Zehn Quadratmeter LuxusAktionswoche gegen Wohnungsnot
Logo des Bündnis Studis gegen Wohnungsnot
Mit dabei beim Bündnis gegen Wohnungsnot sind unter anderem der "freie zusammenschluss von studentInnenschaften" (fzs), die Jugendorganisationen des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der Bundesausschuss der Studierenden in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW BASS), der Bundesverband Ausländischer Studierender (BAS), die Juso-Hochschulgruppen, Campusgrün sowie Die Linke.SDS. Auf einer Pressekonferenz zum Auftakt der Kampagne am Montag nannten die Aktivisten die Situation auf dem studentischen Wohnungsmarkt "katastrophal". Auf den Wartelisten der Studentenwerke für einen Wohnheimplatz stünden derzeit über 50.000 Bewerber, die Nachfrage nach WG-Zimmern sei riesig und die Mieten der hochschulnahen Wohnungen wären für die meisten unbezahlbar.
Sparstrumpf soziale Infrastruktur
Für fzs-Vorstandsmitglied Katharina Mahrt ist all das "keine Überraschung", wie sie vor Pressevertretern in Berlin erklärte. Während die Zahl der Studierenden in den zurückliegenden Jahren massiv zugelegt habe, sei in die soziale Infrastruktur "kaum investiert" worden. Das Deutsche Studentenwerk (DSW) beziffert den Bedarf an zusätzlichen Heimplätzen mit mindestens 25.000. Gleichwohl würden nur ein paar wenige Länder entsprechende Förderprogramme auflegen, beklagte die Studierendenvertreterin. Der große Rest glaube, das Problem aussitzen zu können. "In der Realität sitzen jedoch die Studierenden – auf der Straße!"
Das DSW als Dachverband der bundesweit 58 Studentenwerke hat in der Zeit vom 24. Juli bis 18. August 12.000 Studierende per Online-Erhebung zu ihren Erfahrungen bei der Wohnungssuche befragen lassen. Von den Studienneulingen haben demnach fast zwei Drittel die Situation als "schwierig" oder "sehr schwierig" bewertet. Ein Viertel war gezwungen, die erst beste – nicht wunschgemäße – Unterkunft zu nehmen, weil sich nichts anderes auftreiben ließ, keine Zeit zur weiteren Suche blieb oder die Wahl von vornherein als vorübergehende Notlösung angesehen wurde.
Schlechte Karten für Ausländer
Ganz schlechte Karten, zum Zug zu kommen, haben gemäß der Studie ausländische Studierende. Ihre Einnahmen sind in aller Regel geringer als die ihrer deutschen Kommilitonen. Die Nachfrage nach Wohnheimplätzen liegt bei den Zugereisten deshalb drei- bis viermal höher als unter den Einheimischen. DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde kommentierte die Ergebnisse der Untersuchung wie folgt: "Es kann nicht sein, dass Studienanfänger in Deutschland erst wochenlang mühsam eine Bleibe suchen und dann mit Notlösungen Vorlieb nehmen müssen, die die Konkurrenz auf den städtischen Wohnungsmärkten zwischen Studierenden und anderen Bevölkerungsgruppen mit geringerem Einkommen noch zusätzlich verschärfen. Das ist bildungs- und sozialpolitisch falsch, und dagegen hilft nur staatlich geförderter Studentenwohnheimbau."
Wie das DSW fordert auch das Bündnis gegen Wohnungsnot den Neubau von bundesweit 25.000 neuen Wohnheimplätzen sowie ein begleitendes Bund-Länder-Programm zur ausreichenden Wohnungsversorgung von Studierenden. Bundesbauminister Peter Ramsauer (CSU) hatte vor gut einem Jahr das Gesamtdefizit an bezahlbarem Wohnraum für Studierende mit rund 70.000 umrissen, erheblicher Mangel besteht demnach insbesondere an bezahlbaren WG-Zimmern. Weiterhin verlangen die Aktivisten in ihrem Aufruf eine substanziell bessere Finanzausstattung der Studentenwerke durch Bund und Länder, eine Rekommunalisierung von ehemals staatlichen und städtischen Wohnungen oder Flächen und ein verstärktes Engagement der Kommunen im sozialen Wohnungsbau, dazu eine Mietpreisbremse bei Altverträgen und ein Verbot von Mitaufschlägen wegen Neuvermietung.
