DER Universitätsprofessor?Wankende Konstruktion – Chance für Frauen?
Paradox: Einerseits haben sich die kulturellen Grundlagen für die gesellschaftliche Integration von Frauen gravierend geändert; die 19.-Jahrhundert-Vorstellung der biologisch unterlegenen und für gehobene öffentliche Positionen ungeeigneten Frau gilt nicht mehr.
Dennoch gelingt bis heute relativ wenigen Frauen eine Universitätslaufbahn. – Seit der Frauenbewegung der 1970er/80er Jahre wird Frauen heute das gleiche Recht auf Erwerbsarbeit und Karriere zugesprochen wie Männern. Spezielle Politiken haben die Gleichstellung zum Ziel. Auch Universitäten haben institutionelle Regelungen und Governancestrukturen eingeführt (Frauenbeauftragte u.ä.), die den Einzug der Frauen in akademische Spitzenämter befördern sollten. Dies trug zur Erhöhung des Anteils von Frauen an den Professor/innen von 8% auf 13% und den Lehrstuhlinhaber/innen von 4% auf 9% bei (1994 bzw. 2004). Welche Mechanismen führen also zu dem anhaltend niedrigen Frauenanteil in Universitätslaufbahnen (auf diese beziehe ich mich)?
Einige Erklärungsansätze suchen Ursachen v.a. in geschlechterspezifisch differierenden Verhaltens- und Wahrnehmungsmustern von Frauen und Männern, andere führen sie eher auf strukturelle und institutionelle Faktoren bzw. institutionelle Rahmenbedingungen zurück. Ich setze prinzipiell an den organisatorischen und institutionellen Bedingungen der akademischen Laufbahn an und an der Rolle der ihnen zu Grunde liegenden kulturellen Konstruktionen bzw. Leitbilder. Kultur meint Sinnkonstruktionen, an denen Menschen ihr Handeln ausrichten; kulturelle Konstruktion besagt: Kulturelle Inhalte werden produziert und sind veränderbar.
Laufbahnhemmnis "Gelehrter"
Mein Argument: Die Ausrichtung der organisatorischen Strukturen um die Professur herum an der kulturellen Konstruktion des "Gelehrten" trug und trägt dazu bei, Frauen aus akademischen Laufbahnen auszugrenzen. Das "Gelehrten"-Leitbild des 19. Jh. entsprach dem Humboldt’schen Bildungsideal: der umfassend gebildete männliche Gelehrte, sein Leben der Wissenschaft widmend; Forschung war nicht anwendungsbezogene Grundlagenforschung; Grundlage der Reputation war "das Werk" – der geniale Einfall, die "brilliante Idee" oder die "Entdeckung"/"Erfindung", der nicht planbare Durchbruch neuer Erkenntnis.
Akademische "Reputation" war Maßstab professioneller Bedeutung; sie wurde im Wesentlichen nicht leistungsbezogen vergeben, sondern durch Zuschreibung im Rahmen sozialer Netzwerke professioneller Eliten "verliehen". Nachwuchsförderung galt als persönliche Entscheidung des Professors für die Förderung jener Einzelnen, die er als förderungswürdig einstufte. Auf dieses Leitbild waren organisatorische Strukturen abgestimmt: "Der Professor" stand in hierarchisch stark differenzierten Strukturen an der Spitze der wissenschaftlichen Laufbahn; die Erwartungen an ihn: sein Leben seiner "Berufung" zu widmen; Arbeitszeit ("Dienst") und Freizeit nicht zu trennen; Haushaltsführung für ihn und gemeinsame Kinder durch die Gattin als Hausfrau erledigen zu lassen; Rekrutierung auf der Basis des "Rufs" an ihn als Person, die als mit entsprechenden Qualifikationen und (zugeschriebener) Reputation ausgestattet galt und dem "Nachwuchs" anderer Professoren zugehörte – Mitgliedern professioneller Netzwerke – und deshalb mit diesen verknüpft war.
Leistungsbewertung erfolgte weniger auf der Basis nachgewiesener Leistungen, sondern von Zuschreibungen im Rahmen der "Elite"-Netzwerke. Frauen blieb der Zugang zur Professur auch mit stärkerer Durchsetzung von Gleichstellungsideen noch weitgehend verschlossen, weil sie wegen kulturell bedingter doppelter Lebensplanung (Familie und Erwerbsarbeit) zeitlich meist nicht unbegrenzt verfügbar waren (v.a. in Westdeutschland) oder ihnen das unterstellt wurde; Doktorand/innenausbildung war eine Sache persönlicher Entscheidung; Vorlieben der Lehrstuhlinhaber blieben damit intransparent und personenbezogen. Diese Mechanismen sind vielfach noch zu Beginn des 21. Jh. wirksam.
