Politik hält die Schotten dichtEngpässe beim Master-Zugang
In einigen Studiengängen und einigen Hochschulen nach wie vor ein Nadelöhr: Die Zugangsvoraussetzungen zu Masterstudiengängen.
Geklagt hatte eine Studentin, die nach erfolgreichem Bachelor-Abschluss ihren Master für das Lehramt am Gymnasium anschließen wollte. Die Universität Osnabrück hatte sie wegen ihres Notendurchschnitts abgewiesen. Die erbrachten Leistungen genügten nicht den in der Zugangs- und Zulassungsordnung (ZZO) festgeschriebenen Voraussetzungen, lautete die Begründung. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) Osnabrück erstritt die junge Frau zunächst eine vorläufige Zulassung zum Sommersemester, was im Juli 2013 auch das Lüneburger Oberverwaltungsgericht (OVG) bestätigte.
Wie das VG in der Vorwoche bekanntgab, ging die Klägerin auch aus dem Hauptverfahren als Siegerin hervor. Nach Auffassung der Richter ist das ZZO in "Bezug auf ein lehramtsbezogenes Master-Studium als nicht verfassungskonform und deshalb als unwirksam" zu beurteilen. Die Regularien "bildeten für Lehramtsstudiengänge eine an Noten orientierte unzulässige Hürde für das für einen berufsqualifizierenden Abschluss notwendige weitere Studium", heißt es in dem am 10. Dezember ergangenen Urteil (Az. 1 A 77/13, siehe auch Pressemitteilung). Mit dem Entscheid wurde die Uni verpflichtet, die Studentin "mit Wirkung zum Sommersemester 2013 endgültig (…) im ersten Fachsemester einzuschreiben". Abfinden will sich die beklagte Uni damit jedoch nicht. Ein Sprecher der Hochschule hat angekündigt, in Berufung zu gehen.
Kein Lehrer ohne Master
Für Studierende im Lehramt könnte der Richterspruch zweifellos wegweisend sein. Um den Lehrerberuf an einer allgemeinbildenden Schule ausüben zu können, braucht es nämlich unabdingbar einen Master-Abschluss. Nur wer diesen oder ein erfolgreiches Staatsexamen vorweisen kann, wird zum Referendariat zugelassen. Ein Bachelor of Education qualifiziert dagegen lediglich zu einer Tätigkeit im außerschulischen Bereich. In der Regel wird die aber schlechter bezahlt – und die Perspektive einer Verbeamtung mit den damit verbundenen Sicherheiten gibt es auch nicht. Für jene Lehramtsstudierenden, die eine Schullaufbahn anstreben – und das sind fast ausnahmslos alle – ist der Bachelor allein praktisch "wertlos", wie auch die VG-Richter befanden. "Absolventen eines lehramtsbezogenen Bachelor-Studiums sind daher zum Erreichen ihres Berufszieles auf die Fortsetzung ihres Ausbildungsweges im Rahmen eines Masterstudiums angewiesen."
Für das Urteil besteht bereits eine Art "Präzedenzfall" – wenngleich keiner, der vor Gericht ausgetragen wurde. Dabei hatte die Universität Hamburg zum Wintersemester 2013/14 außerplanmäßig für alle unieigenen Bachelor-Absolventen einen Master-Platz auf dem Wege von Umschichtungen im Hochschuletat bereitgestellt. Vorausgegangen waren der Vereinbarung zwischen Uni und Wissenschaftsbehörde Proteste von Studierenden, denen ein Anschlussstudium wegen fehlender Kapazitäten zunächst verweigert worden war. Laut Allgemeinem Studierendenausschuss (AStA) seien damit "fast 100 Bachelor-Absolventen vor der drohenden Arbeitslosigkeit bewahrt" worden.
Urteil mit Grenzen
Der Richterspruch aus Osnabrück hat das Zeug, auch bundesweit für klare Verhältnisse zu sorgen. Hält das Urteil auch vor höheren Instanzen stand, hätte sich das inzwischen weitverbreitete Aussieben anhand der erzielten Noten künftig erledigt – aber wohl nur im Lehramtsstudium. Für Fächer, bei denen bereits der Bachelor formell berufsqualifizierend ist, dürfte die Entscheidung von keiner Relevanz sein.
