Im Überblick10 Jahre Hochschulexpansion
In den letzten 10 Jahren ist die Zahl der Studierenden fast kontinuierlich gestiegen
Wie bereits berichtet, bevölkern nach vorläufigen Zahlen gegenwärtig rund 2,5 Millionen Menschen die hiesigen Hochschulen. Das sind fünf Prozent oder circa 100.000 Studierende mehr als noch im Wintersemester 2011/12. Im Jahr 2001 waren es lediglich 1,9 Millionen, womit sich der Zuwachs innerhalb eines Jahrzehnts auf 27 Prozent beläuft. Noch gewaltiger fällt die Steigerung bei den Neueinschreibungen aus. Im bisherigen Rekordjahr 2011 gab es mit 518.000 Studieneinsteigern 50 Prozent mehr als ein Jahrzehnt zuvor. Im laufenden Studienjahr haben 492.700 Menschen ein Studium aufgenommen – der zweithöchste jemals gemessene Wert. Im kommenden Jahr geht in Nordrhein-Westfalen ein doppelter Abiturjahrgang von den Schulen ab. Vielleicht könnte dann sogar ein neuer historischer Höchststand bei den Studienanfängern verbucht werden.
Viel mehr Hochschulberechtigte
Daten auf einen Blick
Dieser und der Kasten bei Personal weiter unten enthält Daten für das Jahr 2011, in Klammern wird die Veränderung bezogen auf 2001 angegeben
Studienberechtigte
506.500 (+47%)
StudienanfängerInnen
518.700 (+50%)
Sondereffekt durch doppelte Abiturjahrgänge und Aussetzung Wehrpflicht
Dafür spricht die für die vergangenen Jahre charakteristische "Bildungsexpansion", das heißt das Streben nach höheren Schul- und Bildungsabschlüssen. "Immer mehr Eltern entscheiden sich für ein Gymnasium als weiterführende Schule für ihr Kind", sagte der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Roderich Egeler, am Mittwoch vor Pressevertretern in Berlin. Obwohl die Schülerzahlen wegen des Geburtenschwunds in den letzten zehn Jahren rückläufig gewesen seien, hätten Jahr für Jahr deutlich mehr Kinder die Schulen mit einer Studienberechtigung verlassen. 2001 waren es gerade einmal 343.500, zehn Jahre später mit knapp über einer halben Million satte 47 Prozent mehr.
Gemäß der von den Wiesbadener Statistikern vorgelegten Daten hatten im Vorjahr 57 Prozent der Schulabsolventen eine Studienberechtigung in der Tasche. 2001 hatte die sogenannte Studienberechtigtenquote – gemessen an den Gleichaltrigen in der Bevölkerung – noch bei 36 Prozent gelegen. Auch die Zahl derer, die im selben Jahr, in dem sie ihre Hochschul- oder Fachhochschulreife erlangen, ein Studium aufnehmen, hat im Zeitverlauf deutlich zugelegt. Bezogen auf alle Schulabgänger des Jahres 2011 betrug die sogenannte Übergangsquote im Vorjahr 46 Prozent. Bei Männern lag sie mit 51 Prozent erstmals über der von Frauen mit 41 Prozent, was sich insbesondere mit der Aussetzung der Wehrpflicht erklärt. Von den Studienberechtigten aus dem Jahr 2009 haben binnen zwei Jahren sogar 65 Prozent den Weg an die Hochschulen gefunden. Die Übergangsquote innerhalb von zwei Jahren war niemals höher gewesen, 2001 erreichte sie noch 59 Prozent.
