Sprung ins kalte WasserBerufseinsteig bei kleineren Betrieben & Startups
Von Anja Scheiber
„Nach wie vor gehen viele AbsolventInnen gerne zu Großunternehmen“, erklärt Andre Bruschke, Berater für akademische Berufe bei der Arbeitsagentur Bonn. „Sie präferieren eher selten kleine und mittlere Betriebe.“ Seiner Einschätzung nach hängt das auch mit der Tatsache zusammen, dass die Namen von kleineren Firmen und Startups meist unbekannt seien. „Diese Arbeitgeber sind – im Gegensatz zu den Dax-Unternehmen – in der Öffentlichkeit kaum präsent.“
Chancen im Mittelstand
Oft erhoffen sich Berufseinsteiger und Berufseinsteigerinnen von Konzernen mehr Sicherheit und größere Aufstiegschancen, so Bruschke. Dabei übersehen sie die Optionen, die ihnen Mittelstandsbetriebe und Startups bieten: „Sie arbeiten in einem kollegialen Umfeld und haben so die Möglichkeit, ihr Können zu beweisen. Allerdings verdienen sie weniger als bei den großen Unternehmen."
Von der Arbeitsplatzsicherheit her sieht der Berater – aufgrund seiner Praxiserfahrungen – keine gravierenden Unterschiede. Startups würden bei schlechter Auftragslage ArbeitnehmerInnen ebenso schnell wieder kündigen wie andere Unternehmen.
Eine Typfrage
Jemand, der ein paar Jahre dort erfolgreich gearbeitet habe, sei auch für die Großen in der jeweiligen Branche interessant. „Grundsätzlich ist es eine Typfrage“, so Bruschke. Deshalb empfiehlt er Studierenden, nach dem Studium auszuprobieren, in welcher Unternehmensform sie sich zu Hause fühlen.
Die 28-jährige Vanessa Schultheiß aus Berlin arbeitet seit eineinhalb Jahren bei dem Berliner Social-Startup Nebenan.de. Das Internetforum ist ein soziales Netzwerk, das Nachbarn miteinander verbindet. „Ich habe aus reinem Interesse Philosophie und deutsche Philologie studiert“, berichtet Schultheiß. Klarheit über ihre berufliche Zukunft erhoffte sie sich von mehreren Praktika, zum Beispiel bei einem großen Kaffeeröster. „Die Arbeit in der PR-Abteilung hat mir Spaß gemacht. Doch ich erlebte auch, wie lange in einem Konzern die Abstimmungsprozesse zwischen verschiedenen Abteilungen dauern.“
Eher durch Zufall stieß sie dann auf Nebenan.de. „Einer meiner Freunde erzählt mir davon.“ Das Startup schaffte gerade eine Stelle für den Bereich „Customer Support“. Sie bewarb sich und es klappte tatsächlich. „Meine Aufgabe bestand darin, die Fragen unserer User zu beantworten, die wir per Mail, Telefon oder Facebook bekamen. Das Feedback der Nutzer gab ich dann an unser Produktteam weiter. So verbessern wir gemeinsam die Plattform.“
Sich bei Startups ausprobieren
Seit Kurzem arbeitet Schultheiß im Marketing und ist für die Suchmaschinenoptimierung verantwortlich. „Das ist einfach das Plus bei einem Startup: Ich kann mich hier ausprobieren.“ Das sei aber zugleich eine Herausforderung: „Gerade am Anfang musste ich oft ins kalte Wasser springen. Denn es gab keine konkrete Anleitung durch einen Vorgesetzten.“
Die 24-jährige Theresa Meixensperger hat ganz ähnliche Erfahrungen gemacht: Sie stieg nach einem BWL-Studium beim Münchner Unternehmen Crossvertise ein, einer Buchungsplattform für alle Arten von Werbung. „Ich betreue die Website und die Social Media-Aktivitäten. Inzwischen bin ich verstärkt für das Design zuständig“, erklärt sie. „Dass ich mich jetzt unter anderem um das Design kümmere, finde ich super. Ich kann so einerseits erlerntes Wissen aus meinem BWL-Studium anwenden, andererseits aber auch neue Interessen verfolgen und mich fachlich weiterentwickeln.“ Die Betriebswirtin ist sich klar, dass sie bei einem Konzern niemals die Chance bekommen hätte, so einen Weg einzuschlagen. „Allerdings darf man keine Angst davor haben, etwas Neues zu machen.“
