Volle KonzentrationBesser Lernen mit Aufmerksamkeit & Tunnelblick
Von Sabine Grotehusmann
Die Fähigkeit zur höchsten Konzentration – dem sogenannten Flow – setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Zunächst geht es darum, die Aufmerksamkeit auf einen Gedanken zu richten und anschließend, sich in dieser Aufmerksamkeit nicht stören zu lassen.
Höchste Konzentration = Aufmerksamkeit + Tunnelblick
Aufgrund dieses Phänomens verbringt der Trainer von Filmtier Rudi Rüssel weniger Zeit damit, Rudi neue Tricks zu lehren als damit, ihm beizubringen, sich nicht von Windmaschinen und Kamerateams ablenken zu lassen. Das ist für Schwein, Hund und Waschbär weitaus schwieriger, als auf Kommando treu in die Kamera zu schauen. Auch bei Studierenden ist die Ablenkung oft das größere Hindernis.
1. Die beiden Voraussetzungen für höchste Konzentration
Wie gelingt es, völlig im Lernstoff zu versinken und sich nicht ablenken zu lassen? Der Kreativitäts- und Glücksforscher Csikzentmihalyi nennt zwei Voraussetzungen dafür: Neugier und Ausdauer. Die Freude daran, Neues kennenzulernen und auszuprobieren ist die größte Kraft, der stärkste Motor für Konzentration. Neugier bedeutet übrigens auch, gerne zu staunen. Gleichzeitig bedarf es Ausdauer und Durchhaltevermögen, wobei die Ausdauer eine automatische Folge von großer Neugier ist. Es handelt sich dann um intrinsische, von innen kommende Motivation, die einen durchhalten lässt. Fehlt die Neugier oder ist sie gering, dann ist Selbstkontrolle notwendig.
Thomas Müller ist nicht automatisch ein Meister der Selbstkontrolle. Er gerät laut Csikzentmihalyi in einen Flow-Zustand, dem Bewusstseinszustand mit extrem hoher Konzentration, wenn er gegen Barcelona ein Tor schießt. Und das auch bei Graupelschauern und matschigem Rasen. Der Wunsch nach diesem Torgefühl motiviert ihn. Das gleiche gilt für Wissenschaftler, Maler etc. Deshalb ist es auch möglich, dass viele erfolgreiche Menschen wegen Undiszipliniertheit in anderen Lebensbereichen Probleme haben. Den Tunnelblick haben sie für die Sachen, die sie wirklich interessieren.
Wie viel Neugier und Selbstkontrolle brauche ich?
Von beidem etwas wäre am besten. Je größer die Neugier ist, desto weniger Selbstkontrolle ist notwendig, um konzentriert bei einer Aufgabe zu bleiben. Je geringer die Neugier ist, desto mehr Disziplin bedarf es.
Finde dein persönliches, optimales Neugier-Selbstkontrolle-Verhältnis! Wenn du deine Konzentration steigern willst, ist es folglich notwendig, die Neugier zu wecken oder die Selbstkontrolle zu verstärken.
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie neugierig bist du auf das Thema, das du heute lernen musst?
Notiere spontan den Wert und lies erst weiter, wenn du wirklich eine Zahl aufgeschrieben hast.
Liegst du bei 6 oder darunter, dann lies aufmerksam folgenden Abschnitt zur Neugier. Bei 7 oder mehr springe gleich zum Abschnitt Selbstkontrolle trainieren.
Wie kann ich mich auf meinen Lernstoff neugierig machen?
Je engmaschiger das Wissensnetz, desto leichter bleibt Gelehrtes hängen.
Unser Gehirn möchte nur dann mehr über ein Thema wissen, wenn es dazu schon zumindest etwas weiß. Grob gesagt machst du dich neugierig auf ein Thema, indem du ihm das Neue und Fremde nimmst. Was für uns komplett neu und fremd ist, ist unverständlich und uninteressant.
