Ich bin dann erstmal wegWarum ein Gap Year nach dem Abi oder Studium gut sein kann
Warum ein Gap Year?
Viele wissen schon früh, dass sie nichts wissen – zumindest nicht, was sie nach dem Abitur machen wollen. Bloß nicht sofort nach all den Jahren die Schulbank gegen den Klappsitz eines Hörsaals eintauschen. Die Füße mussten schon lange genug stillhalten.
Und wie eine Entscheidung für ein Studienfach treffen, wenn es noch keine Gelegenheit gab, sich mit dem Thema ausgiebig zu befassen?!
Gap Year – nur nach der Schule?
Natürlich haben nicht nur Schüler:innen das Problem, dass sie eine Zeit überbrücken wollen oder müssen. Auch Studierenden nach dem Bachelor oder Master kann dies passieren: Manche brauchen die Zeit, um sich für einen Master zu entscheiden oder sie haben die Bewerbungsfrist für ihren geliebten Masterstudiengang verpasst. Und nach dem Studienabschluss kann eine Auszeit für mache den Druck nehmen, sich sofort arbeitsmarkt-technisch auf den Startblock zu begeben.
Viele in der Artikelreihe vorgestellten Programme sind auch für Studierende oder AbsolventInnen offen.
Oder du weißt bereits, was du machen willst? Du möchtest vor dem Studium lediglich noch testen, ob das Arbeitsfeld was für dich ist?
Einige Studiengänge verlangen oder empfehlen ein Praktikum vor Beginn des Studiums. Viele Abiturient:innen möchten geforderte Sprachkenntnisse im Ausland erweitern oder noch Wartesemester anhäufen wegen des NCs
Bei den bundesweit zulassungsbeschränkten Medizin- und Pharmazie-Studiengängen bringen Wartesemester seit 2022 nichts mehr. Bei anderen Fächern dies auch oft der Fall.
Und andere wussten genau, was sie machen wollten – haben aber keinen Studienplatz bekommen.
Nun ein ganzes Jahr auf eine neue Chance warten – und rein gar nichts tun? Das ist wohl die schlechteste Alternative, vor allem wenn währenddessen alle Freund:innen etwas Neues anfangen. Beim Nichtstun steigt mit der Dauer das individuelle Risiko zur vegetativen Versumpfung.
Gap Year: Mut zur Brücke!
Die hier beschriebenen Szenarien haben eine Gemeinsamkeit: du willst oder kannst noch nicht studieren und suchst nun nach einer Alternative. Für dieses Phänomen gibt es im Englischen schon länger den Begriff „Gap Year“ – in der 1:1-Übersetzung hieße das „Lückenjahr“. Von manchen wird es jedoch lieber als „Brückenjahr“ übersetzt, was es besser trifft – zumindest wenn du das Jahr aktiv nutzen und kein botanisches Studienobjekt werden möchtest.
Viele nutzen die Chance vor dem Studium, ein ganzes Jahr oder ein paar Monate auszusetzen – und aktiv zu gestalten. Und die Möglichkeiten sind immens!
Wen es nicht akut in die Ferne zieht, kann sein Gap Year in Deutschland machen, was im Gegensatz zu einem Auslands-Gap Year schneller und einfacher zu organisieren ist.
Es gibt viele Programme, die eine ehrenamtliche Tätigkeit im Inland unterstützen, wie das Freiwillige Soziale Jahr oder der Bundesfreiwilligendienst. Im Ausland gibt es auch staatlich unterstützte internationale Freiwilligendienste, wie den Internationalen Jugendfreiwilligendienst, weltwärts und viele andere, wie dem Europäischen Solidaritätskorps.
Es gibt auch die Möglichkeit Praktika zu machen oder gleich im Ausland als Au-Pair oder Work&Traveller Erfahrungen zu sammeln.
Und diejenigen, die schon Uni-Luft schnuppern möchten, finden auch hierfür vereinzelt Programme. Somit heißt es: du hast die Qual der Wahl – wirst aber von Studis Online nicht allein gelassen.
