Red Bull verleiht TitelSalzburger Privatuni geht mit Studienfach Medizin auf Deutschlandtour
In Deutschland führt der Weg zum Medizinstudium durch ein Nadelöhr. Zum Wintersemester 2013/14 buhlten über 44.000 Interessenten um wenig mehr als 9.000 Plätze in der Humanmedizin. Ganz ähnlich sieht es bei der Zahn- und Tiermedizin aus. Weil die Ausbildungskosten höher sind als in sämtlichen anderen Fächern, setzen die staatlichen Hochschulen auf strikte Rationierung. Mancherorts wird ein Numerus clausus (NC) von 1,2 aufgerufen. Wo selbst diese Hürde zu viele überspringen, besorgen diffizile Medizinertests den Rest.
Traumberuf Arzt: 2013/14 buhlten über 44.000 Interessenten um wenig mehr als 9.000 Plätze
Wer sich als Zukurzgekommener dennoch nicht von seinem Traumberuf abhalten lassen will, hat im Wesentlichen drei Möglichkeiten. Er kann etliche Wartsemester absitzen, gegenwärtig sind es mindestens zwölf. Er kann riskieren, sich einen Platz auf dem Klageweg zu erstreiten. Und wem dies zu langwierig und teuer wird, kann sein Glück im Ausland versuchen. Mit einem erfolgreichen Studienabschluss in einem Staat der Europäischen Union (EU) sowie in der Schweiz löst man in aller Regel das Ticket, auch in Deutschland als Arzt praktizieren zu dürfen. Möglich ist dies auch im Falle eines Abschlusses im Nicht-EU-Ausland, wobei man dafür eventuell zusätzliche Nachweise etwa in Form einer Prüfung erbringen muss.
NC-Flucht ins Ausland
Ein Grenzgang erscheint vor allem deshalb lohnend, da es einen NC nach deutschem Muster andernorts nicht gibt. Beispielsweise halten die österreichischen Hochschulen immerhin 20 Prozent ihrer Studienplätze in der Medizin für EU-Bürger vor, fünf Prozent gehen an Studierende außerhalb der Union. Dazu kommt: Medizin wird inzwischen vielerorts auf Englisch gelehrt, die jeweilige Landessprache muss also gar nicht unbedingt beherrscht werden. Das gilt etwa für Tschechien, Bulgarien oder Polen, in Ungarn kann man Medizin sogar auf deutsch studieren. Allerdings erheben Ungarische Universitäten dafür Studiengebühren von jährlich weit über 10.000 Euro. Zahlungspflicht besteht allerdings in nahezu allen Staaten, besonders tief muss man in Australien und den USA in die Tasche greifen. Aber auch sonst sind Kosten zwischen 5.000 und 10.000 Euro jährlich eher die Regel denn die Ausnahme.
Als Möchtegernmediziner muss man also entweder ein Musterschüler sein oder aus gut betuchtem Elternhaus stammen. Auf Deutschlands reiche Sprösslinge hat die Paracelsus Medizinische Privatuniversität (PMU) aus Salzburg ein Auge geworfen. Die Privatuni aus der Alpenrepublik will im Sommer in Deutschland mit einer Medical School an den Start gehen und dafür am Städtischem Klinikum Nürnberg eine Filiale eröffnen. Losgehen soll es im August mit zunächst 50 Studienplätzen für Humanmedizin, später sollen es einmal 250 werden. Interessenten müssen neben einem Abitur und einem bestandenen Eignungstest in Biologie, Chemie und Physik vor allem reichlich Geld mitbringen. Pro Jahr kassiert die PMU 13.500 Euro von den Studierenden, für fünf Jahre, die das Studium dauern soll, werden stattliche 67.500 Euro fällig. Wer so viel nicht locker hat, kann auch sein künftiges Einkommen beleihen, mit zwölf Prozent des Bruttoentgelts in zwölf Jahren.
Karriere im Paket
Der Einsatz könnte sich ziemlich schnell bezahlt machen. Das Studium wird direkt mit einem Doktortitel gekrönt, Absolventen erhalten nach erfolgreichem Abschluss automatisch den Titel "Dr. med. univ.". Nicht nur haben sie damit sogleich ihre Berufszulassung als Arzt in der Tasche, sie sind vielen ihrer Konkurrenten auch einen gewaltigen Schritt voraus. An den deutschen Normalounis ist eine Promotion nicht zwingend erforderlich, man erhält auch ohne Doktortitel eine Approbation. Wer jedoch höher hinaus will, muss sich seine Promotion zeit- und arbeitsintensiv während des Studiums erarbeiten oder später im Rahmen einer wissenschaftlichen Teilzeitstelle an einem Klinikum nachholen. Der PMU-Absolvent kauft sich seine Karriere dagegen praktisch fertig im Paket.