Stelle dir vor, du wärst für einen Tag zu Besuch in einem chinesischen Dorf. Ohne Chinesischkenntnisse. Wie lange könntest du dich auf Gespräche konzentrieren? Wie interessant wären die Gespräche für dich? Wie sähe es in einem Land aus, dessen Sprache du schon zwei Semester lang gelernt hast? Es wäre für dich interessanter, da du einige Wörter verstehen würdest und auch selbst etwas sagen könntest.
Anschaulich wird das mit dem Bild des Wissensnetzes. Unser Wissen ist im Gehirn wie in einem Netz abgespeichert. Je engmaschiger das Wissensnetz geknüpft ist, desto leichter bleibt ein Fisch hängen. Wer ein Netz mit großen Löchern hat, der fängt nicht viel.
Bevor du mit dem Lernen eines Themas beginnst, gilt es, die Fäden deines Wissensnetzes zu verstärken. Dazu gibt es viele Möglichkeiten:
Erstelle ein Brainstorming oder eine ABC-Liste
Blättere deine Unterlagen dazu durch.
Schau dir auf Sofatutor.com oder youtube einen Clip dazu an.
Suche alle Unterlagen heraus, die du beim Lernen für dieses Thema nutzen kannst: Skripte, Bücher, Aufsätze, PPs.
Während des Lernens:
Markiere in deinen Unterlagen, worüber du erstaunt bist. (Erinnere dich: Neugier hat viel mit Staunen zu tun. Wer nie über etwas staunt, lernt nichts mehr dazu.)
Lege einen Fragenzettel an.
Wähle für den Fragenzettel eine bestimmte Farbe, damit du ihn immer leicht in deinen Unterlagen findest. Auf diesen Zettel kommt alles, worüber du dich wunderst, was dir widersprüchlich erscheint, was du nicht verstehst. Diese Fragen sind neue Fäden in Deinem Wissensnetz. Sobald du dazu eine Information lesen wirst, wird sie garantiert hängen bleiben. Dazu ist es wichtig, den Fragenzettel vor und nach jeder Lerneinheit durchzulesen und zu aktualisieren. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie gut ist deine Selbstkontrolle?
Liegst Du bei 7 oder drüber, dann überfliege den Rest des Artikels und schau, ob einer der Tipps dir zu den vollen 10 Punkten verhelfen kann. Hast du 10 notiert, dann wecke noch weiter deine Neugier.
2. Selbstkontrolle trainieren
Multitasking führt ins Hamsterrad
Eines haben Thomas Müller und Rudi Rüssel noch gemeinsam: Sie sind keine Multitasker. Multitasking stört nachweislich die Konzentration und beeinträchtigt sogar die Gesundheit. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Thomas Müller über sich sagt: „Multitasking ist nicht so meine Stärke.“ Schließlich ist er bekannt für seine hohe Fokussierung und seine solide Gesundheit. Mehr dazu hier und speziell in Kapitel 2: Arbeitsunterbrechung und Multitasking als gesundheitliches Risiko.
Sabine Grotehusmann (Köln) arbeitet als Autorin, Studienrätin und Skype-Prüfungscoach mit den Schwerpunkten: Lernen und Kreativität.
www.derpruefungserfolg.de
In welchen Bereichen ist bei Studenten und im Berufsleben Selbstkontrolle erforderlich?
In Unternehmen, auf dem Coachingsektor und dem Büchermarkt tummeln sich bereits zahlreiche sogenannte Digital-Therapeuten. Sie setzen sich ein gegen die Versklavung durch Handys und Emails. So stellt der Karriereberater Martin Wehrle fest, dass Multitasking „Selbstverteidigung gegen Überforderung ist. Aber sie funktioniert nicht. Die Abwehr verstärkt die Angriffe.“ Er spricht sogar von Notwehr, wenn es um die schnelle Beantwortung von Emails geht. Wie kannst Du dich vor Multitasking schützen?
Werde dein eigener Digital-Therapeut
Leite Deine Mails nicht aufs Smart Phone. Rufe Mails manuell ab.
