Gender Pay Gap„Frauen studieren nicht, Frauen malen aus und unterstreichen bunt“
Dieser Artikel wurde erstmals im August 2019 veröffentlich und wurde zuletzt am 31. März 2022 aktualisiert
Von Ann-Cathrin Hebel
1. Verdienen Hochschulabsolventinnen wirklich weniger? Ein paar Fakten...
Dass es einen „Gender Pay Gap“ gibt, dürfte für die Meisten nichts Neues sein. Durch zahlreiche Studien wurde er belegt. Doch wie ist das eigentlich konkret bei der Gruppe der Hochschulabsolvent*innen? Brauchbare überregionale Studien hierzu gibt es kaum. Daher seien hier vorab kurz drei (regionale) Studien vorgestellt, die jeweils die Gehälter von Absolvent*innen einer Hochschule analysieren (Universität des Saarlandes, Universität Pforzheim und Hochschule München). Es dürfte kaum überraschen: Unabhängig voneinander kommen alle drei zu ähnlichen Ergebnissen, alle ziehen ein gemeinsames Fazit: Absolventinnen verdienen weniger.
In einer von dem Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in Auftrag gegebenen Studie aus dem Jahr 2014 hat die Universität des Saarlandes den Lohnunterschied von Hochschul-Absolventinnen in ihrer ersten Vollzeit-Beschäftigung detailliert untersucht. Die Daten stammen von insgesamt 6.135 Absolvent*innen der Abschlussjahrgänge 1994-2010. Das Ergenbnis: Hochschulabsolventinnen verdienten im Schnitt 90 Euro brutto am Tag, während es bei Absolventen 111 brutto pro Tag waren. Jedoch handelt es sich hier um den „unbereinigten“ Pay Gap. Wenn hingegen keine Unterschiede mehr zwischen Studienfach, Abschlussnote, der Dauer des Studiums und der Arbeitsplatzsuche gemacht werden und die Beschäftigungen einigermaßen äquivalent waren, ergab sich immer noch ein Mehrverdienst von 7 Prozent der Männer.
Eine weitere Studie wurde vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (IWS) der Hans Böckler-Stiftung (2010) durchgeführt. Es wurden 3000 Absolventinnen und Absolventen der Uni Pforzheim seit 1998 unmittelbar nach ihrem Studienabschluss sowie nach vier bis neun Jahre im Berufsleben zu ihrem Gehalt befragt (nur Vollzeit-Arbeit). Auch hier wurden nur miteinander vergleichbare Daten ausgewertet. Das Ergebnis: Der bereinigte Gap lag bei 7,9 Prozent, die Männer mehr verdienten. Die Autorinnen Wüst und Burkart betonen, dass die Lücke mit fortschreitendem Berufsleben weiter auseinander klaffte. Sie fanden außerdem heraus, dass Frauen sogar bei besseren Abschlussnoten weniger Bruttoeinkommen bezogen als ihre männlichen Ex-Kommilitonen.
Wiederrum eine andere Studie der Hochschule München hat das Einkommen von Hochschulabsolventen und -absolventinnen des Wirtschaftsingenieurwesens verglichen. Heraus kam, dass Absolventinnen – auch wenn ihr Studium ähnlich verlief wie bei ihren Ex-Kommilitonen und sie im gleichen Berufsfeld arbeiten, mindestens 13 % weniger verdienten (Zulagen ausgenommen). Eine mögliche Erklärung dafür sei, dass Männer häufiger in Führungspositionen arbeiteten. Dieser Fakt wird übrigens auch in der IWS-Studie aufgegriffen aufgegriffen: Vier bis neun Jahre nach ihrem Abschluss befanden sich 36,6 % der Männer in Führungspositionen, aber nur 25,6 % der Frauen.
2. Warum verdienen Hochschulabsolventinnen weniger?
Wer in die Google-Suche „Frauen studieren“ eingab, erhielt lange Zeit als einen der ersten Suchvorschläge: „Frauen studieren nicht, sie malen aus und unterstreichen bunt“ oder „Frauen studieren das Falsche“. Studieren Frauen tatsächlich das Falsche?
Richtig ist, dass es zunächst einmal das Studienfach ist, welches über das spätere Gehalt entscheidet. Während man beispielsweise in Vorlesungen der Medienwissenschaften fast nur Frauen sitzen sieht, sind sie in den Maschinenbau-Veranstaltungen eine Rarität. Und dass man als Maschinenbau-Absolvent*in ein üppigeres Gehalt als in der Medienbranche erwarten kann, dürfte kein Geheimnis sein.
