Schöne Bescherung oder Viel Lärm um fast gar nichtsQualitätspakt Lehre
Ganz offiziell heißt das Förderpaket "Bund-Länder-Programm für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre". Worin dabei der Beitrag der 16 Bundesländer besteht und in welcher Größenordnung dieser in barer Münze zu Buche schlägt, läßt sich schwerlich einschätzen. Den Löwenanteil steuert mit Sicherheit der Bund bei. Was dann im Einzelfall noch fehlt, soll vor Ort aus eigenen Programmen aufgestockt werden. Wo die Mittel dafür herkommen und ob sie tatsächlich "zusätzlich" mobilisiert werden, erscheint fraglich. Nur so viel: Die durch die Politik bewilligten Hochschuletats befinden sich seit Jahren fast überall auf Schrumpfkurs (in jedem Fall bezogen auf die Zahl der Studierenden und die Anteile, die für die Lehre relevant sind). Ist das Ganze also vielleicht nur ein Nullsummenspiel, und täuschen die schönen Zahlen über den ungebrochenen Abwärtstrend hinweg?
Studium so attraktiv wie nie?
Viel Lärm um fast gar nichts: Da kann man sich nur noch die Ohren zuhalten.
Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) tut auf jeden Fall so, als würde sie pünktlich zum Weihnachtsfest mit Geschenken nur so um sich schmeißen. "Wir wollen der steigenden Zahl von Studierenden gute Studienbedingungen bieten und sie auf dem Weg zu einem erfolgreichen Abschluss unterstützen", erklärte sie am Dienstag in Berlin. Deshalb investiere der Bund in die Qualität der Lehre bis "2020 rund zwei Milliarden Euro". Aber wozu überhaupt die schöne Bescherung, denn schließlich weiß die Ministerin auch: "Die Hochschulen, in Deutschland sind so attraktiv wie nie zuvor." So steht es am Anfang der von ihrem Haus verbreiteten Medienmitteilung, und daran anschließend erfährt man: "Das ist eine große Chance in einer Gesellschaft, die immer älter wird und auf Fachkräfte dringend angewiesen ist." Fragt sich bloß, ob ein Studienneuling in Kassel, der sein Proseminar wegen Platzmangels in einer Kirche oder im Kinosaal abreißen muss, das genauso sieht und seine "große Chance" beim Schopfe packt. Richtig müßte es lauten, die Hochschulen waren niemals überfüllter als heute – und nie war ein Studium so "unattraktiv".
Aber zum Schwarzmalen gibt es für Schavan ohnehin keinen Anlaß, schon gar nicht wenn es etwas zu verschenken gibt. Bis 2016 sind es ganze 400 Millionen Euro, die der Bund dafür locker machen will, jahrzehntelange Versäumnisse bei der Lehre zu beheben. Und es kommt noch "besser": Wenn sich das Instrument bewährt, soll "nach einer positiven Zwischenbegutachtung der geförderten Maßnahmen" bis 2020 weiteres Geld fließen. Alles in allem könnte das im Jahr 2010 als "dritte Säule des Hochschulpakts" vereinbarte Programm bis zum Ende der Laufzeit zwei Milliarden Euro umfassen. Das wären dann recht spärliche 200 Millionen Euro auf jedes einzelne Jahr gerechnet. Der Wissenschaftsrat, hierzulande das wichtigste wissenschaftspolitische Beratergremium, hat vor längerer Zeit einmal die Summe von 1,1 Milliarden Euro jährlich ins Spiel gebracht. Die wäre mindestens nötig, die Betreuungsrelation an den Hochschulen im Sinne einer vernünftigen Lehre zu verbessern. Den Experten schwebt vor, daß auf einen Professor maximal 40 Lernende kommen. An den Universitäten beträgt das Verhältnis gegenwärtig eins zu 60.
Wettbewerb statt Breitenfinanzierung
Aber genau da will die Regierung ja den Hebel ansetzen. Ein besonderer Schwerpunkt besteht nach ihrer Darstellung darin, eine "bessere Personalausstattung der Hochschulen auf allen Ebenen – vom Professor über den Mittelbau bis zum Tutor" zu schaffen. Zudem sollten "Maßnahmen zur Qualifizierung" des Personals für "Aufgaben in Lehre, Betreuung und Beratung" gefördert und schließlich "Impulse zur Weiterentwicklung der Lehrqualität und zur Professionalisierung der Lehre" gegeben werden. Das alles klingt wunderbar, ist aber leider nicht für jeden zu haben. Im Rahmen der zweiten Förderlinie des "Qualitätspakts" kommen bis 2016 insgesamt 102 Hochschulen – 40 Universitäten, 43 Fachhochschulen und 19 Kunst- und Musikhochschulen – in den Genuß staatlicher Zuwendungen. Bei der ersten Auswahlrunde 2011 waren es 111 Begünstigte. Weil so mancher Antragssteller doppelt zum Zuge gekommen ist, beläuft sich die Gesamtzahl der bis heute Geförderten auf 186 Hochschulen. Nach Ministeriumsangaben entspricht das 77 Prozent der Antragsberechtigten. Auch das erscheint im ersten Moment positiv. Gleichwohl ist in beiden Runden jeweils deutlich mehr als die Hälfte auf der Strecke geblieben.
Für Kritiker ist das Ausdruck einer folgenschweren Entwicklung. Die Hochschulen müßten sich "ständig an Wettbewerben wie der Exzellenzinitiative oder dem Qualitätspakt Lehre beteiligen, um ausreichend Gelder zu erhalten", monierte die Bundestagfraktion Die Linke in einer Pressemitteilung. "Wir brauchen endlich deutlich mehr Geld für alle Hochschulen und nicht nur für einige", klagte die hochschulpolitische Sprecherin Nicole Gohlke. Daß die Grundfinanzierung der Hochschulen mittlerweile so unzureichend sei, um die Lehrqualität und gute Studienbedingungen zu gewährleisten, ist für sie ein "Skandal".
