Vielfalt ist wichtigComiczeichnen studieren
Von Ralf Hutter
„Es ist, glaub ich, erst in den letzten zehn Jahren populär geworden, Comics zu machen“, meint Sebastian Wachs in Bezug auf die deutschen Hochschulen. Er studiert im achten Semester Kommunikationsdesign an der Hochschule der Bildenden Künste Saar und sagt zum Thema Comiczeichnen: „Es war am Anfang nicht wirklich eine Option.“ Das hat sich geändert. Seine Klasse hat am 1. Juni 2018 sogar den Preis für die beste studentische Publikation beim Comic-Salon im fränkischen Erlangen gewonnen, dem größten Comic-Festival im deutschsprachigen Raum. Um diesen Preis konkurrieren alle zwei Jahre Sammelbände, die an Kunsthochschulen erstellt werden. Das Gemeinschaftswerk von der HBKsaar wurde bei der Preisverleihung mit den Worten gelobt: „Ein vielversprechendes Werk aus einer Hochschule, die sich gerade anschickt, eine zunehmend wichtige Rolle in der deutschen Comiclandschaft zu spielen: Seit dem Wintersemester 2017/18 wird hier der Masterschwerpunkt Comic / Graphic Novel angeboten.“ So ein offizieller Studienschwerpunkt ist in Deutschland die Ausnahme.1. Comiczeichnen als Schwerpunkt – an Hochschulen noch eine Ausnahme
2. Ein Comic als Abschlussarbeit? Ja!
Sebastian Wachs hat schon fest vor, sein Diplom, das ebenfalls noch angeboten wird, mit einer Comic-Arbeit zu machen. Seine Vordiplomsarbeit habe er schon mit Comic-Strips gemacht. Analog könne auch eine Bachelor-Arbeit so abgegeben werden, sagt er. Ein Comic-Strip ist eine kurze Folge von Bildern – die im Comic Panels heißen – und erscheint typischerweise in Zeitungen.
Die Comic-Ausbildung fasst Wachs so zusammen: „Es gibt verschiedene Aufgaben. Es geht nicht primär ums Zeichnen, sondern darum, eine Story geschickt zu erzählen und zu verstehen, wie Bild auf Bild zu folgen hat. Es geht viel um Comic-Strips. Eine Übung ist beispielsweise: Ich male ein Panel, dann du eines, dann der Nächste.“
Wachs ist Comic-Fan, sagt er, aber er habe das nicht von vornherein studieren wollen. Erst seit er zu Beginn des Studiums einen Comic-Kurs belegt habe, der die Voraussetzung für alle weiteren sei, fahre er auf dieser Schiene. Seine Hochschule hat jedenfalls „eine riesengroße Comicbibliothek“, wie eine Kommilitonin dem Deutschlandfunk sagte.
Die Bachelor-Arbeit kann selbstverständlich ein Comic sein, aber nicht komplett, denn sie muss auch Theorie bieten. „Ein praktischer Abschluss bedeutet 75 Prozent Praxis in der Abschlussarbeit“, erklärt Kühn. Alternativ kann eine theorielastige Arbeit verfasst werden. „Wir haben immer wieder Forschungsarbeiten, wo der gestalterische Anteil relativ klein ist“, sagt der Dozent. So eine Arbeit könne beispielsweise ein Stilvergleich sein.
3. Prominente Comiczeichner als Profs
An anderen Hochschulen ist das Comiczeichnen schon lange etabliert, schlägt sich aber nicht im Namen von Schwerpunkten nieder. An der Hochschule Hannover hat mit Ulli Lust sogar ein Star der deutschsprachigen Comic-Szene eine Professur. Sie schuf mit „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ einen der erfolgreichsten deutschsprachigen grafischen Romane überhaupt und erhielt beim Comic-Salon Erlangen 2018 schon zum dritten Mal einen Preis.
„Wir haben jedes Semester einen Zeichenkurs bei ihr“, sagt Doroteya Nancheva, die im 2. Semester den Bachelor Visuelle Kommunikation studiert. Der Master trägt den Namen Design und Medien. Später im Studium müsse sie als Semesterprojekt ein Comicheft zeichnen, berichtet Nancheva. Zuerst würden aber die zeichnerischen Grundlagen gelernt, erst später gehe es ans Umsetzen einer Geschichte.
