Das Chaos geht weiterStart des zentralen Bewerbungsverfahren vorerst gescheitert
Eine Ursache der Probleme ist auch, dass die Politik vor einigen Jahren dem Wahn verfallen war, dass nur individuelle Vergabeverfahren das Wahre wären. So sollten also die Hochschulen nach Möglichkeit nicht einfach den NC, sondern irgendwelchen individuelleren Auswahlkriterien einführen. Auch einige Hochschulen selbst wollten damit ihre Besonderheit unterstreichen. Dass dadurch die Abbrecherquoten geringer oder die Leistungen besser geworden wären, ist nach allem, was bekannt ist, nicht eingetreten. Trotzdem wird daran festgehalten.
Es bleibt auch dieses Jahr leider dabei: Die Hochschulen werden in Bewerbungen geradezu ertrinken.
Ein "Nebeneffekt" davon ist, dass die BewerberInnen zu Mehrfachbewerbungen gezwungen sind (sie können eben keine Liste abgeben, am liebsten hätte ich das Fach an der Hochschule X, wenn das nicht geht, dann halt Hochschule Y und so weiter). Einige bekommen somit mehrere Zusagen, andere dafür gar keine. Erst in einem nächsten Schritt - wenn an allen Hochschulen die Fristen für die Annahme der Plätze abgelaufen sind - können übriggebliebene Plätze an andere vergeben werden. Aber selbst mehrere Stufen haben in den letzten Jahren nicht mehr gereicht, um alle Plätze zu vergeben. Denn trotz allem müssen die Hochschulen ja auch vorsichtig sein: Wenn sie zu vielen einen Platz zusagen (weil ja in jedem Fall nicht alle annehmen werden), könnte auch der ebenso unerwünschte Fall eintreten, dass zu viele mit dem Studium anfangen.
Ein Jahr für ein hochkomplexes System
Dass also (doch) Bedarf an einem bundesweiten Abgleich besteht (wenn schon nicht die Verfahren vereinheitlicht werden, was die Sache deutlich einfacher machen würde), ist seit Jahren bekannt. Der Bildungsföderalismus, aber auch die Arroganz einiger Hochschulen führte aber dazu, dass erst vor gut einem Jahr eine Einigung erzielt wurde, wie denn ein zentraler Abgleich aussehen könne.
Da die nun zu entwickelnde Software mit unterschiedlichsten Systemen der einzelnen Hochschulen zu kommunizieren hätte, war klar, dass die Entwicklungszeit durchaus knapp bemessen ist. Schon vor einigen Wochen war daher der ursprünglich für Anfang April geplante öffentliche Start des "dialogorientierten Serviceverfahrens" verschoben worden. Damals hieß es noch, dass nur der Start für die Bewerber aufgeschoben wird, die beteiligten Hochschulen sollten sogar schon früher mit dem Einpflegen der nötigen Daten beginnen. Auch wir hatten noch gehofft, dass das dann letztlich klappt (und die Verschiebung um ein paar Wochen eher von Vorteil sei).
Offenbar gab es auch damit dann doch größere Probleme. Davon abgesehen, dass das System sowieso noch lange nicht alle Optionen bieten konnte, die es auf Dauer haben sollte. Selbst wenn es zu einem Start dieses Jahr gekommen wäre, hätten bspw. keine Studiengänge darüber laufen können, bei denen man mehrere Fächer kombiniert (z.B. bei Lehramt). Aber es ist ja noch schlimmer gekommen: Die Wissenschaftsminiterien und hochschulSTART.de waren schließlich gezwungen, auch diesen rudimentären Start für dieses Jahr abzublasen. Es ist sogar offen, wann das Servicevefahren überhaupt kommt, manche sprechen erst von 2013.
Was nun? Oder: Wie als BewerberIn umgehen mit dem drohenden Chaos?