Leuchtturme und Massenhochschulen
Auch nach Meinung des Darmstädter Soziologieprofessors Michael Hartmann ändert sich mit dem Pakt "nichts nennenswertes an der chronischen Unterfinanzierung des Hochschulsystems", wie er am Donnerstag gegenüber Studis Online befand. Als "gravierendes Problem" bezeichnete er dabei den politisch forcierten Trend, das knappe Geld auf immer weniger ausgewählte Einrichtungen zu konzentrieren, "während in der Breite die Bedingungen schlechter werden". Bei dieser Wettbewerbslogik würden sich längerfristig "immer die durchsetzen, die sowieso schon besser dastehen als der große Rest". Programme wie der "Qualitätspakt", die "Exzellenzinitiative" und die zunehmende Finanzierung durch Drittmittel aus der Wirtschaft passen laut Eliteforscher Hartmann ins Bild einer Hochschullandschaft, "die sich immer stärker vertikal differenziert und auf eine Spaltung in wenige bestens ausgestattete Leuchtturme und viele minderwertige Massenhochschulen hinausläuft".
Dabei ist noch nicht einmal ausgemacht, ob sich der Aufwand einer Beteiligung an solchen Wettbewerben überhaupt lohnt. Laut Linksfraktion sind für 2012 lediglich 250 Millionen Euro für den Qualitätspakt in den Bundeshaushalt eingestellt. Das wären knapp 1,35 Millionen Euro für jeden der 186 Begünstigten. Für Gohlke ist das "nur ein Tropfen auf den heißen Stein". Andreas Keller, Vorstandsmitglied für Hochschulpolitik bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), hat noch weitere Einwände. Ihm fehlt es vor allem an der Nachhaltigkeit. "Solche Programme mögen ja ein paar Jahre lang gut laufen und durchaus sinnvoll sein. Aber was ist, wenn die Förderung endet und irgendwann kein Geld mehr nachkommt?" Weder seien die innovativen Ansätze auf Dauer gesichert, noch das Personal, das dahinter stehe, gab er im Gespräch mit Studis online zu bedenken. "Die Gefahr ist groß, daß die Leute dann wieder vor die Tür gesetzt werden, weil sie nur mit Zeitverträgen ausgestattet wurden."
Schavan simuliert Handlungswille
Für den Gewerkschafter ist die Abkehr von einer auskömmlichen Grundfinanzierung der Hochschulen hin zu einer Projektfinanzierung auf Antrag und Zeit deshalb eine wesentliche Ursache dafür, daß prekäre Beschäftigung inzwischen auch in der Wissenschaft in großem Stil um sich greift. Die GEW will dieser Entwicklung Einhalt gebieten und hat dazu die Initiative "Templiner Manifest" ins Leben gerufen, die sich für eine "Reform von Personalstruktur und Berufswegen in Hochschule und Forschung" stark macht. In diesem Zusammenhang plädiert die Bildungsgewerkschaft für eine umfassende Einstellungs- und Entfristungsoffensive. Nach ihrer auf ein Gutachten der Politologin Silke Gülker gestützten Einschätzung müßten wegen des fälligen altersbedingten Ausscheidens tausender Dozenten 16000 Professoren bis zum Jahr 2025 neu in Dienst gestellt werden, nur um den Status quo zu halten. Wollte man die Betreuungssituation nach Maßgabe des Wissenschaftsrats (eins zu 40) verbessern, steige der Bedarf sogar auf 20000. Derzeit lehren an Deutschlands Hochschulen mit knapp 25000 Professoren nur marginal mehr als 1999. Und damals gab es weit über eine halbe Million weniger Studierende als heute.
Ob zwei Milliarden Euro in zehn Jahren die Lage an Deutschlands Hochschulen wirklich besser machen, muß bei alle dem bezweifelt werden. Die deutlichsten Worte zu Schvans "Qualitätspakt Lehre" fand Kai Gehring, hochschulpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. In einem Pressestatement zürnte er über ein "Feigenblatt der Ministerin, um ihre völlig unzureichende Bewältigung des aktuellen Studierendenansturms zu kaschieren". Das ganze sei eine "Alibi- und PR-Veranstaltung". Das war seinerzeit auch die erste nationale Bologna-Konferenz, auf der Schavan im Mai 2010 ihr Versprechen, in eine Verbesserung der Studienbedingungen zu investieren, in die Welt setzte. Schon damals fürchteten Kritiker, dabei könne es sich um eine Beruhigungspille für die Bildungsstreikbewegung handeln. Wie recht sie hatten. (rw)
Quellen und mehr zum Thema
- Zweite Runde Qualitätspakt Lehre: 102 Hochschulen erhalten insgesamt rund 400 Mio. Euro (Pressemitteilung des BMBF, 13.12.2011)
- Informationen des BMBF zum "Qualitätspakt Lehre"
- Details zur 2. Bewilligungsrunde des Qualitätspakts Lehre, u.a. die Auflistung der geförderten Hochschulen (PDF, via bmbf.de)
- Grundfinanzierung der Hochschulen nach wie vor mangelhaft (Pressemitteilung DIE LINKE, 13.12.2011)
- Schavans "Qualitätspakt Lehre" bleibt Alibi-Veranstaltung (Pressemitteilung Bündnis 90/DIE GRÜNEN, 13.12.2011)