Wohnen ist Luxus
Besonders prekär ist Lage derzeit in den Großstädten. Weil Berlins Regierende seit Jahren den Wohnheimausbau verschlafen und die sogenannte Gentrifizierung ganzer Stadtteile mit ihrer allein auf das Wohl reicher Investoren ausgerichteten Wohnungspolitik befördert haben, steht für Studierende kaum mehr erschwinglicher Wohnraum zur Verfügung. Nach einem Bericht der Critica, der Semesterzeitung von Die Linke.SDS, schnellte die Durchschnittsmiete in der Hauptstadt in den vergangenen fünf Jahren um 25 Prozent in die Höhe. München legte allein im Vorjahr um sieben Prozent auf nunmehr 14,20 Euro pro Quadratmeter zu. Dazu seien zwischen 2005 und 2010 die Kosten für Strom im Bundesschnitt um 30 Prozent gestiegen. Neue Wohnungen entstünden in den Innenstädten praktisch nur noch im Hochpreissegment, wodurch die finanziell schlechter gestellten Bewohner zunehmend aus den Zentren in die Peripherie verdrängt würden. "Davon sind auch Studierende massiv betroffen", heißt es in dem Beitrag, der treffend titelt: "Wohnen ist die neue Rolex"
Wie Kerstin Wolter, Bundesgeschäftsführerin von Die Linke.SDS, am Mittwoch gegenüber Studis Online anmerkte, müsse man in Berlin-Kreuzberg mitunter 40 Monate warten, um einen Wohnheimplatz zu ergattern. Für viele Studierende seien die Bedingungen "wirklich dramatisch". Viele wären Anfang November noch auf Wohnungssuche. WG-Castings mit Bewerbungen im dreistelligen Bereich und Notunterkünfte in Turnhallen und Containern gehörten heute vielerorts zur Normalität. "Wer bei Freunden auf der Couch unterkommt, kann sich da noch freuen." Gegen die Missstände regt sich an den Hochschulen zum ersten Mal wahrnehmbarer Unmut, nachdem es in den Vorjahren lediglich zu vereinzelten, lokal begrenzten Aktionen gekommen war. "Diesmal haben wir es geschafft, diesen Protest als bundesweites Bündnis koordiniert auf die Beine zu stellen, um damit mehr Druck auszuüben und den dezentralen Protestformen mehr Gehör zu geben", erläuterte Wolter.
Demonstration in Berlin
Vor allem von den Aktivitäten in Berlin versprechen sich die Initiatoren bleibende Eindrücke. Am morgigen Donnerstag wird es eine Demonstration (Infos dazu), ausgehend vom Breitscheidplatz mit abschließender Kundgebung vor der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung am Fehrbelliner Platz geben. Das Motto lautet: "Für ein Recht auf Stadt". Außerdem wollen Aktivisten ein "neues Wohnheim" unter freiem Himmel direkt vor dem Roten Rathaus, dem Berliner Regierungssitz, errichten, in Pyjamas, in Decken und Schlafanzügen dem Herbstwetter trotzen und ein Theaterstück aufführen. Größere Aktionen sind auch in Hamburg und mehreren Städten im Ruhrgebiet geplant, wo das Bündnis als Teil der lokalen Mieterproteste besonders aktiv ist.
