Studieren unter der Brücke?Hochschüler in Wohnungsnöten
Studis Online: Bis zum Start des Wintersemesters, am 1. Oktober, sind es noch über vier Monate. Würden sie angehenden Studierenden trotzdem dazu raten, bereits jetzt mit der Wohnungssuche loszulegen?
Achim Meyer auf der Heyde ist Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), in dem die 58 Studentenwerke in Deutschland zusammengeschlossen sind.
Achim Meyer auf der Heyde: Wenn man jetzt schon einen Studienplatz hat und weiß, in welcher Stadt man studieren wird, sollte man am besten sofort auf Wohnungssuche gehen. Erfahrungsgemäß ist es nämlich schon im August und September ziemlich schwer, eine Bleibe zu finden. Ganz extrem wird es dann im Oktober und November für diejenigen, die erst auf den letzten Drücker eine Zulassung erhalten. Je früher man anfängt, desto besser stehen auf jeden Fall die Chancen, eine wunschgemäße und bezahlbare Wohnung aufzutun.
Und was raten sie denen, die noch keinen Studienplatz haben?
Die haben leider mit jedem Tag, den sie länger auf ihren Zuschlag warten müssen, schlechtere Karten. Deshalb sollten sie umgehend zur Tat schreiten, wenn sie grünes Licht bekommen. Manche kommen allerdings erst im Nachrückverfahren zum Zuge. Den Betroffenen empfehle ich, sich zuallererst an das örtliche Studentenwerk zu wenden. Die Studentenwerke arbeiten mit lokalen Wohnungsunternehmen zusammen und haben beste Kenntnisse über den jeweiligen Wohnungsmarkt. Außerdem initiieren sie in den Wochen und Monaten vor Semesterbeginn verschiedene Aktionen mit dem Ziel, jedem Interessenten ein Angebot machen zu können.
Darauf kommen wir später noch zu sprechen. Zunächst eine Nachfrage: Ab wann wurde es in den vergangenen zwei, drei Jahren so richtig eng auf dem studentischen Wohnungsmarkt?
Weil 80 bis 90 Prozent der Studienneulinge im Wintersemester ein Studium aufnehmen, ist der Druck auf den Wohnungsmarkt im Herbst und Winter natürlich sehr viel größer als im Vorfeld des Sommersemesters. Das große Drängeln geht im September los, und im Oktober und November spitzt sich die Lage weiter zu. Allerdings lässt sich für die jüngeren Jahre eindeutig feststellen: Die Situation hat sich noch einmal merklich verschärft, eben weil die Hochschulen so voll sind wie noch nie. Das ist zwar schön, bringt aber auch seine Probleme mit sich.
Zum Wintersemester 2012 machten Berichte von mitunter sehr chaotischen Zuständen die Runde: Demnach wären Zigtausende noch Wochen nach Semesterbeginn ohne Bleibe gewesen. Betroffene hätten in Turnhallen, auf Schiffen, Zeltplätzen und in anderen Notbehelfen unterkommen müssen. Hat sich die Situation zum Jahresende hin zumindest soweit entspannt, dass jeder ein Dach über dem Kopf gefunden hat?
Es gab tatsächlich solche Vorkommnisse, aber auch nicht überall. Klassische Hochschulstädte mit ihrem begrenzten Wohnangebot wie Freiburg, Marburg, Gießen und Tübingen haben inzwischen erhebliche Probleme, die Nachfrage zu bedienen. Insbesondere in den Ballungsgebieten wie Hamburg, München, Frankfurt oder Köln ist es sehr schwer für Studierende, Wohnraum zu finden. Dazu zählt mittlerweile auch Berlin, wo es vor noch nicht langer Zeit recht einfach war, bezahlbaren Wohnraum zu finden, insbesondere in Wohngemeinschaften. Der größte Druck, der überall im Oktober und November bestanden hat, ließ in besagten Städten irgendwann aber schon nach, wenn auch nur allmählich. Und in Bremen zum Beispiel stehen jetzt im Sommersemester für die bezahlbaren Wohnheimplätze noch rund 260 Studienanfänger aus dem Wintersemester auf der Warteliste.
Sind Ihnen auch Fälle bekannt, in denen Leute gar keine Bleibe gefunden haben?
Zum Ende des Semesters hin war der größere Teil der zunächst Zukurzgekommenen nach unseren Kenntnissen mit Wohnraum versorgt. Oft ist es aber so, dass die Wunschwohnung nicht gefunden wird und man sehr teuer mieten muss. Oder man landet irgendwo weit weg von der Hochschule auf dem Land und muss für viel Geld pendeln. Weil Betroffene aus solchen Wohnungen schnellstens, zum Teil schon im laufenden Semester wieder raus wollen, führt das zu einer hohen Fluktuation, wodurch die Preise für Neuvermietungen weiter anziehen.