Bearbeite Mails nur 1x am Tag. Plane dafür genügend Zeit ein. Manche Mails können nicht Nur-mal-Schnell-beantwortet werden. Wenn Du häufig in die Nur-mal-Schnell-Falle tapst, lies hier weiter „Nur-noch-Schnell-Virus“
Benutze dein Handy nicht während einer Lerneinheit. Lege es in einen anderen Raum oder schalte es aus. Nutze eine Baum-App oder deinen persönlichen Türsteher – was das ist erfährst du gleich.
Bleibe konsequent bei deinen eigenen Regeln. Wenn Du einmal während deiner Lernzeit antwortest, kannst du eine verspätete Antwort nicht mehr mit deiner Lernzeit erklären. Wenn Du innerhalb von 5 Minuten auf eine App antwortest, wird das grundsätzlich von dir verlangt werden.
Baum-App
Wem dies unmöglich erscheint oder schwer fällt, der kann sich mit einer der folgenden Apps helfen: „Forest“. Einmal aktiviert, wächst auf deinem Handy langsam ein Baum, der bei Benutzung des Handys stirbt. Welcher Naturliebhaber wird freiwillig Bäume töten?
Einlass ins Lernzimmer gibt es nur ohne Handy
Dein persönlicher Türsteher
Oder du positionierst vor deinem Lernzimmer einen Türsteher. Er lässt dich nur an deinen Schreibtisch, wenn du ihm dein Handy gibst.
Ein Foto eines böse blickenden Menschen mit einem kleinen Regalbrettchen passend für dein Handy, ist leicht gefunden. Du kannst natürlich auch das Foto einer gut aussehenden, lieben Person aufhängen, der du gern dein Handy anvertraust.
Dieses Ritual kann dir viel Ruhe beim Lernen bescheren und deine Konzentration erhöhen. Probiere es aus.
3. Selbstkontrolle beinhaltet auch: Erhöhe deine Frustrationstoleranz!
Es gibt viele Tätigkeiten, mit denen du dich vom Lernen abhalten kannst. Einige sind ein richtig gutes Alibi, z.B. Putzen, Aufräumen und andere unangenehme Pflichten. Wenn du in einer Lernphase mehr Zeit und 100%ige Konzentration brauchst, dann erhöhe deine Frustrationstoleranz. Wenn du Dich zum Beispiel durch Staubsaugen und Staubwischen vom Lernen ablenken lässt, dann versuche, drei Tage lang nicht zu putzen!
Erhöhe langsam Deine Toleranzgrenze. Wie viel Staub erträgst du und wann musst du wirklich ran? Auch das ist eine Form der Selbstkontrolle, die dir den Tunnelblick fürs Lernen ermöglicht. Gleichzeitig liefert dir dieses Training gute Belohnungsmöglichkeiten. Du kannst dich nach 45 Minuten Lernen mit 5 Minuten Staubsaugen belohnen. 😉
Eine große Portion Neugier oder eine funktionierende Selbstkontrolle wünscht dir Sabine Grotehusmann!
4. Mehr Informationen
- FLOW und Kreativität Wie Sie Ihre Grenzen überwinden und das Unmögliche schaffen
Von Mihaly Csikszentmihalyi
via amazon (*WERBUNG* Der Buchtipp wurde redaktionell ausgewählt. Wir erhalten eine Provision, wenn über den Link eingekauft wird.) - Bitte nicht stören! Tipps zum Umgang mit Arbeitsunterbrechungen und Multitasking, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund, 3. Auflage 2012.
- Interview mit Thomas Müller auf dfb.de
- Multitasking: Arbeitnehmer unter Dauerfeuer. Spiegel am 09.04.2014 (Zitat von Martin Wehrle)
- Tipps zu den Themen Belohnungen, Zeitmanagement, Rituale, Motivation bei uns
Anmerkung der Redaktion:
Der Artikel wurde erstmals am 30. März 2016 veröffentlicht – das oben angegebene Datum zeigt die letzte Aktualisierung durch die Redaktion an.