Digitaler Wandel konkretBerufseinstieg in die Medien
Wo Reporter früher mit einer Riesen-Kamera und Notizblock unterwegs waren, reicht für heutiges Mobile Reporting ein Smart Phone.
„Irgendwas mit Medien": Das ist immer noch ein häufig geäußerter Berufswunsch ... auch wenn die Branche im Umbruch ist. Denn die Digitalisierung hat den Wirtschaftszweig stark verändert. Stellenstreichungen auf der einen Seite, neue Medien auf der anderen prägen das Bild. Doch die Einstiegsmöglichkeiten sind weiterhin vielfältig. Sie reichen vom Journalistikstudium über das Volontariat bis hin zur Journalistenschule.
Auch der 26-jährige Benedikt Nießen hat sich für eine Tätigkeit in der Medienbranche entschieden. „Ich gehe jeden Montag gerne zur Arbeit", betont der Redakteur bei VICE in Berlin. Dabei bekam er gleich am Anfang seines Journalistik-Studiums an der Universität Eichstätt-Ingolstadt eine kalte Dusche. „Ein Professor konfrontierte uns damit, dass wir in eine Branche einsteigen, die keine Zukunft hat." So abschreckend diese Worte waren: Benedikt ließ sich nicht irritieren. „Ich war idealistisch."
Praxiserfahrung zählt
Sein Interesse für die Medien begann früh: Er arbeitet in der Schülerzeitung mit und nahm an Aktionen wie „Journalist für einen Tag" teil. Noch vor seinem Studium machte der in Mönchengladbach geborene Benedikt ein Praktikum bei der Rheinischen Post.
Auch während der Semesterferien jobbte er bei der Tageszeitung als freier Mitarbeiter. Er absolvierte ein Auslandssemester in Nordfrankreich und ließ sich von den düsteren Aussichten nicht beeindrucken: „Mir war klar, dass es auch in Zukunft JournalistInnen geben muss, die die Menschen informieren und ihnen komplexe Themen näherbringen."
Benedikt zog nach seinem Bachelorabschluss in die Hauptstadt. „Damals hatte ich bereits Kontakt zur VICE-Redaktion und begann, für sie als freier Journalist zu arbeiten. Ich konnte mir sowohl eine Zukunft als selbstständiger als auch als angestellter Redakteur vorstellen." Mit einem hat er allerdings nicht gerechnet: Dass ihm bereits nach ein paar Monaten ein unbefristeter Vertrag angeboten wird.
Heute recherchiert Benedikt zu Themen aus Sport, Politik und Popkultur. Mal schreibt Benedikt einen Artikel über rechtsextreme Hooligans, dann über das Gesetz zu medizinischem Cannabis in Deutschland. „Ich habe nicht nur die offiziellen Zahlen der Apotheken aufgelistet, sondern sprach mit Experten und betroffenen Patienten." Genau das entspricht der Ausrichtung von VICE: „Wir wollen nah dran sein bei unseren LeserInnen. Wir wollen nicht über die Menschen, sondern am besten mit ihnen sprechen."
Flache Hierarchien
Der Redakteur sieht Unterschiede zwischen klassischen Printmedien und seinem jetzigen Arbeitgeber: „Meine Chefin sitzt einen Platz weiter im Großraumbüro. Wir haben eine flache Hierarchie. Hier werden auch PraktikantInnen um ihre Meinung gebeten ... schließlich haben viele RedakteurInnen auch so angefangen."
Außerdem arbeitet Benedikt ganz eng mit seinen Social Media-KollegInnen zusammen: „Sie bringen die Meinungen der LeserInnen zu uns oder helfen bei Artikelideen", ergänzt der Redakteur.
„Wir verstehen uns nicht als unterschiedliche Abteilungen, sondern versuchen individuelle Stärken für ein gemeinsames Produkt zu bündeln", so Benedikt. Das gehe nur mit einer engen Zusammenarbeit. Natürlich bekommt die Redaktion von den Social-Media-SpezialistInnen auch Feedback zur Artikel-Reichweite. Denn schließlich wissen sie am besten, wie die Beiträge aufbereitet werden müssen, um in den sozialen Netzwerken gut anzukommen. „Der tollste Artikel bringt nichts, wenn ihn keiner liest."