Selbst in Bayern, das in Sachen Wohnheimausbau im Ländervergleich seit Jahren die mit Abstand größten Anstrengungen unternimmt, herrscht unter Studierenden akute Wohnungsnot. Nach einer von der SPD-Fraktion im Landtag durchgeführten Umfrage mussten in Würzburg, Bamberg und München bereits Notquartiere geschaffen werden, die Stadt Passau appelliere an die Bevölkerung, leerstehenden privaten Wohnraum zu melden. Weil auch im Freistaat bei weitem nicht jeder Studierende im Wohnheim unterkommt – auf einen Zuschlag in München wartet man bis zu vier Semester – muss sich die große Mehrheit auf dem freien Markt durchschlagen. Und auf dem ist in Folge der exzessiven Immobilienspekulation der zurückliegenden Jahre, von Luxussanierungen in großem Stil und der faktischen Abwicklung des sozialen Wohnungsbaus für Normalbürger praktisch kein Platz mehr.
Studentenbude für 358 Euro
Bei Neuvermietungen sind Preisaufschläge von 20 Prozent nicht unüblich. In München werden für ein Studentenzimmer inzwischen durchschnittlich 358 Euro fällig. Die BAföG-Pauschale zur Deckung der Wohnkosten liegt aber seit 2010 unverändert bei nur 224 Euro. Nach der aktuellen Sozialerhebung des DSW gehen rund 34 Prozent der Einnahmen von Studierenden allein für die Wohnkosten drauf. Für jene, die alleine wohnen, sind es sogar 38 Prozent oder im Mittel 357 Euro (Übersicht Wohungskosten).
Da braucht es entweder reiche Eltern oder einen Studentenjob, der ordentlich Geld abwirft. Mittlerweile gehen 36 Prozent aller Hochschüler neben ihrem Studium arbeiten. Nach einer Untersuchung der Universität Maastricht müssen Studierende in Berlin pro Monat 35,7 Stunden jobben, um die Kosten für ihre Unterkunft begleichen zu können. In München sind es 37,5 und in Hamburg sogar 38,5 Stunden. Wer dazu auch noch essen, trinken und mitunter ein bisschen leben will, muss freilich noch mehr ranklotzen.
"Runde Tische" für nichts
Außer ein paar Absichtsbekundungen haben Bund- und Ländervertreter bislang noch nichts Zählbares zur Behebung der studentischen Wohnungsnot beigetragen. Die beiden von Ramsauer einbestellten "Runden Tische" sind wirkungslos verpufft. "Wer ernsthaft fordert, Studierende auf Hotelschiffen unterzubringen, anstatt sich für einen ausreichenden Ausbau von Wohnheimen einzusetzen, von dem kann man auch nicht viel erwarten", meinte dazu Wolter von Die Linke.SDS. "Ramsauer spricht von 3000 zusätzlichen Wohnheimplätzen jährlich. Das ist wirklich ein Witz, wenn wir uns die jährlich steigenden Studierendenzahlen anschauen." In den laufenden Koalitionsverhandlungen haben sich Union und SPD auf eine sogenannte Mietpreisbremse geeinigt. Studierenden, die zu den unteren Einkommensgruppen gehören, bringt die Maßnahme faktisch nichts.
Wohnen auf dem Bierdeckel
Auch in Frankfurt (Main) wird am Freitag demonstriert, auf dem Römerberg vor dem Rathaus. Daniel Katzenmaier vom Sozialreferat des AStA der Goethe-Uni schätzt, dass in der Stadt noch rund 1000 Studierende auf Wohnungssuche sind. "Der Trend geht jetzt dahin, dass die Studenten im Umland wohnen, in Höchst oder in Offenbach. Die Innenstadt wird langsam von Studentenwohnungen gereinigt", beklagte er im hessischen Rundfunk. Bei so viel Mangel heißt es, neue Wege zu gehen. Im fränkischen Würzburg hat manch ein Student sein "Glück" im Wohnwagen gefunden, auf dem Campingplatz "Kalte Quelle", mit Blick auf den Main. Für die meisten sei das eine Übergangslösung, sagt Betreiber Stefan Schmitt. "Wir hatten aber auch schon Studenten, die ihr gesamtes Studium über geblieben sind." (rw)