Gestresst, ängstlich, krank und – glücklich?12. Studierendensurvey veröffentlicht
Die Berliner Morgenpost titelte bereits am Montag: „Deutsche Studenten sind glücklich.“ Da war der „12. Studierendensurvey an Universitäten und Fachhochschulen“ noch gar nicht veröffentlicht, aber irgendwie doch schon etwas durchgesickert. Und was die Springer-Presse aufschnappt, wird gnadenlos rausgehauen. Selbst mit einem Zitat von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) wurde nicht hinterm Berg gehalten: „Die Ergebnisse zeigen: Trotz der stark gewachsenen Studienanfängerzahlen sehen die meisten ihre Studiensituation positiv.“ Wer hat das der Zeitung bloß gesteckt?
„Zufrieden wie nie zuvor“
Sind die Studierenden glücklich, unglücklich – oder was dazwischen?
Was soll`s. Der Autor lag ja goldrichtig. Denn Deutschlands Studenten geht es ja auch wirklich prächtig oder, wie das Ministerium am Dienstag dann auch offiziell verkündete, sie „sind so zufrieden wie nie zuvor“. So steht es schließlich in der Studie. Zwar nicht schwarz auf weiß, aber herauslesen kann man das schon – wenn man will. So äußere sich „mit etwa drei Viertel die große Mehrheit der befragten Studierenden, dass sie gerne Student oder Studentin seien; viele zeigen sogar eine große Zufriedenheit“, erfährt man. Vorangestellt ist dem Satz das Wort „erwartungsgemäß“ und man stelle sich die Alternative vor: Studenten, die mit ihrem Dasein totunglücklich sind und mit grimmiger Miene über den Campus schlurfen. Weiter liest man denn auch, die „innere Bindung an das Studentenleben ist im Zeitvergleich seit 2001 weitgehend stabil geblieben“. Soll heißen: Student ist man eigentlich immer gerne, egal wann und unter welchen Umständen.
Aber es wurde ja nicht nur nach dem allgemeinen Befinden gefragt, sondern auch danach, wie gut es sich heutzutage studieren lässt. Und da gibt es wirklich nix zu meckern, zumindest für die allermeisten. Die Qualität der Lehre beurteilen 78 Prozent als positiv. Zufrieden mit der Struktur ihrer Studiengänge sind 67 Prozent, mit der Art der Veranstaltungen 65 Prozent und mit der Betreuung durch die Lehrenden 58 Prozent. Etwa 70 Prozent gaben an, dass Kernelemente des Bologna-Prozesses – das Credit-Point-System, die Einteilung der Studiengänge in Module und die Qualitätskontrollen – verwirklicht worden sind. Verglichen mit dem Jahr 2001 ging es bei allen besagten Aspekten in der Bewertung bergauf. Auch für die Gliederung ihres Studiums heben mehr Befragte den Daumen als noch vor 13 Jahren.
Hochschulreformen greifen – angeblich
Geht man ins Detail, lassen sich auch ein paar Mängel ausfindig machen, etwa da, wo es um die Vermittlung allgemeiner Fähigkeiten wie Kritikfähigkeit, soziales Verantwortungsbewusstsein oder Allgemeinbildung geht. Vieles davon werde „im Studium zu wenig gefördert“ und nur vier der abgefragten elf Kompetenzen „erreichen eine insgesamt befriedigende Note“. Aber auch hier gilt: In allen Punkten werde „im Zeitvergleich seit 2001 zunehmend besser gefördert, sowohl an Universitäten als auch an Fachhochschulen“.
Also ist im Großen und Ganzen doch alles in Butter und Ministerin Wanka weiß, woran das liegt. „Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die vom Bund geförderten Programme wie etwa der Hochschulpakt oder der Qualitätspakt Lehre geholfen haben, die Studiensituation an den Hochschulen zu verbessern.“ Gleichzeitig gebe der Survey „wichtige Hinweise“, in welchen Bereichen „noch differenzierter“ nachgesteuert werden müsse, „etwa durch mehr Praxiselemente in den Studiengängen“.
