zu arbeiten, aber er besitzt wenig pädagogische Fähigkeiten.“ Nadja (Nachname der Redaktion bekannt), die angibt, im 11. Semester zu sein, schildert folgende Erfahrungen: „Ich habe bei Herrn Rojas ein Softwareprojekt gemacht und die Vorlesung Mustererkennung gehört. Die Aussage des DHV über Rojas' Vorlesungen und Projekte mag stimmen, allerdings hat er selber wenig damit zu tun. Im Softwareprojekt, das offiziell von ihm geleitet wird, war er nie anwesend, schneite höchstens einmal herein und sagte etwas wie: „Läuft der Roboter schon? Ich will den morgen vorführen.“ Die Vorlesung hält er zwar selbst, für den Übungsbetrieb (Tutorien) interessiert er sich dann aber nicht mehr. Mein Eindruck von Herrn Rojas ist, dass er sich mit Studenten eher ungern abgibt. Wer bei ihm eine Abschlussarbeit schreibt, sieht ihn frühestens zur Verteidigung.“
Ähnlich äußert sich Marcus Lindner, nach eigener Aussage bis 2011 an der FU: „Als ich frisch an die FU kam, besuchte ich eine meiner ersten Vorlesungen bei Herrn Rojas. Damals war ich von ihm und seiner Art zu lehren richtig begeistert. Er hat bei mir großes Interesse für das bei Studenten allgemein sehr unbeliebte Thema der funktionalen Programmierung geweckt. Allerdings hat er in den Jahren danach immer mehr nachgelassen. Am Ende war seine Lehre teilweise schlechter als die der meisten anderen Professoren. Er hat keine Begeisterung mehr vermitteln können, die meisten Aufgaben an Doktoranden abgegeben, die ihrerseits auch mehr durch Langeweile und Desinteresse auffielen.“ Lindner ist nun Doktorrand an der Universität im schwedischen Luleå, hat aber bei Rojas nicht nur Bachelor- und Masterarbeit geschrieben, sondern auch kurz in einem Forschungsprojekt gearbeitet. „Meine Arbeit mit ihm war hauptsächlich von der Frage gekennzeichnet, ob wir kontinuierlich arbeiten“, so seine Erfahrung. „Dabei waren spektakuläre und medienwirksame Demonstrationen viel wichtiger als Qualität und Sinn der Forschung, geschweige denn die Frage nach der Verankerung der gleichen in der Lehre.“ Lindner abschließend zur Preisverleihung: „Ich halte die Entscheidung für falsch. Es gibt ohne Zweifel bessere Hochschullehrer.“
Bei den FUmanoids, dem Entwicklungsteam für die humanoiden Fußballroboter an der FU, ist etwas über die positiven Seiten von Rojas' Lehrtätigkeit zu erfahren. Lutz Freitag ist Mitglied dieses „hauptsächlich studentischen Projekts unter der Schirmherrschaft von Raúl Rojas“, wie er selbst schreibt, und lobt Rojas' Verknüpfung von Praxis und Theorie. Der Prof mache den Einstieg in die Robotik vergleichsweise leicht: „Jeder ist in seinen Projekten willkommen, Algorithmen aus den Vorlesungen an echten Robotern auszuprobieren.“ Zwischen den verschiedenen Projekten gebe es Zusammenarbeit und freundschaftliche Beziehungen, erklärt Freitag. Auch „die Bereitstellung von Mitteln (Finanzen)“ seitens Rojas lobt der Student. So sei die Teilnahme nicht nur an Turnieren, sondern auch an Workshops und Konferenzen möglich.
Es ist sicherlich auch dieses Engagement, das der DHV würdigt. Zudem hat Rojas nicht nur in Deutschland und Mexiko hohe wissenschaftliche Ehrungen erhalten, sondern vor einigen Wochen erst eine hohe britische Auszeichnung für die Rekonstruktion von Konrad Zuses erster programmierbarer Rechenmaschine.
Ein Informatiker mit historischem Bewusstsein
Herausragend ist der Informatiker aus Mexiko aber auch in ganz anderer Hinsicht. Nachdem er in den 1970ern als studentischer Aktivist in seinem eher undemokratischen Geburtsland den FU-Politikwissenschaftler und Marxisten Elmar Altvater kennenlernte, kam er zum Wirtschafts- und und Sozialwissenschaftsstudium nach Berlin, wo er auch bei Altvater über Marx promovierte. Die Habilitation machte er dann aber wieder in Informatik. Auf seine Entwicklung zurückblickend sagte er 2012 in einem Interview: „Mathe war und ist meine Leidenschaft, aber ich wollte verstehen, wie die Gesellschaft funktioniert.“ Dabei kam der selbsternannte „Weltverbesserer“ auch zu der Einsicht: „Informatiker sind die einzigen Wissenschaftler, die ich kenne, die kaum historisches Bewusstsein haben.“ Rojas' Konsequenz: Er verweigere sich der Forschung fürs Militär und diskutiere das auch mit den Studis.
Seine Forschung an selbstständig fahrenden Autos soll der Vermeidung von Unfällen, Umweltverschmutzung und menschlichem Stress dienen. Rojas will die Mehrzahl der heute herumfahrenden Autos von der Straße holen, ihm schwebt „ein ständig fahrender Taxischwarm“ vor, eine neue Art öffentliches Verkehrsmittel.
Dieses politische Bewusstsein zeigte Rojas auch schon in der Hochschulpolitik. 2010 kandidierte er bei der Präsidentschaftswahl an der FU, ohne eine der etablierten politischen Vereinigungen im Rücken zu haben, und fiel dabei auch mit Kritik an der Hochschulleitung auf, der er nicht nur Intransparenz vorwarf. Die Kritik verschärfte sich in den folgenden Jahren, als Rojas nachträglich erfolgreich Stimmung gegen die Verleihung der FU-Ehrenmedaille an den Scheich von Dubai 2008 machte. Die Medaille wurde dann aberkannt.
In diesem Jahr klagte Rojas in einem Interview zur anstehenden Wahl des FU-Präsidiums, „dass die Organe der Universität, darunter der Akademische Senat, im Laufe der letzten 20 Jahre entmachtet worden sind“ und über das grundsätzlich sehr geringe Interesse an Uni-Wahlen in allen Statusgruppen.
Publizistisch aktiv, aber an der Uni vermisst
Die politische Herangehensweise an Technikthemen lebt Rojas auch in einer ungewöhnlich regen publizistischen Tätigkeit im Online-Magazin Telepolis aus. Er sei bemüht, „Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Hintergründe auch einem größeren Leserpublikum auf sachkundige, präzise und vergnügliche Weise nahezubringen“, schreibt ein Redakteur über seinen Gastautor.
(Ex-)Studierende wie Nadja als auch Marcus Lindner stoßen sich allerdings an Rojas' Medienpräsenz, und zwar nicht nur, wenn der dabei über Entwicklungen in einem seiner Robotik-Projekte spricht, sondern auch, wenn er selbst immer wieder in die Tastatur haut. Es scheint, dass hier ein Problem der Massenuniversität vorliegt: Rojas hatte zwar offensichtlich gute Ideen für die Gestaltung der Lehre zu künstlicher Intelligenz. Offensichtlich ist aber auch, dass zumindest ein Teil seiner Kurse und Projekte zu wenig vom multitalentierten Chef hat.