Ein Traum wird WirklichkeitAuf dem Weg zum Auslandsstudium
Mögliches Ziel: Columbia University (im Bild die Bibliothek)
Hinter mir rattert ein Ventilator, junge Frauen und Männer um mich herum sprechen mit Kopfhörern auf den Ohren scheinbar mit sich selbst. "Mein Mikrofon funktioniert nicht" heißt es neben mir. Zweimal hat mein Nachbar schon erzählt, in welcher Stadt er lebt, was er dort macht. Beim zweiten Mal ging er schon zu einem "Blabla, I want this shit to be over to continue." über. Auch ich trage Kopfhörer, der Geräuschpegel sinkt dadurch leider nur kaum merklich. Angestrengt starre ich wieder auf den Bildschirm vor mir. "Reading Section" steht groß darauf. Mein Blick schweift ab, ich schaue aus dem Fenster: strahlender Sonnenschein, 35 Grad. Warum war ich noch einmal hier, in diesem stickigen Raum, in sengender Hitze, gegen die auch der laut ratternde Ventilator hinter mir nichts ausrichten kann? Und warum zur Hölle bezahle ich dafür auch noch 225 Dollar?
TOEFL-Test nur der erste Schritt
In der Retrospektive erscheint mir der TOEFL-Test eher als eine geringfügige Widrigkeit im Rahmen meiner Bewerbung für ein Stipendium des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD). In die USA soll es gehen, am liebsten nach Pennsylvania. Genauer: nach Philadelphia, an die University of Pennsylvania. In den Vereinigten Staaten schlicht UPenn gennant, ist das allerdings nicht irgendeine Universität. Spielt sie doch in einer Liga mit Harvard, Princeton oder Yale. Und zwar nicht bildlich, sondern real - zumindest solange es um Sport geht. Als Mitglied der Ivy League zählt sie zu den renommierten Ostküsten-Eliteuniversitäten der USA. Wie genau war ich auf die Idee gekommen, mir für meine Bewerbung ausgerechnet eine Uni mit Gebühren von 40.000 $ pro Jahr auszusuchen?
"Ivy League" bezeichnet seit 1954 eine Hochschulsportstaffel, die sich aus acht Privatuniversitäten im Nordosten der Vereinigten Staaten zusammensetzt. Aufgrund des Renommees der Mitglieds- Universitäten Brown University, Columbia University, Cornell University, Dartmouth College, Harvard University, Princeton University, the University of Pennsylvania und Yale University wurde der Begriff "Ivy League" im Laufe der Zeit zu einem Synonym für akademische Exzellenz, enorm selektive Auswahlverfahren und Sozialelite. Das Stiftungsvermögen der "Ivy League"-Universitäten - von 2,01 Mrd. Dollar der Brown University bis hin zu 26 Mrd. Dollar der Harvard University - verdeutlicht ihre Ausnahmestellung im nationalen wie internationalen Vergleich.
Begonnen hatte all das mit einer Idee, einem Traum, der wohl mehr als jugendliche Spinnerei zu bezeichnen ist: Die Absolvierung eines Masterprogramms an der Pulitzer School of Journalism der Columbia University - ebenfalls ein Mitglied der Ivy League. Studieren mitten in New York. New York! An dem College, das nach Joseph Pulitzer benannt ist. Der ist nebenbei auch noch Namensgeber des wichtigsten Journalismuspreises der Welt. Völlig utopisch erscheint das: Studieninteressierte, deren Muttersprache nicht Englisch ist, müssen ein Internet based TOEFL-Ergebnis von mindestens 112 von 120 erreichbaren Punkten aufweisen.
Und trotzdem haben meine Begeisterung für die USA, meine Faszination für diese unglaublichen Extreme und Gegensätze aus Arm und Reich, Freiheit und Unfreiheit, liberalem Küstenelitismus und evangelikalem Fundamentalismus großen Einfluss auf meine Fachwahl: Nordamerikastudien an der Freien Universität Berlin. In diesem Studiengang macht ein Auslandsaufenthalt nicht nur Sinn, er ist per Studienordnung vorgeschrieben.
Und so sitze ich einige Jahre nach dem ersten Aufkommen dieser spinnerten Idee des Masters an der Columbia University tatsächlich an meiner Bewerbung für ein Auslandsstipendium des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes. Ein Blick auf die Liste der Partneruniversitäten: Brown, Columbia, Duke - Columbia! Da ist er wieder, der Traum des Studiums in New York, der Traum an einer Ivy League Universität zu studieren. Mit einem Blick auf das Vorlesungsverzeichnis kommt die Enttäuschung: Viel Spannendes, sehr viel sogar. Doch nicht mehr genau das, was mich am meisten interessiert. Langsam keimt in mir die Gewissheit auf, dass Träume wohl doch Träume sind und Interessen sich wandeln.
Was Journalismus und auch Wirtschaftsgeschichte angeht, ist die Columbia University wunderbar aufgestellt. Nur leider interessiert mich die Erklärung der persönlichen Entscheidungsfindung ökonomischer Subjekte mittlerweile noch mehr. Weniger abgehoben heißt das einfach: Welche Entscheidungen trifft der Mensch? Und warum? Wie funktionieren Anreize? Wenn der Mensch ach so rational ist, warum tippe ich diese Zeilen dann auf einem Sony Vaio statt eines Notebooks, das das Gleiche kann, aber die Hälfte kostet?
