Start im MiniformatVergabesystem für Studienplätze ("DoSV")
Es könnte alles so schön sein: Man registriert sich bei Hochschulstart.de, lädt seine Bewerbungsunterlagen hoch, klickt den gewünschten Studienplatz an und erhält in Kürze den Zuschlag. Und wenn es nicht gleich klappt, sorgt die bundesweite Zentralsoftware dafür, dass man am Ende an der Hochschule der zweiten, dritten oder auch zehnten Wahl unterkommt. Hauptsache, man geht nicht leer aus. Das sogenannte Dialogorientierte Serviceverfahren (DoSV) sollte eigentlich genau dies leisten können – und noch mehr: Sobald man zum Zug gekommen ist, verfallen sämtliche Bewerbungen auf einen alternativen Studienplatz automatisch. Eine Abmeldung bei den unberücksichtigten Hochschulen ist nicht mehr erforderlich.
Von der neuen Technik hätten also alle Beteiligten etwas: Studienanwärter müssten sich nicht länger in Serie gesondert auf Studienplätze mit lokaler Zulassungsbeschränkung bewerben. Alles ließe sich auf einer zentralen Plattform erledigen. Die Hochschulen hätten Planungssicherheit, sie wüssten rechtzeitig, wie viele "echte" Interessenten es gibt und würden keine Studienplätze mehr auf Verdacht blockiert halten. Vorbei wäre es schließlich mit der Flut langwieriger und komplizierter Nachrückverfahren, die jedes mal in die Tausende gehen und sich weit ins Semester hineinziehen. Punktum: Alles wäre prima und das viel beklagte Einschreibewirrwarr für immer passé.
Rohrkrepierer zum Auftakt
Ohne zentralen Abgleich (ein "Pilotbetrieb" mit wenigen Hochschulen wird da nicht helfen) bleibt es auch dieses Jahr leider dabei: Die Hochschulen werden in Bewerbungen geradezu ertrinken.
Hätte, wäre, wenn – die Realität geht leider ganz anders. Zwar ist das DoSV am Tag vor Himmelfahrt im gefühlt zehnten Anlauf endlich in Betrieb gegangen. Von den Verheißungen, die dem Projekt seitens Politik und Hochschulplanern mit auf die Reise gegeben wurden, ist das System aber noch Lichtjahre entfernt. Zum Auftakt der Pilotphase haben 13 Hochschulen insgesamt 19 Studiengänge ins Angebot von Hochschulstart eingespeist. Das ist so gut wie nichts. In Deutschland existieren über 400 Hochschulen und 4500 Studiengänge mit lokaler Zulassungsbeschränkung. Das von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) bei der Mittelfreigabe ausgegebene Ziel lautete seinerzeit, bis zu 90 Prozent des Gesamtangebots mit dem DoSV abzubilden. Gemessen an diesem Anspruch ist der Start zu einem kapitaler Rohrkrepierer geraten.
Das wissen freilich auch die Verantwortlichen und gehen lieber auf Tauchstation. Von Schavans Ministerium war bisher kein Piep zur vermasselten Premiere zu hören. Selbst die Stiftung für Hochschulzulassung (SfH) – die Macher von Hochschulstart.de – beließ es bei einer dürren Mitteilung, die wenig Aufbruchstimmung versprüht. Inmitten ein paar trockener Phrasen zum Ablauf des Verfahrens sticht nur ein Sätzchen heraus: "Für viele Studiengänge erfolgt die Bewerbung, wie gewohnt, über die Hochschule." Es bleibt also zunächst alles wie gehabt, und die Botschaft an die Studienanwärter lautet: Schlagt euch zum nächsten Wintersemester wieder mit den Hochschulen herum.
Absehbarer Fehlstart
Wahrscheinlich hätte die Öffentlichkeit bis heute keinen Wind von der Sache bekommen, wäre nicht der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Hagemann zum Start der Pilotphase mit einer Pressemitteilung herausgerückt. Darin meint er zum DoSV, es füge "sich nahtlos in die Reihe der zahlreichen, vorerst gescheiterten Bildungsvorhaben" der Bildungsministerin ein. Als Beispiele nennt er das "Deutschlandstipendium", das "Zukunftskonto Bildung" und die von Schavan ausgerufene "Bildungsrepublik". Unrecht hat er damit nicht. Das DoSV wurde vor vier Jahren angestoßen, seither waren immer wieder neue Probleme bei der Entwicklung aufgetaucht. Im April 2011 Jahr wurde der Start schließlich abgeblasen und auf dieses Jahr verschoben. Das Ziel einer umfassenden Implementierung wurde damals gar auf unbestimmte Zeit jenseits des Jahres 2014 verlegt.
Bei der SfH – Nachfolgerin der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) – will man freilich nicht schwarz malen. "Geplant war mehr, aber das ist nur der Stand des Beginns, es kommen noch Hochschulen dazu", äußerte sich Stiftungssprecherin Kerstin Lütge-Varney auf Anfrage von Studis Online. Immerhin rund 2000 Interessierte sollen sich in den ersten Tagen bei Hochschulstart angemeldet haben. Das System funktioniere, so die Sprecherin, "wir sind im Echtbetrieb, und es spricht nichts dagegen, dass es zum nächsten Sommersemester flächendeckend zum Einsatz kommt". Geschäftsführer Ulf Bade hängt sich nicht so weit aus dem Fenster. Gegenüber SPIEGEL ONLINE gab er sich vorsichtig optimistisch, dass in den kommenden Semestern die Zahl der teilnehmenden Hochschulen "stetig wachsen" werde. Dem Deutschlandfunk sagte er: "Wir werden damit Erfahrungen sammeln und mit diesen Erfahrungen im nächsten Semester sicherlich noch mehr Teilnehmer überzeugen".
