Neuer Rekord im WiSe 2014/20152,7 Millionen Studis und kein Ende in Sicht
Es bleibt sehr voll an den deutschen Hochschulen
Neuer Studierendenrekord – na und? Jedes Jahr Ende November verkündet das Statistische Bundesamt (Destatis) fast schon Selbstverständliches: Wieder mehr junge Leute bevölkern die Hochschulen. Allzeithochs gibt es längst im Abonnement, zum jetzt siebten Mal in Folge. Aktuell sind 2.698.000 Studentinnen und Studenten immatrikuliert, wie die Wiesbadener Statistiker am Mittwoch mitteilten. Die präsentierten Daten sind zwar vorläufiger Natur und berücksichtigen nicht die Nebenhörer. In der Regel kommen sie der Realität aber sehr nahe. Gegenüber dem Vorjahr hat die Gesamtzahl demnach um 81.500 oder 3,1 Prozent zugelegt, 2012 waren es rund 2,5 Millionen, wieder zwölf Monate davor 2,4 Millionen. Damit bewegt sich die jährliche Zunahme seit geraumer Zeit in der Größenordnung von 100.000.
Weniger Erstsemester
Die neueste historische Bestmarke hatte sich schon in den Vorwochen angekündigt. Sowohl über Nordrhein-Westfalen (NRW) als auch Niedersachsen war zuletzt zu lesen, dass ihre Universitäten und Fachhochschulen so überlaufen sind wie nie. An Rhein und Ruhr legte die Zahl um 3,6 Prozent auf über 720.000 zu. 6000 mehr Studenten als im Wintersemester 2013/14 zählen die Landesunis, die FHs sogar 19.000 mehr. Mit 105.767 gibt es allerdings circa 5000 oder 3,8 Prozent weniger Neuimmatrikulierte als im Jahr zuvor, als im Frühjahr ein doppelter Abiturjahrgang die Schulen verließ.
Anders ist die Lage in Niedersachsen: Dort verzeichnen die Landesstatistiker mit 32.200 Studienneulingen vier Prozent mehr als im vorangegangen Jahr, womit sich die Gesamtzahl auf über 192.000 erhöht hat (plus 8,5 %). Die Entwicklung wird den Gegnern von Studiengebühren gefallen. In Niedersachsen wurde das allgemeine Bezahlstudium zum laufenden Wintersemester abgeschafft. Bundesweit geht der Trend dagegen zu leicht rückläufigen Studienanfängerzahlen. Mit absolut 498.900 Neueinsteigern im Studienjahr 2014 waren es 1,9 Prozent weniger als im Vorjahr.
Rekordjagd geht weiter
Gleichwohl soll der Zulauf nach der vor zwei Jahren deutlich nach oben korrigierten Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) noch ziemlich lange auf hohem Niveau verharren. Bis einschließlich 2019 wird mit jährlich deutlich über 450.000 Ersteinschreibungen gerechnet, ein Absinken auf das Level von 2010 sei frühestens für 2021 absehbar. Das verheißt bis auf weiteres allerhand Gedränge. Solange weiterhin weniger Absolventen die Hochschulen verlassen wie Neulinge hinzukommen dürfte der Gesamtbestand an Studierenden noch jahrelang von Rekord zu Rekord jagen. 2,7 Millionen wären damit noch längst nicht das Ende der Fahnenstange.
So etwas wie „Entspannung“ lässt sich bisher nur für den Osten der Republik erkennen. Tatsächlich befinden sich gleich in allen fünf neuen Bundesländern die Studierendenzahlen auf dem absteigenden Ast. Für Sachsen-Anhalt beläuft sich der Rückgang auf 2,5, für Thüringen auf 2,1 Prozent. In Sachsen und Brandenburg beträgt der Schwund jeweils 1,3, in Mecklenburg-Vorpommern 1,2 Prozent. Von den Westländern weist einzig Rheinland-Pfalz ein Minus auf, mit 0,1 Prozent allerdings ein mickriges. Der große Rest vermeldet Zuwachs, allen voran Niedersachsen mit besagten 8,5 Prozent, gefolgt von Hessen mit 4,5, dem Saarland mit 4,3 und Bayern mit 4,2 Prozent. Im Mittelfeld stehen Baden-Württemberg (3,0 %), Berlin und Hamburg (beide 3,2 %) sowie NRW (3,6 %). Leicht abgeschlagen dahinter rangieren Bremen mit plus 1,4 Prozent und Schleswig-Holstein mit plus 1,4 Prozent.
Schotten dicht im Osten
Womöglich ist die offenkundige Ost-West-Spaltung bereits ein Vorbote der für Ostdeutschland beschlossenen Hochschulkürzungen. Dort sollen in den kommenden Jahren in großem Stil Studienplätze gestrichen, Professorenstellen abgebaut und ganze Institute und Studiengänge abgewickelt werden. Andererseits setzt man auch in manchen Westländern auf Kahlschlag, etwa in Bremen und im Saarland, ohne dass sich das schon jetzt in den Studierendenzahlen niederschlägt. Auf alle Fälle dürfte es in Regierungskreisen so einige geben, die sich gerne vom Osten „abgucken“ würden, wie sich dem Hochschulrun auch begegnen lässt: indem man die Schotten dichtmacht.
