Die Qual der BerufswahlMit dem Inneren Team zum Traumjob
Von Turid Müller
Wenn ich mich in meinem Freundeskreis umsehe, dann haben alle die Schwelle zwischen Studium und Beruf ganz unterschiedlich gemeistert: Bei einigen lief der Übergang reibungslos, andere mussten sich im Umbruch Krisen stellen, die erst nach und nach die Chancen dahinter erahnen ließen.
Bei mir hat sich das Berufsleben nahezu unbemerkt eingeschlichen; ich habe kaum eine Schwelle bemerkt – hatte ich doch schon lange nebenbei selbstständig gearbeitet.
Aber die Frage, was genau ich tun will und wie ich es tun will, stellt sich mir immer wieder aufs Neue und fordert mich auf nachzujustieren. So oder so – die Herausforderungen beginnen nicht erst mit der Frage, ob es Jobs für das eigene Profil gibt, und ob zügig Einladungen zu aussichtsreichen Vorstellungsgesprächen eintrudeln oder nicht.
Die schwierigste Frage kann vielmehr sein: Worauf will ich mich eigentlich bewerben? Was will ich eigentlich?
1. Ist jeder seines Glückes Schmied?
Karriere-Entscheidungen sind Lebensentscheidungen
Die Frage nach der Berufswahl geht ans Eingemachte: Hinter der praktischen Entscheidung für die nächsten Monate lauern Lebensentscheidungen: Wie will ich eigentlich leben? Was macht für mich Sinn? Wer bin ich eigentlich?
Der Versuch, diese Fragen zu beantworten, treibt tausende von Studierenden an, nächtelang durch Stellenanzeigen zu surfen, teure Mitgliedschaften in Karriere-Netzwerken zu abonnieren, langsam aber sicher in einer Flut aus Info-Material von der letzen Job-Messe zu ertrinken, oder aber den Kopf tief in den Sand des Studentenlebens zu stecken, um die Fragen so lange wie möglich hinauszuzögern. Denn es kann komplexer sein, diese Fragen zu beantworten. Dabei wächst der gesellschaftliche (und innere) Druck, den „Traumjob“ zu finden.
Und erschwerend kommt hinzu: Das Leben präsentiert sich nicht immer nur als Wunschkonzert – schwierige Umstände sprechen wohlmöglich eine ganz andere Sprache als Herzenswünsche. – Obwohl wir doch ExpertInnen für uns selbst sein sollten, scheint es manchmal zu viele mögliche Antworten zu geben.
Richard David Precht
Innere Zerrissenheit erschwert die Entscheidungsfindung
Turid Müller – Schauspielerin und Diplompsychologin – arbeitet an den Schnittstellen von Kommunikation und Kreativität. Unter anderem als Leiterin von Kreativitäts- & Präsentationstrainings.
Und als „Teilzeitrebellin“ im Bereich Chanson/Musikkabarett:
Eine Seite in uns möchte eventuell auf die Eltern hören, sehnt sich nach Sicherheit und sucht nach einer Stelle, die trotz Arbeitsmarkt-Krisen Bestand hat – andererseits sind das vielleicht nicht unbedingt die Jobs, die Spaß machen. Es scheint sinnvoll, Berufe mit gutem Verdienst anzustreben – da gibt es vielleicht einen Studentenkredit, der abbezahlt werden will oder Träume, die der Finanzierung bedürfen.
Dahinter drängeln schon andere Aspekte, die in die Berufswahl mit hineinspielen: Ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gegeben? Wo leben? Was hat Priorität – ein attraktives Job-Angebot oder die Nähe zum Wohnort wichtiger Bezugspersonen? Traue ich mir das zu – oder ist die Stelle eine Nummer zu groß für mich? Sollte ich nicht darauf achten, was sich im Lebenslauf gut macht? Aber: Fühle ich mich überhaupt bereit für diesen neuen Lebensabschnitt? Lieber der Spatz in der Hand oder die Taube auf dem Dach? – Unmöglich, eine eindeutige Antwort zu finden!
