Texte schneller lesen und erfassenSpeed Reading im Studium
Von Sabine Grotehusmann
1. Die wichtigsten Fragen zu Speed Reading
Grundsätzlich kann auch im Studium Speed Reading helfen. Allerdings darf bei wissenschaftlichen Texten nicht erwartet werden, eine Geschwindigkeit von bis zu 3000 Wörtern pro Minute zu erreichen, was im besten Fall bei einfachen Texten möglich ist. Realistisch können bis zu 400 Worte pro Minute sein.
Beim Lesen für Prüfungen, Hausarbeiten oder Abschlussarbeiten geht es in der Regel darum, neue Informationen in ein vorhandenes Wissensnetz einzubauen. Dazu muss dieses Netz aktiviert werden. Diese Aktivierung erfolgt beim ersten (schnellen) Lesen. Beim zweiten Lesen können die Informationen dann oft schon eingebaut werden. Daher ist es tatsächlich oft besser, einen Text zweimal schnell als einmal langsam zu lesen.
Speed Reading lohnt sich für Studierende vor allem in folgenden Situationen:
Bei der Sichtung von Texten z.B. für die Bachelor- oder Masterarbeit oder zu Beginn der Prüfungsvorbereitung
Um sich schnell einen Überblick über ein Thema zu verschaffen
Um das Gehirn auf neue Informationen vorzubereiten, also immer dann, wenn du aus einem Text Informationen aufnehmen möchtest.
2. Welchen Nutzen hat Speed Reading?
„I took a speed-reading course and read ‚War and Peace‘ in twenty minutes.
It involves Russia.“
„Ich machte einen Speed Reading-Kurs und las ‚Krieg und Frieden‘ in zwanzig Minuten.
Es hat mit Russland zu tun.“
Wer Speed Reading anwendet,
schläft nicht beim Lesen ein und fühlt sich auch nicht müde, sobald er ein Buch aufschlägt,
schweift nicht mit den Gedanken ab,
liest schneller,
ist nicht frustriert, weil er Gelesenes nicht behält,
merkt sich mehr von dem Gelesenen.
Wie funktioniert Speed Reading?
Phase: Das Gehirn wird darauf vorbereitet, neue Informationen aufzunehmen.
Phase: Die neuen Informationen werden aufgenommen.
Warum funktioniert es?
sabine-grotehusmann (Köln) arbeitet als Autorin, Studienrätin und Trainerin mit den Schwerpunkten: Lernen und Kreativität.
www.derpruefungserfolg.de
In Speed Reading-Kursen wurde festgestellt, dass Leser mehr von einem Text wissen, wenn sie ihn in 10 Minuten zweimal durchlesen, als wenn sie ihn in der gleichen Zeit – also halb so schnell – nur einmal durchlesen.
Die Ursache dafür liegt in der Funktionsweise des Gehirns. Unser Gehirn speichert Informationen in Netzen ab; das ist aus der Lernforschung seit Frederic Vester bekannt. Dafür schuf er die Metapher des Wissensnetzes.
Je mehr eine Person über ein Thema weiß, desto dichter ist ihr Wissensnetz dazu. Von solchen Wissensnetzen haben wir sehr viele im Kopf, die jedoch nicht alle gleichzeitig aktiv sein können. Wissen, welches wir länger nicht benötigten, wird von aktuelleren Wissensnetzen überlagert. Es stellt sich daher die Frage: Wie schaffen wir es, dass neue Informationen in einem Netz hängen bleiben und nicht durch die Löcher durchfallen?
Beim Lesen für Prüfungen, Hausarbeiten oder Abschlussarbeiten geht es in der Regel darum, neue Informationen in ein vorhandenes Wissensnetz einzubauen. Dazu muss dieses Netz als erstes aktiviert werden. Diese Aktivierung erfolgt beim sogenannten Skimming.
Bewusst können auf diese Weise nicht alle Informationen aufgenommen werden. Stattdessen bereitet der Leser sein Gehirn auf die Informationsaufnahme vor. Bereits Bekanntes oder Begriffe, die du aus anderen Zusammenhängen kennst, nimmt das Gehirn dabei bereits wahr. Dadurch werden Wissensnetze zu diesem Gebiet im Gehirn aktiviert. Das geschieht unbewusst. Das heißt, wir müssen uns in dieser Phase nicht krampfhaft bemühen, den Text zu verstehen. Beim zweiten Lesen ist das Gehirn dann bereit für die Aufnahme neuer Informationen. Sie gehen dem Leser nun leicht ins Netz. Das erklärt, warum es besser ist, einen Text zweimal schnell als einmal langsam zu lesen.