Glücklich mit Abstrichen
Wunschlos glücklich sind die Studierenden dann doch nicht. So erwarten 41 Prozent der Studenten an den Unis mehr Praxisbezug, bei den FHs sind es 20 Prozent. 59 Prozent fordern Praktika als festen Bestandteil des Studiums. Gefordert werden auch kleinere Lehrveranstaltungen und eine bessere Betreuung. Rund ein Viertel wünscht sich „Angebote zur Studienfinanzierung“ und ähnlich viele sähen es gerne, wenn das Bachelor-Studium auf vier Jahre ausgeweitet würde.
Dazu passt: Gut die Hälfte der Studierenden empfindet den Leistungsaufwand als zu hoch. Mit durchschnittlich 33 Wochenstunden gaben die Befragten ihren akademischen Arbeitsaufwand an. Bei Medizinern sind es 40,9 Stunden, bei Sozialwissenschaftlern 27,3 Stunden. Über die Hälfte (55 Prozent) geht neben dem Studium jobben. Zwölf Prozent davon sind mehr als zwei reguläre Arbeitstage mit ihrer Erwerbsarbeit beschäftigt, sieben Prozent arbeiten bis zu 16 Stunden und 16 Prozent bis zu zwölf Stunden, um finanziell über die Runden zu kommen. Sorgen machen noch ein paar andere Kleinigkeiten, zum Beispiel die Frage, ob man sein Studium überhaupt schafft. Fast jedem zweiten bereitet das Kopfzerbrechen. Drei von fünf fürchten sich vor Prüfungen und nahezu die Hälfte der Befragten hat Versagungsängste.
Hochschule als „Lehranstalt“
Immerhin wissen die Betroffenen, warum sie das alles auf sich nehmen. Ein „anderes Verständnis des Studierens“ diagnostizieren in diesem Zusammenhang die Autoren. „Es gilt weniger als methodische, theoriegeleitete Ausbildung und als neugieriges, forschendes Lernen, sondern es dient mehr dem Erlangen einer Qualifikation und dem Erwerb von Employability, d. h. der Vorbereitung auf den Beruf zur Sicherung der eigenen Zukunft.“ Die Studierenden erklärten die Hochschulen vermehrt zur bloßen „Lehranstalt“ und sähen in ihr weniger eine „Forschungsstätte“. Entsprechend begeisterte sich nur noch ein Fünftel der Befragten für „Wissenschaft und Forschung“, während dies vor zehn Jahren noch auf ein Viertel zutraf.
Daran zeigt sich wohl: Glück ist ein Begriff im Wandel. Während es früher Studenten gab, die schon mal die Seele baumeln ließen und das Studium zwecks Selbstfindung zur Erweiterung des geistigen Horizonts genutzt haben, gelten heute andere Prioritäten. „Ein Studium dient vor allem nicht mehr dazu, den Eintritt in das Berufsleben möglichst weit hinauszuschieben“, schreiben die Konstanzer Forscher. Was heute zählt ist der schnelle Abschluss, um rasch in Lohn und Brot zu landen. Man hechelt mit Scheuklappen von Prüfung zu Prüfung und blendet die Welt um sich herum weg.