Comic war für sie kein Grund, diese Hochschule auszuwählen, erzählt sie. Ihr Studiengang biete eine Palette aus Bewegtbild, Fotografie, Editorial (Layout) und interaktiven Medien. Erst im Studium selbst habe sie ein Interesse fürs Comiczeichnen entwickelt. „Ich glaube, das liegt auch an unserer Professorin“, meint Nancheva. Sie möchte nun ein eigenes Comic-Buch entwickeln, komme aber wegen anderer Uni-Projekte nicht wirklich dazu.
In Hannover kann auch im Bachelor-Studiengang Mediendesign das Comiczeichnen erlernt werden. Die Studentin Katrin Gal hat sogar schon ein eigenes Comic-Projekt im Bereich Science-Fiction.
Ihr Studium beschreibt sie so: „Der Schwerpunkt bei uns liegt auf Animation, Film und Games, aber wir haben auch Comic-Kurse. In denen lernen wir das Paneling, wie man eine Geschichte entwickelt und wie man einen Charakter in Szene setzt. Stil- und Themenwahl sind da sehr frei.“ Ihre Kommilitonin Janina Eberding ergänzt: „Wir haben jedes Jahr im November eine große Ausstellung, wo die Comics aus diesem Comic-Kurs präsentiert werden. Im Mai oder Juni werden dann einige von ihnen zusammen mit anderen studentischen Projekten aus den Bereichen Film, 3D, VFX, Concept undsoweiter nochmal gezeigt.“
Comics würden von manchen Leuten als „eigenes Ding“ gemacht, von anderen aber als Teil eines medienübergreifenden Projekts: „Die planen zum Beispiel einen Film, machen dafür ein Character Design und Storyboards, und dann zusätzlich einen Comic, der das Filmprojekt begleitet.“ Weder mit Studis, noch mit Lehrenden des Bachelors Visuelle Kommunikation gibt es im Studiengang Mediendesign Kurse. „Wir sind vom Stil her eher anders gelagert“, erklärt Eberding. „Während unsere VK'ler meist eher illustrative oder künstlerische Comics machen, sind wir beim Mediendesign mehr auf Entertainment-Medien aus.“ Das schlage sich im Zeichenstil nieder, wobei aber keine bestimmte Bildsprache vorgeschrieben sei.
Laut den beiden Studentinnen sind alle Mediendesign-Dozenten bei jeglichen Projekten hilfsbereit, und einer sogar auf Comics spezialisiert. Gal hofft, dass in Zukunft mehr Leute aus der Comic-Szene an ihrer Hochschule unterrichten. Sie sieht aber jetzt schon ausreichend Möglichkeiten für so eine Spezialisierung: „Das Studium dient der Selbstfindung. Hier kann alles nötige gelernt werden.“
4. Die Kunsthochschule Kassel – ein Vorreiter
An der Kunsthochschule Kassel kann längst alles nötige in Sachen Comic gelernt werden. Sie ist eine der wenigen, die sich in dieser Hinsicht schon einen Namen gemacht haben. „Ich habe vor dem Studium geguckt, wo es einen Schwerpunkt in Richtung Illustration und Comic gibt“, sagt denn auch Sebastian Gneiting, der im 10. Semester Visuelle Kommunikation studiert. Einer der zehn Schwerpunkte dieses Studiengangs ist Illustration und Comic, berichtet er.
Eine Besonderheit sei: Es handele sich hier um einen „Studiengang mit künstlerischem Abschluss“. Der sei gleichwertig mit einem Master, aber die Hochschule habe sich dem Bachelor-Master-System verweigert. So gebe es auch kein Punktesystem – ständige Projektarbeiten sind angesagt. „Das Studium ist sehr frei orientiert“, hält Gneiting fest. Es gebe keine Pflichtveranstaltungen. Interdisziplinarität sei erwünscht, aber kein Zwang.
