Asyl im LuftschutzbunkerStudentische Wohnungsnot zum Studienstart
Schwacher Trost: Auch bei unserem Schweizer Nachbar ist die Bude gerammelt voll. In Zürich geht die Not so weit, dass Studierende sogar in einem Luftschutzkeller unter einer Tiefgarage Unterschlupf finden müssen. Hausherr ist die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) um die Ecke. Bedürftigen offeriert sie für täglich zehn Franken einen Schlafplatz im Stapelbett nebst Spind, Neonlicht und käsfüßiger Luft. Einer der Insassen ist Niccolo aus Italien, er meint: »Immerhin sind wir hier sicher, wenn die Welt untergeht.« Doch seine Zeit läuft ab, drei Wochen nach Studienbeginn ist Schluss mit der Bunkerromantik. Einfühlsame Worte eines ETH-Zuständigen: „Für uns war es wichtig, eine Deadline zu setzen.“
„Mieten? Ja wat denn?“
Günstige Zimmer für Studierende bleiben Mangelware.
Auch in Deutschland sind wieder einmal kreative Lösungen gefragt. In Göttingen nächtigen Studieneinsteiger derzeit auf Feldbetten in einer leerstehenden Schule oder einem campusnahen Zeltlager. Im Studentenwerk der Universität Regensburg wurde ein Auffanglager für Zukurzgekommene errichtet. Bis 17. Oktober stehen ihnen dort Matratzen zum Schlafen, Koch- und Duschgelegenheiten zur Verfügung. Auch der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Uni Frankfurt (Main) bietet Gestrandeten „Asyl“. Das „Indoor-Camp“ steigt vom 6. Oktober bis einschließlich Freitag und steht unter dem Motto: „Mieten? Ja wat denn?“ Die lokalen Wohnheime bieten gerade einmal für jeden 15. der zuletzt fast 60.000 Studierenden Platz.
Dass die Frankfurter Studierendenvertreter zum inzwischen vierten Mal in vier Jahren in Aktion treten, um wohnungslosen Studierenden zu helfen, zeigt: Studentische Wohnungsnot ist längst ein Dauerproblem. Seit die Hochschulen in Deutschland, einsetzend mit dem Jahr 2008, förmlich überlaufen werden von jungen Menschen – verstärkt noch durch die überstürzte Aussetzung der Wehrpflicht sowie die von etlichen Bundesländern entsandten doppelten Abiturjahrgänge –, sind die örtlichen Wohnungsmärkte im Spätsommer vielerorts wie leergefegt. Zuletzt gab es 2,6 Millionen Studierende und mit jedem Wintersemester gingen in den zurückliegenden drei Jahren rund 500.000 Studienanfänger an den Start. Auch diesmal ist mit einer ähnlichen Größenordnung zu rechnen. Und weil Jahr für Jahr die Zahl der Neunankömmlinge die der Abgänger übersteigt, wird das Gedränge um den ohnehin viel zu knappen Wohnraum immer größer.
Öffentlicher Wohnungsbau schwindet
Bei all dem rächen sich vor allem politische Fehlentscheidungen. Der soziale Wohnungsbau ist praktisch flächendeckend zum Erliegen gekommen. Unter dem neoliberalen Spardiktat der vergangenen Dekade wurden hunderttausende Wohneinheiten aus öffentlicher Hand an die private Immobilienwirtschaft veräußert. Die setzt vor allem auf kostspielige Sanierungen mit dem Ziel, teuer zu vermieten bzw. weiterzuverkaufen. Kostentreibend wirkt dazu der anhaltende Trend zur Landflucht, immer mehr Menschen zieht es in die Großstädte und Ballungsgebiete, während genau dort bezahlbarer Wohnraum immer rarer wird. Angesichts ihrer in der Regel bescheidenen Finanzkraft haben Studierende mit die schlechtesten Karten, zu einigermaßen akzeptablen Bedingungen ein Dach über dem Kopf zu finden.
So müssen sie sehen, wo sie bleiben – oder auf dem freien Wohnungsmarkt ein kleines Vermögen hinblättern. Nach einer aktuellen Erhebung der Berliner Immobiliengesellschaft GBI sind die Preise für studentisches Wohnen weiter gestiegen. Das Unternehmen nimmt alljährlich die Situation in 81 deutschen Hochschulstädten unter die Lupe und listet diese in einem „Ranking“ nach dem sogenannten Anspannungsfaktor. Ganz oben steht München mit einer Punktzahl von 79 von 100 möglichen, gefolgt von Hamburg, Frankfurt am Main und Köln. In der großen Mehrheit der Fälle hat sich der Druck auf dem Wohnungsmarkt im Vergleich zum Vorjahr erhöht. Anhaltend „deutlichen Mangel“ auch in Zukunft erwarten die Studienautoren für 32 Städte, vier mehr als 2013.
