Akademischer Einheitsbrei?BWL-Studium blendet Mitbestimmung in Firmen aus
Mitbestimmung in (größeren) Firmen ist in Deutschland gesetzlich geregelt, aber doch immer wieder umkämpft. Und im BWL-Studium kaum Thema.
Beim Hamburger Softwareentwickler Goodgame ist alles richtig hip und trendy. Wer als Angestellter mal chillen will, tut das im hauseigenen Swimmingpool. Das tägliche Freibierchen in der „After-Work-Location“ gehört genauso zur Unternehmenskultur wie ein Fitnessraum, Wii-Abende, Grillpartys und Pokerturniere. Mitarbeiter mit Kind können ihren Nachwuchs in der Kita Nordwind auf dem Firmengelände unterbringen und für Mobilität sorgt die „ProfiCard“ der städtischen Verkehrsbetreibe. Dazu lockt der Laden mit „flachen Hierarchien“, „schnellen Aufstiegschancen“ und „dynamischen Arbeitsprozessen“ für „flexible Mitarbeiter mit innovativem Weitblick“. Alles wie im Paradies eben oder, wie es auf der Webseite des Unternehmens heißt: „Damit wird Arbeit zum Vergnügen.“
Wo so viel Sonne ist, gibt es freilich auch Schatten. Es ist nicht lange her, da mussten 28 Beschäftigte bei Deutschlands größtem Computerspielehersteller ihren Job mal eben „flexibel“ an den Nagel hängen. Davor waren sie nämlich so „innovativ“, einen Betriebsrat installieren zu wollen. Als Ende November die Sache mit Unterstützung der Gewerkschaft ver.di richtig in Fahrt kam, bekamen die Beteiligten ihre Kündigung ausgehändigt. Freilich sollen dabei laut Geschäftsführung ganz andere Gründe eine Rolle gespielt haben, wie der „Abbau von Überkapazitäten, Fehlverhalten oder Leistungsdefizite“, auch sei der Vorgang „sehr sorgsam“ vorbereitet gewesen.
Betriebsrat verhindert
Nur wie glaubhaft ist das, wenn unter den Gefeuerten ein Schwerbehinderter ist, die Vorgesetzten über den Schritt nicht informiert waren und einige der Betroffenen noch zwei Monate später auf ein Arbeitszeugnis warteten. Belegt ist außerdem, dass die Firmenlenker den Vorstoß für mehr Mitbestimmung von Beginn an wort- und tatkräftig bekämpft haben („veraltetes Instrument“). Vor dem entscheidenden Termin im Januar machte ein internes Info-Chart die Runde mit der Empfehlung: „Wenn ihr eine eigene Vertretung wollt, geht zur Betriebsversammlung am 19. Januar, aber wählt nicht!“
Das Ende vom Lied: Mit 62 Prozent der rund 1.200 Beschäftigten wurde die Betriebsratsinitiative zu Fall gebracht. Die örtlichen Medien fanden die Geschehnisse nicht schön: Im Dezember bildete die Hamburger Morgenpost (MOPO) die Goodgame-Brüder Christian und Kai Wawrzinek ab, schrieb von einer „coolen Scheinwelt“, in der „gnadenlos ausgebeutet“ worden sei und fragte: „Sind das Hamburgs schlimmste Chefs?“
Randständiges Thema
Auf alle Fälle sind sie keine Einzelfälle, eher sind ihre Methoden die Regel. Aber warum ist das so? Wieso ist innerbetriebliche Demokratie bei so vielen Unternehmern verpönt, ja geradezu verhasst? Weshalb haben heute über 90 Prozent aller betriebsratsfähigen Betriebe keine institutionalisierte Beschäftigtenvertretung? Warum ist die Haltung so verbreitet, die Mitbestimmung als eine Gefährdung des unternehmerischen Erfolgs ansieht, während etwa der Bochumer Ökonom Bernd Kriegesmann Betriebsräte sogar als „Innovationstreiber“ erachtet.
Eine mögliche Erklärung liefern jetzt Forscher der Hans-Böckler-Stiftung. Ihr Ansatz ist dabei so einfach wie einleuchtend: Wenn etwas massenhaft praktiziert wird, muss es zuvor massenhaft vermittelt und gelernt worden sein. Und wo lernen Unternehmer und Manager für gewöhnlich ihr Handwerk? Im Studium. Folglich haben die Wissenschaftler die Ausbildungsinhalte wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge an deutschen Universitäten und Fachhochschulen unter die Lupe genommen und gefragt, wie stark das Thema Mitbestimmung in den Curricula verankert ist. Ihr Befund ist bedenklich: Zwar präge die Mitbestimmung von Arbeitnehmern die Unternehmenskultur und viele Entscheidungen im Alltag der Betriebe – in der Ausbildung künftiger Manager finde das Thema aber so gut wie keine Berücksichtigung.
Einseitige Lehrpläne
Noch mehr Kritik …
Einseitig, festgefahren, falsch – die Art und die Inhalte der an den Hochschulen gelehrten Wirtschaftswissenschaften sorgen zunehmend für Unmut unter Studierenden. In Deutschland begehrt das „Netzwerk Plurale Ökonomik“ gegen die Dominanz neoklassischer Modelle und Methoden auf und fordert eine Rückkehr zur Theorievielfalt.