Studieren macht krank
Es gibt Leute, für die das keine tolle Errungenschaft ist. „Immer häufiger nehmen Studierende psychologische Beratung in Anspruch. Nach Zahlen des Deutschen Studentenwerkes hat sich der Bedarf an psychologischer Beratung bei Studierenden von 2003 bis 2012 mehr als verdoppelt“, monierte am Dienstag der „freie zusammenschluss von studentInnenschaften“ (fzs). „Der Druck auf die Studierenden ist immens, das ist keine Situation, mit der wir zufrieden sein können.“
Im Gespräch mit Studis Online beschrieb Verbandsvorstand Sandro Philippi die Situation der Studierenden so: „Sie müssen strikt nach Vorschrift studieren und kleinportioniertes, zusammenhangsloses Wissen in sich hineinzwängen.“ Dazu kämen häufig Finanzierungsprobleme, was den Stress noch größer macht. „Um das Pensum zu schaffen, muss in vielen Fächern weit über 50 Stunden pro Woche gearbeitet werden. Wer da nebenher noch jobben muss, wird über kurz oder lang krank.“ Die Selektion an Hochschulen nehme weiter zu und Studierende würden in ein starkes Konkurrenzverhältnis gezwungen. Das Fazit des studentischen Dachverbands: „Die Ergebnisse der Umfrage dürfen nicht von den Problemen an den Hochschulen und Universitäten ablenken.“
4884 von 2,6 Millionen
Wenn die Befragten aber doch sagen, dass sie glücklich sind? Immerhin taten dies ja fast drei Viertel von 4884. Exakt so viele haben 2013 ihren Fragebogen ausgefüllt nach Konstanz zurückgeschickt. Die restlichen fast 25.000 ebenfalls „Befragten“ haben das nicht gemacht – aus welchen Gründen auch immer. Jedenfalls sind die Macher der Studie vom Rücklauf an verwertbaren Fragebögen nicht angetan. Die Studie wird in der Regel im Drei-Jahres-Rhythmus durchgeführt. Bei den ersten Erhebungen in den 1980er Jahre lag die Beteiligung noch bei über 40 Prozent, bevor sie dann stetig zurückging und im Wintersemester 2012/13 auf dem vorläufigen Tiefpunkt angelangt ist – mit 18,6 Prozent. Angesichts dessen klagen die Autoren über ein „generelles Phänomen nachlassender Partizipation“, sprechen aber gleichwohl von „weitgehend repräsentativen Aussagen, die anhand des Samples getroffen werden können“.
Nur was hat die Verweigerer getrieben? Auch Philippi vom fzs fragt sich, was mit dem großen Rest geworden ist. „Könnte es nicht sein, dass sie ihrer Studiensituation vollkommen hoffnungslos gegenüberstehen? Ich hätte viel Verständnis dafür. Oder haben sie einfach gar nicht die Zeit gefunden zu antworten, weil ihnen ihr Studium kaum noch Luft zu atmen lässt.“ Stichwort Politikverdrossenheit: Es soll Leute geben, die gehen nicht zur Wahl und sind trotzdem nicht glücklich mit der herrschenden Politik. Oder, was die Sache eher trifft, sie wählen nicht, weil sie die Nase voll haben von den Verhältnissen.
Studentische Politikverdrossenheit?
Apropos Politik – auch dazu hat die Studie etwas ans Licht befördert. So lasse sich im Zeitverlauf ein deutlicher Rückgang beim allgemeinen politischen Interesse unter Studierenden verzeichnen. Nur knapp ein Drittel hat ein starkes Interesse an aktuellen Ereignissen, zur Jahrtausendwende waren es noch 45 Prozent. Lediglich „24 Prozent halten Politik und öffentliches Leben für sehr wichtig“, 29 Prozent erachten diesen Bereich für „unwichtig“. Die Befunde decken sich mit einer anderen, bislang unveröffentlichten Regierungsstudie, über die der aktuelle Spiegel berichtet. Danach ist der Student von heute für gewöhnlich unpolitisch, konsumfixiert und egoistisch.
Auch studentische Politik an der eigenen Hochschule interessiert demnach nur noch wenige. „Dieser Befund ist bedauerlich“, sagte Ministerin Wanka am Dienstag bei der Vorstellung des Surveys vor Pressevertretern in Berlin. „Gerade zum 25. Jahrestag des Mauerfalls möchte man eindringlich an die junge Generation appellieren, die politische Freiheit in unserem Land zu nutzen und gerade auch für die Belange von Studenten aktiv zu werden.“ Hier sollte man sie beim Wort nehmen. (rw)
Quellen und Materialien