Aufholjagd mit Abstrichen
Auf den bislang höchsten Stand mit 55 Prozent kletterte 2011 auch die Studienanfängerquote. Der Wert zeigt den Anteil der Studienneulinge an der altersspezifischen Bevölkerung an. Damit hat Deutschland im Kreis der führenden Industrienationen (OECD-Staaten) Boden gut gemacht, wenngleich das OECD-Mittel im Jahr 2010 immer noch deutlich darüber bei 62 Prozent lag. Bei der deutschen "Aufholjagd" muss man zudem berücksichtigen, dass doppelte Abiturjahrgänge und das Ende von Wehrpflicht und Zivildienst die Quote nach oben getrieben haben. Das sind zeitlich begrenzte Effekte, die in ein, zwei Jahren verpufft sein dürften. Ferner muss auch der Zulauf an ausländischen Studierenden in Betracht gezogen werden. So betrug die Studienanfängerquote bezogen auf diejenigen, die in Deutschland ihr Hochschulticket gelöst haben, 2010 lediglich 38 Prozent. Kalkuliert man jene mit ein, die im Ausland ihren Schulabschluss gemacht haben (sogenannte Bildungsausländer), steigt die Quote auf 45 Prozent.
Auslandsstudium auf Vormarsch
Apropos Ausland: Ein schönes Versprechen der Bologna-Studienstrukturreform war es, dass man praktisch grenzenlos wird studieren können. Die nackten Zahlen scheinen dies zu bestätigen. 2010 waren knapp 127.000 deutsche Studierende an ausländischen Hochschulen eingeschrieben, neun Prozent mehr als 2009. Seit 2001 hat sich ihre Zahl sogar verdoppelt. Allerdings weisen diese Daten nicht aus, wie viele der Betroffenen im Verlauf ihres Studiums – etwa in Form eines Auslandssemesters – in die Fremde gehen.
Nach den Befunden verschiedener Studien soll ein Studienaufenthalt im Ausland seit Bologna – wegen der verkürzten Studiendauer, dem erhöhten Arbeits- und Prüfungspensum – heute sogar schwerer zu realisieren sein als früher. Die Zunahme der "Auslandsdeutschen" könnte deshalb zu einem guten Teil auf das Konto von "Republikflüchtigen" gehen. Wegen der überfüllten deutschen Hochschulen und den höheren Zulassungshürden geht der Trend immer mehr dazu, sein Glück anderswo suchen zu müssen.
Regelstudienzeit nicht die Regel
Hieran zeigt sich: Die Hochschulexpansion hat auch ihre Kehrseiten. Davon betrifft eine die Studienorganisation: So schafften es im Jahr 2010 nur 39 Prozent der Absolventen, ihren Abschluss innerhalb der Regelstudienzeit zu machen. 75 Prozent legten ihr Examen innerhalb der Regelstudienzeit plus zwei Semester ab, ein Viertel brauchte noch länger. Allerdings lag der Wert bei den im zeitlichen Soll absolvierten Bachelor-Studiengängen bei immerhin 53 Prozent, womit aber immer noch fast jeder zweite die Vorgaben nicht einhält. Das wird vor allem für die zum Problem, die am BAföG-Tropf hängen und deren Förderung üblicherweise nach Auslaufen der Regelstudienzeit endet.
Mit dem Druck steigt freilich auch die Gefahr des Scheiterns. Von jenen, die 2002 ein Erststudium angetreten haben, hatten zum Prüfungsjahr 2010 lediglich 75 Prozent ihren Abschluss gemacht. Einer von vieren war also noch nicht fertig oder hatte – was wahrscheinlicher ist – die Brocken hingeschmissen. Bei den Universitäten galt dies sogar für 30 Prozent, bei Fachhochschulen nur für 17 Prozent. Die größten Misserfolgsquoten weisen die Fächer Mathematik/Naturwissenschaften mit 35 Prozent und die Sprach- und Kulturwissenschaften mit 30 Prozent auf.
Rückschritte bei Betreuung
Bei weniger Abbrechern fiele auch die sogenannte Erstabsolventenquote besser aus als zuletzt. 2010 erreichten insgesamt 294.900 Studierende einen ersten Hochschulabschluss, gemessen an den Gleichaltrigen in der Bevölkerung waren dies 30 Prozent. Gegenüber den 17 Prozent im Jahr 2000 ist das ein beachtlicher Aufwuchs. Der Wert bleibt aber immer noch hinter den vom Wissenschaftsrat empfohlenen 35 Prozent zurück. Die halten die Experten für nötig, um den künftigen Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften zu decken.
