Berufsverbot für Risikokandidaten?Lehramtsstudenten neigen zum Burnout
Nicht nur für die SchülerInnen ist Schule manchmal doof – auch für manche LehrerIn ist der Job (doch) nicht der richtige oder müsste anders gestaltet werden
Motive, die Schullaufbahn einzuschlagen, gibt es viele: Nicht wenige fühlen sich dazu berufen, Kindern und Jugendlichen etwas beizubringen, ihnen Wissen und Erfahrungen als Rüstzeug fürs Leben an die Hand zu geben. Manche wollen es dabei auch noch besser machen als die Pauker, die sie selbst ertragen mussten. Aber auch ganz pragmatische Gründe können eine Rolle spielen: Der Lehrerberuf gilt immer noch als krisensicher. Wer es zur Verbeamtung schafft, braucht sich nicht sorgen, seinen Job zu verlieren und wird dazu noch recht ordentlich bezahlt.
Begehrte Pädagogen
Pädagogen werden überdies dringend gesucht, der Lehrkörper an Deutschlands Schulen ist hoffnungslos überaltert und Nachwuchs tut bitter not. Auch deshalb sind in jüngeren Jahren sehr viele Quereinsteiger in den Schuldienst getreten. Der Lehrerberuf ist längst ein Auffangbecken für Menschen, die mit ihrem ersten Berufswunsch danebenliegen, sei es, weil sie im Studium scheitern oder im Beruf nicht glücklich werden. Beliebt ist der Job auch wegen der Flexibilität, die er bietet. Man kann sein Deputat je nach Lebenssituation selbst bestimmen, sich die Arbeit neben dem Unterricht frei einteilen oder bei Bedarf ein Sabbatjahr zu geringeren Bezügen einlegen.
Vielleicht ist es eben diese Vielzahl an Vorzügen und Möglichkeiten, die eventuell dazu führt, dass übermäßig viele „Fehlbesetzungen“ in den Lehrerberuf streben und am Ende im Klassenzimmer landen. Zumindest legt dies die Untersuchung nahe, die Saarbrücker Bildungsforscher um Professorin Julia Karbach sowie Corinna Reichl vom Universitätsklinikum Heidelberg soeben veröffentlicht haben. Ihre Studie „Burnout risk among first-year teacher students: The roles of personality and motivation“ ist im Journal of Vocational Behavior erschienen und online nur kostenpflichtig erhältlich.
Studentische Musterfälle
Wie die Beteiligten am zurückliegenden Freitag in einer Pressemitteilung der Universität des Saarlandes darlegten, wollten sie herausfinden, „ob es bereits zu Beginn des Studiums Indizien dafür gibt, wer später hochbelastet ist und daher ein erhöhtes Burnout-Risiko hat“. Dazu nahmen sie die „Persönlichkeitsstruktur angehender Lehrerinnen und Lehrer sowie deren Motive für die Wahl des Lehramtsstudiums“ anhand von 559 Probanden unter die Lupe. Diese ließen sie einen Fragebogen ausfüllen, „der ihr Arbeitsverhalten und das Erleben ihres Berufes beziehungsweise Studiums erfasst“. Abgeklopft wurden beispielsweise die „Leistungsbereitschaft, Stressbewältigungsstrategien sowie das subjektive Wohlbefinden bei der Arbeit“.
Schließlich entwickelten sie aus den Aussagen vier Grundmuster von Studierenden, im Wortlaut sind dies:
Motivierte, gesunde, stressresistente und engagierte Studenten.
Eher „zurückgelehnte“ Leute, die andere arbeiten lassen, aber dennoch gesund sind.
Sehr motivierte Studierende, die hohe Ansprüche an sich selbst haben und deren psychische Gesundheit durch die Selbst-Überforderung gefährdet ist.
Junge Lehramtsanwärter, die so viel Stress empfinden, dass sie sich von der Arbeit bereits überlastet fühlen.
„Extrinsisch motivierte Leute“
Ihre Erhebungen stellen die Forscher schließlich den entsprechenden Angaben einer Kontrollgruppe von 150 Psychologiestudenten gegenüber und leiteten daraus ihr Ergebnis ab: Bereits zu Beginn des Lehramtsstudiums wiesen mehr Lehramtsstudierende „ungünstigere Stressbewältigungsstrategien auf als dies in anderen Berufsgruppen der Fall ist und sind somit später anfälliger für die Entwicklung eines Burnout-Syndroms“. Das ausgeprägte Scheitern im Schuldienst wäre – folgt man der Interpretation – nicht allein der im Arbeitsalltag erlebten Überforderung, Frustration oder Hilflosigkeit geschuldet, sondern hat daneben seine Ursache in der von vornherein falschen Berufswahl.
