Projekt LohnSpiegelBesser verdienen mit Tarifvertrag
Die Höhe der Gehälter sind von verschiedenen Faktoren abhängig und können mitunter stark variieren.
Unser Interviewpartner Heiner Dribbusch ist Referatsleiter Tarif- und Gewerkschaftspolitik im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählt unter anderem das Projekt LohnSpiegel, das Informationen zu Löhnen und Gehältern in über 380 Berufen bietet und auf einer fortlaufenden Onlineerhebung zu den Arbeits- und Einkommensbedingungen von Arbeitnehmern basiert. Die gewonnenen Daten werden unentgeltlich auf der Webseite www.lohnspiegel.de in Form eines Lohn- und Gehaltchecks zur Verfügung gestellt. Das Angebot umfasst eine Spezialrubrik für Hochschulabsolventen.
Studis Online: Sie zeichnen verantwortlich für den sogenannten LohnSpiegel des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Das Projekt biete Informationen zu den »tatsächlich gezahlten Löhnen und Gehältern in über 380 Berufen und Tätigkeiten«, heißt es dazu auf der Webseite des WSI-Tarifarchivs. Gibt es im Umkehrschluss also auch „untatsächliche“ Löhne und Gehälter?
Heiner Dribbusch: Wir fragen die Teilnehmer in unserer Umfrage danach, welchen Lohn oder welches Gehalt sie ganz konkret für ihre Tätigkeit im abgelaufenen Monat erhalten haben. Wir fragen auch, ob in dem Betrieb, in dem sie arbeiten, ein Tarifvertrag existiert oder nicht, nicht jedoch danach, was sie laut Tariftabelle eigentlich verdienen müssten. Das wissen die meisten ohnehin nicht. Oft ist auch nicht bekannt, welcher Beruf nach welcher Tarifgruppe bezahlt wird. Insofern konzentrieren wir uns im Lohnspiegel auf „tatsächlich“ gezahlte Verdienste. Haben wir ausreichend Daten zu einem Beruf zusammengetragen, um zumindest Trendaussagen machen zu können, dann nehmen wir diesen Beruf in unseren Lohn- und Gehaltcheck auf.
An welchem Punkt beginnt bei Ihnen „ausreichend“? Wie viele Teilnehmer braucht es, um verlässliche Schlüsse ziehen zu können, was ein Beruf an Lohn und Gehalt abwirft?
Wir gewinnen unsere Daten anhand einer fortlaufenden Online-Befragung zu den Arbeits- und Einkommensbedingungen in einer möglichst großen Zahl von Berufen. Die Teilnahme basiert auf Freiwilligkeit, was dazu führt, dass je nach Beteiligung mal mehr oder mal weniger Daten zu einer Tätigkeit zusammenkommen. Wie vertiefend wir wissenschaftliche Analysen vornehmen können, hängt von der Anzahl der Fragebögen in einem bestimmten Beruf ab. Je detaillierter die Fragestellungen sind, desto schwieriger wird es. Ein Beispiel: Wenn zwei Ingenieure aus Berlin einen Antwortbogen ausfüllen, dann lässt sich daraus nicht treffsicher ableiten, was ein Ingenieur in der Hauptstadt im Mittel verdient. Schließlich gibt es Ingenieure unterschiedlichster Qualifikation und Spezialisierung, die in einer ganzen Reihe an Branchen und Unternehmen im Einsatz sind. Wir wollen in der Regel mindestens 50 Fragebögen in der Auswertung haben, bevor wir überhaupt eine Aussage über den jeweiligen Durchschnittsverdienst treffen.
Und je mehr mitmachen, desto genauer sind am Ende die Ergebnisse?
Richtig. Bei Bürokaufleuten oder Maschinenbauingenieuren basiert der Gehaltscheck auf mehreren Tausend Fragebögen, während es im Falle anderer sehr spezialisierter Tätigkeiten deutlich weniger sein können. Der Nachteil von Online-Befragungen ist, dass sie nicht repräsentativ sein können, da wir keinen Einfluss auf die Zusammensetzung der Gruppe haben. Bauberufe sind beispielsweise weniger gut vertreten, Büroberufe sind überproportional vertreten. Damit gehen wir ganz offen um. Die Vorteile unseres Angebots sehen wir vor allem in zwei Punkten: Wir befördern eine gewisse Transparenz, weil wir eben die tatsächlichen Einkommen abbilden. Und wir haben die Möglichkeit auf Basis von Effektivverdiensten sowohl berufsspezifische wie auch allgemeine Auswertungen, beispielsweise zur Lohn- und Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen vorzunehmen.