Schneller Aufstieg möglich
Crossvertise-Geschäftsführer Matthias Völcker: „Unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen müssen ins Team passen und bereit sein, Herausforderungen anzunehmen. Dann ergeben sich auch Aufstiegschancen. Wer bei uns fleißig ist, hat alle Aufstiegsmöglichkeiten und kann sich schneller als in großen Unternehmen ganz nach oben arbeiten.“ Das Startup Nebenan.de sucht Beschäftigte im Bereich Marketing und Kommunikation. „Außerdem brauchen wir Geografen und Stadtplaner“, erklärt die Mitgründerin von Nebenan.de Ina Brunk. „Besonders schwer ist es natürlich, Entwickler zu finden. Die suchen wir oft über Entwicklerforen.“
Gute Note weniger relevant
Brunk betont: „Als soziales Startup ist es uns wichtig, dass sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit unserer Idee identifizieren. Für uns zählen gemeinsame Werte und ein Wir-Gefühl.“ Gute Noten seien dagegen weniger relevant. „Ich weiß, dass die besten Leute nicht immer die besten Noten haben. Es geht darum, ob ein Bewerber zum Beispiel schon ein Praktikum im Direktmarketing gemacht hat.“ Was Nebenan.de braucht, sind Menschen, die zupacken können.“
Matthias Völcker empfiehlt HochschulabsolventInnen, bei der Jobsuche nicht nur auf Jobportalen und Unternehmenswebsites zu recherchieren, sondern auch den direkten Kontakt zu suchen. „Tage der offenen Tür bieten sich dafür genauso an wie Jobmessen. Bei uns sind auch Initiativbewerbungen sehr willkommen.“
Jobvergabe über Networking
Sascha Schubert, stellvertretender Vorsitzender des „Bundesverbandes deutsche Startups“ ergänzt: „Viele Jobs werden übers Networking vergeben.“ Deshalb empfiehlt er BerufseinsteigerInnen, die Szene kennenzulernen und zum Beispiel auf Meetups zu gehen – einer modernen Form des Branchen-Stammtischs – oder sich in speziellen Facebook-Gruppen zu engagieren. „Dort erfahren sie auch von offenen Stellen.“
Die wichtigsten Eigenschaften der neuen MitarbeiterInnen sind soziale Kompetenz und die Fähigkeit zu Teamwork. Schubert: „Denn im Alltag geht es immer wieder darum, gemeinsam schnell und flexibel Probleme zu lösen, für deren Bewältigung noch kein formaler Prozess definiert ist.“
Eine andere Unternehmenskultur
Schubert sieht für HochschulabsolventInnen, die bei Startups einsteigen, viele Vorteile: „Es gibt eine ganze andere Kultur als bei Konzernen. Das fängt schon mit dem Du im Vorstellungsgespräch an und zeigt sich vor allem in flachen Hierarchien.“
Vorteile bieten sich den BerufseinsteigerInnen auch im Arbeitsalltag: „Es gibt keine Arbeitszeiterfassung. Es ist egal, wo jemand seine Präsentation vorbereitet, – ob im Büro oder im Homeoffice“, berichtet Schubert. Am Ende zähle das Ergebnis.
Die Autorin dieses Artikels
Anja Schreiber arbeitet seit vielen Jahren als freie Fachjournalistin zu den Themen Bildung, Studium und Beruf. Sie schreibt unter anderem für die Berliner Zeitung, Stuttgarter Zeitung und Süddeutsche Zeitung, aber auch für Hochschulmagazine und eine wissenschaftliche Publikation. Sie ist zudem die Autorin mehrerer Ratgeber. So hat sie zum Beispiel „Die Sehnsuchtsstrategie für Studierende und Hochschulabsolventen“ geschrieben. Das Buch hilft, den Berufseinstieg passgenau vorzubereiten.