So sieht das auch Andreas Keller, Vizevorsitzender Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): "Nimmt man die Argumentation zum Maßstab, ist der Entscheid für andere Studiengänge so nicht anwendbar", sagte er gegenüber Studis Online. Zwar sei es auch für weitere Fächer "unter Umständen denkbar, zu sagen, man könne einen bestimmten Beruf nur mit einem Master ergreifen. Das wäre im Einzelfall aber sehr kompliziert nachzuweisen." So ein Grenzfall ist die Psychologie. Wem beispielsweise eine Anstellung als Schulpsychologe vorschwebt, wer Kinder- und Jugendpsychologe oder Psychologischer Psychotherapeut werden will, der benötigt dafür zwingend einen Master-Abschluss. Allerdings existieren auch andere Berufsbilder, zu denen schon der Bachelor befähigt. So eindeutig wie im Falle des Lehramts liegen die Dinge jedenfalls nicht.
Psychologen scheitern
Hamburg liefert auch hierfür Anschauungsmaterial: Dort drohten zum laufenden Wintersemester 99 Bachelor-Absolventen der Psychologie beim Gerangel um die knappen Master-Plätze auf der Strecke zu bleiben. Dem erfolgreichen Beispiel ihrer Lehramtskommilitonen folgend starteten Betroffene eine Petition und verlangten ein "Sofort-Eil-Programm" für die Zulassung der Zukurzgekommenen. Daneben forderten sie "für die Zukunft eine nachhaltige Änderung der bestehenden Zulassungsregeln", damit jeder Studierwillige am Ende auch wirklich zum Zuge kommt.
Obwohl die Initiative bis dato fast 18.000 Unterstützer fand, blieb der Vorstoß ohne Erfolg. Da die Uni einerseits die eigenen Absolventen qua Gesetz nicht bevorzugen dürfe und andererseits nicht allen Bewerbern einen Platz anbieten könne, sei man gezwungen gewesen, Bewerber abzulehnen, erklärte Pressesprecherin Christiane Kuhrt auf Anfrage von Studis Online. Am Ende des Nachrückverfahrens seien 21 Anwärter aus Hamburg leer ausgegangen. Was mit den restlichen 78 zum Semesterstart unversorgten Einheimischen geworden ist, wie viele davon schließlich doch von der Hamburger Uni genommen wurden, an einer anderen Hochschule untergekommen sind oder die Suche aufgegeben haben, lässt sich nicht nachvollziehen. Ganz zu schweigen von der großen Schar derer, die sich ursprünglich um einen Zuschlag bemüht hatten. Am Anfang gab es 1513 Bewerbungen auf kümmerliche 116 Master-Plätze.
Keine Chance mit 2,0
Solche Unverhältnismäßigkeiten sind heute längst die Regel. Wie SPIEGEL ONLINE vergangene Woche berichtete, rangelten sich beispielsweise an der Goethe-Universität Frankfurt (Main) 1289 Bachelor-Psychologen um 100 Master-Plätze. In Münster waren es demnach 2000 Betriebswirtschaftler, die um 150 Plätze buhlten, an der Uni Potsdam wurden 45 BWL-Master aus 600 Anwärtern im Losverfahren ermittelt. So hatten wenigstens auch die eine Chance, die keine Überflieger sind. Sonst läuft das nämlich anders: Wer seinen Bachelor mit der Note 2,0 und schlechter "verhaut", hat heute denkbar schlechte Aussichten, bei der Master-Vergabe zu reüssieren – zumindest nicht im Wunschfach und an der Wunschhochschule. In Zukunft, prophezeit SPIEGEL ONLINE, "könnten nicht nur die Faulen und Leistungsschwächeren am Übergang zum Master scheitern. In drei, vier Jahren wird mehr noch als jetzt die Ziffer hinter der Eins darüber entscheiden, wer eine Chance bekommt (…)".
Sorgen macht man sich deshalb auch in Nordrhein-Westfalen. Dort war im Sommersemester 2011 die Lehrerausbildung auf die neue Studienstruktur umgestellt worden. Im kommenden Herbst wird sich erstmals zeigen müssen, ob die Master-Kapazitäten ausreichen. Julian Hopmann vom AStA der Uni Siegen sieht auf die Betroffenen ein "großes Problem" zukommen. Und auch die Landes-GEW befürchtet, "dass die Plätze dann nicht reichen" und so mancher Lehramtsanwärter Wartezeiten hinnehmen müsse, bevor er mit dem Master-Studium loslegen kann. Zumindest die örtliche Presse scheint die Ängste ernst zu nehmen und titelte reißerisch über das "Master-Desaster".