2. Zwischen den Stühlen: Der Berufseintritt ist eine Zeit des Umbruchs
Menschen reagieren unterschiedlich auf die Herausforderung, die dieser Übergang an sie stellt: Lieber in blindem Aktionismus drauflos preschen oder zögernd „herumeiern“? – Beides sind mehr oder weniger konstruktive Versuche, mit dem Entscheidungsdruck klar zu kommen. Beides kann sich unangenehm anfühlen. Und vielleicht reagiert das Umfeld auch langsam ungehalten und bombardiert uns mal wieder mit der gefürchteten Frage: „Und? Weißt du schon, was du machen willst?“ Am härtesten aber kann die eigene kritische Einschätzung treffen: „Wie kann es angehen, dass ich nicht weiß, was ich will!?!“
Den Psychologen Friedemann Schulz von Thun kennen einige durch seine Kommunikations-Modelle. Am bekanntesten ist das „Kommunikationsquadrat“; das sogenannte „Vier-Ohren-Modell“ ist in erster Linie ein Werkzeug zur Analyse von Äußerungen. Um die inneren Vorgänge zu veranschaulichen, die der zwischenmenschlichen Kommunikation vorangehen, eignet sich hingegen das "Innere Team". Dieses Modell kann für die Selbstklärung eingesetzt werden – und somit auch für die Berufswahl.
Darauf kann das eingangs erwähnte „Innere Team“ eine Antwort geben: Das Modell des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun bildet die Persönlichkeit als Gruppe von inneren Teammitgliedern ab.
Genau wie bei einem echten Team können auch die inneren Teammitglieder entweder ein zerstrittener Haufen sein oder mit Synergie-Effekten zusammenarbeiten. Diese „Innere Pluralität“ ist ganz normal und sogar Zeichen seelischer Gesundheit.
3. Aus der Not eine Tugend machen: Berufsorientierung mit dem Inneren Team
Was uns auf den ersten Blick das Leben so schwer machen kann, ist eigentlich der bestmögliche Kompass:
Die Kunst besteht darin, allen „Teilen“ in uns zuzugestehen, sich zu einer Lebensfrage zu äußern: Wenn der Karriere-Manager für seine großen Pläne geworben, wenn das innere Kind seine Scheu vor der großen weiten Welt der Erwachsenen eingestanden, wenn der Profi seine Sehnsucht nach einem inspirierenden Arbeitsumfeld kundgetan hat – dann ist die innere Führungskraft am Zug: Das so genannte „Oberhaupt“ kann nun eine Entscheidungsfindung moderieren, welche alle inneren Anliegen berücksichtigt. Wie im wirklichen Leben auch liegt das letzte Wort bei der Führungskraft: Der ganze Mensch entscheidet – unter Berücksichtigung aller inneren Strebungen.
Das klingt so einfach und logisch. Bei bedeutsamen Entscheidungen wird jedoch offenbar, dass es so einfach nicht immer ist. In solchen Fällen kann das Modell ein hilfreiches Bild sein, das die Selbstklärung unterstützt: „Welcher Job passt eigentlich zu mir?“
Wie Innen so außen: Vom Kuddelmuddel zur Klarheit
Die Teammitglieder kannst du dir wie eigenständige Menschen vorstellen. Sie können auf unterschiedlichste Arten und Weisen miteinander im Clinch liegen:
Möglich wäre, dass eine Person nur Teammitglieder wichtig findet, die eine bestimmte Werthaltung vertreten. Das würde eventuell dazu führen, dass sich die betreffende Person plötzlich in einer Beamtenlaufbahn wiederfindet; alle abenteuerlustigen und entwicklungshungrigen Stimmen sind zugunsten von Vernunft und Sicherheit überhört worden.
So eine „Verschmelzung“ einiger Anteile mit dem Oberhaupt kann nach sich ziehen, dass ein Beruf ergriffen wird, der nur zum Teil unseren Bedürfnissen entspricht. Vielleicht ist die Verschmelzung sogar so stark, dass es eine Weile dauert, bis es möglich wird, sich die daraus resultierende Unzufriedenheit einzugestehen.
