In Spanien gefördert – warum nicht auch in Deutschland?Hochschul-Austausch im Inland
Von Ralf Hutter
Mal etwas von den Resten der berühmten kritischen Sozialforschung in Frankfurt mitkriegen, zur Meeresforschung nach Kiel gehen, oder einfach die Koryphäe des eigenen Spezialfachs, die ein paar Hundert Kilometer entfernt lehrt, direkt erleben – es gibt viele Gründe, für ein oder zwei Semester eine andere deutsche Hochschule zu besuchen. Doch derartiges ist nicht vorgesehen. Für Praktika wechseln viele Leute monatelang die Stadt – für ein Studiensemester ist das hingegen nur möglich (und wird sogar extra gefördert), wenn es ins Ausland geht.
Warum nicht mal das Umfeld während des Studiums wechseln?
Dass das nicht so sein muss, zeigt der Fall Spaniens. Hier gibt es seit langem das Programm Sistema de Intercambio entre Centros Universitarios Españoles (SICUE). Anders als beim europäischen Erasmus-Programm sind hier nicht Abkommen zwischen konkreten Fakultäten die Voraussetzung, sondern ganze Hochschulen vereinbaren Austausche, was es für die Studierenden leichter macht. „Bei dem Programm SICUE mitzumachen ist einfach“, sagt Gemma Fonrodona, die für Studienangelegenheiten zuständige Vizerektorin der Universität Barcelona. „Du musst dich bewerben, und wenn es einen Platz gibt, kannst du es machen. Vielleicht trägst du dich für drei Universitäten ein – eine wirst du sicherlich bekommen.“
In den meisten Fällen dauert ein Austausch zwei Semester. Die Professorin lobt das Programm: „Für Leute, die da nicht so offen sind, kann es ein erster Schritt sein, in ein anderes Bundesland zu gehen, in einer anderen Stadt zu leben – all das, was das persönliche Wachstum fördert. Und manchmal stellen sie dann fest, dass es ihnen gefallen hat und überlegen sich, einen Erasmus-Austausch zu machen. Auch für die Familien ist es einfacher, zuzustimmen, wenn es nicht gleich ins Ausland geht.“
Bis zum aktuellen Studienjahr hat der spanische Staat auch eine Minderheit der Austauschstudis mit einem Stipendium gefördert. Für 2012/2013 und 2011/2012 wurden jeweils rund 2100 Stipendien vergeben. Sie beinhalten einen monatlichen Betrag von 500 Euro und eine Reisekostenbeihilfe von in den allermeisten Fällen 120 Euro. Zur Zeit sind die Stipendien, die vor allem nach Noten vergeben wurden, aus Spargründen ausgesetzt. Zusammen mit den kleinen Beihilfen für die Hochschulen zur Betreuung der Gaststudis kosteten sie den Staat etwas mehr als zehn Millionen Euro im Jahr.
Abgeordnetencheck: Was sagen die Bundestagsfraktionen?
Warum wird solch ein Austauschprogramm nicht auch in Deutschland eingeführt? Mit dieser Frage hat sich Studis Online an die vier Bundestagsfraktionen gewandt.
Zunächst war zu klären, ob den mit Hochschulfragen betrauten Abgeordneten ein solches Programm noch aus einem anderen Land bekannt ist, oder ähnliche Initiativen in Deutschland aus der Vergangenheit. Hier lautet die Antwort grundsätzlich: Nein.