Zwar spielt dies in der bereinigten Lücke keine Rolle mehr, aber die Saarland-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Studienfachwahl 40 Prozent des Gender-Pay-Gaps von Hochschulabsolvent*innen erklärt (und viele internationale Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen).
weiblich | männlich | 1. Kulturwissenschaftliche Fächer | 1. Ingenieurwissenschaften |
---|---|
2. Sozialwissenschaften/-wesen/Psychologie/Pädagogik | 2. Mathematik/Naturwissenschaften |
3. Rechts- und Wirtschaftswissenschaften | 3. Rechts- und Wirtschaftswissenschaften |
Stand 2016. Quelle:DSW/DZHW 21. Sozialerhebung
Mehr zu den Hintergründen der Studienfachwahl unter Punkt 3. Weiterhin sind es soziodemographische Merkmale, der Verlauf des Studiums sowie die Merkmale der ersten Vollzeit-Beschäftigung, die Gehaltsunterschiede begreifbar machen.
Doch ein Teil der Differenz nach der Bereinigung kann nicht erklärt werden. Ob diese verbleibende Lücke nun etwas mit dem Geschlecht zu tun hat, da scheiden sich die Geister. Eine Diskriminierung bei der Bezahlung qua Geschlecht konnte innerhalb der Studie der Uni des Saarlandes nicht eindeutig erwiesen werden. Es konnte zwar festgestellt werden, dass es auch bei der gleichen Qualifikation und einer ähnlichen Position zur ungleichen Bezahlung von Mann und Frau kommt, aber es ist unklar, ob allein das Geschlecht auch der Grund dafür ist.
Anders sieht es bei der IWS-Studie aus: Die Autorinnen gehen von einer statistischen Diskriminierung aus: Arbeitgeber würden Absolventinnen ein geringeres Gehalt bezahlen, weil sie Erwerbsunterbrechungen oder -reduzierungen bereits einplanten. Allerdings beziehen sie auch die Möglichkeit ein, dass Frauen im Vorhinein eine Stelle aussuchten, mit der sich Familie und Beruf später verbinden ließen. Auch erwägen sie, dass Frauen in Verhandlungen weniger Gehalt forderten.
So oder so: Es bleibt das große Warum. Bevor man sich über die Ungereimtheiten der bereinigten Lücke den Kopf zerbricht (und das darf man durchaus), bleibt doch eine große Frage offen: Warum gibt es überhaupt erst diesen riesigen unbereinigten Gap? Seine Größe sollte Alarmsignal genug sein.
3. Strukturen: Stereotypes Verhalten bei der Studienwahl
Einige Wirtschaftsexpert*innen behaupten, dass es nach der Bereinigung keine spürbare Differenz mehr zwischen Männer- und Frauen-Einkommen gäbe. Ob sieben bis acht Prozent spürbar sind, sei jetzt mal dahingestellt. Aber sie schlussfolgern oft, dass der Gender Pay Gap unnötig aufgebläht werde und dass das Geschlecht per se kaum eine Rolle spiele. Diese Schlussfolgerung ist sehr kurzsichtig. Ja, die Lücke wird sehr viel enger nach der Bereinigung. Doch das heißt nicht, dass dem Geschlecht an sich keine Bedeutung zukommt. Im Gegenteil. Diesem kommt sogar eine sehr große zu.
Denn die wichtige Frage ist, wieso es überhaupt erst zu der unterschiedlichen Studienfachwahl kommt? Wie kommt es dazu, dass MINT-Fächer eine niedrige Frauenquote haben, soziale Fächer jedoch von Frauen überlaufen werden? Warum betreuen auch heute noch die Frauen öfter Kinder und arbeiten öfter in Teilzeit? Warum geben sich Frauen mit weniger Gehalt zufrieden als Männer und sind Gehaltsverhandlungen zurückhaltender? Warum landen Männer öfter in Führungspositionen? Die Beantwortung dieser Fragen hängt oft mit stereotypen Rollenbildern zusammen, die uns seit frühester Kindheit prägen. Zum Beispiel, dass die Frau für die Kindererziehung zuständig ist (Jungs sieht man z.B eher selten mit einem Puppenwagen).
Der unbereinigte Gap beachtet nicht, dass Frauen nach wie vor öfter die Kinder betreuen und aus diesem Grund in „Teilzeit“ arbeiten – so wird es genannt, in Wirklichkeit üben sie jedoch zwei Jobs aus: Mutter sein und der Tätigkeit nachgehen, die Geld einbringt. Da sie sich im Durchschnitt mehr um die Kinder kümmern, wird diese Differenz unbezahlter Sorgearbeit auch als „Gender Care Gap“ bezeichnet.
4. Wie kann das geändert werden?
Es gibt sehr viele Möglichkeiten, etwas zu ändern. Und es sind nicht nur Politik und Wirtschaft, die Schritte unternehmen können, auch Gesellschaft und Medien können einen großen Teil dazu beitragen.