Friedemann Schulz von Thun
Und hier kommt unter Umständen ein weiteres typisches Phänomen ins Spiel: Der „innere Spätmelder“. Zunächst überhört melden sich solche Bedürfnisse zuweilen mit umso größerer Wucht zu einem späteren Zeitpunkt zu Wort. Gut möglich, dass sie inzwischen so ungehalten darüber sind, dass sie bei der Entscheidungsfindung nicht angehört wurden, dass sie zu radikalen Maßnahmen greifen.
Vielleicht sieht eine frisch eingestellte Arbeitskraft sich plötzlich ihren Job hinschmeißen – auf Kosten von finanzieller Sicherheit und Reputation. Hier ist es wichtig, dass unsere innere Führungskraft rechtzeitig bemerkt, dass die Stimmung im Team zu kippen droht. Wird ihr Anliegen ab sofort mit einbezogen, lassen sich Spätmelder meist besänftigen. So kann „gemeinsam“ eine sanftere Vorgehensweise entwickelt und umgesetzt werden. Vielleicht findet sich auf diese Weise eine Möglichkeit, den Job zwar zu wechseln, aber vorher ein Sicherheitsnetz aufzuspannen?
Bei manchen kommt es vielleicht gar nicht bis zu einer Entscheidung. Unentschlossen jobbt so mancher herum, wägt mit dem Freundeskreis Pro- und Contra-Listen ab, und kann sich nicht aufraffen, eine einzige Bewerbung loszuschicken.
In diesem Fall könnte ein „Inneres Patt“ vorliegen: Dabei zerren zwei oder mehrere Teile gleich stark in verschiedene Richtungen – wir treten folglich auf der Stelle, sind dabei aber unglaublich schlapp oder angestrengt.
Auch hier hilft Erkennen, Entwirren, Entwickeln: Das Innere Team entwickeln als sei es ein äußeres. Teambildung für die Seele. Bis alle an einem Strang ziehen: Wer ist an dem Gemenge beteiligt? Wer gegen wen? Lässt sich ein Kompromiss finden, der beide Seiten zufrieden stellt?
Vielleicht weiß das Herz schon lange, was es will, doch die mahnende Stimme der Eltern ist auch im Inneren so laut, dass der Weg nicht nur nicht gangbar erscheint, sondern nicht einmal als Wunsch bewusst wird: Äußere Lethargie und Schwere gaukeln Gleichgültigkeit vor – während im Inneren zwei Fraktionen ein erbittertes Tauziehen veranstalten.
Bemerkt das Oberhaupt die Frontenbildung, kann es verhandeln: Welche Zugeständnisse bräuchten die inneren Bedenkenträger, um den eigenen Weg vertrauensvoll mitgehen zu können? Das Oberhaupt moderiert diesen Aushandlungsprozess, in dem die inneren Anteile ihre unterschiedlichen Blickwinkel einbringen, ihre Andersartigkeit wertschätzen sowie Gemeinsamkeiten erkennen lernen – bis alle die Entscheidungen der inneren Führungskraft mittragen.
Dieser gemeinsame Nenner ist der zuverlässigste Wegweiser, denn er ist der ganz eigene. Er kennt uns besser als jeder Ratgeber. Um ihn zu lesen, braucht es etwas Mut, sich der Lähmung oder der inneren Zerrissenheit zu stellen. Der Lohn für die Arbeit mit den eigenen Anteilen ist Zufriedenheit – aus ganzer Seele. Also:
Ruth Cohn
Das wirkt sich auch auf die Kommunikation mit anderen aus: Wer innerlich klar ist, spricht „mit einer Stimme“. Das ist spürbar – auch in den Begegnungen mit anderen, auch im Bewerbungsgespräch. Bei einem Engagement „aus ganzer Seele“ gibt es keine Selbstsabotage. Und der Brustton der Überzeugung überzeugt auch andere. Das macht sich im Zweifelsfall schon zwischen den Zeilen der Bewerbung bemerkbar.