Stellenabbau in der Branche
„Grundsätzlich sind die Medien als Berufsfeld immer noch attraktiv", erklärt Sabine Dietzsch, Beraterin für akademische Berufe bei der Arbeitsagentur Berlin Süd. „Schließlich können HochschulabsolventInnen hier ihre Kreativität mit ihrem Interesse an Land und Leuten verbinden. Einen Boom gibt es allerdings nicht mehr." Die einschlägigen Medien-Studiengänge seien inzwischen in der Regel nicht mehr überlaufen.
Dietzsch betont, dass sich die Beschäftigungsformen verändert haben. In den letzten Jahren verloren viele fest angestellte Redakteure ihren Job. „Wer heute in den Medien arbeitet, ist meistens freiberuflich tätig."
Trend zur Medienkonzentration
Das bestätigt auch Matthias von Fintel, Tarifsekretär Medien beim ver.di-Bundesvorstand: „Der Trend geht hin zu immer weniger Arbeitsplätzen. Die Anzahl der Stellen ist stark gesunken."
Hintergrund für diese Entwicklung ist die Medienkonzentration: „Viele Zeitungsredaktionen werden zusammengelegt. So entstehen Zentralredaktionen und Verbünde." Das geht dann in der Regel mit einem Stellenabbau einher. Besser sieht es – laut von Fintel – beim Fernsehen aus: „Die Stellensituation bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ist stabil, bei den Privaten einigermaßen konstant."
Die Autorin dieses Artikels
Anja Schreiber arbeitet seit vielen Jahren als freie Fachjournalistin zu den Themen Bildung, Studium und Beruf. Sie schreibt unter anderem für die Berliner Zeitung, Stuttgarter Zeitung und Süddeutsche Zeitung, aber auch für Hochschulmagazine und eine wissenschaftliche Publikation. Sie ist zudem die Autorin mehrerer Ratgeber. So hat sie zum Beispiel „Die Sehnsuchtsstrategie für Studierende und Hochschulabsolventen“ geschrieben. Das Buch hilft, den Berufseinstieg passgenau vorzubereiten.
Weitere Infos unter: anjaschreiber.de
Medium mit Startup-Kultur
VICE ist ein Beispiel für erfolgreiche Gründung: Das Medium startete 1994 in Kanada als Punk-Fanzine und entwickelte sich zum weltweit führenden Jugend-Medienunternehmen mit über 3.000 Mitarbeitern weltweit. „2005 kamen wir auf den deutschen Markt", erklärt Jannis Tsalikis, Human Resources Director von VICE. „Am Anfang waren wir in Deutschland ein Startup. Das sind wir heute mit 130 MitarbeiterInnen, davon 43 in der Redaktion, natürlich nicht mehr."
Dennoch sieht Tsalikis VICE nicht als „etabliertes Unternehmen": „Wir sind jung und schreiben für eine junge Zielgruppe. Bei der Themenauswahl haben unsere RedakteurInnen maximale Freiheit. Bei uns hat wirklich jeder die Chance, seine Ideen zu verwirklichen." Wenn jemand eine gute Geschichte habe, dann werde sie auch veröffentlicht.
Einen weiteren Unterschied zu den klassischen Medien sieht Tsalikis unter anderem in der „digitalen Affinität" von VICE: „Wir werden oft in die Boulevard-Ecke geschoben. Und tatsächlich findet man bei uns Themen, die zum Beispiel so nicht in der FAZ stehen. Doch auch wenn wir andere Themengebiete bedienen, wollen wir mit guter Recherche und gutem Handwerk überzeugen."
Die Unternehmenskultur ist ebenfalls anders als bei anderen Medienunternehmen. Tsalikis: „Was viele Startups heute machen, ist bei uns längst Standard." Das Medienunternehmen versorgt seine MtarbeiterInnen täglich mit frischem Obst und Getränken. „Darüber hinaus sind meine KollegInnen aktiv im firmeneigenen Fußball-Team, beim Yoga und beim Training im Fitnessraum." Außerdem gibt es ein monatliches Barbecue oder eine Party.