Die Arbeiten würden in Vollversammlungen vorgestellt. „Wir setzen uns mit Comic als Autorenmedium auseinander, und zwar in Richtung Indie- und Avantgardecomic, also weniger mit Kinderillustrationen“, fügt der Student hinzu, der aber als Abschlussarbeit eher ein Buch mit Illustrationen, als einen Comic machen will. „Mal sehen, wie sich das mit dem Prof umsetzen lässt, denn der steht schon sehr auf Comics“, sagt er schmunzelnd.
Dieser Prof ist Hendrik Dorgathen (seine Mitarbeiterin Aisha Franz ist übrigens ebenfalls schon eine preisgekrönte Comic-Autorin). Seine Illustrationsklasse arbeitete vor einigen Jahren an einem interdisziplinären Projekt mit, das die eher unschöne Geschichte der ehemaligen Kolonialschule im hessischen Witzenhausen erforschte und 2016 unter anderem in Comic-Form veröffentlichte.
5. Illustration als Schwerpunkt für Comiczeichnen
Eine andere Hochschule mit gutem Ruf in der Comic-Welt ist die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Dort gibt es sowohl den Bachelor in Illustration als auch den Master in Illustration, und die renommierte Comic-Autorin Anke Ricci-Feuchtenberger hat eine Professur.
Moritz Wienert studiert seit vier Jahren mit dem Schwerpunkt Comic, mittlerweile im Master. „Es gibt fünf Bereiche“, erklärt er, „zum Beispiel Kinderbuch, Medienillustration, Animation. Man kann aber machen, was man will. Jeder kann frei entscheiden, ob er nur bei einer Person studiert, oder zum Beispiel nur Comic.“ Wienert hat diese Hochschule gewählt, weil er Comics machen wollte, berichtet er. Er hatte sich vorher informiert. „In Halle und anderen Städten ist der Studiengang eher durchmischt“, war seine Erfahrung.
An der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle wird der Bachelor Kommunikationsdesign angeboten. „Wir haben verschiedene Richtungen, zum Beispiel Editorial (Layout), Typografie, Informationsdesign, aber auch Illustration“, erklärt Kristin Belzer, die im 8. Semester studiert. „Man kann jedes Semester neu wählen. Wir sind nicht eine Klasse, sondern arbeiten projektbezogen. So kann man sich spezialisieren, wie man möchte. Man kann aber auch das ganze Studium in der Illustration verbringen.“
Und auch im Bereich Illustration selbst herrscht Freiheit: „In dem aktuellen Projekt, zum Beispiel, machen zwischen einem Drittel und der Hälfte der Leute einen Comic“, sagt Belzer. Comic-Kurse im engeren Sinn gebe es nicht, aber wöchentliche „Konsultationen“ mit dem Prof Georg Barber, genannt ATAK, der seit langem eine Größe im (vor allem Avantgarde-)Comic-Bereich ist.
„Wir haben gute Unterstützung, auch durch Vorträge“, hält Belzer fest. „Jeder muss jedes Semester einen Künstler vorstellen, und da sind sehr viele Comic-Leute dabei. So kriegt man sehr viel Input, der einen weiterbringt. Das Studium ist dafür da, selbst Sachen rauszufinden, auch über sich selbst, und sich Sachen selbst beizubringen.“ Als Abschlussarbeit ist ein Comic möglich. Der Absolvent Robert Deutsch veröffentlichte seine stilistisch sehr beachtliche Masterarbeit über den Computerpionier Alan Turing 2017 im renommierten Avant-Verlag.
Eine ähnliche Mischung wie in Halle, sowie ähnliche Freiheiten und Möglichkeiten bietet der Bachelor Design der Technischen Hochschule Nürnberg. „Eines von elf Modulen, die man bei uns studieren kann, ist Illustration“, erklärt Alex Mages, der im 4. Semester studiert. „Drei Module sind nach dem ersten Semester auszuwählen, wobei zwei dann noch gewechselt werden können.“ Fünf Design-Richtungen können also insgesamt studiert werden, darunter auch Film und Fotografie.
„Comic wird nicht explizit unterrichtet, aber es wird unterstützt“, sagt Mages. „Beim Thema Storytelling, das ich gerade habe, wird einem nahegelegt, einen Comic zu machen. Auch Drehbücher werden illustriert.“ Comic-Projekte könnten im Studienverlauf immer wieder gemacht werden.