Martin Allespach und Birgita Dusse von der Europäischen Akademie der Arbeit in der Universität in Frankfurt (Main) haben für ihre Analyse (siehe auch Pressemitteilung zur Veröffentlichung) die Studienordnungen und Modulhandbücher von mehr als 50 Studiengängen an 25 Hochschulen durchforstet und dabei erstaunlich wenig Funde zu Tage gefördert. Mitbestimmung werde zwar „nicht völlig ausgeklammert“, sei aber kein „grundsätzlicher Bestandteil“ der Lehrpläne. Wenn die institutionalisierte Interessenvertretung von Arbeitnehmern überhaupt behandelt werde, dann geschehe dies meist „im Zusammenhang mit Arbeitsrecht, Personalmanagement oder Corporate Governance“. Allerdings wären die entsprechenden Veranstaltungen „in der Regel nicht verpflichtend für alle Studierenden“. Nur in den wenigsten Fällen werde die Mitbestimmung „gestalterisch begriffen“, so die Wissenschaftler.
Nach ihren Erkenntnissen dominiert vielmehr eine „unilaterale und individualistische Perspektive“, die die Möglichkeit einer kollektiven Vertretung der Beschäftigten ausklammert. Beispielhaft wird in der Studie eine Modulbeschreibung eines Bachelor-Studiengangs an der Bochumer Ruhr-Universität zitiert: „Unternehmen müssen Humanressourcen entwickeln und binden, aber gleichzeitig unabhängig von ihnen bleiben. Es gilt dabei die Employability der Arbeitskräfte in individuellen und unternehmerischen Verwertungsinteressen zu sichern. Employability ist die Währungseinheit, über die der Austauschprozess gestaltet wird.“
Human Ressource Management
Für Allespach und Dusse sind im speziellen die personalwirtschaftlichen Lehrpläne stark an das Konzept des Human Ressource Management (HRM) angelehnt, das aus den USA stammt und auf der Prämisse fuße: „Alle Akteure einer Firma, also auch Arbeitgeber und Arbeitnehmer, verfolgen die gleichen Interessen.“ Statt kollektiver Verhandlungen seien dabei „marktförmige Beziehungen zwischen Individuen“ vorgesehen. „Demokratische Formen des Interessenausgleichs bleiben unterbelichtet.“ Bisweilen werde Mitbestimmung „als Rahmenbedingung“ thematisiert, mit der sich das Management irgendwie „zu arrangieren hat“. Gelegentlich würde sie gar ausdrücklich „als Störfaktor oder Hemmschuh dargestellt“.
Ganz selten findet laut Studie eine „wirklich gestalterische Perspektive“ statt. Die Modulbeschreibung im Studiengang Arbeits- und Personalmanagement an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin bildet eine der wenigen Ausnahmen: „Die Studierenden erkennen und begreifen den Kompromisscharakter von institutionellen, rechtlichen und organisatorischen Strukturen sowie die Funktionen von Verbänden/Gewerkschaften.“ Damit werde „ein explizit positiver Bezug zur Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat hergestellt“, halten die Autoren fest. Eine „weite Perspektive“ auf das Thema böten auch die sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten der Unis Köln, Erlangen und Jena.
„Blinder Fleck“
Die Forscher haben Präsenz und Umfang der Thematik in Kategorien eigeteilt. Die beherrschende mit mehr als der Hälfte an Zuschreibungen lautet „blinder Fleck“. Das steht für die „Nichtbeachtung (…) trotz hoher Relevanz für die in den Modulen gelehrten Inhalte“. Dieser Typus weise auf eine entscheidende Problematik hin: „nämlich auf einen häufig vertretenen individualisierenden Ansatz, der die institutionalisierte Mitbestimmung (bewusst?) umgeht“, befinden die Autoren. Besonders ausgeprägt sei dieses Muster an der Fernuniversität Hagen, den Unis Göttingen, Frankfurt (Main) sowie der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU).
Allespach und Dusse bereiten ihre Befunde Sorge: „Ein Studium, das die Führung von Menschen lehrt und gleichzeitig zumindest mehrheitlich die Frage nach demokratischen Prinzipien im Betrieb und Unternehmen ausklammert beziehungsweise als notwendiges rechtliches Übel thematisiert, befördert ein Denken, das demokratischen Abstimmungen und Verhalten entgegensteht.“ Dabei korrespondiere der Lernstoff „in gewisser Weise mit den Ansichten vieler Studierender“. Die Arbeitsgruppe Hochschulforschung an der Uni Konstanz hatte in ihrem 2008 vorgelegten Studierendensurvey einem Viertel aller wirtschaftswissenschaftlichen Studenten an Universitäten eine „distanzierte“ demokratische Grundhaltung attestiert (19 Prozent an Fachhochschulen).
Konkurrenz geht vor?
Nach einer anderen Studie nennen 57 Prozent die Konkurrenz unter Studierenden als ein Kennzeichen des Faches. Ferner entschieden sie sich überwiegend wegen beruflicher Optionen und materieller Gründe für die Aufnahme eines BWL-Studiums und nicht primär wegen fachlicher Interessen oder Begabungen. Andere Motive wie gesellschaftlicher Nutzen, soziale Verantwortung oder Helfen spielten dagegen kaum eine Rolle. Von nichts kommt eben nichts. (rw)