Politik stellt auf Durchzug
Ganz anders die Politik: Die will von den Nöten beim Master-Zugang schlicht nichts wissen. Sowohl seitens der Länder als auch der Bundesregierung heißt es immer wieder, das Angebot sei hinreichend groß, um alle zu versorgen. Studis Online hat bei der Kultusministerkonferenz (KMK) nachgefragt und erhielt zur Antwort, dass "Universitäten und Fachhochschulen ihr Angebot im Masterbereich auch im vergangenen Jahr bedarfsgerecht ausgeweitet" hätten. In der Gesamtschau sei "erneut kein Mangel an Masterstudienplätzen zu erkennen" gewesen. "Jüngst in der Presse aufgezeigte Problemlagen können daher in dem beschriebenen Ausmaß bislang nicht bestätigt werden." Immerhin wird eingeräumt, dass "Engpässe mit Blick auf einzelne Studienorte, Hochschulen oder Fächer möglich" seien.
Für Bund und Länder ist das aber halb so wild, weil man als Bachelor-Absolvent mit der nötigen Flexibilität bei der Fächerwahl und beim Studienort gegenwärtig wohl immer noch irgendwie und irgendwo unterkommen kann. Rückendeckung liefert den Verantwortlichen eine neuere Studie der Hochschul Informations System GmbH (HIS). Die kommt zu dem Schluss, dass immerhin 78 Prozent der Master-Anfänger vom Wintersemester 2011/12 "nicht nur im gewünschten Fach, sondern auch an der gewünschten Hochschule" studieren würden. In der begleitenden Pressemitteilung schrieben die Autoren gar: "Fast alle, nämlich 95 Prozent, studieren ihr Wunschfach."
Lückenhafte Statistik
Das klingt nach fast paradiesischen Zuständen. Allerdings hat die Erhebung einen gewaltigen blinden Fleck. Nicht berücksichtigt werden nämlich diejenigen, die beim Wetteifern um einen Master-Platz auf der Strecke geblieben sind, die also womöglich noch suchen, die Suche vertagt oder frustriert aufgegeben haben – und vielleicht schon im Beruf oder arbeitslos auf der Straße stehen. Das gab auch Katharina Mahrt, Vorstandsmitglied beim "freien zusammenschluss von studentInnenschaften" (fzs) im Gespräch mit Studis Online zu bedenken. "Bachelorabsolventen werden oft von ihrem Wunschstudium abgehalten, ohne dass sie in die Statistik eingehen", äußerte sie sich. Außerdem sage die absolute Anzahl an Master-Plätzen "nichts darüber aus, ob der Bedarf in den einzelnen Fächern gedeckt wird". Andere Untersuchungen prognostizieren Szenarien, die einen deutlichen Mangel an Masterstudienplätzen in den kommenden Jahren skizzieren.
36.000 Plätze zu wenig?
Im Vorjahr hatte das Bertelsmann-nahe Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) ob der absehbaren Versorgungslücken Alarm geschlagen. Nach seinen Berechnungen könnten bald bis zu 36.000 Master-Anwärter leer ausgehen, sofern der Run auf die Hochschulen anhält und weiterhin das Gros der Studierenden den Master anstrebt. Und genau dafür spricht momentan ziemlich viel. Gegenwärtig haben es über drei Viertel der Bachelor-Absolventen auf einen Master-Abschluss abgesehen. Ursprünglich hatten die Hochschulplaner einmal damit kalkuliert, dass nur einer von drei Absolventen in den Master überwechselt.
Diese Rechnung ist zwar überholt, die ganze Realität wollen die politisch Verantwortlichen aber dennoch nicht wahrhaben. "Die neueren Vereinbarungen zum Hochschulpakt gehen mittlerweile von einer Übergangsquote von 50 Prozent aus", erläuterte Keller von der GEW. "Das bedeutet aber, die Übertrittsquoten liegen nach wie vor deutlich über dem, was mit dem Pakt ausfinanziert ist." Mit Blick auf die Warnungen des CHE sagte Keller: "Wenn selbst diejenigen auf einen bestehenden und zunehmenden Mangel hinweisen, die immer für die Bologna-Studienstrukturreform geworben haben, dann muss ja wirklich etwas faul sein." (rw)