Ernst Dieter Rossmann von der SPD fügt jedoch hinzu:
„Es gibt einzelne von Hochschulen initiierte Projekte in diesem Bereich. Ein Beispiel ist ein Programm von HAWtech http://www.hawtech.de/ueber-hawtech/, der HochschulAllianz für Angewandte Wissenschaften: Hierbei haben sich sechs Hochschulen zusammengeschlossen, um die Mobilität zwischen ihren Hochschulen zu fördern. Studierende der Elektrotechnik und des Maschinenbaus können dabei für ein Semester an einer der Partnerhochschulen studieren. Ich weiß auch von Schweizer Hochschulen, die ihre Studierenden zu Mobilität während des Studiums im Inland ermutigen.“
Ähnliches weiß Kai Gehring von Bündnis 90 / Die Grünen zu berichten:
„Zum Beispiel kooperieren Fakultäten der Universitäten Rostock und Konstanz in den Fächern BWL, VWL und Wirtschaftspädagogik. Dort können Studierende ohne großen bürokratischen Aufwand für ein oder zwei Semester zwischen den Unis wechseln.“
Rosemarie Hein, die Sprecherin für Allgemeine Bildung der Linksfraktion, merkt folgendes Problem einer eventuellen Einführung eines staatlichen und bundesweiten Austauschprogramms an: „Für die Einführung eines solchen Förderprogramms müssten nicht nur finanzielle Hürden beseitigt werden. Denn das große Versprechen der Bologna-Reform, die Mobilität der Studierenden im In- und Ausland zu erhöhen, ist bisher nicht erfüllt worden. Durch viele hochspezialisierte und unflexible Studiengänge sowie den fehlenden Willen, Studienleistungen anzuerkennen, die an anderen Hochschulen erbracht wurden, ist selbst innerhalb Deutschlands ein solcher Austausch mit großen Hindernissen behaftet.“
Auf die Frage, ob sie ein inländisches Hochschul-Austauschprogramm befürworten, äußern sich zunächst alle Befragten positiv über Mobilität im Allgemeinen – die Idee eines solches Programms wird aber eher verhalten aufgenommen.
So formuliert Albert Rupprecht von der CDU/CSU-Fraktion in seiner schriftlichen Antwort zwar zunächst: „Die Austausch-Möglichkeit ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Ein Hochschulwechsel erweitert immer den Horizont, egal ob von Aachen nach Maastricht oder von Kiel nach Passau.“
Doch dann fügt er hinzu: „Das deutsche Hochschulsystem lässt derartige Wechsel ausdrücklich zu.“
Es geht ja aber nicht um formale Hochschulwechsel, die tatsächlich und wenig überraschend möglich sind, sondern um Austausche.
Bei Ernst Dieter Rossmann (SPD) klingt das ähnlich, wobei er einem staatlichen Inlandsaustauschprogramm zunächst eine Absage erteilt:
„Studiengänge und das Studium als solches sollten sich an den studentischen Lebensrealitäten und Wünschen orientieren. Dies bezieht auch die Möglichkeit zu mehr Mobilität mit ein. Ich glaube allerdings, dass es bei der Ermöglichung von Auslandsaufenthalten von Studierenden – auch für Studierende aus finanziell schwächeren Haushalten – oder auch der Studienfinanzierung im Allgemeinen (z.B. BAföG) aktuell größere Baustellen und einen größeren Bedarf für staatliches Handeln gibt. Innerhalb der im Vergleich zu Magister- und Diplomstudiengängen ohnehin kurzen Bachelor- und Masterstudiengänge zusätzlich bundesweite Stipendienprogramme für einen Inlandsaustausch zu etablieren, nimmt nach meinem Ermessen eine geringere Priorität ein, auch weil ein Inlandsaustausch, anders als beispielsweise internationale Austauschprogramme, nicht noch zusätzlich den interkulturellen Austausch fördert.“
Kai Gehring von Bündnis 90 / Die Grünen äußert sich da vager, hält aber fest:
„Ein unproblematischer Uni-Austausch innerhalb Deutschlands ermöglicht den Studierenden große Flexibilität und Entfaltungsmöglichkeiten. Wir wollen inländische wie ausländische Mobilität stärken, denn der Wechsel der Hochschule, des Wohnortes oder des persönlichen Umfeldes ist vielfach eine Horizonterweiterung und wichtige Lebenserfahrung.“
Deutlich positiv äußert sich nur Rosemarie Hein von der Linksfraktion:
„Die Möglichkeit, die Leistungen eines Studiengangs an verschiedenen Hochschulen zu erbringen, begrüße ich ausdrücklich. Ein Studium ist mehr als nur eine berufliche Qualifikation, es soll die Fähigkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten vermitteln. Dafür ist es sinnvoll, unterschiedliche Herangehensweisen vergleichen zu können. Die Möglichkeit, verschiedene wissenschaftliche Perspektiven oder neue Forschungsansätze zu vertiefen, sollte nicht nur mit einem Auslandsaufenthalt bzw. mit einem vollständigen Wechsel an eine andere Hochschule möglich sein.“
Studis Online fragte dann noch nach der Meinung der Abgeordneten zu einem Stipendiensystem für solch ein Austauschprogramm.
