Enttäuschendes GerichtsurteilMehr als sechs Jahre Wartezeit auf Studienplatz zumutbar
Sechs Jahre Warten auf einen Studienplatz sind immer noch nicht genug.
Es ist seit Jahren ein Ärgernis: In vielen beliebten Studiengängen gibt zu wenig Studienplätze. "Spitzenreiter" ist hier vor allem die Medizin. Wer ein schlechtes Abitur hat, kann erst mit über 12 Wartesemestern auf einen Studienplatz hoffen.
Einige Wartende wollten nach bereits sechs Jahren nicht mehr länger warten – und klagten gegen die die Studienplatzvergabe ausführende Stiftung für Hochschulzulassung (früher ZVS) in Dortmund. Das zuständige Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gab den KlägerInnen zunächst recht: Eine derart lange Wartezeit sei nicht zumutbar, die Stiftung habe den KlägerInnen vorläufig einen Studienplatz zuzuteilen.
Oberverwaltungsgericht: Noch ein Jahr Warten sei zumutbar
Die Stiftung für Hochschulzulassung legte gegen die Entscheidung des Gerichts Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht ein. Und dieses sah tatsächlich kein Problem in der langen Wartezeit. Die Zuteilung eines Studienplatzes wurde schon am 6. Oktober bis zur endgültigen Entscheidung ausgesetzt (somit konnten die Klagenden tatsächlich ihr Studium gar nicht erst antreten). Gestern dann die Entscheidung: Das Oberverwaltungsgericht hält daran fest, dass auch mehr als 12 Wartesemester zu tolerieren sein.
Aus Sicht des OVG bestünde erst dann eine Grundrechtsverletzung (Recht auf freie Berufswahl und damit – wie das Bundesverfassungsgericht mit seinem Numerus-clausus-Urteil 1972 festgestellt hat – auch dem Recht auf einen Studienplatz), wenn der "Studienplatzbewerber endgültig keinen Studienplatz erhalten würde. Das sei hier nicht zu erkennen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass eine Zulassung zum Wintersemester 2012/2013 hinreichend wahrscheinlich sei. Damit wäre die verfassungsrechtlich abgesicherte Chance einer (wenn auch verspäteten) Zulassung zum gewünschten Studium noch gegeben."
Ob sich auf der Gruppe der KlägerInnen jemand findet, um auf dem Wege der Verfassungsbeschwerde vielleicht doch eine Änderung des Zustandes zu erreichen, ist bisher nicht bekannt. Nächstes Jahr ist es tatsächlich nicht unwahrscheinlich, dass die Klagenden endlich einen Platz bekommen: zum laufenden Wintersemester hätten 13 Wartesemester gereicht.
Recht auf Berufswahlfreiheit kann warten?
Der studentische Dachverband fzs kritisiert das Urteil. Torsten Rekewitz, Vorstandsmitglied des freien Zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) hierzu: "Es drängt sich der Verdacht auf, dass bei dieser Entscheidung nicht Gerechtigkeit im Vordergrund steht, sondern schlicht nach einer Begründung zur Einschränkung des Grundrechts auf Berufswahlfreiheit gesucht wurde. Dass hier offensichtlich die Unterfinanzierung von Bildungseinrichtungen als Grund für der Verfassung widersprechende Zustände akzeptiert wird, ist inakzeptabel. Die Studieninteressierten müssen frei entscheiden können, welches Fach sie studieren."
Auf Grund der doppelten Abiturjahrgänge in weiteren Bundesländern, der Aussetzung der Wehrpflicht und allgemein größerer Studierneigung wird sich das Problem leider noch verschärfen. Von Seiten der Politik wurden zwar Mittel für den Ausbau von Studienplätzen bereitgestellt. Allerdings nur in einem Umfang, dass die Situation nicht noch deutlich schlimmer wird. Etwas schlimmer könnte es in vielen Studiengängen aber in den nächsten Jahren noch werden. Erst Ende des Jahrzehnts ist vielleicht mit einer Entspannung zu rechnen. Aber nur, wenn dann nicht auch gleich die finanziellen Mittel wieder gestrichen werden ...
Quellen und mehr zum Thema
- Oberverwaltungsgericht gibt den Beschwerden der Stiftung für Hochschulzulassung gegen die vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wegen überlanger Wartezeit verfügte Studienplatzvergabe in medizinischen Studiengängen statt (Pressemitteilung des OVG vom 09.11.2011)
- Sachzwang schlägt Grundgesetz - Berufswahlfreiheit verkommt zur Utopie (Pressemitteilung des fzs vom 10.11.2011)
- Oberverwaltungsgericht stoppt vorläufig die vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wegen überlanger Wartezeit verfügte Studienplatzvergabe in medizinischen Studiengängen (Pressemitteilung des OVG vom 06.10.2011)
- Urteil des VG Gelsenkirchen: "Grundrecht auf Studienplatz - Studierende müssen zugelassen werden" (Pressemitteilung des fzs vom 30.09.2011)