Millionär auf UmwegenBerufschancen für Studienabbrecher
Wer bei Günther Jauch sitzt, kann es in den erlauchten Kreis der Millionäre schaffen. Der prominente RTL-Rateonkel hat sich dort längst festgesessen. Bei 125.000 Euro pro Sendung soll er inzwischen 55 Millionen Euro an Vermögen aufgehäuft haben. Der Publicity-Joker hat voll gezogen. Aber Jauch wurde nicht auf klassischem Bildungsweg zum Spitzenverdiener: als erfolgreicher Absolvent einer Uni oder Fachhochschule. Tatsächlich hat er sogar zwei Studiengänge abgebrochen, bevor er dann im dritten Anlauf beim Journalismus und schließlich im Showbusiness landete. Wohl dem, der den richtigen Riecher hat.
Den hatten noch andere glamouröse Glücksritter. Zum Beispiel: Anke Engelke, Wim Wenders, Wolfgang Joop, Steven Spielberg, Brad Pitt, Steve Job, Mark Zuckerberg oder Bill Gates. Sie alle wurden reich bis steinreich, obwohl sie früher einmal ihr Studium hinschmissen. Das könnte jenen Zeitgenossen, die ihrer Hochschule selbst vorfristig den Rücken gekehrt haben oder mit diesem Gedanken spielen, durchaus Ansporn sein, mit etwas ganz Anderem das ganz große Glück zu finden. Oder die schönen Vorbilder führen doch nur zu falschen Hoffnungen. Denn natürlich ist etwa der Aufstieg zum Facebook-Magnaten ohne abgeschlossenes Informatikstudium eine absolute Ausnahmeerscheinung.
Unsere Artikel zum Studienabbruch
Fast jeder Dritte schmeißt hin
Das gilt umso mehr, als es gerade in Deutschland eine stattliche Schar an jungen Leuten gibt, die ihr Studium aus freien Stücken oder gezwungenermaßen abbrechen. Wobei die Zahlen nicht eindeutig sind. Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beziffert die Quote aller Erwachsenen, die eine Hochschulausbildung beginnen, aber nicht abschließen, mit rund 14 Prozent.
Während dieser Marke eine quasi „lebenslange“ Perspektive zugrunde liegt, hantiert das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) mit Daten aus dem Hier und Jetzt. Bezogen auf den Absolventenjahrgang 2018 sind demnach 27 Prozent der Bachelor- und 17 Prozent der Master-Studierenden aus ihrem Studium ausgeschieden. Anders als die OECD lässt das DZHW unberücksichtigt, ob jemand später einen Abschluss nachholt.
Tatsächlich waren die Abbruchquoten sogar schon einmal höher und bewegten sich lange Zeit auf dem Niveau eines Drittels eines Absolventenjahrgangs. Die Erholung geht laut DZHW allerdings einzig auf den „höheren Studienerfolg der Fachhochschulen“ zurück. An den Universitäten sind die Anteile mit 32 Prozent beim Bachelor und 19 Prozent beim Master praktisch unverändert geblieben. Rechnerisch verlassen somit pro Jahr fast 200.000 Studenten ihre Hochschule ohne Abschluss. Wohlgemerkt stammen die DZHW-Zahlen aus der Zeit vor der Corona-Krise. Man muss davon ausgehen, dass sich die Lage in den zurückliegenden zwei Jahren noch zugespitzt hat.
35 Prozent weniger Gehalt
Die graue Wirklichkeit hält noch mehr Ungemach bereit: Wer sein Studium sausen lässt, hat zwar nicht unbedingt weniger zu lachen, aber auf alle Fälle weniger Geld. Im Schnitt liegt der Gehaltsunterschied zwischen Studienabbrechern und Akademikern hierzulande bei satten 35 Prozent, wie das Mannheimer Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) vor knapp einem Jahr in einer Studie mit Daten aus 18 europäischen Staaten ermittelte. Ähnlich groß wie in Deutschland ist die Kluft nur noch in Zypern und Polen, während es in Dänemark lediglich zehn Prozent und im europäischen Mittel 25 Prozent sind.
Noch ein Dämpfer: Ein Studienausstieg mindert die Chancen, überhaupt einen Job zu finden. Konkurrenten mit Hochschulabschluss in der Tasche haben demnach 13 Prozent bessere Aussichten, wobei die BRD das Feld in diesem Punkt abermals gemeinsam mit Polen und Dänemark anführt. In Ländern wie Italien, Griechenland und Belgien konnten die Forscher praktisch keine Unterschiede zwischen fertigen und unfertigen Akademikern feststellen. Beide Gruppen ergattern hier in ähnlicher Größenordnung und ähnlichen Tempo eine Stelle.