Will man wissen, wie gut oder schlecht ein Beruf bezahlt ist, kann man auf Ihrer Webseite den „Lohn- und Gehaltchecks“ nutzen. Wie funktioniert das genau?
Dr. rer. pol. Heiner Dribbusch ist Leiter des Projekts LohnSpiegel und arbeitet seit 2003 am WSI in der Hans-Böckler-Stiftung zu den Themen Arbeitskampfentwicklung (Deutschland, Europa), tarifpolitische und betriebliche Interessenvertretung und Gewerkschaftspolitik.
Das ist eine Sache von wenigen Minuten. Mit zwei Klicks kann man zunächst den fraglichen Beruf bzw. die fragliche Tätigkeit auswählen, für die man sich interessiert. Danach wird nach fünf weiteren Kriterien differenziert, etwa nach Geschlecht, Berufserfahrung oder Betriebsgröße. Und schon nach sieben Mausklicks bekommt man ein Ergebnis, also das betreffende Durchschnittsbruttoverdienst, gegliedert nach Arbeitsstunde, Monat und Jahr. Mit zwei weiteren Klicks lässt sich erfahren, wie sich das Sample, auf dem die Auswertung basiert, zusammensetzt.
Sie unterhalten eigens eine Rubrik für Hochschulabgänger, den sogenannten Absolventen-LohnSpiegel. Baut das Angebot auf derselben Datenbank auf?
Ja. Der LohnSpiegel hat, wenn man so will, zwei Tochterplattformen, eine speziell für Frauen und eben eine für Hochschulabgänger. Dem Angebot liegt allerdings keine spezialisierte Erhebung zugrunde. Es stellt lediglich Auswertungen zu bestimmten Fragestellungen gesondert zur Verfügung. Da ist zum Beispiel das Thema Befristungen: Wir haben ermittelt, dass 34 Prozent der Jungakademiker mit bis zu einem Jahr Berufserfahrung nur mit einem Zeitvertrag beschäftig sind. In der Gruppe derer mit bis zu drei Jahren Berufserfahrung gilt das noch für jeden Vierten. Aber die Werte gehen je nach Branche und Tätigkeit weit auseinander. Im Fahrzeugbau sind nur sechs Prozent der Nachwuchsakademiker auf Zeit angestellt, während es an Hochschulen und anderen Wissenschaftseinrichtungen über 80 Prozent sind.
Die Gehaltslücke zwischen Akademikern und Akademikerinnen beträgt bis zu 30 Prozent
Kann Ihr Angebot mehr bieten als nur Orientierung, welcher Beruf wie gut oder schlecht bezahlt wird?
Wir können eine gewisse Hilfestellung bieten bei der Frage, wo was verdient wird. Aber eine „Berufsberatung“ können und wollen wir deshalb nicht sein. Beispielsweise können wir aufzeigen, dass in faktisch allen Berufsfeldern die Bezahlung zum Teil sehr deutlich besser ausfällt, wenn der fragliche Betrieb der Tarifbindung unterliegt. Nimmt man etwa Ingenieure, dann verdient man in Unternehmen, die nach Tarif zahlen, im Mittel mal eben 816 Euro mehr als die Kollegen in tariflosen Bereichen. Wir wissen aber auch, dass sich nicht jede und jeder – gerade auch frischgebackene Hochschulabsolventen nicht – völlig frei aussuchen kann, in welchem Betrieb er unterkommt. Oder nehmen wir das Thema Geschlechterungleichheit. Die Gehaltslücke zwischen Akademikern und Akademikerinnen beträgt im Schnitt 21,5 Prozent. Im Falle von universitären Diplom-Abschlüssen fanden wir sogar einen Abstand von 30 Prozent. Dies hat nicht zuletzt mit den unterschiedlichen Karrierechancen in den Unternehmen zu tun. Hier werden ganz offenbar Männer noch immer bevorzugt.
