BerufEwig Praktikant?
Verena Schmidt (Name geändert) ist 26, studiert im 10. Semester Raumplanung in Dortmund und absolviert gerade ihr zweites Praktikum während des Studiums – so weit, so normal, schließlich soll Verenas Ausbildung nicht zu theorielastig sein. Doch wenn sie von der Zeit nach ihrem Examen spricht, klingt das nicht gerade optimistisch: "Ich werde natürlich eine Stelle suchen", sagt die 26jährige, "aber wenn das nichts wird, bin ich durchaus bereit, noch ein Praktikum dranzuhängen." Bei angespannter Arbeitsmarktlage hofft sie, auf diese Weise in den Job zu rutschen – und es ist ihr durchaus bewusst, dass das eine zweischneidige Strategie ist: "Natürlich möchte ich auch nicht als ewige Praktikantin von Praktikumsstelle zu Praktikumsstelle tingeln und immer nur als billige Arbeitskraft weitergereicht werden."
Eine realistische Befürchtung – schließlich gehört die angehende Raumplanerin zur viel zitierten "Generation Praktikum", die zwar engagiert und hoch qualifiziert ist, aber trotzdem nur unter- oder gar nicht bezahlte Jobs auf Zeit findet, die der Einfachheit halber als Praktikum deklariert werden. "Ich sehe mit großer Sorge, dass da eine Praktikamethode um sich greift, die nicht akzeptiert werden kann", schimpfte Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) über den Trend: "Die jungen Leute, die aus der Hochschule kommen, dürfen nicht missbraucht werden."
Alles nur eine verzerrte Wahrnehmung der Medien, hält Kolja Briedis, Arbeitsmarktexperte beim Hochschul-Informationssystem (HIS) in Hannover, dagegen. "Nur drei Prozent der Uni-Abgänger in Informatik oder in den Ingenieurwissenschaften machen nach dem Abschluss ein Praktikum. Bei den Geisteswissenschaftlern sind es acht Prozent, bei den Sozial- und Politikwissenschaftlern 28 Prozent", erklärte Briedis gegenüber SPIEGEL ONLINE. Und nur ein verschwindend geringer Anteil bleibe länger als ein halbes Jahr Praktikant. Trotzdem gebe es den Trend zu vermehrten Praktika, widerspricht Bernhard Hohn von der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung in Bonn. "Der Anteil derjenigen, die nach dem Examen ein bis drei Praktika absolvieren, steigt zunehmend an", sagt Hohn, "mittlerweile ist diese Praxis auch auf Absolventen von Studiengängen wie Jura oder Betriebswirtschaft übergegangen."
Befristete Einstellung auch bei LehrerInnen?
Die einzigen, die – bisher noch – überwiegend vom Trend zum Billig-Einstieg in den Beruf verschont bleiben, sind angehende Lehrerinnen und Lehrer – zumindest dann, wenn sie sich für die normale Lehrerlaufbahn im öffentlichen Dienst entscheiden. Doch auch hier gibt es immer öfter arbeitnehmerfeindliche Beschäftigungsformen.
So forderte Kultusminister Jens Goebel beim Thüringer Berufsschultag im vergangenen Jahr, dass Lücken in den Kollegien der Berufsschulen durch "befristete Einstellungen und Honorarverträge" aufgefüllt werden sollen – gerne auch mit Seiteneinsteigern. In Hessen wird der Stundenausfall in allgemeinbildenden Schulen seit diesem Schuljahr dadurch "bekämpft", dass jede Schule "einen Pool von zuverlässigen Personen mit pädagogischen Fähigkeiten einrichten [soll]. Diese können Studenten, Referendare, pensionierte Lehrkräfte und Personen aus anderen Berufen sein", heißt es in dem Konzept zur "garantierten Schulzeit".
Bis zur Betreuung ganzer Klassen durch Praktikanten ist es da nicht mehr weit. In Hessen und anderen Bundesländern erhalten zunehmend mehr Lehrkräfte zum Berufseinstieg auf ein Jahr befristete Verträge. In den Sommerferien müssen sie sich arbeitslos melden – in der Hoffnung, für das nächste Schuljahr wieder einen Jahresvertrag zu bekommen.
Unbezahlte Praktika sind diesem Bereich – noch? – nicht gefordert, in anderen pädagogischen Arbeitsfeldern dagegen bereits seit Jahren Standard: bei den Erzieherinnen nämlich. Von denen wird ganz selbstverständlich erwartet, dass sie erst einmal ein einjähriges Vorpraktikum machen, bevor sie überhaupt die Fachschule besuchen können – und nach dem Schulexamen folgt dann noch einmal ein Anerkennungsjahr.
Auch für viele Hochschulabsolventen ist so eine unterbezahlte Anerkennungsphase nach der Uni längst Realität. Noch aber fehlt, trotz des Schlagworts von der "Generation Praktikum", der gemeinsame Wille der Betroffenen, sich politisch zu wehren – so, wie es etwa die Nachwuchs-Akademiker in Frankreich mit ihren Protesten in diesem Jahr vorgemacht haben.
Hinweis: Dieser Artikel erschein zuerst in der E&W 11/2006 der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Wir danken der GEW und dem Autoren für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen.
Ergänzung: Online-Petition für Mindesvergütung bei Praktika
Aktuell läuft noch bis 9. Januar 2007 eine Online-Petition an den Deutschen Bundestag, in der ein Mindestlohn für PraktikantInnen gefordert wird. Infos dazu (und die Möglichkeit, die Petition zu unterstützen) hier.
Weitere Infos
- Students at work, eine Aktion der DGB-Jugend mit Praktika-Bewertung und Hinweisen für ein faires Praktikum
- Arbeiten ohne Geld. Die Generation Praktikum (05.04.2006 - Bericht vom europaweiten PraktikantInnen-Protesttag und Vorstellung des Vereins fairwork)
- Aktuelle Studie der Arbeitsagentur zum Akademiker-Arbeitsmarkt generell