Wann lohnt sich das Skimmen für Studierende?
Bei der Sichtung von Texten z.B. für die Bachelor- oder Masterarbeit oder zu Beginn der Prüfungsvorbereitung
Um sich schnell einen Überblick über ein Thema zu verschaffen
Um das Gehirn auf neue Informationen vorzubereiten, also immer dann, wenn du aus einem Text Informationen aufnehmen möchtest.
Frage: Was hindert Studierende am Skimmen?
Antwort: Die Lesegewohnheiten aus der Schulzeit
In der Schule wird vermittelt, dass du Texte zu 100% verstehen musst. Dieser Leseansatz kommt daher, dass es sich bei Schulbüchern um didaktisierte Texte handelt, also Texte, die extra für den Schullehrplan geschrieben werden. Sie bauen linear auf das Vorwissen der vorherigen Kapitel auf. Nichts an den Texten ist überflüssig. Nur das volle Verständnis des Textes garantiert den angestrebten Lernfortschritt.
Wissenschaftliche Texte orientieren sich nicht an der Lernprogression ihrer Leser, sondern widmen sich in erster Linie dem Thema. Noch dazu liest jeder Student eine unterschiedliche Auswahl an Texten, in einer anderen Reihenfolge.
Daher ist in der Regel viel Arbeit nötig, bis du einen wissenschaftlichen Text zu 100% verstehst. Der Anspruch, einen wissenschaftlichen Text nach einmaligem oder zweimaligem Lesen vollständig zu verstehen, hindert den Leser am Scimming. Er führt dazu, dass Leser frustriert sind, wenn sie einen Text nicht sofort verstehen. Die Folge ist, dass das Gehirn dicht macht.
Das Skimmen gelingt schnell, wenn die Augen in kurzer Zeit viel Text erfassen. Es gelingt jedoch nur, wenn du dich darauf einlässt, beim ersten Lesen nur wenig zu verstehen. Je stärker der schulische Ansatz in einer Lernpersönlichkeit verankert ist, desto schwerer fällt es demjenigen, sich auf das Überfliegen einzulassen. Wer die folgenden Übungen macht, senkt automatisch seine Frustrationsgrenze. Das Gehirn wird es mit größerer Offenheit für neue Informationen danken.
Skimmen mit einer Geschwindigkeit von 400WpM
Ziel ist es, die Lesegeschwindigkeit zu erhöhen. 300 bis 400 Wörter pro Minute sind ein realistisches Ziel. Um das zu erreichen, haben sich zwei verschiedene Übungstypen bewährt. Die erste dient der Erweiterung der Blickspanne. Je größer die Einheiten sind, die du mit einem Blick erfassen kannst, desto schneller liest du einen Text. Das ist wie beim Lesen mit einer Taschenlampe. Eine kleine Lampe hat einen kleineren Lichtkegel als eine größere. Deshalb musst du mit einer kleineren Lampe mehrmals pro Zeile weiterleuchten. Der Lichtkegel einer größeren Lampe beleuchtet eine ganze Zeile, sodass du entspannt lesen kannst ohne ständig weiterleuchten zu müssen. Das ist das Ziel: Die Blickspanne erweitern, dass sie so groß wie möglich wird und du nur selten den Blick weiterlenken musst.
3. Speed Reading-Übungen
a. Die Blickspanne erweitern
Nehmt eine Karteikarte. Deckt die erste Zeile blitzartig auf und wieder zu. Versucht, das Wort zu erkennen. Kontrolliere danach, ob du das Richtige wahrgenommen habt. Gehe so weit herunter, bis du ein Wort nicht mehr ganz richtig erfasst hast. Das letzte wahrgenommene Wort entspricht deiner momentanen Blickspannweite.
Zug
Witz
Brand
Freude
Bretzel
Konflikt
Gutenberg
Froschkönig
Hängematten
Bohnenkaffee
Rückwärtsgang
Garageneinfahrt
Gelegenheitskauf
Weinflaschenregal
Autobahnraststätte
Branchenverzeichnis
Ernährungsgewohnheit
Führe wieder mit deiner Karteikarte die Blitztechnik durch. Je nachdem wie groß deine aktuelle Blickspanne ist, beginne bei der ersten, zweiten oder dritten Spalte. Trainiere jetzt bis zur letzten Spalte, auch wenn sie über deine Verständnisgrenze hinausgehen. Durch die Überforderung wird bei wiederholtem Üben ein Fortschritt erzielt.