Die 3 größten Vorurteile über das Gap Year
1. Vorurteil: „Auszeit? Das ist doch was für Rumgammler und Drückeberger!“
Es herrschen viele Voruteile gegenüber denjenigen, die sich für eine Auszeit nach der Schule entscheiden. Ein einfach gestricktes Beispiel: „Auszeit? Das ist was für Rumgammler!“. Oder eloquenter ausgedrückt: „Die GenZ weiß einfach nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll – und sie sind nicht bereit, im Leben etwas anzupacken.“
Mit dem Begriff Generation kann dieser Konflikt möglicherweise ganz gut gefasst werden. Die ältere Generation der Eltern, Großeltern & Co. hat gewisse und teilweise engere Vorstellungen: Was ist eine gute Ausbildung? Wie wird man erfolgreich? Was ist Erfolg? Und was ist eigentlich wichtig im Leben? Ältere wussten schon fast immer, was für ihre Sprösslinge das Richtige ist – und haben nicht selten starke Reibungen provoziert. Prominentes Beispiel in Deutschland: die 68'er Generation.
Aber zurück zu heute: Vielen Älteren fehlt manchmal das Gespür, welche Themen bei den heranwachsenden Leuten aktuell sind oder wie sich dieser Erwartungsdruck anfühlt. Und das Paradoxe ist: genau dieser Druck führt erst recht zur nicht erwünschten Orientierungslosigkeit.
Aber nur den Eltern die Schuld in die Schuhe zu schieben, wäre zu kurz gegriffen. Immerhin arbeiten viele Akteure daran, die gesellschaftlichen Ideale Effektivität und Leistung voran zu treiben. Vor ein paar Jahren war dies zum Beispiel die Verkürzung des Abiturs auf acht Jahre. Diese Umstellung war ein Entgegenkommen gegenüber den Arbeitsgebern, die ein Plus an Arbeitskräften gefordert haben. Damit sich die Schüler:innen noch schneller in die Arbeitskluft oder den Businessanzug werfen.
Was jedoch der persönliche Wunsch der SchulabgängerInnen ist – danach wird leider selten gefragt.
2. Vorurteil: „Auszeit? Da kannst du ganz schön deinen Lebenslauf optimieren!“
Neben den Stimmen, die ein schnelles und zielgerichtetes Studium befürworten, mehren sich auch andere: „Auszeit? Das klingt ja super – da hast du später was richtig Dolles im Lebenslauf!“ oder auch: „Boost your career – and help people!"
Eine Auszeit bereichert die Persönlichkeit – und im Lebenslauf sieht es hübsch aus. Ein Gap Year lediglich auf das Erwerben von Kompetenzen zu verkürzen, hat jedoch auch seine Tücken. Wer sich eine imaginäre – oder tatsächlich vorhandene – Abhakliste der „10 wichtigsten Skills“ anlegt, macht sich selbst wieder Stress und Druck. Diejenigen, die in ihrer Auszeit diesen Druck nach der Schule los werden wollten, um für sich eine Richtungsentscheidung zu treffen, geraten dann wieder in das Optimierungs-Hamsterrad.
Wenn du deine Zukunft nicht nach Schema F planen oder nicht unbedingt in die übergroßen Fußstapfen der Eltern treten möchtest, brauchst du Kreativität und Freiräume. Und unter Druck kreativ sein – das hat noch nie wirklich funktioniert!
3. Vorurteil: „Auszeit? Da hast du die Chance, deine Zukunft zu planen.“
Wäre das nicht schön – du investierst ein Jahr deiner Lebenszeit und triffst dann die absolut richtige Entscheidung für dein restliches Leben. Aber ist es so einfach? Auf dem Weg zwischen Studienanfang und Berufseinstieg kann noch viel passieren – und selbst später wechseln einige noch ihren Beruf und satteln um. Absolute Garantien für die richtige Entscheidungen gibt es nicht.
Vielleicht ist es dich auch besser, wenn du zuerst eine Richtungsentscheidung triffst – also für den Bereich Studium ein Fach wählen, was deinen Interessen und Neigungen am meisten entgegen kommt. Selbstverständlich ist ein Gap Year eine gute Gelegenheit zu schauen, welche Interessen auch als Arbeit Spaß machen könnten.
Welche Auszeit ist für mich geeignet?
Das kannst nur du selbst für dich beantworten. Wir wollen dich damit aber nicht ganz im Regen stehen lassen, und stellen daher zwei zentrale Fragen:
1. Warum möchtest du eine Auszeit machen?
Das ist wohl die wichtigste Frage. Geht es dir darum, mal alles hinter dich zu lassen, ein neues Land kennenzulernen, eine neue Sprache zu lernen oder eine „alte“ zu verbessern? Möchtest du etwas Gutes bewirken und dich engagieren oder benötigst du schlichtweg ein Praktikum vor dem Studium? Oder alles zusammen?