Weitere Infos unter: anjaschreiber.de
Mittelstand bietet Jobpotenzial
Eberhard Vogt, Sprecher des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW), betont: „Über 99 Prozent aller umsatzsteuerpflichtigen deutschen Unternehmen gehören zum Mittelstand. Die meisten davon haben unter 20 Beschäftigte. Das ist ein großes Potenzial an möglichen Arbeitgebern.“ Außerdem seien diese Betriebe sehr innovativ: „80 Prozent aller Patente in Deutschland entstehen hier.“
Ein weiterer Pluspunkt sei, dass es in kleinen Unternehmen familiär zugehe. „Die Inhaber kennen ihre MitarbeiterInnen und können individuell auf sie eingehen“, erklärt Vogt. „So gibt es zum Beispiel flexible Arbeitszeitmodelle. Manchmal schließen sich sogar Arbeitgeber zusammen, um die Kinderbetreuung ihrer Beschäftigten zu organisieren.“
Doch Vogt bekennt, dass es auch Nachteile gibt, im Mittelstand zu arbeiten: „Gerade in den ersten Jahren sind finanzielle Einbußen möglich.“ Außerdem sind viele mittelständische Betriebe im Gegensatz zu den meisten Startups nicht in den Metropolen zu finden, sondern auf dem Land.
Arbeitsbelastung bei Startups
Immer wieder gibt es kritische Stimmen aus der Startup-Szene über lange Arbeitszeiten. Schubert betont, dass die Arbeitsbelastung in den einzelnen Startups sehr unterschiedlich sei, auch wenn es immer wieder zu Belastungsspitzen käme. „Ich kenne viele, da ist morgens um 9 Uhr noch keiner da, aber abends um 18.30 Uhr ist auch niemand mehr da.“
Jan Jurczyk, Pressesprecher beim Verdi-Bundesvorstand, erklärt: „In gründergeprägten Unternehmen gibt es schon die Mentalität, sehr viel zu arbeiten. Außerdem herrscht gerade bei kleinen Betrieben eine größere soziale Kontrolle. Besonders in Phasen der heißen Herzen kommt es deshalb häufig zu entgrenzten Arbeitszeiten und erwarteter ständiger Erreichbarkeit.“ Das sei natürlich kein spezielles Problem der Startups, sondern finde sich bei vielen Arbeitgebern. „Deshalb braucht es unserer Ansicht nach eine Interessensvertretung, einen Betriebsrat.“
Sich über Arbeitsbedingungen informieren
Der Gewerkschaftsmann weiß, dass der Arbeitsdruck in den einzelnen Firmen unterschiedlich groß ist. Sein Tipp: „Eine Vorrecherche über den künftigen Arbeitgeber ist unerlässlich. Denn so erfahren BerufseinsteigerInnen im Vorfeld, welchen Ruf ein Unternehmen hat und welche Arbeitsbedingungen dort herrschen.“
In einem Startup zu arbeiten ist aber nicht unbedingt gleichbedeutend mit ständigen Überstunden und notwendiger Erreichbarkeit am Feierabend. „Wir wissen, dass wir unsere Ziele nicht im Sprint erreichen. Deshalb brauchen unsere MitarbeiterInnen auch Ruhepausen. Wenn in der einen Woche mal richtig viel gearbeitet wird, darf man sich natürlich auch wieder Erholungsphasen einräumen“, betont Brunk. „Ich weiß, dass dies nicht überall in der Startup-Szene die Regel ist.“
Dieser Artikel wurde erstmals am 26.07.2017 veröffentlicht. Alle Zitate wurden von der Autorin für die damalige Veröffentlichung eingeholt. Die erwähnten Personen können inzwischen in anderen Firmen bzw. an anderer Position tätig sein. Da wir aber davon ausgehen, dass die gemachten Aussagen im Grundsatz weiter zutreffend sind, haben wir den Artikel mit neuem Datum und neuem Layout erneut veröffentlicht.
Weitere Infos im Netz
- Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft
https://www.bvmw.de - Bundesverband deutsche Startups
https://startupverband.de/ - gruenderszene.de (Online-Magazin für Startups und die digitale Wirtschaft mit Jobbörse)
https://www.businessinsider.de/gruenderszene/