Studienautor Francesco Berlingieri vermutet hinter den deutschen Besonderheiten „kulturelle Unterschiede“. Offenbar würden „formelle Abschlüsse noch immer weit stärker honoriert“ als anderswo und „Studienabbrecher am Arbeitsmarkt härter bestraft“. Einen weiteren Grund sieht der Ökonom im „guten Ausbildungssystem, das andere Länder in dieser Form nicht haben“.
Von den Briten lernen
Bessere Karten als bei uns haben die Abbrecher in Großbritannien. Sie verdienen zwar weniger als Komplettakademiker, dafür aber deutlich mehr als Beschäftigte mit mittlerem Bildungsabschluss. Das könnte daran liegen, dass sie trotz vorzeitigem Abgang von der Uni etwas vorzuweisen haben. Die britischen Hochschulen verleihen Studierenden nach einem Jahr Vollzeit- oder zwei Jahren Teilzeitstudium ein Zertifikat über bestandene Klausuren. Das „Certificate of Higher Education“, das sich auch auf ein anderes Bachelor-Studium anrechnen lässt, ist ein Art notarielle Beglaubigung, dass man sehr wohl in der akademischen Liga mitspielen kann. Und Arbeitgebern ist das offenbar eine Belohnung wert.
In Deutschland wird ein Studienabbruch dagegen vorwiegend als Makel begriffen, als Beleg dafür, bestimmten Anforderungen nicht gewachsen zu sein oder sich nicht durchbeißen zu können. Entsprechend schambesetzt agieren die Betroffenen. Das geht nicht selten so weit, dass sie in Bewerbungen oder bei Vorstellungsgesprächen ihr vermeintliches Scheitern verheimlichen, statt mit ihrem Kurztrip in den akademischen Elfenbeinturm zu wuchern. Denn könnte nicht gerade das ein Pfund in der Waagschale sein, das der „einfache“ Facharbeiter oder Ausbildungsanwärter nicht zu bieten hat?
Überhaupt: Ist es ein Ausweis von Schwäche, auf halbem Weg innezuhalten und für sich festzustellen, dass ein anderer Weg der bessere ist? Tatsächlich zeugt dies mithin von mehr Reife, als einen dornigen Weg, von dem man ahnt, dass er nicht der richtige ist, stur weiterzugehen, nur um am Ende einen Abschluss in der Tasche zu haben – oder auch nicht. So abgedroschen ist klingt: In jeder Krise steckt immer auch eine Chance, es (anders) besser zu machen. Und wer dies selbstbewusst und schlüssig kommuniziert, kann damit beim Personalchef (nicht bei jedem) sogar punkten.
Regierung will's wissen
Neuere Anhaltspunkte dafür, dass Studienabbruch kein K.O.-Schlag für die Karriere sein muss, liefert eine Untersuchung des Arbeitsbereichs Empirische Bildungs- und Hochschulforschung an der Freien Universität Berlin mit dem Titel „Studienausstieg – und dann? Der Übergang in Ausbildung und Beruf aus Sicht von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern“. Die im November vorgelegte Studie basiert auf einer Zufallsstichprobe von über 1.000 Unternehmen, die im Jahr 2018 Stellen ausgeschrieben hatten, für die sich typischerweise (auch) Studienaussteiger interessieren, und zwar im kaufmännischen und im Bereich Informationstechnologie (IT).
Ziel war es, herauszufinden, ob und in welchem Umfang sich Studienabbrecher auf die Angebote bewerben und wie ihre Erfolgsaussichten im Vergleich zu anderen Kandidaten mit Schul-, Berufs- und Hochschulabschluss sind. Ermittelt wurde ferner, wie die fraglichen Firmen die Studienabbrecher konkret beurteilen, um so ein ein besseres „Verständnis zu den Chancen und Hemmnissen einer erfolgreichen Arbeitsmarktintegration“ zu erlangen. Mehr darüber will auch die Bundesregierung wissen. Die Befragung ist Teil des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektes „Studienabbruch und Berufsaussichten. Experimentelle Studien zur Integration auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt (ABBA-X)“.
