Vier zu eins für die UniStudie lässt Fachhochschulen alt aussehen
Die Frage „Fachhochschule (FH) oder Universität“ stellt sich nicht jedem, der studieren kann und will. Den Gang an eine Uni garantiert die allgemeine Hochschulreife, also ein erfolgreich abgeschlossenes Abitur. Für ein FH-Studium qualifiziert die Fachhochschulreife, wofür es je nach Bundesland die Versetzung in die 12. Klasse oder die Zulassung zum Abitur braucht sowie den Nachweis eines Praxisteils – etwa in Form einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Tätigkeit.
Unter bestimmten Voraussetzungen sind aber auch „Grenzgänge“ möglich. So hatten nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 2019 rund 16 Prozent der Studierenden an Unis „lediglich“ die Fachhochschulreife vorzuweisen. Tatsächlich öffnen sich zunehmend mehr Universitäten auch Bewerbern ohne Abitur. Umgekehrt tummelten sich an „anderen Hochschulen“ knapp über ein Fünftel an Studierenden mit einem Abiturzeugnis in der Tasche. Sie alle entschieden sich trotz ihrer formalen Höherqualifizierung gegen eine Uni und wählten gezielt einen Bildungsweg, der gemeinhin als „weniger wertig“ gilt.
FHs immer beliebter
Aber ist dem wirklich so? Das für die Bundesagentur für Arbeit (BA) forschende IAB wollte der Sache mit einer am vergangenen Dienstag veröffentlichten Studie auf den Grund gehen. Konkret befassten sich die Autoren damit, „ob und inwieweit sich Erwerbsverläufe von jungen Menschen mit allgemeiner Hochschulreife dahingehend unterscheiden, ob sie ihren Abschluss an einer Universität oder an einer anderen Hochschule erworben haben“.
Dabei werden unter „anderen Hochschulen“ all die eingeordnet, die keine Universität sind, sprich FHs, technische Hochschulen, Kunsthochschulen und Verwaltungshochschulen. Was zunächst bei ihrer Betrachtung auffällt, ist ihre wachsende Beliebtheit. Während die Neueinschreibungen an Unis seit mehreren Jahren zurückgehen, verzeichnen die „anderen Hochschulen“ gegen den allgemeinen Trend weiterhin wachsende Zugangszahlen. Was macht sie so attraktiv und erweist sich ihre Wahl am Ende auch als eine gute und die bessere Wahl?
Wachsende Einkommenslücke
Wenn man berufliche Erfüllung an der Höhe des Einkommens festmacht, fällt die Antwort negativ aus. Wie die IAB-Forscher Hans Dietrich und Alexander Patzina ermittelten, sind die Verdienstmöglichkeiten von Absolventen „anderer Hochschulen“ (im weiteren Verlauf des Beitrags mit „FH“ bezeichnet) und denen an Unis in den ersten Berufsjahren – bemessen an den Stundenlöhnen – weitgehend identisch. Keine Gruppe habe einen Startvorteil, allerdings hätten erfolgreiche Uniabgänger einen „längerfristigen Verlaufsvorteil“, der sich ab einem Alter von 35 Jahren als „hochsignifikant“ erweise. Von da an öffne sich eine „Einkommenslücke“, die sich in den Folgejahren immer weiter zugunsten der Uniabsolventen vergrößere.
Der Ergebnis erscheint doppelt bitter. Denn bisheriger Forschungsstand war es, dass Personen mit Abschluss an einer FH wenigstens in der Frühphase mehr Geld verdienen und sich dieser Vorteil erst später im weiteren Erwerbsleben in einen Nachteil verkehren würde. Die Datenbasis des IAB gibt das nicht mehr her, woraus folgt: eins zu null für den Uniabsolventen.
Für seine Analyse hat das IAB auf das Sozioökonomische Panel (SOEP) zurückgegriffen, eine repräsentative Wiederholungsbefragung von Privathaushalten in Deutschland, und dabei die Jahre von 1984 bis 2015 im Hinblick auf Erwerbsverläufe von Personen zwischen 25 und 65 Jahren mit allgemeiner Hochschulreife und abgeschlossener Hochschulbildung ausgewertet.
„Alte“ und „neue“ Studiengänge (noch) kein Thema
Dadurch, dass der Beobachtungszeitraum vor sieben Jahren endete, sollten nach Auskunft von Koautor Patzina gegenüber Studis Online „noch nicht so viele Bachelor- beziehungsweise Masterabschlüsse“ in der Analyse enthalten sein. Der Datenbestand umfasst demnach mehrheitlich Personen, die noch die früheren Studiengänge mit den Abschlüssen Diplom, Magister und (Lehramts-)Staatsexamen studiert haben.
Mit den im Gefolge der Bologna-Studienstrukturreform eingeführten Abschlüssen verbanden Kritiker die Sorge, die Umstellung könnte eine Abwertung der Hochschulbildung nach sich ziehen. Insbesondere der Bachelor steht bei manchen im Ruf einer gerade noch „besseren Berufsausbildung“. Es wäre von einigem Interesse, ob das nur ein Vorurteil ist oder sich im Zeitverlauf tatsächlich Benachteiligungen von Bachelor- und Master-Absolventen gegenüber denen der „alten“ Studiengänge abzeichnen – gemessen an den Aufstiegschancen oder der Höhe der Einkünfte.
Wie Patzina ausführte, ließen „kohortenspezifische Subanalysen“, die zwischen vor und nach 1975 Geborenen differenzieren, „zumindest zu Beginn des Erwerbslebens keine großen Unterschiede zwischen ‚neuen‘ und ‚alten‘ Abschlüssen“ erkennen. Allerdings wäre dies wegen der geringen Fallzahlen kein sicherer Befund und das Thema liefere gewiss noch einmal Stoff für einen zukünftigen Bericht.