Mages hat seinen Studiengang nicht wegen Comics gewählt, sagt er, aber er werde „durch diesen Studiengang offener und interessierter an Comics“. An der Hochschule gebe es eine kleine Comic-Szene, sogar ein paar Publikationen seien so schon entstanden. Zudem sei derzeit ein Vertretungsdozent da, der sich viel mit Comics beschäftige. „Der hat seine komplette Comic-Sammlung zu uns in die Hochschule gebracht, damit wir darin stöbern können“, berichtet Mages.
Comic, Illustration, Fotografie – so manches lässt sich in einem kreativem Studium kombinieren.
6. Vielfalt ist wichtig
An der Münster School of Design (FH Münster) gebe es im Design-Bachelor einen Schwerpunkt Illustration, erklärt der Student Christian Klement, der im 5. Bachelor-Semester war (im Master war zum Zeitpunkt des Gesprächs die zukünftige Studienordnung noch nicht ganz klar).
„Wir haben keinen speziellen Schwerpunkt auf Comic, aber im Bereich Illustration können wir alle möglichen Kurse wählen“, sagt er. Es hänge davon ab, wer in welchem Semester lehrt. Manche Lehrende böten Kurse mit einem Schwerpunkt auf sequenzieller Erzählung an, andere betreuten Comic-Projekte in freien Kursen.
Ist es also auch ein bisschen Zufall, was jedes Semester im Angebot ist? Es geht um Vielfalt, betont Klement. Im Bereich der speziellen Kurse könne es sein, dass ein Bereich wie Comics nicht immer im Angebot ist, aber die Profs böten bei jeglichen Projekten Unterstützung, etwa zu den Aspekten Farbe, Komposition und Vertrieb. Es habe auch schon Comics als Abschlussarbeit gegeben.
Die Hochschule Mainz hat im Bachelor Kommunikationsdesign die Schwerpunkte Fotografie, Typografie und Illustration, von denen ab dem dritten Semester einer gewählt werden muss, erklärt Jens Roth, der kürzlich seine Masterarbeit abgegeben hat und nun Dozent ist.
Ab dem dritten Semester kann also hauptsächlich Comic gemacht werden. Nach sieben Semestern Regelstudienzeit gibt es den Bachelor, ein Master kann in drei weiteren Semestern gemacht werden. Allerdings wechselt der Masterschwerpunkt jährlich, sagt Roth. Er selbst hat einen Master für Illustration und Magazingestaltung gemacht – ein Jahr später hätte er den nicht machen können und die Hochschule gewechselt, sagt er.
Die Kurse werden von den Dozierenden vorgegeben, sagt Roth, da sei aber auch was im Comic-Bereich dabei: „Es kam durchaus vor, dass ein ganzes Seminar sich ein ganzes Semester lang mit dem Thema Comic auseinandergesetzt hat.“ Seine eigene „comiclastige“ Abschlussarbeit sei von einem externen Dozenten betreut worden. Das klingt nach Zufall und schlechter Planbarkeit, aber Roth sagt, es gebe jedes Semester etwas im Comic-Bereich.
Jens Roth berichtet von einer studentischen Podiumsdiskussion beim Comic-Salon Erlangen 2018, die die Verankerung des Comics in den verschiedenen Studiengängen thematisierte und die Frage aufwarf, ob es sinnvoll wäre, einen reinen Comic-Studiengang zu haben. Alle drei Studierenden auf dem Podium seien sich einig gewesen, „dass ein Studium, das sich nicht auf Comic festlegt, ein großer Vorteil sein kann“, erzählt der Jungdozent.
„In der Fotografie kann man viel zu Perspektive und Proportion mitnehmen. Schriftgestaltung und Typografie ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil eines Kommunikationsdesign-Studiums – auch das kann sehr viele Vorteile für einen Comic mit sich bringen.“
Hinweis: Dieser Artikel wurde am 04.07.2018 veröffentlicht. Die Zitate stammen aus Interviews in den Wochen davor. Die Studis Online-Redaktion hat zuletzt am oben angegebenen Datum die Links überprüft und ob die beschriebenen Studiengänge so noch existieren.