Ergebnisse der Studie: Die Betroffenen scheuen nicht den Wettbewerb mit scheinbar bessergestellten Kandidaten. Im Falle von Ausbildungsstellen gaben lediglich 4,1 Prozent der Unternehmen an, keine Bewerbung von Studienaussteigern erhalten zu haben. Bei Stellen für ausgebildete Fachkräfte oder solchen, die ausdrücklich auf Hochschulabsolventen gemünzt waren, lagen knapp 90 Prozent beziehungsweise über 87 Prozent der Befragten auch Bewerbungen von Studienabbrechern vor. Am häufigsten bewerben sich diese allerdings auf eine Lehrstelle, worin die Autoren auch eine Chance sehen, „die vielerorts unbesetzten Ausbildungsplätze abbauen zu können“.
„Höhere“ Stelle – schlechtere Chancen
Tatsächlich haben Studienabbrecher überdurchschnittlich gute Aussichten, einen Ausbildungsplatz zu finden. So falle die Bewertung „arbeitsrelevanten Fähigkeiten (...) durchweg positiv aus“, schreiben die Forscher. Für sie sprechen demnach vor allem die „höhere persönliche Reife“, das „theoretische Wissen“ und der „sprachliche Ausdruck“. Passend dazu nehmen einer weiteren DZHW-Erhebung zufolge 43 Prozent der Studienaussteiger nach ihrer Exmatrikulation eine Berufsausbildung auf.
Bei „höheren“ Stellen, die für Fachkräfte ausgeschrieben sind, mischen sich jedoch auch Missklänge in die Gesamteinschätzung, etwa was „Belastbarkeit“ und „Durchaltevermögen“ angeht. In Konkurrenz zu Hochschulabsolventen würden dann „kaum noch Vorteile“ gesehen, gewisse Merkmale aber immerhin noch „gleichwertig“ eingestuft, beispielsweise in puncto „Arbeitsmotivation“ und „Teamfähigkeit“. Dafür ergeben sich aber eindeutige Nachteile, etwa beim theoretischen Wissen.
Nicht selten greifen auch „Schließungsmechanismen“, die Studienabbrecher per se aussperren. So berichteten 26 Prozent der Unternehmen, dass sie diese bei Bewerbungen auf „qualifizierte“ Stellen (Fachkräfte oder Akademiker) nicht berücksichtigen. Positiv gewendet, heißt das aber, dass sie bei drei Viertel der Fälle zum Zug kommen können. Freilich führe dies „angesichts der oftmals starken Konkurrenzsituation nicht immer zu einer Einstellung“, heißt es in der Studie.
Kleine Notlügen helfen
Immerhin beschäftigen 75 Prozent der befragten Firmen auf wenigstens einer Stelle Studienaussteiger. Dabei greifen größere Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern vergleichsweise häufiger zu. In fast 62 Prozent der Fälle besetzen die Betroffenen Facharbeiterstellen, in bald 27 Prozent der Fälle Stellen für Hochschulabsolventen. Das Gros der Befragten habe „gute oder sehr gute“ Erfahrungen mit den Beschäftigten gemacht. In der Gesamtschau sprächen die Befunde dafür, dass Studienaussteiger „besser sind als ihr Ruf“, bilanzieren die Autoren.
Einen guten Tipp haben sie auch noch parat: Bei der Frage nach den Motiven für den Studienabbruch sollte man es vermeiden, „Leistungsprobleme“ und „mangelnde Studienmotivation“ vorzubringen. Besser sei es, weil von den Personalchefs positiv bewertet, ein „Interesse an praktischer Tätigkeit“ in den Vordergrund zu stellen sowie als „neutral“ eingestufte Gründe wie die „finanzielle“ oder „familiäre“ Situation.
Und dann gibt es noch einen Seitenhieb auf die Politik. Bemängelt wird, dass nur die wenigsten Unternehmen (16,3 Prozent) von vorhandenen Vermittlungsprogrammen für Studienabbrecher – in der Region Aachen zum Beispiel „Switch“ – überhaupt wüssten. Und von diesen würden nur 14,9 Prozent auf die Angebote zugreifen. Um das zu ändern, „müssten Bekanntheit und Nutzung der Vermittlungsprogramme deutlich gesteigert werden“.
Was nicht ist, kann ja noch werden. Bis dahin: Bei Studienabbrecher.com finden sich haufenweise Jobangebote – explizit für verhinderte Akademiker. Vielleicht geht es für manch einen ja schon bald ganz hoch hinaus. Selbst Reinhold Messner ist in jungen Jahren gescheitert: als Student der Vermessungskunde. (rw)