„Praxis“ versus „Theorie“
Der aktuelle Bericht zieht bei der Betrachtung „Uni versus FH“ weitere Kriterien heran, darunter den Punkt Berufseinstieg. Hier haben die FH-Absolventen die Nase vorn: Sie münden nahtloser und schneller in den Arbeitsmarkt ein als die Konkurrenz. 91 Prozent derjenigen mit FH-Abschluss sind im Alter von 25 Jahren erwerbstätig, bei jenen mit Universitätsabschluss trifft dies auf bloß 86 Prozent zu.
Zurückzuführen ist dies gemäß Studie im Wesentlichen auf die Dominanz von „berufsspezifischen Studiengängen mit hohen Praxisanteilen“ an den FHs, wohingegen die Universitäten „typischerweise berufsfeldübergreifend und theoriebasiert“ ausbildeten. Offenbar halten Arbeitgeber zumindest bei der Suche nach Berufseinsteigern verstärkt nach Kandidaten mit größerer Praxiskompetenz Ausschau und weniger nach „Theoretikern“, was im Übrigen gleichermaßen für Frauen und Männer gilt. Zwischenstand: eins zu eins.
Allerdings gerät der anfängliche Bonus mit der Dauer der Beschäftigung und näher rückendem Ruhestand immer mehr zum Nachteil. FH-Absolventen scheiden insgesamt früher aus dem Erwerbsleben aus, im Besonderen jene männlichen Geschlechts. In der Fachliteratur wird dies mit der geringeren „beruflichen Mobilität“ begründet. Wissen mit höherer Spezifität „veraltet (...) im Verlauf des Erwerbslebens schneller als allgemeinere Wissensbestände, deren Aktualität im Erwerbsverlauf weniger stark abnimmt“, zitiert die IAB-Studie aus einer Arbeit des US-Ökonomen Eric Alan Hanushek.
Mobilität und Statusgewinne
Auch bleiben FH-Abgänger laut Bericht dauerhaft in einem Berufsfeld hängen, während junge Menschen mit Uniabschluss „eine Findungs- oder Etablierungsphase“ durchliefen, in der sie sich auf dem Arbeitsmarkt positionierten und „dabei berufliche Mobilität sowie Aufstiege erfahren“. Vor allem in den ersten Erwerbsjahren könnten sie „Gewinne beim sozioökonomischen Status“ erzielen, während sich der von Personen mit FH-Abschluss „nur geringfügig“ ändere. Im Falle von FH-Absolventinnen sei sogar „ein schwacher, aber systematischer Rückgang des beruflichen Status beziehungsweise der sozioökonomischen Position im Erwerbsverlauf zu beobachten“.
Soziologische Studien verweisen außerdem darauf, dass Beschäftigte mit eher allgemeineren Fähigkeiten im Erwerbsverlauf weniger physisch anspruchsvollen Tätigkeiten nachgehen. Dadurch sind sie gerade am Ende der Erwerbskarriere gesünder und belastbarer, was sich wiederum durch eine bessere Bezahlung sowie eine längeren Verweildauer im Job bezahlt macht. Zudem landen Uniabsolventen häufiger auf Beamtenstellen oder machen sich erfolgreich selbständig, wodurch sie in beiden Fällen laut Statistik länger berufstätig sind.
Nimmt man Status, Eintritt in den Ruhestand und Gesundheit, sprechen diese Kennzeichen für den Uniabsolventen. Womit dieser mit vier zu eins das Rennen macht. Aber folgt daraus, dass man als Schulabgänger um die „anderen Hochschulen“ besser einen Bogen machen sollte? Das wäre zu kurz gesprungen. Denn natürlich bleibt die Wahl der Hochschule eine hochgradig individuelle und persönliche Entscheidung.
Das Persönliche geht vor
Die Empirie kann ein nützliches Hilfsmittel sein bei Fragen, die die eigene Zukunft betreffen. Aber gewiss nicht das alleinige. Die Sozialwissenschaft richtet Schlaglichter auf einzelne Untersuchungsobjekte, ohne das Große und Ganze auszuleuchten. Sie arbeitet mit Kategorien und steckt Menschen in Schubladen, die dort nicht unbedingt hingehören.
Soll man sich als „Praktiker“ zum „Theoretiker“ verbiegen lassen nur wegen der Aussicht, ein paar Euro mehr zu kassieren? Oder ist man dann unglücklicher und hat gar nicht den finanziellen Erfolg? Oder soll der „Theoretiker“ auf die Karte FH setzen, weil er damit womöglich schneller einen Job bekommt? Zugespitzt werden solche Verallgemeinerungen in den gängigen Hochschulrankings: Die Uni A ist besser als die Uni B, weil sie mehr Einser-Absolventen produziert. Was, wenn das Niveau an Uni B einfach höher ist oder das leckere Mensaessen die Leute vom Studieren abhält?
„Die Studienergebnisse verdeutlichen die hohe Relevanz von Bildungsentscheidungen nach dem Abitur“, befand IAB-Forscher Patzina in einer Pressemitteilung. Auch das ist ziemlich allgemein, während der Titel der Studie mit einer deutlichen Tendenz pro Universität daherkommt: „Auf den Abschluss kommt es an.“ Dagegen verdeutlichen die Ergebnisse zum Beispiel nicht: Die Abbrecherquote an Unis ist signifikant höher als an „anderen Hochschulen“. Gut zu wissen, zumal bei der Hochschulwahl. (rw)