Einstieg via Volontariat und Journalistenschule
Ein klassischer Weg in die Medien führt immer noch über ein zweijähriges Volontariat. „Die Übernahmenchancen sind danach vergleichsweise hoch", erklärt ver.di-Sekretär von Fintel. Die Zeiten, in denen Redaktionen waschkörbeweise Bewerbungen erhielten, seien ebenfalls vorbei. "In manche Gegenden ist es heute sogar schwer, die Volontariatsstellen zu besetzen." Der Grund dafür liegt für den Gewerkschaftsmann auf der Hand: „Manchmal verdienen Volontäre unter 1000 Euro brutto ... und das, obwohl sie in der Regel einen Hochschulabschluss haben."
Eine Alternative zum Volontariat ist die Ausbildung an einer Journalistenschule. Henriette Löwisch, die Leiterin der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München, sieht für ihre SchülerInnen grundsätzlich gute Berufschancen: „Unsere AbsolventInnen finden auch Redakteursstellen, zum Beispiel bei den Onlineausgaben von Medien wie Welt, Zeit, Spiegel oder ARD."
Die Zahl der freien JournalistInnen geht laut Ver.di zwar nicht nach unten, finanziell sind die Aussichten aber eher trüb. „Im Durchschnitt verdienen Freie nur etwa 20.000 Euro brutto im Jahr. Oft sind die Honorare sogar nicht einmal existenzsichernd." Viele Selbstständige würden deshalb zusätzlich PR-Aufträge annehmen.
Die Voraussetzung für Erfolg im Beruf, so Löwisch, sei eine gute Ausbildung. „JournalistInnen brauchen handwerkliche Fähigkeiten, aber auch die Gabe, komplizierte Sachverhalte zu verstehen und sie klar zu kommunizieren." Fremdsprachen sollte der Nachwuchs ebenso beherrschen wie die deutsche Rechtschreibung und Grammatik. „In unserem 16-monatigen Kompaktkurs unterrichten wir das Handwerkszeug aus den Bereichen Print, Radio und Fernsehen."
Digitale Trends in Ausbildung und Berufsalltag
Außerdem gibt es an der DJS Online-und Crossmedia-Übungen. „Gleich im ersten Modul vermitteln wir zum Beispiel die Grundlagen des Mobile Reporting. Unsere SchülerInnen nehmen ein Video mit dem Smartphone oder iPad auf und schneiden es." Schließlich würde heute vom Nachwuchs crossmediale Kompetenz erwartet. „Zu den aktuellen Medientrends gehören ganz sicher das Bewegtbild und seit Neuestem das Podcasting", betont Löwisch.
Von Fintel erklärt ebenfalls: „Den Content in verschiedenen Medien verwenden zu können, spielt eine immer größere Rolle. So werden zum Beispiel ReisejournalistInnen künftig auch Videorohmaterial vermarkten." Deshalb ist Technikaffinität eine Voraussetzung für den beruflichen Erfolg. Eines sollten sich alle Nachwuchskräfte bewusst sein: „Der digitale Wandel der Branche ist voll im Gange. Kein Job wird in Zukunft noch so aussehen wie heute."
Angesichts dieser Ausgangslage rät von Fintel dem Nachwuchs, genau zu überlegen, ob sie wirklich in den Medien arbeiten wollen: „Es ist eine Entscheidung für eine Branche, in der es kein Wachstum gibt und das Einkommen geringer ist als in anderen Wirtschaftszweigen."
Weitere Infos
Auf Studis Online
- Studienführer: Medien- und Journalismus-Studiengänge
- Artikel: Die Wirtschaft hat Nachholbedarf: Social Media Jobs (19.05.2016)
- Studiengänge aus der Fachgruppe Journalismus
- Studiengänge aus der Fachgruppe Medienwissenschaften
Im Netz
- Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) bei ver.di
http://dju.verdi.de - ver.di-Beratung für Solo-Selbstständige
http://mediafon.net - Deutscher Journalisten-Verband
https://www.djv.de - Portal für Medienprofis
http://www.journalismus.com - Journalistenschulen in Deutschland
(Sammlung auf jugendpresse.de)