Auf jeden Fall sieht ein perfekter Studienstart anders aus …
Richtig. Das Arbeitspensum sowie der Leistungs- und Prüfungsdruck ist durch die Umstellung auf das Bachelor- und Master-System vom ersten Tag an extrem hoch. Wenn man sich dann noch um Dinge wie Wohnungssuche und die Studienfinanzierung kümmern muss, dann sind das Belastungen, die den Studienstart nicht nur wesentlich erschweren, sondern mithin sogar den Studienerfolg in Frage stellen.
Zumal man, um sich die teuren Mieten überhaupt leisten zu können, nebenher auch mehr jobben muss. Wie haben sich die Wohnkosten für Studierende in jüngeren Jahren entwickelt?
Nach der Sozialerhebung aus dem Jahr 2009 lag der Durchschnittswert der Wohnkosten von Studierenden bei 283 Euro. Die Daten für 2012 werden voraussichtlich in diesem Sommer veröffentlicht. Angesichts der gestiegenen Energie- und anderen Unterhaltungskosten hat es bestimmt noch einmal einen spürbaren Preisschub gegeben. Am günstigsten wohnt man heute mit 214 Euro in den Studentenwohnheimen. Auf dem freien Wohnungsmarkt, speziell in den Ballungsgebieten zahlt man 300 Euro und mehr. Annähernd so teuer ist es mittlerweile auch in klassischen Unistädten wie Heidelberg und Marburg. Und selbst in den neuen Bundesländern haben die Wohnkosten zum Teil drastisch angezogen, in Potsdam zum Beispiel oder in Jena. Dort besteht eine Leerstandquote von unter einem Prozent. Unter solchen Bedingungen ziehen Studierende natürlich gegenüber der zahlungskräftigeren Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt in der Regel den Kürzeren.
Bei gleichbleibend knappem Wohnungsangebot und zugleich steigenden Studierendenzahlen müsste sich die Lage zwangsläufig mit jedem Jahr verschärfen. Wo soll das hinführen?
Genau das ist unsere große Sorge. 2003 gab es 1,7 Millionen Studierende, heute sind es 2,5 Millionen. Die Wohnungsmärkte haben in dieser Zeit nur unzureichend mitgezogen, gerade in punkto Versorgung mit Wohnheimplätzen. Deren Zahl lag vor zehn Jahren bei rund 225.000, heute sind es gerade einmal 5.000 mehr. Die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Erfordernissen wird immer größer, und trotzdem tut sich viel zu wenig auf dem Gebiet.
Dabei rollt in diesem Jahr ein doppelter Abiturjahrgang aus Nordrhein-Westfalen auf die Hochschulen zu. Der Deutsche Mieterbund hat auch vor diesem Hintergrund unlängst vor einer bevorstehenden "dramatischen Wohnungsnot" unter Familien, Geringverdienern, Rentnern und eben auch Studierenden gewarnt. Womit rechnen Sie?
Vor allem günstige Zimmer für Studierende werden auch in den kommenden Wintersemester oft Mangelware sein
Verschlafen wurde nicht nur die Entwicklung an den Hochschulen. Der Raumordnungsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2004 hatte damals schon einen Trend zur Reurbanisierung konstatiert. Mit den Studierenden konkurrieren seither Jahr für Jahr mehr Menschen aus unterschiedlichsten Gruppen um ein knappes und knapper werdendes Wohnangebot. Trotzdem haben es die Bundesländer jahrelang unterlassen, den sozialen Wohnungsbau entsprechend zu fördern und preisgünstigen Wohnraum zu schaffen. Vor allem wurde nur in wenigen Ländern und dort zumeist unzureichend in den Bau von Wohnheimen investiert. Während die Kapazitäten an Studienplätzen im Rahmen des Hochschulpaktes wiederholt aufgestockt wurden, hat die Politik die Förderung der sozialen Infrastruktur rund um das Studium völlig vernachlässigt. All das rächt sich jetzt.
Ihr Verband fordert seit Jahren die Schaffung von bundesweit 25.000 zusätzlichen Wohnheimplätzen. Wäre eine Zugabe dieser Größenordnung angesichts der herrschenden Engpässe nicht nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein?
Im Durchschnitt gehen 35 Prozent der Studienanfänger in ein Wohnheim. Rechnet man das hoch auf den Zuwachs an Studienplätzen und berücksichtigt, dass Studierende mit zunehmendem Alter eine eigene Wohnung anstreben, dann braucht es diese 25.000 Plätze, um überhaupt ansatzweise die Nachfrage bedienen zu können.
Sie sagen "ansatzweise". Ein paar mehr wären Ihnen also schon lieber?