Bleibt das größte Manko in der Entwicklung: Die Ausstattung der Hochschulen mit Geld und Personal hält nicht mit den Erfordernissen mit. Der Massenansturm auf die Hochschulen hat die Politik in Bund und Ländern zwar zu Milliardenhilfen im Rahmen des Hochschulpaktes veranlasst. Dass die Mittel aber augenscheinlich nicht ausreichen, zeigt sich an der verschlechterten Betreuungsrelation. 2011 kamen auf eine wissenschaftliche oder künstlerische Lehrkraft im Schnitt auf 15,9 Studierende, 2008 waren es noch 15,2. Während an Universitäten eine Lehrkraft im Vorjahr 13,7 Studierende betreuen musste (13 im Jahr 2010) waren es an Fachhochschulen 24,5 (23,6 im Jahr 2010). Die Betreuungsrelation hat sich allerdings nur deswegen verhältnismäßig wenig verschlechtert, weil vor allem das "billige" Personal aufgestockt wurde, kaum dagegen das "teure" (siehe nächster Punkt).
Mehr Personal – aber billig
Personal an Hochschulen
insgesamt: 337.100 (+50%)
hauptberuflich: 217.500 (+36%)
wiss. Mitarb.: 162.100 (+60%)
Doz./Assist.: 3.900 (-73%)
Prof.: 42.900 (+14%)
nebenberuflich: 119.600 (+85%)
wiss.Hilfskr.: 32.000 (+100%)
Natürlich ist mit den Studierendenzahlen auch die Zahl der Beschäftigten in Forschung und Wissenschaft gestiegen. An den Hochschulen und Hochschulkliniken arbeiteten im Jahr 2011 rund 337.100 Personen als wissenschaftliches und künstlerisches Personal, 50 Prozent mehr als 2001. Allerdings bedeutet Masse in dem Fall nicht unbedingt Klasse. Deutlich zugelegt hat nämlich vor allem die Zahl der nebenberuflich Beschäftigten, wie Lehrbeauftragte und wissenschaftliche Hilfskräfte. Sie erhöhte sich gegenüber 2001 um 85 Prozent auf 119.600 Personen. Gewerkschaften sprechen in diesem Zusammenhang vom "wissenschaftlichen Prekariat". Nachwuchskräfte werden heute zuhauf mit Billiglöhnen und mit Zeitverträgen abgespeist.
Der Trend zum Sparen zeigt sich umgekehrt auch daran, dass beim teuren Personal geknausert wird. So hat sich die Zahl der Hauptberuflichen um lediglich 36 Prozent auf 217.500 Personen erhöht. Die Zahl der hauptberuflichen Dozenten und Assistenten ist sogar um 73 Prozent auf 3.900 Personen eingebrochen. Professoren gab es 2011 mit 42.900 nur 14 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Ihr Anteil am wissenschaftlichen und künstlerischen Personal ist um vier Prozentpunkte auf 13 Prozent gesunken.
(rw)
Material zum Thema beim Statistischen Bundesamt
- Hochschulen auf einen Blick, Ausgabe 2012 (vor allem Überblick und grafisch aufbereiteter Zeitverlauf 2000-2010, kaum Detailzahlen; PDF, 10 MB)
- Pressestatement zur Pressekonferenz "Hochschulstandort Deutschland 2012" (ergänzt "Hochschulen auf einen Blick" um Zahlen für 2011; PDF, 0,2 MB)
- Studierende an Hochschulen, Zahlen 1991 bis WiSe 2011/2012 (Zahlen im Detail; PDF, 5 MB)
- Bereich Hochschulen beim statistischen Bundesamt (darüber Zugriff auf diverse Statistiken möglich)