"Wissenschaftlicher Discounter"
Das Vorhaben sorgt unter deutschen Ärzte- und Hochschulvertretern für allerhand Missmut. So warnt etwa der Medizinische Fakultätentag (MFT), der Verband der staatlichen Medizin-Universitäten und medizinischen Forschungseinrichtungen davor, dass sich ein "wissenschaftlicher Discounter" in Nürnberg "deutsches Hochschulterrain" erschließe. Vor allem geht die Sorge um, mit dem Vorstoß könnten hiesige rechtliche und Qualitätsstandards unterlaufen werden. In einer gemeinsamen Erklärung des MFT und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ist mit Blick auf das "Akademische Franchising" entsprechend von einer "Ärzteausbildung light" die Rede. Und weiter: "Wer in Deutschland an einer nichtstaatlichen Franchising-Ausbildung teilnimmt, soll nach Vorstellungen von ausländischen Anbietern das bei uns geltende Zulassungs-, Ausbildungs- und Prüfungsrecht sowie die staatliche Qualitätssicherung umgehen können."
Deutsches Recht ausgesperrt
Neu an dem Konstrukt ist insbesondere, dass mit dem PMU-Engagement auf deutschem Boden erstmals ein Medizinstudium offeriert wird, ohne dass eine deutsche Universität die Finger im Spiel hat. Das Nürnberger Klinikum, wo die praktische Ausbildung vonstatten gehen soll, ist keine Uniklinik. Die theoretischen Fertigkeiten in Biologie, Physik und Chemie sollen an der Technischen Hochschule (TH) Nürnberg vermittelt werden, die bis 2013 eine Fachhochschule war. Damit werde in der privaten Nürnberger Ärzteausbildung das "gesamte Studium quasi auf FH-Ebene absolviert", bemängelt der Fakultätentag.
Die deutsche Ärztelobby sieht darin nicht nur deutsches, sondern auch europäisches Recht verletzt: Nach der Bundesärzteordnung muss ein Medizinstudium an einer wissenschaftlichen Hochschule stattfinden und laut einer EU-Richtlinie die ärztliche Grundausbildung "an einer Universität oder unter Aufsicht einer Universität" stattfinden. Volker Hildebrandt, MFT-Generalsekretär meint deshalb, "die Aufsicht durch die private Universität aus Salzburg ist nicht ausreichend".
Keine Uniklinik im Boot
Das Gebot der Wissenschaftlichkeit wähnt auch Jürgen Schüttler, Dekan der medizinischen Fakultät an der Universität Erlangen-Nürnberg, unter Beschuss. "Ich bin entsetzt. Dreh- und Angelpunkt der Ärzteausbildung in Deutschland ist, dass sie forschungsbasiert ist, dass die Studenten ganz nah am wissenschaftlichen Fortschritt ausgebildet werden." Das könnten nur Unikliniken mit ihrer Grundlagenforschung leisten. Am Städtischen Klinikum in Nürnberg gebe es "allenfalls klinische Studien". Schüttler hält es für unerträglich, "dass auf deutschem Boden eine Ausbildung stattfindet, die sich außerhalb der Kontrolle der deutschen Behörden bewegt".
Tatsächlich waren deutsche Behörden bei dem ganzen Unterfangen bislang nur Zaungast. Möglich machen dies der europäische Binnenmarkt und die im EU-Recht verankerte Niederlassungsfreiheit. Über die Bewilligung des PMU-Projekts in Nürnberg hat die Agentur für Qualitätssicherung und Akkreditierung Austria (AQ Austria) entschieden. Von der heißt es, die Akkreditierung sei regelkonform abgelaufen. In ein bis zwei Wochen werde der Endbericht veröffentlicht, über die endgültige Zulassung befinde dann abschließend das AQ-Board.
Red-Bull-Macher mischt mit
Das letzte Wort in der Angelegenheit ist aber wohl noch nicht gesprochen. Die deutsche Medizinergilde prüft derzeit rechtliche Schritte und beruft sich auf ein vom Fakultätentag in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten. Darin wird unter anderem moniert, dass das Klinikum Nürnberg eine öffentliche Einrichtung sei, die daher auch deutsches Recht zu achten habe. Hätte diese Auffassung vor Gericht Bestand, wäre die Akkreditierung durch die AQ Austria am Ende vielleicht hinfällig. Vom Grundsatz her wird aber auch in besagter Expertise die Rechtmäßigkeit des Franchisesystems nicht angezweifelt, weil die EU-Mitgliedstaaten die Studienabschlüsse für Ärzte wechselseitig anerkennen. Für den Fall einer juristischen Auseinandersetzung wäre ohnedies mit einem jahrelangen Verfahren zu rechnen. Bis zu einer Entscheidung könnten womöglich längst Fakten geschaffen sein. Oder will man kommenden Nürnberger Absolventen in fünf Jahren sagen: Euer Studium war für die Katz.
Außerdem gilt für gewöhnlich: Wo viel Geld im Spiel ist, haben die politischen Aufseher oft und gerne das Nachsehen. Der wohl namhafteste Gönner der PMU ist der Chef des Energydrinkabfüllers Red Bull, Dietrich Mateschitz, unter anderem auch Brötchengeber von Formel-Eins-Serien-Sieger Sebastian Vettel. Laut Spiegel Online investierte der Konzernboss 2012 mal eben 70 Millionen Euro in ein neues Forschungszentrum für Querschnittslähmung. Das geschah sicher nicht nur aus schlechtem Gewissen seinem Schützling gegenüber.
(rw)