Bundesbauminister Peter Ramsauer hat den zusätzlichen Gesamtbedarf an bezahlbarem studentischem Wohnraum mit 75.000 beziffert, ein Drittel davon wären dann besagte 25.000 Wohnheimplätze. Es wäre sicherlich nicht schlecht, ginge das zusätzliche Angebot noch darüber hinaus. Aber noch sind wir ja weit davon entfernt, nur den dringendsten Bedarf zu decken.
Immerhin hat die Bundesregierung das Problem wohl erkannt. Ramsauer hatte im November eigens zu einem Runden Tisch "Wohnraum für Studierende" geladen, an dem auch das Deutsche Studentenwerk Platz nehmen durfte. Was ist seither passiert, insbesondere auf Ebene der Länder, die ja die Zuständigkeit in der Frage innehaben?
Eine rege Bautätigkeit ließ sich in den zurückliegenden Jahren in Baden-Württemberg und vor allem in Bayern verzeichnen. Vorbildlich ist der Freistaat auch beim Umfang der öffentlichen Zuwendungen. Der staatliche Zuschuss pro Platz beträgt dort 26.000 Euro, in Baden-Württemberg sind es nur 8.000 Euro. Auch in Hessen sind einige Wohnheime über ein Zuschussprogramm entstanden, allerdings ausgehend von einer sehr ungenügenden Ausgangssituation. Vereinzelt wird auch in Rheinland-Pfalz und in Schleswig-Holstein gebaut. Nordrhein-Westfalen hat ein Darlehensprogramm aufgelegt, was wir zwar begrüßen, aber zugleich kritisch sehen. Denn nur über staatliche Zuschüsse lässt sich wirklich dauerhaft preisgünstiger Wohnraum schaffen.
Sie sehen also durchaus gute Ansätze, aber längst noch nicht überall. Was müsste darüber hinaus geschehen?
Wie schon gesagt: Die Hochschulpakte müssen sozial flankiert werden, und dabei braucht es auch und vor allem ein Bund-Länder-Programm zur Schaffung preisgünstigen Wohnraums. Aber nichts dergleichen ist bisher passiert oder auch nur in Aussicht gestellt worden. Dabei greift der Bund den Ländern bei der Schaffung von Studienplätzen doch kräftig unter die Arme. Warum sollte so etwas nicht auch beim Wohnheimbau möglich sein?
Ist also von den 4,4 Milliarden Euro, die Bund und Länder möglicherweise beim Hochschulpakt draufsatteln wollen, kein einziger Euro mehr für die Studentenwerke vorgesehen?
So ist es. Wollte die Politik das Problem ernsthaft angehen, müssten dazu zusätzliche Mittel mobilisiert werden. Nur danach sieht es leider nicht aus.
Was bleibt da noch? Braucht es erst eine protestgewaltige studentische Obdachlosenbewegung?
Soweit kommt es hoffentlich nicht. Dass sich aber mit Protesten etwas bewegen lässt, hat man bei den Bildungsstreiks 2009 und 2010 gesehen. Zuletzt haben die Länder auch auf die Engpässe in den BAföG-Ämtern bei der Antragsbearbeitung reagiert, weil der öffentliche Unmut immer größer wurde. Studentische Wohnungsnot ist vielerorts schon ein heißes Thema, und vielleicht dauert es nicht mehr lange, bis die Studierenden damit laut und vernehmbar auf die Straße gehen.
Was würde der Ausbau der sozialen Infrastruktur rund ums Studium, wie Sie ihn sich wünschen, kosten?
An Zuschüssen für den Wohnheimbau bedürfte es 660 Millionen Euro, für den Aus- und Umbau der Mensen wären weitere 200 Millionen Euro vonnöten. Mehr Geld wäre außerdem vor allem für die studentische Beratung erforderlich. Der Bedarf ist sowohl quantitativ wegen der rasant gestiegenen Studierendenzahlen als auch qualitativ aufgrund der neuen Studienstruktur deutlich größer geworden.
Das bringt uns zurück zur Ausgangsfrage: Was können die Studentenwerke an Hilfestellung bei der Wohnungssuche leisten, auch und gerade für diejenigen, die keinen Wohnheimplatz ergattern konnten?
Zunächst einmal verfügen die Studentenwerke über viel Knowhow. Sie kennen die Besonderheiten der örtlichen Wohnungsmärkte und unterhalten Kooperationen zu den lokalen Wohnungsanbietern. Dazu starten sie vor Semesteranfang verschiedene öffentlichkeitswirksame Aktionen und Kampagnen. In Freiburg etwa wurden private Vermieter auf Brötchentüten gebeten, Wohnraum für Studierende zur Verfügung zu stellen. (rw)