Soll heißen …
Was man an Geld verdient, hängt von ganz vielen Faktoren abseits der beruflichen Qualifizierung ab. Bin ich diplomierter Betriebswirt in der Buchhaltung in einem kleinen Autohaus, dann verdiene ich in der Regel deutlich weniger als bei Mercedes-Benz im mittleren oder gar gehobenen Management. Diese Unterschiede können wir mit unserer Methodik und auf Basis der begrenzten Datenlage nicht abbilden. Wir tun uns bei den meisten Berufen schon schwer damit, nach Bundesländern zu differenzieren. Deshalb beschränken wir uns meist auf das Ost-West-Gefälle. Dabei wissen wir natürlich, dass es auch in den alten Bundesländern erhebliche Diskrepanzen zwischen den Großstädten und Ballungsräumen auf der einen und den ländlichen Regionen auf der anderen Seite geben kann. Ich kenne aber auch keine andere vergleichbare Online-Befragung, die diese Unterschiede verlässlich aufzeigen könnte.
Was folgt daraus konkret für jene, die auf Ihr Angebot zugreifen?
Noch einmal: Wir wollen und können keinem die Entscheidung abnehmen, was man studiert oder welche Ausbildung man macht. Zumal ja auch die Frage des Verdienstes bei weitem nicht das einzige Kriterium bei der Berufswahl sein sollte. Wer einen Beruf im Sozialbereich anstrebt, weiß in der Regel, dass die Verdienstmöglichkeiten geringer sind, als bei einer Ingenieurstätigkeit in einem Großunternehmen der Privatwirtschaft. Nach unserer Analyse verdienen Ingenieure im Schnitt 4.380 Euro brutto, Sozialpädagogen aber bloß 2.827 Euro. Das ist viel Geld. Aber hänge ich deswegen gleich meinen Berufswunsch an den Nagel?
Zumindest gibt es Erhebungen und Rankings, gerade die von wirtschaftsliberalen Akteuren, die suggerieren, dass nichts wichtiger ist als der Faktor Geld.
Dieser Eindruck wird tatsächlich geweckt. Aber viele dieser Rankings erfordern mehr als einen Blick auf die Tabellen. Zuletzt titelte zum Beispiel Spiegel online „Die zehn fetten Fächer“ und teilte mit, dass Ingenieure, Mediziner und Naturwissenschaftler in der Regel mehr verdienen als Geisteswissenschaftler. Das überrascht eigentlich nicht besonders. An anderer Stelle in dem Artikel erfährt man dann aber auch, dass die Regionen, die Unternehmensgröße oder die Abschlussnote eine gewichtige Rolle dabei spielen, wie viel konkret verdient wird. Denn auch in den „fetten Fächern“ gibt es eben keinen Automatismus. Bezahlung und Arbeitsbedingungen streuen in der realen Berufswelt erheblich und das ist etwas, das wir ja auch feststellen.
Woran denken Sie dabei noch?
Die tatsächliche Arbeitszeit ist ein wichtiges Thema. Wer einen Open-End-Arbeitstag hat, kann selbst in vorgeblich gehobenen Tätigkeiten im Schnitt pro Arbeitsstunde weniger verdienen als ein Normalverdiener mit 40-Stunden-Woche. Von den gesundheitlichen Folgen exzessiver Arbeit ganz zu schweigen. Oder nehmen wir die Position in einem Betrieb. Ein leitender Mitarbeiter steht besser da als einer, der nur Ordner sortiert. Und nicht zuletzt spielen, was ja die meisten Beschäftigten aus ihrem Arbeitsumfeld kennen, neben der Qualifikation auch Aspekte wie Durchsetzungsvermögen, Anpassungsfähigkeit sowie gute Beziehungen in der betrieblichen Hierarchie eine Rolle.
Ranken als Selbstzweck ist demnach nicht Ihr Ding?
Listen und Rankings sind medial interessant und eignen sich, zielgerichtet eingesetzt, durchaus dafür, rasche Überblicke zu ermöglichen. Wir veröffentlichen deshalb auch Übersichten, beispielsweise zu den Lohn- und Gehaltsunterschieden zwischen Männern und Frauen. Daneben bemühen wir uns allerdings auch, soweit es unsere Daten hergeben, Zusammenhänge und Differenzierungen aufzuzeigen.
(rw)
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