Überstürzt und unausgereift
Hier liegt der Hase im Pfeffer. Das DoSV ist keine Zwangsveranstaltung, wer nicht will, muss auch nicht mitmachen. Und dass sich vorerst nur ein paar, dazu noch ziemlich kleine und namenlose Hochschulen ins Boot wagen, ist nicht gerade ein starker Ansporn. Das weiß auch SfH-Geschäftsführer Bade: "Ein System, das holprig gestartet ist, da hat die einzelne Hochschule nicht viel Vertrauen. (...) Das heißt, das Risiko für eine Hochschule, mit einem System zu arbeiten, wo man nicht genau weiß, ob es wirklich 100-prozentig funktioniert in einer solchen Situation, ist extrem hoch."
Wirklich Sinn macht auch für Bade die ganze Unternehmung erst dann, wenn sich bundesweit möglichst alle Hochschulen an das System anschließen. "Im Moment kann man noch nicht eindeutig von einem Vorteil für die Bewerber sprechen. Erst wenn wir einen recht umfangreichen Ausbau erreicht haben, wird für den Bewerber die nötige Transparenz geschaffen sein." An die Politik richtete er den Vorwurf, das Projekt überstürzt und wenig durchdacht angegangen zu sein. "Man kann aber nicht dadurch, dass man irgendwas schnell haben will, das auch schnell kriegen. Das war sicherlich auch eine Entscheidung am grünen Tisch."
Pleiten, Pech und Pannen
Das Projekt DoSV war von Beginn an eine Geschichte aus Pleiten, Pech und Pannen. Probleme bereitete vor allem die Anbindung der lokalen EDV-Systeme an die Zentralsoftware. Als Sündenbock musste zuletzt immer wieder die staatliche Hochschul Informations System (GmbH) herhalten. Das Unternehmen aus Hannover versorgt rund 80 Prozent der deutschen Hochschulen mit Verwaltungssoftware. Dabei erwies sich die überwiegend eingesetzte ältere HIS-GX-Genearation lange Zeit als nicht kompatibel mit dem Zentralportal. Die Schwierigkeiten führten schließlich Anfang des Jahres zum Vorstoß der Bundesregierung, die Weichen auf eine Privatisierung der HIS-IT-Sparte zu stellen. Dafür wurde eine – wie es heißt – "ergebnisoffene Evaluierung" eingeleitet, deren Ergebnis noch aussteht. Kritiker halten die Vorgänge für ein abgekartetes Spiel. Demnach habe man die HIS auflaufen lassen, um Argumente für eine Entstaatlichung zu bekommen.
Sündenbock wehrt sich
Die Hannoveraner wollen sich den schwarzen Peter jedenfalls nicht zuschieben lassen. Grund der Probleme seien "fehlende Mittel" gewesen, monierte Firmensprecherin Annegret März im Gespräch mit Studis Online. Ihr Unternehmen habe "nicht einen Euro" dafür gesehen, die Systeme anschlussfähig zu machen. Die vom Ministerium bereitgestellten 15 Millionen Euro seien "praktisch vollständig in die Entwicklung der Zentralsoftware" geflossen, die von der Telekom-Tochter T-Systems gefertigt wurde. "Da ist einfach etwas grob vernachlässigt worden. Wir mussten das alles aus eigener Tasche bezahlen", führte März aus. Das Geld müsse man sich jetzt über ein "neu entworfenes Bezahlungsmodell" von den Ländern und Hochschulen wieder hereinholen.
Zugleich betonte sie, die Software "HISconnect", die an das Zentralportal Hochschulstart.de andockt, funktioniere. Die Technik sei "planmäßig verfügbar", flächendeckend werde sie in diesem Sommer eingesetzt. Immerhin an der Fachhochschule Brandenburg (FHB) scheint die Technik schon mal zu laufen (vgl. hier). Die FHB ist eine der wenigen am Pilotbetrieb beteiligten Hochschulen. Ob es alsbald mehr sein werden und wann mit einem halbwegs flächendeckender Einsatz zu rechnen ist, steht in den Sternen. Was es auf jeden Fall braucht, sind ein paar kräftige Zugpferde, Universitäten mit Rang und Namen also, die mit gutem Beispiel voran gehen.
Warten auf die Großen
Studis online hat eine Stichprobe gemacht und bei den drei großen Berliner Unis angefragt. Sowohl die Technische Universität (TU) als auch die Humboldt-Universität (HU) planen zum Sommersemester 2013 an das DoSV anzudocken. Voraussetzung sei laut TU-Pressestelle allerdings, "dass die technische Anbindung (...) bis dahin verlässlich steht". Allerdings wollen beide zunächst nur mit Pilotstudiengängen an den Start gehen. Ein Volleinsteig, das heißt die Einspeisung des kompletten Studienangebots, stünde also frühestens zum Wintersemester 2013/14 an. Bei der Freien Universität (FU) gibt man sich noch abwartender. "Aufgrund der nach wie vor fehlenden technischen Voraussetzungen" beteilige man sich nicht an der ersten Phase. Teilnehmen werde man erst, sobald die nötigen Bedingungen erfüllt sind. Das könnte nach Lage der Dinge noch ziemlich lange dauern. (rw)