Der CSU-Abgeordnete Rupprecht hat dafür nichts übrig – kein Wunder, denn für die Idee eines solchen Programms hat er sich nicht erwärmen können.
Ernst Dieter Rossmann von der SPD, für den das Thema keine hohe Priorität hat, kündigt immerhin an, es nicht ganz aus den Augen zu verlieren:
„Es wäre vielleicht ratsam, die Erfahrungen anderer Länder mit Inlandsmobilität auszuwerten, bevor man sich diesbezüglich damit auseinandersetzt, ob ein Stipendienprogramm sinnvoll wäre oder nicht. Dies werde ich in unseren fachpolitischen Kreisen anregen.“
Während Kai Gehring diese Frage nicht konkret beantwortet, spricht sich die Linke Hein klar für ein Stipendiensystem aus: „Eine solche Förderung darf jedoch nicht nur wenigen StipendiatInnen vorbehalten bleiben oder an bestimmte Leistungen (Notendurchschnitt u.ä.) gebunden werden.“
Das Ministerium schweigt, die Mobilität steigt
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung möchte zu diesen Fragen nicht Stellung nehmen. Es beschränkt sich auf den Hinweis: „Der Bund fördert die Mobilität von Studierenden dadurch, dass das BAföG und die steuerlichen Freibeträge für die Eltern bei auswärtiger Unterbringung höher sind.“
Eine Studie der Kultusministerkonferenz zeigt, dass der Anteil der Studierenden, die in einem anderen Bundesland studierten als dem, in dem sie ihre Hochschulzugangsberechtigung erworben hatten, zwischen 1980 (in der BRD) und 2009 von 26 auf 35 Prozent stieg. Die meisten von ihnen gingen in ein Nachbarbundesland.
Die Mobilität steigt also – ist aber bei genauerem Hinsehen zu relativieren. So hält besagte Studie fest:
„Zählt man die sesshaften Studienanfänger mit denjenigen zusammen, die in unmittelbar angrenzenden Nachbarländern studieren, so ergibt sich nur ein Anteil von 13,5 % an Studienanfängern, die über das Nachbarland hinaus wandern. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass bei Wanderungen innerhalb großer Flächenländer wie Bayern oder Niedersachsen mitunter größere räumliche Entfernungen überwunden werden als andernorts bei Wanderungen in ein Nachbarland oder sogar bei Wanderungen über die Nachbarländer hinaus.“
Aufgrund der stark unterschiedlichen Größen der Bundesländer sind also Mobilitätsstatistiken, die sich auf die Länder beziehen, wenig aussagekräftig. Belastbar scheint einzig die Aussage zu sein, dass die Mobilität seit 1980 generell stark gestiegen ist.
Doch müsste sich die Politik hier gar nicht mit solchen manchmal schwierig zu interpretierenden Zahlen herumschlagen. Da es nämlich konkret um das Thema Hochschulaustausch geht, und nicht um Hochschulwechsel oder Mobilität an sich, sind die bisherigen Verhaltensmuster von Studierenden wenig relevant – umso weniger, wenn es sich um Zahlen zu Studienanfängern handelt, wie im vorangegangenen Zitat. Während nämlich Wahl des Erststudienortes und Hochschulwechsel verschiedenste Gründe haben können, könnte ein staatliches Austauschprogramm den fachlichen Aspekt betonen: Entwickle dich weiter, indem du die Dinge studierst oder praktizierst und die Leute triffst, die dich am meisten interessieren – und das, im Gegensatz zum Erasmus-Programm, ohne Sprachprobleme (die der historische Erasmus von Rotterdam bei seinen europaweiten Hochschulwechseln übrigens auch nicht hatte, da alles auf Lateinisch war). Das nähere Kennenlernen einer Koryphäe oder das Testen der Meeresforschung in Kiel könnte der Staat, wenn schon nicht direkt finanziell, dann wenigstens durch die Schaffung eines Austauschprogramms fördern.