Das traditionelle Leitbild des Professors ist seit der Restrukturierung der Universitäten in den 1990er Jahren und dem Wandel der hochschulpolitischen Paradigmen unter Druck. Meine zweite Frage: kann der Wandel der kulturellen Konstruktion "des Professors" zur Steigerung der Laufbahnchancen von Frauen an den Universitäten beitragen?
Neues Leitbild "Manager"
Hochschulen sind inzwischen stärker an "Leistung", "Effizienz" und dem Ziel ausgerichtet, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Es verändert sich so auch die kulturelle Konstruktion der Professur. Das neue Leitbild für ihre Inhaber/innen fokussiert "hochproduktive Forschungsmanager/innen". Als deren Aufgabe gilt v.a. ihr Beitrag zur Reputationsförderung der Universität und zu ihrem guten Abschneiden in Rankings national und international. Leistung und Reputation sind viel enger aneinander gekoppelt.
Es verändern sich auch die Organisationsstrukturen der Einbettung der Professur. Neue Elemente des New Public Management gingen einher mit neuen Instrumenten: Zielvereinbarungen und Leistungsbemessung auch für Professuren; der Leistungsbemessung liegen (bei uns wie international) Kriterien zu Grunde, die das Ranking von Universitäten, einzelnen Fächern und zunehmend die Leistungsbewertung von Wissenschaftler/innen maßgeblich bestimmen (Publikation von Forschungsergebnissen in hochrangigen internationalen Zeitschriften und Einwerbung hoch reputierter Forschungsmittel, in Deutschland v.a. DFG, EU).
Rekrutiert wird stärker auf der Basis nachgewiesener Leistungen i.S. dieser Kriterien und internationaler Ausschreibungen. Rekrutierung findet so plausiblerweise häufiger über etablierte Netzwerke hinaus statt, außerhalb professioneller Eliten. Nachwuchsförderung ist mit den Instrumenten Promotionsstudien und Graduiertenkollegs stärker formalisiert und so transparenter. Zudem ist ein System formaler Ausschreibungen von Positionen eingeführt.
Diese Veränderungen – wie immer ansonsten zu bewerten – tragen tendenziell dazu bei, die Laufbahnchancen von Frauen an Universitäten zu verbessern. Die Gründe: lt. international vergleichender Forschung ist ein hohes Maß an Transparenz und Formalisierung von Qualifikationsanforderungen und Rekrutierungswegen (heute ein Merkmal v.a. skandinavischer Länder) eine günstige Voraussetzung für die Einbeziehung von Frauen in universitäre Aufstiegswege. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass stärkere Transparenz und Formalisierung der Doktorand/innenausbildung sowie der Zugangswege dazu beitragen werden, dass junge Frauen stärker ermutigt werden, eine wissenschaftliche Laufbahn in Angriff zu nehmen.
Leitbild-Ambivalenzen
Der Wandel in der kulturellen Konstruktion des "Professors" kann also zur Verbesserung der akademischen Laufbahnchancen von Frauen beitragen. Mit Einschränkungen: Frauen haben noch immer einen Außenseiterstatus mit Blick auf etablierte Netzwerke; das wird voraussichtlich noch längere Zeit nachteilig für sie sein. Denn noch sind diese oft von Männern dominiert – und sie sind es vorwiegend, die über den Zugang zu Ressourcen und Positionen entscheiden. Und: Männer in akademischen Spitzenpositionen – so empirische Untersuchungen – schreiben Frauen trotz gleicher Produktivität nach wie vor geringere wissenschaftliche Kompetenz zu.
Das Problematische: Auch das neue Leitbild erwartet eine Lebensführung allein mit wissenschaftlicher Tätigkeit im Zentrum. Also wird eine wissenschaftliche Karriere weiterhin nur unter Verzicht auf Familiengründung möglich sein, falls nicht Partner/innen bereit sind, Familienaufgaben zu übernehmen.
Zur Autorin
Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger ist Hochschullehrerin am Institut für Soziologie (Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) der Universität Hamburg. Sie hat dort den Lehrstuhl für Sozialstrukturanalyse inne.
Hinweis
Dieser Artikel erschien zuerst in Forum Wissenschaft, herausgegeben vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi), Ausgabe 2/2006, S. 39.