Engpässe im Ländle
Unter den 13 Städten mit den größten Engpässen liegen allein sechs in Baden-Württemberg: Heidelberg, Konstanz, Freiburg, Stuttgart, Tübingen und Karlsruhe. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert deshalb ein Sofortprogramm für Studierende im Südwesten. „Anstatt sich voll auf das Studium konzentrieren zu können, müssen viele Studierende auf provisorische Lösungen ausweichen, weite Anfahrtswege in Kauf nehmen oder arbeiten, um sich die teuren Zimmer in Universitätsnähe leisten zu können“, beklagte GEW-Landeschefin Doro Moritz in einer Stellungnahme. „Zu einer guten Ausbildung gehört auch die Chance, ein bezahlbares Zimmer zu finden. Land und Kommunen müssen mehr tun und die Studierendenwerke brauchen höhere Zuschüsse.“
Der jüngste Appell des Deutschen Studentenwerks (DSW) hat einen Adressaten mehr. Der Dachverband der 58 Studentenwerke in Deutschland will beim Wohnheimbau den Bund mit ins Boot holen. In einer Pressemitteilung verwies DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde auf entsprechende Bund-Länder-Programme in den 1970er und 1990er Jahren. „Für Sanierung und Neubau gilt: Nur mit staatlicher Förderung sind bezahlbare Mieten für Studierende realisierbar“, erklärte der Verbandsfunktionär und weiter: „Wo ein politischer Wille ist, da ist auch ein verfassungsrechtlich möglicher Weg.“
Symbolpolitik
Das mit dem „Willen“ erscheint allerdings fraglich. Bisher beschränkt sich die neue Bundesbauministerin, Barbara Hendricks (SPD), beim Thema öffentlicher Wohnungsbau auf die alt bekannte Symbolpolitik. Ihr im Juli geschmiedetes „Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen“ erinnert stark an die beiden „Runden Tische“ ihres Vorgängers Peter Ramsauer (CSU). Immerhin wurden diese damals noch unter der Devise „Linderung der studentischen Wohnungsnot“ auf die Beine gestellt und mit dabei saßen tatsächlich auch Studierende. Gebracht hat die Veranstaltung trotzdem nichts, bis auf ein paar unverbindliche und unerfüllte Versprechungen – etwa dergestalt, verwaiste Kasernen zu Wohnheimen umzubauen oder Hotelschiffe für Studienanfänger zu Wasser zu lassen.
Und echte Besserung verspricht auch die beschlossene, im Januar 2015 in Kraft tretende „Mietpreisbremse“ mit ihren allerhand Ausnahmen bei Neubauten und Modernisierungen nicht. Für Studenten kommt sie ohnehin etliche Jahre zu spät. Mächtig im Verzug sind auch die Länder beim Thema Wohnheimausbau. Das DSW informiert in einer aktuellen Broschüre über den Stand der Aktivitäten. Das ernüchternde Ergebnis: Die bundesweite Versorgungsquote von öffentlich geförderten Plätzen in Relation zur Zahl der Studierenden ist auf unter zehn Prozent geschrumpft, den tiefsten Wert seit 1991.
Bedarf enteilt Angebot
Erbärmlich ist die Situation in einigen Großstädten: Berlin bringt es auf eine Unterbringungsquote von 5,75 Prozent, Bremen schafft knapp über sechs, Köln 7,7 und Hamburg 8,39 Prozent. Im Vergleich der Flächenstaaten stellt sich die Lage am schlechtesten im Saarland (6,69 %), in Schleswig-Holstein (6,62 %) und in Hessen (7,32 %) dar. Am besten schneiden die ostdeutschen Länder ab, vorne weg Sachsen (14,49 %) und Thüringen (14,38 %). Die Bestwerte der Westländer liegen dagegen nur um den Dreh von zehn Prozent, mit einem Ausreißer nach oben: Baden-Württemberg (12,82 %) Der DSW würdigt zwar die in einigen Bundesländern erkennbaren Fortschritte. Die aktuell 11.000 im Bau befindlichen oder geplanten Plätze reichen laut Meyer auf der Heyde aber bei weitem nicht aus, den wachsenden Bedarf an bezahlbarem Wohnraum zu decken.
So lange das so bleibt, sind Studierende für Immobilienhaie ein gefundenes Fressen. Nach besagter GBI-Untersuchung zahlt man in München einen durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 13,40 Euro nach 12,90 im Vorjahr. Für ein WG-Zimmer werden im Schnitt 490 Euro fällig. In Köln sind es 9,40 Euro für den Quadratmeter, 30 Cent mehr als im Vorjahr. Im bundesweiten Durchschnitt ist der Preis von 6,90 Euro auf rund 7,20 Euro geklettert, der für ein WG-Zimmer liegt bei unverändert 300 Euro. Besonders verschärft hat sich laut Studie die Situation in Stuttgart und Berlin, die beim Ranking in diesem Jahr die Plätze fünf und sechs belegen (nach Platz 7 und 9 im Vorjahr).
SMARTments für 83.000 Euro
Ganz selbstlos sondiert die GBI den Markt freilich nicht. Wenn der Leiter Research, Stefan Brauckmann, in der Studie über einen Verdrängungswettbewerb schreibt, der „Studierende und andere junge Menschen in der Ausbildungsphase „besonders hart“ treffe, dann offenbart sich darin nicht Mitleid, sondern Geschäftssinn. Die GBI entwickelt und baut Studentenapartments unter dem Namen „SMARTments“. Davon seien bis 2015 mehr als 1.000 in Hamburg, Frankfurt (Main), Darmstadt und Mainz geplant, heißt es. In Köln ist die GBI bereits 170 solcher Ein-Zimmer-Buden losgeworden – zum Preis von 83.000 Euro. In Berlin-Mitte werden aktuell Apartments mit knapp 25qm sogar für 124.000 Euro verkauft – als mögliche Miete werden 470 Euro/Monat vorgeschlagen. So macht Wohnungsnot Laune. (rw)
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