Immerhin ist man mancherorts schon so weit, dass man nicht einmal geschenktes Geld in die Hochschulen stecken will. Wie jüngst der Bundestag beschlossen hat, wird der Bund ab 1. Januar 2015 die vollen Kosten nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) tragen. Eigentlich galt es mal als abgemacht, dass die Länder ihre mit dem Wegfall des 35-Prozent-Anteils freiwerdenden Mittel eins zu eins den Hochschulen zugutekommen lassen. Aber längst nicht alle halten sich daran. Hamburg und Schleswig-Holstein wollen das Geld allein den Schulen überlassen, Niedersachsen nur den Kitas. Andere verteilen es auf ihre Schulen und Hochschulen. Bisher haben sich mit Bremen und Hessen lediglich zwei Länder darauf festgelegt, den Betrag in voller Höher in die Wissenschaft fließen zu lassen. Wieviel der fraglichen 1,17 Milliarden Euro schlussendlich wirklich bei den Hochschulen landen, steht in den Sternen. Gewiss ist nur: Vieles davon wird woanders versickern.
19 Milliarden Euro mehr
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) sieht das zwar nicht gern, baut aber auf den guten Willen der Landesregierungen, die Hochschulen nachhaltig zu stärken. Und wenn schon nicht mit den „BAföG-Millionen“, dann doch mit reichlich anderem Geld, das die Politik locker machen will. Wie ihr Ministerium am Mittwoch verbreitete, „werden Bund und Länder bis 2020 zusätzlich gut 19 Milliarden Euro für die Finanzierung neuer Studienplätze bereitstellen“.
Darauf hatte sich Ende Oktober die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) verständigt. Neben der Finanzausstattung des Hochschulpakts III wurde dabei auch die Fortführung der „Exzellenzinitiative zur Förderung von Spitzenforschung“ über das Jahr 2017 hinaus sowie der sogenannten Programmpauschalen vereinbart. Diese Gelder werden zur Unterstützung von Drittmittelforschung ausgeschüttet. Für jedes genehmigte Projekt gibt der Bund 20 Prozent extra oben drauf. Ab 2016 soll der staatliche Bonus auf 22 Prozent aufgestockt werden, zwei Prozent steuern dann die Länder bei. Das Gesamtpaket, das voraussichtlich am 11. Dezember durch die Bundeskanzlerin und die Länderchefs beschlossen wird, soll sich auf insgesamt 25,3 Milliarden Euro für die nächsten fünf Jahre summieren.
Flickschusterei
Was nach viel klingt, ist indes nur darauf angelegt, die ärgsten Nöte zu bewältigen. An der mangelnden Grundfinanzierung der Hochschulen ändert sich damit wenig bis gar nichts. Ohne das im Rahmen des ersten und zweiten Hochschulpakts mobilisierte Geld wäre der Unibetrieb längst zum Erliegen gekommen. Aufschluss über die seit Jahren mit immer neuen Sonderprogrammen betriebene Flickschusterei liefert ein Blick auf die Entwicklung bei den Kosten pro Studienplatz: Die per Hochschulpakt neugeschaffenen Plätze werden mit lediglich 26.000 Euro für vier Jahre und damit 6.500 Euro pro Jahr finanziert. Einen Normalstudienplatz, der nach Expertenmeinung auch als nicht auskömmlich ausgestattet gilt, ließ sich der Staat 2011 noch im Schnitt 8.700 Euro kosten. Im Jahr 2000 waren es nach Berechnungen des Bildungsforschers Dieter Dohmen 9600 Euro.
Kai Gehring von der Bundestagsfraktion der Grünen verlangt denn auch eine „politische Antwort der Koalition über die bestehenden Wissenschaftspakte hinaus“. Der anhaltende Studierenden-Boom erfordere einen neuen Bund-Länder-Kraftakt für zusätzliche Hochschulbauten und bessere Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler, mahnte er am Mittwoch in einer Pressemitteilung. „Überfüllte, marode Hörsäle und Seminarräume sowie fehlender bezahlbarer studentischer Wohnraum sind einer modernen Wissensgesellschaft unwürdig.“
Dauerhaft mehr Geld gefordert
„Die Hochschulen ermöglichen zum siebten Mal in Folge einer Rekordzahl von jungen Menschen ein Studium“, erklärte der Chef der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Horst Hippler. Diese „besondere Kraftanstrengung“ müssten Bund und Länder anerkennen und mit entsprechenden Finanzmitteln für die Hochschulbildung beantworten. Wie Gehring verwies er auf die beschlossene Lockerung des sogenannten Kooperationsverbots im Hochschulbereich. Nach der geplanten Grundgesetzänderung ergeben sich laut Hippler „neue Möglichkeiten“, auch hinsichtlich einer „dauerhaften Mittelaufstockung“.
Das Deutsche Studentenwerk (DSW) erneuerte am Mittwoch seine Forderung nach einem Bund-Länder-Programm für „mindestens 25.000 zusätzliche, bezahlbare Wohnheimplätze“. Verbandspräsident Dieter Timmermann erklärte: „Wir eilen bald in jedem Wintersemester von Rekordhoch zu Rekordhoch“, mit dem Ausbau der Studienplätze müsse „nun endlich auch die Soziale Infrastruktur mitwachsen“. Sein Appell: „Die Soziale Infrastruktur gehört mit in die Hochschulpakt-Finanzierung.“ Das freilich haben die politischen Entscheider nicht im Sinn. (rw)