Brillenetui Schnittkäse Rasenmäher Winterschuh Tintenklecks Pfeffermühle | Thermometer Eichhörnchen Maschendraht Verkaufserlös Boxhandschuh Bohneneintopf | Freiheitsgefühl Biberstaudamm Windradantrieb Briefbeschwerer Rundstricknadeln Überlebenskünstler | Vollmilchschokolade Protestdemonstration Buchstabenhäufigkeit Briefmarkensammlung Weltuntergangstheorie Vorgesetztenverhältnis |
b. Selten mit den Augen stoppen
Mit dem zweiten Übungstyp wird geübt, nur bei vorgegebenen Punkten mit den Augen zu stoppen. Diese Technik hilft in erster Linie dabei, nicht mit den Augen im Text zurückzuschweifen, sondern konzentriert vorwärts zu lesen. Außerdem lässt sich die Anzahl der Augenstopps reduzieren, wenn du bei diesen Übungen immer weniger Stopps vorgibst.
Nimm einen Text und teilt ihn durch zwei senkrechte Linien in drei gleichgroße Spalten. Fixiert beim Lesen jeweils die Mitte der Spalte. Das heißt, du machst drei Fixationen pro Zeile.
Wenn du diese Übung beherrschst, teile einen Text durch eine Linie in nur zwei Spalten und stoppe pro Zeile nur zweimal mit den Augen.
Praxistipp: Zum Trainieren kannst du in in einem Textverarbeitungsprogramm jeden beliebigen Text so verändern oder nimm eine Folie und drucke oder zeichne einen oder zwei senkrechte Linien darauf. Diese kannst du über jeden gedruckten Text legen.
Diese Übung erzeugt zunächst einen künstlichen Leseprozess, der sich nicht am Inhalt des Textes orientiert. Wer die Technik der wenigen Stopps beherrscht, kann auf die Linien verzichten und üben, bei Schlüsselwörtern mit den Augen zu verweilen.
4. Wie geht es weiter?
Buchtipp [Werbung]
Hinweis: Es handelt sich um ein Buch der Autorin dieses Artikels. Wir erhalten eine Provision, wenn über den Link eingekauft wird.
Wenn du diese Übungen drei Wochen lang täglich machst, kannst du deine Lesegeschwindigkeit mindestens um die Hälfte steigern oder sogar verdoppeln. Du kannst beim Lesen am PC auch eine Lesegeschwindigkeit vorgeben. Dazu hilft das kostenlose webbasierte Programm ZAP Reader.
Auch gibt es Apps zum Schneller lesen.
Weitere Übungen finden sich in allen Speed Reading-Büchern, hier nur eine kleine Auswahl.
(Hinweis [Werbung]: Die Bücher sind redaktionell ausgewählt. Wir erhalten jedoch eine Provision, wenn über den Link eingekauft wird.)
- Zach Davis, PoweReading: Schneller lesen, Zeit sparen, Effektivität steigern, Peoplebuilding Verlag, Planegg, 2009 [Werbung]
- Christian Grüning, Visual Reading® - Garantiert schneller lesen und mehr verstehen, Grüning Verlag, 2007 [Werbung]
Inwieweit in Büchern und Seminaren getrickst wird
Oft werden als Übungstexte Romane, Zeitungsartikel oder populärwissenschaftliche Texte verwendet. Die Inhalte sind leichter zu verstehen als die Inhalte der universitären Fachliteratur. Auch haben die Texte einen leicht zu erfassenden Satzbau und relativ einfachen Wortschatz. Gerade die Fachbegriffe, Fremdwörter und komplexen Satzgefüge machen wissenschaftliche Texte oft schwerer nachvollziehbar. Eine Steigerung der Lesegeschwindigkeit auf 500 bis 3000 Wörtern pro Minute, wie sie in einigen Kursen und Büchern propagiert wird, ist für wissenschaftliche Texte unrealistisch.
Wie merke ich mir das Gelesene?
Eine effektive Methode um sich Gelesenes zu merken, ist das Mindmapping. Es kann vor oder nach dem Scimming gemacht werden, um die Wissensnetze zu aktivieren. Du kannst es auch während der zweiten Lektüre des Textes machen oder anschließend als Exzerpt. Näheres dazu erfährst du in unserem Mindmapping-Artikel.