Friedemann Schulz von Thun
4. Frisch gewagt ist halb gewonnen –
Der 10 Punkte Plan für den Team-Kompass:
Entspann dich! Es ist ganz normal, nicht immer ganz mit sich im Reinen zu sein.
Es geht um deine Lebensplanung – das ist wichtig und darf folglich eine Herausforderung sein und etwas Zeit bedürfen.
Das Gegenteil ist genau so wahr: Jetzt nur nicht jeden Schritt auf die Goldwaage legen! Was ich jetzt tue, bestimmt nicht zwangsläufig meine Chancen in zehn Jahren.
Verschaffe dir eine für dein Tempo stimmige Menge Zeit für die Entscheidungsfindung.
Beobachte dich: Welche Tätigkeiten machen Spaß? Welche Rahmenbedingungen tun dir gut? Sind das die Tätigkeiten und Rahmenbedingungen, die die Arbeit auszeichnen, die du augenblicklich anstrebst? Was nimmt dir Energie? Was gibt dir Energie? – Folge der Freude!
Beobachte deine Inneren Teammitglieder, indem du auf Gefühle, Handlungsimpulse, Gedanken usw. achtest. Fang jetzt damit an: Wer spricht da gerade in deinem Inneren? Wer liest diesen Artikel? Der Kritiker („So ein esoterischer Psycho-Quatsch!“), die Entwicklungsministerin („Das ist ja spannend; da kann mein Inneres Team was lernen!“), der genervte Studierende („Diese Modelle sind mir erst im Abi und dann in der Uni derart langweilig vermittelt worden – ich hab eigentlich keine Lust, das jetzt auch in meiner Freizeit zu lesen!“) – alle drei? Oder ganz jemand anders?
Durch Beobachtung der inneren Stimmen stärkst du dein Oberhaupt. Wenn du Kontakt zur inneren Führungskraft benötigst, beobachte deine inneren Regungen. Wer da beobachtet, das ist die Führungskraft: Im Optimal-Fall objektiv, mit einer gesunden Unvoreingenommenheit aber liebevoller Akzeptanz jedem Teammitglied und seinem Anliegen gegenüber. Das innere „Wimmelbild“ mit Skizzen festzuhalten hilft – gerade bei den ersten Schritten. Und auch überzeugte Nicht-Zeichner sollten beherzt zum Stift greifen: Was das Unbewusste in Bildern zutage fördert, kann von bloßen Worten nicht übertroffen werden. Wie das aussehen kann, ist auf der Homepage vom Schulz von Thun Institut für Kommunikation zu sehen.
Hole dir Inspiration und lies mehr über das Innere Team und wie es sich anwenden lässt. Da gibt es nämlich noch viel tiefere Anwendungsmöglichkeiten als für gewöhnlich an Schulen und Hochschulen vermittelt wird. Am Ende dieses Artikels findest du Links und Literaturtipps.
Wenn du mehr über das Innere Team wissen möchtest, besuche Workshops.
Gönne dir an diesem bedeutsamen Wendepunkt die Unterstützung, die du brauchst. Wie wäre es mit einem Coaching? Vielleicht bietet der Career Service deiner Uni Coachings an oder kann dir günstige Angebote vermitteln? Manche Coachs arbeiten auch mit dem Inneren Team.
Weiterführendes
Literaturtipps zum Thema:
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Viele Wege führen nach Rom ... und zur Berufsorientierung:
Online-Selbsttests
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Online-Portale, wo sich die Arbeitgeber bei dir bewerben, wie z.B. bei Absolventa oder via XING und Linkedin
Staatliche Einrichtungen, wie z.B. das BIBB: Bundesinstitut für Berufsbildung
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Potential-Analysen
Weitere Links:
„Was willst du, was kannst du, wer bist du?“ – Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 18.09.2015
Auf Studis Online:
Anmerkung der Redaktion:
Das oben angegebene Datum zeigt lediglich die letzte Überarbeitung durch die Redaktion an. Erstmalig ist der Artikel am 12. Mai 2016 erschienen.