Oder im Klartext: Die „Falschen“ wollen in den „falschen“ Job, wobei die Autoren von „extrinsisch motivierten Leuten“ sprechen. Das seien diejenigen, „die das Studium gewählt haben, weil sie davon ausgehen, dass es leichter ist als andere Studiengänge“. Diese Gruppe trage ein „höheres Risiko, in einer der Gefahrengruppen für Burnout zu landen“. Als Bestbesetzung im Klassenzimmer gelten den Wissenschaftlern dagegen die „intrinsisch motivierten“ Kandidaten, die „Überzeugungstäter“, die „gerne Lehrer um des Lehrens willen werden möchten, eher entspannt sind und kein übermäßiges Burnout-Risiko tragen“.
Psychologen sind alles
Natürlich sind nach der Darstellung längst nicht alle fehl am Platz, sondern bloß vergleichsweise mehr als in anderen Studienfächern. Aber bedürfte es für diese These nicht einer größeren Validität? Reicht es aus, stellvertretend für einen ganzen Berufszweig 559 getesteten Lehramtsanwärtern lediglich 150 Psychologiestudenten gegenüberzustellen? Und warum umfasst die Kontrollgruppe nicht auch andere Studienfächer? Für die federführende Bildungsforscherin Julia Karbach von der Uni Saarbrücken erfüllt das Vorgehen seinen Zweck. Zwar sei es „wünschenswert“, auch andere Disziplinen zu berücksichtigen, erklärte sie gegenüber Studis Online. Allerdings bestünden zwischen Psychologie- und Lehramtsstudenten „große Ähnlichkeiten“, die einen Vergleich naheliegend und zielführend machten.
Ihren Ansatz begründete Karbach dabei mit der gesellschaftlichen Relevanz der Problematik, dass ausgerechnet Lehrer überdurchschnittlich häufig krankheitsbedingt vorzeitig aus dem Beruf ausscheiden. Das koste viel Geld, da der Staat sowohl die Pensionen der Vorruheständler als auch die Gehälter der nachrückenden Junglehrer aufbringen müsse. „Außerdem leidet darunter die Unterrichtsqualität: Gestresste Lehrer sind öfter krank und machen in der Regel keinen guten Unterricht.“ Der Volkswirtschaft erwachse auch dadurch Schaden, wenn künftig schlechter ausgebildete Jugendliche auf den Arbeitsmarkt drängten, bemerkte sie und weiter: „Hätte man unter Physikern einen Verschleiß wie unter Lehrern festgesellt, würde und müsste sich die Wissenschaft auch dieses Themas annehmen.“
„Höllenjob Lehrer“
In der Tat sind Pädagogen überdurchschnittlich anfällig für stressbedingte Erkrankungen wie das Burnout-Syndrom oder Depressionen. Im April erst titelte die Süddeutsche Zeitung (SZ) „Höllenjob Lehrer“ und berichtete über ein Gutachten des Aktionsrats Bildung im Auftrag der bayerischen Wirtschaft, nach dem 30 Prozent der Lehrer und Erzieher unter Burnout und Erschöpfung leiden. Allein in den zurückliegenden vier Jahren hat sich demnach die Zahl der Fehlstunden der im Bildungswesen Beschäftigten nahezu verdoppelt. Das alarmiert mittlerweile auch die Politik, weil Frühverrentungen richtig ins Geld gehen und es sich der Staat nicht leisten kann, bei der Neubestallung der vom allgemeinen Pensionierungsschwund heimgesuchten Schulen auch noch auf die falschen Pferde zu setzen.