Versuche dir vor der Wahl über deine Wünsche, Motive und Ziele klar zu werden. Nur weil sich gerade gefühlt alle nach Australien für ein work&travel aufmachen, muss das für dich nicht das Richtige sein. Und wenn ein paar Mitschüler:innen oder gewisse Karrieremagazine, Influencer:innen und Messen behaupten, ohne Auslandsjahr hätte man nach dem Studium ohnehin keine Chance: So eindeutig kann man das nicht sagen: Fast 75% der Personaler:innen bewerteten in einer Umfrage von 2015 Auslandserfahrung als „eher unwichtig“ bis sogar „unwichtig“. Mach das Gap Year lieber für dich, als für den Lebenslauf.
Selbstverständlich kannst du bei der Überlegung, warum du ein Gap Year einlegen möchtest, auch zu dem Ergebnis kommen, dass du gar keins machen möchtest: Weil du schon weißt, was du nach der Schule machen willst. Es wird immer noch später Gelegenheiten geben, einen Auslandsaufenthalt oder dergleichen einzulegen. Insbesondere in der Studienzeit.
2. Welche zeitlichen und finanziellen Mittel hast du?
Bei der Planung eines Gap Years solltest du deinen finanziellen Background berücksichtigen. Manche Auszeiten sind einfach teurer als andere – insbesondere wenn es ins Ausland gehen soll. In den weiterführenden Artikeln sind daher extra Programme aufgenommen, welche staatlich gefördert sind. Zudem haben wir in einem FAQ-Artikel zum Gap-Year alles wichtige zum Thema Sozialrecht, Kindergeld und Familienversicherung gesammelt.
Und natürlich solltest du auch wissen, wie viel Zeit du einplanen möchtest. Wenn du nur für zwei Monate raus möchtest, sind beispielsweise die Freiwilligendienste weniger, dafür aber Workcamps besser geeignet. Und wenn du ein ganzes Jahr verplanen möchtest, ist ein Praktikum möglicherweise das Falsche und zum Beispiel eher ein Freiwilligendienst passend.
5 gute Gründe für ein Gap Year
Mit einer gefüllten Auszeit bekommst du …
mehr Zeit zum Denken: Wie soll es nun weiter gehen?
genügend Freiraum, um Erfahrungen abseits bekannter Trampelpfade zu sammeln – persönlich, politisch, sozial, kulturell.
die Möglichkeit, Neues zu Lernen, was in der nächsten anvisierten Etappe keinen Platz hat.
etwas space zur Erholung – für manche ist es einfach ein Graus, von einem Hamsterrad sich gleich ins Nächste stürzen zu müssen.
die Chance, nicht nur Sprachen und Fähigkeiten zu erlernen – sondern dich selbst besser kennen zu lernen.
Als letzter Tipp
Über den Autoren
Michael Wudi ist Redakteur bei Studis Online – und mehrere Stationen haben ihn dahin geführt: ein Zivildienst, eine falsche Studienwahl mit schnellem Studienwechsel, ein Erasmus-Semester, der langersehnte Abschluss und zwei Bundesfreiwilligendienste – bis der Berufseinstieg geklappt hat. Praktika nicht eingerechnet. Die gewonnene Erkenntnis: Es kommt im Leben manchmal anders als gedacht und geplant.
Nimm dir am besten die Zeit, dich mit den verschiedenen Möglichkeiten eines Gap Years zu beschäftigen. Neben einer eigenen Recherche hier auf Studis Online findest du vielleicht Leute in deinem Umfeld oder in sozialen Netzwerken, die schon ähnliche Ideen umgesetzt haben.
Mögliche Ansprechpartner können auch Studienfachberater sein, falls das Gap Year als Vorbereitung für ein Studium dienen soll. Und wenn du einen Freiwilligendienst anstrebst, bieten viele Träger auch Beratungsmöglichkeiten an.
Und nicht vergessen: es geht um deine Auszeit, über die du entscheidest. Studis Online wünscht schonmal viel Spaß und einen Haufen an spannenden Erfahrungen!
Weitere Artikel zum Thema
Wir stellen dir in unserer Artikelreihe Gap Year verschiedene Wege und Möglichkeiten vor, wie du ein Jahr vor dem Studium (oder zwischen Bachelor und Master) aktiv nutzen kannst – ob im Ausland oder nebenan.
Du willst nichts verpassen? Dann trag dich in unseren Newsletter ein oder folge uns bei twitter, Facebook oder Instagram
Anmerkung der Redaktion:
Das oben genannte Datum stellt den Zeitpunkt der letzten Aktualisierung dar – der Artikel ist erstmalig im Mai 2016 auf Studis Online veröffentlicht worden.