Unvermeidlich wird es nun zu ähnlichen Zuständen wie in den letzten Jahren kommen. Die BewerberInnen sind gezwungen sich bei vielen Hochschulen zu bewerben, die Hochschulen müssen pokern, wie vielen BewerberInnen sie eine Zusage erteilen, um mit möglichst wenigen Runden ihre Plätze möglichst gut zu vergeben (aber eben auch nicht zu viele).
Erschwert wird das ganze noch dadurch, dass in Bayern und Niedersachen doppelte Abiturjahrgänge anstehen und die Aussetzung der Wehrpflicht ihr übriges tun wird. Insofern mag man vor allem unschlüssigen tatsächlich nur den Rat geben, den Studienbeginn vielleicht besser aufzuschieben und ein Jahr anderweitig zu überbrücken.
Ansonsten hilft nur eines: Sich möglichst gut informieren, welche Aufnahmekriterien die einzelnen Studiengänge haben und wie denn die Quoten in den letzten Jahren waren. Je nach eigenem Abitur-Schnitt, möglicher Wartezeit (wenn man seine Hochschulzugangsberechtigung schon vor einiger Zeit gemacht hat), gewünschtem Studiengang und Chanceneinschätzung muss man sich dann entscheiden, wie viele Bewerbungen man tatsächlich abgeben will. Gerade wenn von den Hochschulen individuellere Bewerbungen gefordert werden (z.B. "Motivationsschreiben"), sollte man sich lieber auf wenige Bewerbungen konzentrieren und sich bei diesen viel Mühe geben, als viele - im schlimmsten Fall deutlich als solche erkennbare - "Massen-Bewerbungen".
Wer ist schuld? Und was macht die Politik?
Der studentische Dachverbandes fzs sieht vor allem zwei Ursachen für das Scheitern der zentralen Vergabe, nämlich die Einführung von unnötigen hochschulspezifischen Zulassungsverfahren in den letzten Jahren sowie der mangelnde Wille der zuständigen Bundesministerin Dr. Annette Schavan, die Studienplatzvergabe per Gesetz zu regeln. "Gerade auf Seiten der Hochschulen wurde in den vergangenen Jahren ein Schönheitswettbewerb auf der Suche nach der selektivsten Zulassungsordnung ausgetragen. Leidtragend sind die Studieninteressierte, welche nun zu spüren bekommen müssen, dass diese unterschiedlichen Kriterien nicht zeitnah in ein gemeinsames System zusammengeführt werden können", so Moska Timar, ebenfalls Mitglied des fzs-Vorstands.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert als schnelle Notlösung die Reaktivierung des ZVS-Verfahrens per Bundesgesetz. Ingrid Sehrbrock, stellvertretende DGB-Vorsitzende, erklärte: "Jahrelang brandmarkten wirtschaftsliberale Politiker die ZVS als bürokratisches Monstrum. Bis die ZVS entmachtet und den Hochschulen immer mehr Eigenverantwortung gegeben wurde. Das Ergebnis ist das blanke Chaos. (...) Das zeigt: Nicht nur im Finanzsystem, auch an den Hochschulen ist Deregulierung kein Allheilmittel."
Die Oppositionsparteien im Bundestag haben schon in der Vergangenheit bundeseinheitliche Regelungen gefordert. Die LINKE kündigte an, in Kürze ein Bundeszulassungsgesetz als Antrag im Bundestag einzubringen.
Bundesbildungsministerin Schavan scheint dagegen die Schuld auf hochschulSTART.de und den Haupt-Softwarelieferanten der Hochschulen, die HIS GmbH, abschieben zu wollen. Schavan macht es sich damit allerdings sehr leicht. Die HIS GmbH bspw. hat zwar für viele Hochschulen die Verwaltungs-Software geliefert. Dass es aber so viele Varianten gibt, die das Zusammenspiel mit einer Zentralsoftware so schwierig machen, ist den politischen Vorgaben geschuldet und nicht Sache der HIS, die nun von anderen geschaffene Probleme ausbaden muss.