Um dem beizukommen, will man vor allem auf mehr und bessere Beratung setzen, nicht nur derer, die gefährdet oder bereits erkrankt sind, sondern auch all derjenigen, die es auf den Lehrerjob abgesehen haben. Der Aktionsrat Bildung empfiehlt etwa die flächendeckende Einführung von Auswahl- und Beratungsgesprächen. Studierende müssten ferner frühzeitig und ausreichend begleitete Praktika und Supervision erhalten, um zu erkennen, was auf sie zukommt. Auf diese Weise sollten „selbstreflexive Prozesse“ angestoßen werden, „mit denen die Betroffenen die Übereinstimmung der Anforderungen mit ihren persönlichen Neigungen, Wünschen und Kompetenzen prüfen“, heißt es im Gutachten des Aktionsrats. Immerhin ist es den Autoren wichtig zu betonen: „Die Gespräche hätten somit beratende und nicht selegierende Funktion.“
Prävention durch Steuerung
Genau das bleibt zu hoffen. Mitunter beschleicht einen bei der Diskussion nämlich das Gefühl, als ginge es weniger darum, den Betroffenen und den zu Burnout neigenden unsicheren Kantonisten zu helfen und größtmögliche Unterstützung zuteil werden zu lassen, als vielmehr darum, sie loszuwerden – ehe sie Schaden anrichten. Für die Saarbrücker Forscher könnten so „Kandidaten, die ein erhöhtes Risiko tragen, später im Lehrerberuf auszubrennen, bereits im Vorhinein gewarnt werden, dass der Beruf für sie womöglich ungeeignet ist“. Denn „vielen wäre damit gedient: Den Lehrern selbst, die in einem anderen Beruf glücklich werden könnten, der Gesellschaft, weil sie die enormen direkten und indirekten Kosten sparen könnte, und nicht zuletzt den Schülerinnen und Schülern, die Lehrerinnen und Lehrern gegenübersitzen, die sie entspannt und motiviert aufs Leben vorbereiten.“
Das zur Sprache kommende Ansinnen mutet ziemlich genau wie das an, was der Aktionsrat eigentlich ausdrücklich nicht will, nämlich „Burnout-Prävention durch eine Steuerung des Zugangs zum Lehramtsstudium bzw. Lehramtsberuf“ – also Selektion. Dabei gibt es durchaus alternative Herangehensweisen: Etwa die Überlegung, dass auch zum Burnout neigende Menschen gute Lehrer werden und von „volkswirtschaftlichem Nutzen“ sein können, solange sie die Krankheit nicht ereilt. Das hieße allerdings zuvorderst, die Arbeitsbedingungen an den Schulen durchgreifend zu verbessern, etwa durch eine Reduzierung der Arbeitszeit.
Arbeitsüberlastung alltäglich
Der Aktionsrat Bildung verweist in seinem Gutachten auf entsprechende Zahlen aus dem „DGB-Index Gute Arbeit“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Demnach gaben 33 Prozent der Lehrkräfte an, unter einer zu hohen Arbeitsbelastung zu leiden, bei allen Befragten waren es nur 22 Prozent. Ihre wöchentliche Arbeitszeit bezifferten die Lehrkräfte mit durchschnittlich 42,5 Stunden, gegenüber einer vereinbarten mittleren Arbeitszeit von 31,5 Stunden. Das Verhältnis in der Vergleichsgruppe betrug 43 Stunden gegenüber 36,4 Stunden. Die Erhebung stammt aus den Jahren 2007/08 und man kann gewiss sein, dass die Lage nicht besser geworden ist. Im Gegenteil: Laut neuestem DGB-Index 2013 leisten im Bereich Erziehung und Unterricht 45 Prozent der Beschäftigten – „vor allem Lehrpersonal von allgemeinbildenden Schulen“ – „sehr häufig oder oft“ Gratisarbeit.
Das passt ins Bild einer Bildungspolitik, die Lehrer und Erzieher seit langem nur noch als Kostenfaktor ansieht und immer wieder neuen Spardiktaten mittels Arbeitszeitverlängerungen, Reallohnsenkungen und Stellenstreichungen unterworfen hat. Zugleich haben sich die Anforderungen an die Lehrer durch Bildungspläne, Inklusion, zunehmende Gewalt im Klassenzimmer sowie soziale und ethnische Konflikte im Schulalltag immer weiter erhöht und viele Lehrer fühlen sich mit den Problemen allein gelassen. Und leichter wurde den Betroffenen die Sache auch damit nicht gemacht, dass in vielen Bundesländern der schulische Vorbereitungsdienst (Referendariat) von zwei auf eineinhalb Jahre verkürzt wurde – zu Sparzwecken.
Ursachen bekämpfen
Dass Menschen unter solchen Bedingungen an ihre psychischen und körperlichen Grenzen stoßen und früher oder später zusammenbrechen ist nichts, was einen wundern sollte. Echte Prävention hieße deshalb, nicht länger an den Symptomen der Misere rumzudoktern, sondern die Ursachen zu bekämpfen. Das allerdings würde sehr viel mehr Geld kosten, als mal eben ein paar Risikofälle aus dem Verkehr zu ziehen. (rw)