"Was will ich eigentlich?"
Der Autor: Niklas Flamang, 1990 in Hamburg geboren, studiert im zweiten Semester Nordamerikastudien und Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin.
Zu seiner Schulzeit war er Chefredakteur der Schülerzeitung 'Allees Klar!'. Neben seiner Tätigkeit für 'Studis Online' schreibt er für das studentische Campusmagazin an der FU 'Furios'.
Hier liegt für mich die wohl interessanteste Erkenntnis, die ich während des Bewerbungsprozesses gewann: "Was will ich eigentlich?" Dem DAAD konnte ich schließlich schlecht schreiben "irgendwas mit Wirtschaft und am liebsten auf Englisch und mit US-Bezug." Also, ich könnte schon, meine Chancen auf eine erfolgreiche Bewerbung wären allerdings eher gering. "Vollkommen sinnlos" denke ich, als ich erfahre, dass ich ein Schreiben anfertigen muss, in dem ich meine Motivation, in den USA zu studieren und meine Wahl einer Universität begründe, gar ein Studienvorhaben schildere. "Ich studiere Nordamerikastudien, ist es da nicht logisch meine letzten beiden Semester drüben zu verbringen?" Mit der Zeit stelle ich fest, dass es ganz so einfach aber doch nicht ist. Warum studiere ich Nordamerikastudien? Was reizt mich an meinem Studium? Wieso liegt mein Fokus auf Wirtschafts- und nicht auf Politik- oder Literaturwissenschaft? Und wo möchte ich hin, mit dem, was ich mache? "Woher soll ich das wissen, ich studiere doch erst ZWEI Semester?", sage ich mir. Doch mit dir Zeit wird mir klar, wie sehr ich eigentlich schon weiß, was ich machen will. Diese Erkenntnis brauchte langes Blättern durch die Vorlesungsverzeichnisse der DAAD-Partnerunis: University of Chicago, Boston University, Duke University, um nur einige zu nennen. Doch bei allen dachte ich nicht "das ist es!" Selbst bei meinen zwei Traumuniversitäten Columbia und Berkeley musste ich feststellen, dass der Funke nicht komplett übersprang.
Und dann kommt die University of Pennsylvania: In Economics wird generell dazu geraten, zwei Kurse in Psychologie zu belegen - Entscheidungsfindung! Es gibt Kurse zu Decision Making, Game Theory oder der Public Choice Theory (dem Versuch, politische Entscheidungsfindung mittels neoklassischer Wirtschaftstheorie zu erklären). Gleichzeitig ist die University of Pennsylvania sehr interdisziplinär ausgerichtet, bietet mir auch die Möglichkeit Veranstaltungen in Soziologie zu besuchen, meinem zweiten Schwerpunkt. Mit einem Mal erscheint mir das Erstellen eines Studienplans, eines Motivationsschreibens nicht mehr als Farce, sondern sinnvoll und einfach. Ich kann ganz klar sagen: "Das ist das, was ich im Moment machen möchte."
Natürlich kann sich das ändern, mein Studium ist gerade einmal zu einem Drittel vorbei. Trotzdem fällt der Rest der Bewerbung jetzt ungleich leichter. Ich denke nicht mehr "Wofür eigentlich?" Ich weiß, warum ich zum Prüfungsbüro eile und meine Übersicht über bisherige Studienleistungen bestätigen lasse. Ich weiß, warum es sich gelohnt hat, die letzten Nächte vor Fristende kaum zu schlafen, und stattdessen an meiner Bewerbung zu arbeiten. Und ich habe ein gutes Gefühl, als ich dem Dozenten, der mein Empfehlungsschreiben anfertigt, meine Unterlagen zusende. Ich denke nicht mehr "Alle bewerben sich und irgendwie wär' ja schon nett mit dem Stipendium."
Endspurt
Am 14. Juli um 17 Uhr eile ich zur Post. Bewerbungsschluss ist der 15. Juli. Eingangsdatum. Meine Unterlagen sind fast komplett, mein TOEFL-Ergebnis und das Empfehlungsschreiben fehlen noch. Nachreichen darf ich sie innerhalb von zwei Wochen nach Fristende. 9,90 € bezahle ich für die Expresszustellung. Während ich meine Bewerbung in den Briefumschlag schiebe, überlege ich, wann ich 9,90 € zuletzt so sinnvoll investiert habe. Ich weiß es nicht.
Eine Woche nachdem ich meine Bewerbung eingeschickt habe, bekomme ich mein TOEFL-Ergebnis: Die von mir für unmöglich gehaltene 112 Punktegrenze habe ich überschritten, 113 Punke. "Columbia!" schreit es in mir und sofort ist er wieder da, der Traum vom Studium in den Vereinigten Staaten.
Jetzt ist September, alle Unterlagen sind nachgereicht. In den USA bin ich bereits, wenn auch nur zum Urlaub. Also hoffe ich auf eine doppelte Rückkehr: Zunächst im November nach Bonn. Dann nämlich sind die Auswahlgespräche des DAAD. Und wenn alles klappt, geht es im Sommer wieder auf die andere Seite des Atlantiks. Man wird ja noch träumen dürfen.