Politisch und wirtschaftlich können mehr Maßnahmen ergriffen werden, um mehr Frauen einzustellen. Eine davon ist beispielsweise die Frauenquote, welche bereits in mehreren Firmen existiert. Natürlich lässt sich nun darüber streiten, ob eine solche Quote nicht gerade wieder ein Geschlecht bevorzugt. Andererseits ist sie dazu da, um ein Gleichgewicht erst einmal zu etablieren. Nur dann werden Frauen auch mehr Vorbilder haben, mit denen sie sich identifizieren können. Apropos Vorbild, auch in Film und Fernsehen sind Frauen unterrepräsentiert, wie eine Studie der Uni Rostock feststellte. Sie kommen nicht nur weniger als Männer auf dem Bildschirm vor, sondern treten auch seltener als Männer als Expert*innen auf und werden vor allem in Kontext von Partnerschaften und Beziehungen dargestellt. Hier besteht also auch Handlungsbedarf.
Auf politischer Ebene kann außerdem bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nachgerüstet werden, so die Autorinnen der ISW-Studie: „[es] ist unabdingbar, dass die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder ausgebaut werden. Für eine Verringerung der Erwerbsunterbrechungen, (...) ist ein weiterer Ausbau der Krippen- und Kleinkindbetreuung zwingend. Aber auch im Kindergarten- und Schulalter brauchen Frauen Betreuungsangebote, die mit ihren Arbeitszeiten vereinbar sind.“
Weiterhin liegt es an der Wirtschaft, bessere Verdienstaussichten für Frauen zu erschaffen und Chancengleichheit herzustellen - auch betriebliche Kinderbetreuung könnte ein Ansatz sein. Grundlegend würden die Gehaltsunterschiede außerdem dezimiert, wenn Männer und Frauen die stereotype Rollenverteilung hinterfragen. Wüst und Burkart vermuten, dass es die Karrierechancen von Frauen erheblich verbessern könnte, wenn wesentlich mehr Väter Erwerbsunterbrechungen und Teilzeit aus familiären Gründen in Anspruch nehmen, da so die vermutete „statistische Diskriminierung“ wegfiele.
Auch Bildungseinrichtungen können positiv zur Verschiebung der bisherigen Rollen beitragen. Initiativen wie der Girls und Boys Day, in der Schülerinnen und Schüler jeweils in Berufe, die als Domäne des anderen Geschlechts gelten, schnuppern können, sind ebenfalls sinnvolle Maßnahmen, um Mädchen schon früh Spaß an Technik zu vermitteln und Jungs an soziale Berufe heranzuführen.
Außerdem gibt es seit einiger Zeit „Frauenstudiengänge“. Hier handelt es sich um MINT-Fächer, die sich ausschließlich an Frauen richten. Sie richten sich gegen das von der Gesellschaft vorformulierte Rollenbild und die daraus resultierende „Klischee-Studienwahl“
Und auch die Gesellschaft selbst – also jede*r von uns – kann seinen Teil dazu beitragen. Es fängt im Kleinen an. Beispiel: 2013 bot ein großes Versandunternehmen ein Mädchen-Tshirt mit der Aufschrift: „In Mathe bin ich nur Deko“ an. Es erfolgte ein Shitstorm durch User Sozialer Netzwerke, so dass es aus dem Sortiment entfernt wurde. Das ist nur ein Beispiel, wie auch die Stimme des einzelnen kleine Veränderungen bewegen kann.
Und ja, es liegt natürlich auch an den Frauen selbst, etwas zu ändern. Nur alles auf „die Gesellschaft“ zu schieben, wäre auch zu engstirnig. Sich von Rollenbildern zu emanzipieren ist vielleicht nicht ganz einfach – aber möglich. Auch Mütter und Väter sind hier in der Verantwortung sich von klassischen Denkmustern zu trennen und ihren Kindern entsprechende Werte zu vermitteln bzw. vorzuleben.
5. Positive Aussichten
Okay, es muss also noch sehr viel getan werden. Abschließend sei trotzdem nochmal etwas Positives hervorgehoben. Frauen dürfen in Deutschland erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts studieren. Heute beginnen sogar etwas mehr Frauen als Männer ein Studium. Und auch die MINT-Fächer konnten in den letzten Jahren immerhin einen Anstieg des Frauenanteils verzeichnen.
Übrigens: Deutschland bildet eines der Schlusslichter im Bezug auf den Gender-Pay-Gap im europaweiten Vergleich (Stand 2021): Zusammen mit der Tschechischen Republik, Österreich und Estland liegt es auf den hintersten Plätzen. Das zeigt aber auch, dass es auch anders geht. In Italien beträgt die Lücke „nur“ 5,5 Prozent und in Luxemburg sind es sogar nur noch 1,4 Prozent. Man darf also nicht alles immer nur schwarz malen, sondern muss auch optimistisch in die Zukunft blicken.
Weiterführendes zum Thema
Artikel auf Studis Online
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- Rezension: Karriereführer für Naturwissenschaftlerinnen (03.03.2016)
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Quellen
- Insitut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Gender Pay Gap beim Berufseinstieg von Hochschulabsolventen
- Studie Hochschule München
- Womit haben wir das verdient? Weniger Geld bei besserer Leistung
- DSW/DZHW 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung
- Gender Pay Gap im Europäischen Vergleich